Naturgeschichtliche Lektionen
Zu den Vorstellungen, die eine Politik, Ethik, Philosophie und Kunst der Ökologie wirklich verhindern, gehört die Vorstellung der Natur selbst. Natur, ein Begriff für eine transzendente Vorstellung in einer materiellen Maske, steht am Ende einer potenziell unendlichen Reihe anderer Begriffe, die mit ihm zusammenfallen – einer metonymischen Reihe: Fisch, Gras, Bergluft, Schimpanse, Liebe, Mineralwasser, Wahlfreiheit, Heterosexualität, freier Markt … Natur. Die metonymische Reihe wird dabei schließlich zur Metapher. Das Schreiben beschwört diesen notorisch schlüpfrigen Begriff, der in seiner Schlüpfrigkeit, in seiner Weigerung, irgendeine Konsistenz beizubehalten, Ideologien aller Art dienlich ist. Auf einer anderen Ebene ist Natur dagegen Konsistenz in Reinform. Wenn man sagt, etwas sei unnatürlich, meint man, dass es keiner Norm entspricht, die so »normal« wäre, dass sie in das Gefüge der Dinge eingebaut ist. Daher besetzt »Natur« in der symbolischen Sprache drei Orte. Sie ist erstens ein bloßer Platzhalter für eine Anzahl anderer Konzepte. Zweitens stellt sie eine gesetzgebende Kraft dar, eine Norm, an der Abweichungen gemessen werden. Drittens ist »Natur« eine Büchse der Pandora, ein Wort, das eine potenziell unendliche Anzahl von unterschiedlichen Fantasieobjekten umschließt. Mit dieser dritten Bedeutung – Natur als Phantasma – beschäftigt sich das Buch am gründlichsten. Möchte man erkennen, wie »Natur« Gefühle und Überzeugungen erzwingt, scheint sich die »Disziplin« des Eintauchens in die dem Vergnügen Dritter entsprungenen Rorschachkleckse, die wir gemeinhin Gedichte nennen, als durchaus geeignete Methode anzubieten.
Natur schwankt zwischen dem Göttlichen und dem Materiellen. Weit davon entfernt, selbst etwas »Natürliches« zu sein, schwebt Natur über den Dingen wie ein Geist. Sie gleitet über die unendliche Aufzählung der Dinge, von denen sie heraufbeschworen wird. Somit gleicht Natur dem »Subjekt«, einem Wesen, das das gesamte Universum nach seiner Spiegelung durchsucht und keine findet. Wenn aber Natur nur ein anderes Wort für eine höchste Autorität ist, warum sie nicht einfach Gott nennen? Und wenn dieser Gott außerhalb der materiellen Welt nichts ist, warum sie dann nicht Materie nennen? Diesem politischen Dilemma sahen sich Spinoza und die Deisten des achtzehnten Jahrhunderts in Europa gegenüber. Im achtzehnten Jahrhundert war es gefährlich, ein offener Atheist zu sein, wie sich an Humes kryptischen Bemerkungen und dem zunehmend vorsichtigen Vorgehen von Percy Shelley ablesen lässt, der aufgrund der Veröffentlichung eines atheistischen Pamphlets aus Oxford verjagt worden war. Gott erschien oft an der Seite königlicher Autorität, und die aufstrebende Bourgeoisie und die ihr verbundenen revolutionären Klassen verlangten nach einer anderen Form autoritärer Machtausübung. »Ökologie ohne Natur« heißt auch, dass wir einige Begriffe unter die Lupe nehmen, die von der Natur verwischt werden.
Ökologische Literatur ist von der Vorstellung fasziniert, dass zwischen gegensätzlichen Begriffspaaren wie Gott und Materie, diesem und jenem, Subjekt und Objekt etwas existiert. John Lockes Kritik des Ätherbegriffs ist hier hilfreich. Lockes Kritik kam etwa zeitgleich mit der neuzeitlichen Konstruktion des Raums auf, der als ein leeres Set von Koordinaten aufgefasst wurde. Zahlreiche Löcher in materialistischen, atomistischen Theorien wurden durch etwas Elementares gefüllt. Newtons Schwerkraft funktionierte aufgrund eines Äthers, der analog zur Liebe eines allgegenwärtigen Gottes (oder eines ihrer Aspekte) die Eigenschaften schwerer Körper unmittelbar überträgt. Wenn aber der Äther eine Art »umgebende Flüssigkeit« ist, die alle Teilchen umfließt und »zwischen ihnen« existiert, was umfließt dann die Teilchen der umgebenden Flüssigkeit selbst? Wenn Natur zwischen Begriffe wie Gott und Materie eingeschoben ist, welches Medium hält dann die Dinge, die von Natur aus geschichtet sind, zusammen? Natur scheint sowohl Salat als auch Mayonnaise zu sein. Ökologisches Schreiben schichtet Subjekt und Objekt immer wieder um, sodass wir schließlich glauben, sie hätten sich ineinander aufgelöst, was für uns gewöhnlich auf eine Unschärfe hinausläuft, die in diesem Buch Ambiente genannt wird.
