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E-Book

Onlinesucht

Ein Ratgeber für Eltern, Betroffene und ihr Umfeld

AutorIsabel Willemse
VerlagHogrefe AG
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl158 Seiten
ISBN9783456755427
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Smartphones, Tablets und Laptops sind zu unseren ständigen Begleitern geworden, wir verbringen unsere Freizeit in Sozialen Netzwerken wie Instagram oder Facebook, mit dem Verschicken von Bildern oder Textnachrichten und mit Videogames. Ein Großteil der Jugendlichen und Erwachsenen beweist einen kompetenten und vernünftigen Umgang mit diesen Gadgets und kann sich problemlos zwischen digitaler und analoger Welt hin und her bewegen. Aber es gibt auch einen kleinen Teil, dem das nicht gelingt. Wenn die exzessive Mediennutzung negative Auswirkungen hat auf das Sozialleben und Hobbys, den Beruf oder die Ausbildung und allenfalls auch die Gesundheit, dann könnte es sich um eine Onlinesucht handeln. Hierbei handelt es sich um eine sehr neue Diagnose, die noch nicht in den offiziellen Diagnoseinstrumenten vorhanden ist. Nichtsdestotrotz wird sie von Eltern, Betroffenen und ihrem Umfeld erkannt und in der Beratungspraxis regelmäßig angetroffen. Der Ratgeber wird in einem theoretischen Teil eine allgemeine Einführung in die Mediennutzung geben, aber vor allem das Störungsbild - ergänzt durch diverse Fallbeispiele - genau beschreiben. Hierzu gehören die Diagnosekriterien, Verbreitung, Ursachen und auch Begleiterkrankungen. Der praktische Teil enthält viele konkrete Vorschläge für Bezugspersonen und Betroffene im Umgang mit Onlinesucht. Es wird auf die Wichtigkeit von Regeln in der Erziehung eingegangen und mit diversen Arbeitsblättern Hilfestellung geboten.

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Leseprobe

3. Wann spricht man von Onlinesucht? Kriterien zur Diagnose


Sucht lässt sich in erster Linie unterscheiden in stoffgebundene und stoffungebundene Süchte. Stoffgebundene Süchte sind häufig besser bekannt. Hierzu gehören zum Beispiel Alkoholabhängigkeit oder aber auch die Abhängigkeit von illegalen Drogen wie Kokain. Die stoffungebundenen Süchte werden auch Verhaltenssüchte genannt. Ihnen ist gemeinsam, dass die Tätigkeiten exzessiv ausgeführt werden, also über das normale Maß hinaus (Grüsser, S.M. & Thalemann, R., 2006). Hierzu gehören zum Beispiel die Arbeitssucht, Sexsucht oder eben auch die Onlinesucht.

Im Alltag wird schnell von Sucht gesprochen und eine Handy-, Game- oder Instagram-Sucht attestiert. Oft sind dies eher Sprüche denn aussagekräftige Diagnosen. In der Fachliteratur wird meist von Onlinesucht oder auch Internetsucht gesprochen. Geht es nur um Games, kann auch der Begriff Computerspielsucht verwendet werden. Im weiteren Verlauf wird der Einfachheit halber meist der Begriff Onlinesucht benutzt.

Mit dem World Wide Web (WWW) wurde 1991 das Internet für den normalen Nutzer und den Heimgebrauch zugänglich gemacht. Die starke Verbreitung folgte zwei Jahre später mit dem ersten Webbrowser, der Grafiken darstellen konnte. Bereits sechs Jahre später publizierten Young und andere Wissenschaftler (Young, Pistner, O’Mara & Buchanan, 1999) fünf Subtypen der Internetabhängigkeit, die noch immer eine wichtige Basis für die heutige Forschung zur Onlinesucht darstellen (Rehbein, Mößle, Arnaud & Rumpf, 2013):

  1. Abhängigkeit von Internetpornografie
  2. Abhängigkeit von Online-Beziehungen
  3. Abhängigkeit von monetären Angeboten wie Glücksspiel, Auktions- und Shoppingseiten
  4. abhängiges Surfen oder Absuchen von Datenbanken
  5. Abhängigkeit von Onlinespielen.

Als offizielle Diagnose gibt es die Onlinesucht jedoch noch nicht, sondern nur erste Versuche, sogenannte Diagnosekriterien aufzustellen. Der wohl wichtigste Schritt in diesem Bereich war, dass das Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-5), das Diagnosemanual der American Psychiatric Association APA (2013), einen Vorschlag für die Diagnose von Computerspielsucht beschrieben hat. Zwar steht dieser noch nicht im offiziellen Diagnosekatalog, sondern nur im Anhang mit dem Vermerk, dass es noch mehr Forschung dazu braucht. Doch das heißt, dass die Diagnose auf dem besten Weg ist, anerkannt zu werden. Im Folgenden werden diese Kriterien aufgelistet und beschrieben.

  1. Gedankliche Vereinnahmung. Der Spieler/die Spielerin muss ständig an das Spielen denken, auch in Situationen, in denen nicht gespielt wird (zum Beispiel in der Schule oder am Arbeitsplatz).
  2. Entzugserscheinungen. Der Spieler/die Spielerin erlebt psychische (nicht physische oder pharmakologische) Entzugssymptome, wie Gereiztheit, Unruhe, Traurigkeit, erhöhte Ängstlichkeit oder Konzentrationsprobleme, wenn nicht gespielt werden kann.
  3. Toleranzentwicklung. Der Spieler/die Spielerin verspürt im Laufe der Zeit das Bedürfnis, mehr und mehr Zeit mit Computerspielen zu verbringen.
  4. Kontrollverlust. Dem Spieler/der Spielerin gelingt es nicht, die Häufigkeit und Dauer des Spielens zu begrenzen und die Aufnahme und Beendigung des Spielens selbstbestimmt zu regulieren.
  5. Fortsetzung trotz negativer Konsequenzen. Die Spielerinnen und Spieler setzen ihr Spielverhalten fort, obwohl sie wissen, dass sich dies auf psychosozialer Ebene nachteilig auf sie auswirkt.
  6. Verhaltensbezogene Vereinnahmung. Die Spielerinnen und Spieler verlieren ihr Interesse an vormals geschätzten Hobbys und Freizeitaktivitäten und interessieren sich nur noch für das Computerspielen.
  7. Dysfunktionale Stressbewältigung. Der Spieler/die Spielerin setzt das Computerspielen ein, um damit negative Gefühle zu regulieren oder Probleme zu vergessen.
  8. Dissimulation. Die Spielerinnen und Spieler belügen Familienmitglieder, Therapeuten/Therapeutinnen oder andere Personen über das tatsächliche Ausmaß ihres Spielverhaltens.
  9. Gefährdungen und Verluste. Die Spielerinnen und Spieler haben wegen ihres Computerspielens wichtige Beziehungen, Karrierechancen oder ihren Arbeitsplatz riskiert oder verloren oder ihren Werdegang in anderer Weise gefährdet. (übersetzt von Rehbein et al., 2013, S. 570).

Waren fünf von diesen neun Kriterien innerhalb der letzten zwölf Monate zutreffend, so kann man von einer Computerspielsucht sprechen. Der Fachverband Medienabhängigkeit empfiehlt hingegen, schon nach drei Monaten mit anhaltenden Symptomen diese Diagnose zu stellen. Bert te Wildt (2015, S. 30) wiederum hat zu den Diagnosekriterien Fragen formuliert, von denen fünf mit Ja beantwortet werden müssten für eine entsprechende Diagnose:

  • «Sind Sie so in Ihre Online-Spielnutzung vertieft, dass Sie über frühere Internet-Aktivitäten nachdenken, Ihre nächsten kaum erwarten können und sie zur dominanten Aktivität des täglichen Lebens werden?
  • Leiden Sie unter Entzugssymptomen, wenn Sie nicht zum Spielen ins Internet gehen können?
  • Ist der Bedarf gestiegen, die Zeiträume der Online-Spielaktivität zunehmend auszudehnen?
  • Haben Sie schon erfolglos versucht, Ihre Online-Spielnutzung zu kontrollieren?
  • Besteht wegen Ihrer Nutzung von Online-Spielen ein Interessenverlust an früheren Hobbys und Aktivitäten?
  • Setzen Sie Ihr exzessives Online-Spielen fort, obwohl Ihnen die daraus resultierenden psychischen und sozialen Probleme bewusst sind?
  • Haben Sie schon Familienmitglieder, Therapeuten oder andere Menschen in Ihrem Umfeld über das Ausmaß Ihrer Online-Spielnutzung getäuscht?
  • Gebrauchen Sie Online-Spiele, um negativen Stimmungen – z.B. Gefühlen von Hilflosigkeit, Schuld oder Angst – zu entkommen oder sie zu lindern?
  • Haben Sie wegen Ihrer exzessiven Online-Spielnutzung schon einmal eine bedeutsame Beziehung, eine Arbeitsstelle, eine Bildungs- oder Karrierechance gefährdet oder verloren?»