Etwas später in der Neuzeit taucht die Idee des Nationalstaats auf, um die Autorität des Monarchen zu überwinden. Der Begriff der Nation basiert häufig genug auf genau der gleichen Liste, die auch die Naturvorstellung heraufbeschwört. Natur und Nation sind eng miteinander verflochten. Ich zeige, wie die Ecocritique in Augenschein nehmen kann, dass Natur uns nicht unbedingt der Gesellschaft entfernt, sondern eigentlich das Fundament nationalistischer Begeisterung bildet. Natur, die im Mittelalter ein Synonym für das Böse darstellte, galt in der Romantik als fundamental für das soziale Wohlergehen. Für zahlreiche Autoren wie etwa Rousseau setzen die Bildner des Gesellschaftsvertrags bei dem Naturzustand an. Es ist indes nicht unbemerkt geblieben, dass sich dieser Zustand kaum von dem »Beton-Dschungel« der heutigen historischen Situation unterscheidet.
In der Aufklärung wurde Natur dazu herangezogen, sexuelle und rassische Identitäten zu definieren, was vornehmlich mit den Mitteln der Wissenschaft unternommen wurde. Das Normale wurde entlang der Koordinate natürlich/unnatürlich vom Pathologischen abgegrenzt. Natur, bis dato ein wissenschaftlicher Begriff, brachte jegliche Argumentation oder rationale Beweisführung zum Erliegen: »Nun, das liegt in meiner Natur.« Er ist ideologisch, du bist voreingenommen, aber meine Ideen sind natürlich bzw. normal. Der metaphorische Gebrauch von malthusianischen Ideen im Werk Charles Darwins diente (und dient noch immer) dazu, das Funktionieren der »unsichtbaren Hand« des freien Marktes und das »survival of the fittest« – das stets als Wettbewerbskampf aller (der Besitzenden) gegen alle (die Arbeiter) aufgefasst wird – als natürlich darzustellen. Malthus führte die Natur ins Feld, um in einem für die damalige Regierung verfassten Dokument gegen die Fortsetzungen einer Frühform der öffentlichen Wohlfahrt zu plädieren. Traurig genug, dass genau dieses Denken heute von jenen vermeintlich ökologisch Gesinnten genutzt wird, die gegen »Bevölkerungswachstum« (und Immigration) vorgehen, um die Armen noch weiter niederzudrücken. Von der Metonymie zur Metapher gewendet wird Natur zu einem indirekten Begriff und kann dazu dienen, indirekt über Politik zu reden. Was als unmittelbar, unbeschädigt und über jede Anfechtung erhaben erscheint, ist jedoch verzerrt.
Eines der grundlegenden Probleme mit Natur liegt darin, dass sie entweder als Substanz, als eine matschige Sache, angesehen werden kann oder als Essenz, als ein abstraktes Prinzip, das die Ebene der Materie und sogar die der Repräsentation transzendiert. In seiner Schrift über das Erhabene fasst Edmund Burke die Substanz als den Stoff der Natur auf. Dieser »Substanzialismus« macht geltend, dass es zumindest eine Sache geben muss, die eine erhabene Qualität zum Ausdruck bringt (Weite, Schrecken, Großartigkeit). Der Substanzialismus pflegt die monarchistische oder autoritäre Sichtweise, dass es eine äußere Sache gibt, der sich das Subjekt zu beugen habe. Der Essenzialismus wiederum hat seinen Meister in Immanuel Kant. Das Erhabene kann nicht dargestellt werden, und tatsächlich besteht laut Kant in einigen Religionen (Islam, Judentum) ein Gebot, es zu unterlassen. Dieser Essenzialismus erweist sich auf der Seite des revolutionären Republikanismus als politisch befreiend. Im Großen und Ganzen tendiert das Nature Writing, einschließlich seiner Vorläufer und Familienmitglieder vor allem in der phänomenologischen und/oder der romantischen Literatur, ungeachtet der ausdrücklichen Politik der jeweiligen Autoren zu einer substanzialistischen Naturanschauung: Natur ist spürbar und da. Die Ecocritique sollte in Zukunft eine republikanische, nichtsubstanzialistische Gegentradition entwerfen und sich dabei mit Schriftstellern wie John Milton und Shelley befassen, denen die Natur nicht als Autorität galt, der man Autonomie und Verstand zu opfern hätte.
Ökologische Formen von Subjektivität beinhalten zwangsläufig auch Vorstellungen und Entscheidungen über Gruppenidentität und -verhalten. Subjektivität ist kein individuelles Phänomen und mit Sicherheit auch kein individualistisches. Sie ist...