Mit leichten Anpassungen lassen sich die Kriterien jedoch auch auf andere Bereiche der Onlinesucht übertragen. Bevor die oben genannten Kriterien ausführlich beschrieben werden, noch ein wichtiger Hinweis: Was nicht zu den Diagnosekriterien gehört, ist die Nutzungsdauer. Es gibt keinen Richtwert, mithilfe dessen man erkennen kann, ob jemand ein suchtartiges Mediennutzungsverhalten hat. Auch die Anzahl Apps, die man pro Tag öffnet, ist kein Kriterium.

3.1 Gedankliche Vereinnahmung


Ein typisches Symptom ist es, wenn die Gedanken auch beim Game oder den WhatsApp-Chats sind, wenn sie eigentlich auf etwas anderes fokussiert sein sollten, wie zum Beispiel den Schulunterricht oder die Arbeit. Auch in sozialen Situationen bei Gesprächen mit Freunden oder Familienmitgliedern schweifen die Gedanken immer wieder zurück, rekapitulieren das Gesehene, Gelesene oder Erlebte oder planen bereits die nächsten Schritte. Manchmal sind auch die Geschichten der gespielten Games sehr spannend und gehen den Gamern noch nach, wenn sie schon lange nicht mehr am Spielen sind – vergleichbar mit einem Film oder einem Roman, der einen noch beschäftigt, nur in stärkerem Ausmaß.

Fallbeispiel Oliver, 16 Jahre

Am Abend zuvor hat Oliver mit seinem Team mehrere Durchgänge League of Legends (LOL) gespielt. Zweimal haben sie verloren, das nervt Oliver und er überlegt, wie er das heute Abend verhindern kann. Nur: Eigentlich sollte er sich auf den Unterricht konzentrieren, denn er sitzt gerade in der Schule. Doch irgendwie geht das wieder mal nicht, er kriegt diese Gedanken nicht aus dem Kopf. Als er in der Pause sein Handy benutzen darf, schreibt er gleich einem Freund, der ebenfalls in seinem Team spielt, und tauscht mit ihm Strategien aus.

3.2 Entzugserscheinungen


Auch wenn das Verlangen keiner Substanz, sondern einem Verhalten gilt, können Entzugserscheinungen auftreten, wenngleich weniger stark als bei den stoffgebundenen Süchten. Eltern erleben dies häufig, wenn sie ihren Kindern das Gerät wegnehmen. Hier darf jedoch das Aufgebrachtsein nicht automatisch mit einer Entzugserscheinung gleichgesetzt werden. Es kann auch auftreten, weil die Selbstbestimmung des Kindes beschnitten, aus seiner Sicht also eine Grenze überschritten wurde. Typische Antworten bei der Frage nach «Entzugserscheinungen», also Verhaltensweisen, die Betroffene zeigen, wenn sie nicht spielen oder online sein können, lauten: «Ich tigere dann in der Wohnung rum, weil ich nicht weiß, was ich machen soll.» Oder auch: «Ich gehe dann immer wieder meinen kleinen Bruder nerven.» Diese Antworten zielen häufig in die Richtung, dass Jugendliche in solchen Situationen Mühe haben, mit Langeweile umzugehen, und dann nervös werden oder leicht gereizt sind. Von Betroffenen selbst werden starke Aggressionen und Traurigkeit selten genannt, aber Angehörige beschreiben dies immer wieder eindrücklich.

Fallbeispiel Luca, 15 Jahre

Die Mutter von Luca berichtet vom Verhalten von Luca, wenn seine vereinbarte tägliche Game-Zeit aufgebraucht ist, er aber nach dem Essen doch noch weiterspielen will. Wenn die Eltern ihm das nicht erlauben, wird er unglaublich wütend. Er kann sich so sehr in seine Wut reinsteigern, dass er Mobiliar zerstört. Es ist auch schon zu Drohungen seiner Mutter gegenüber gekommen.

3.3...


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