3 Stressmodelle und -theorien
3.1 Transaktionales Stressmodell nach Lazarus
Während Selye noch davon ausging, dass eine Stressreaktion im behavioristischen Sinne ablaufen würde (Reiz-Reaktionsmodell), betrachtet Lazarus die Stressreaktion als einen dynamischen kognitiven Prozess, in dem sich das Individuum mit seiner sich stetig ändernden Umwelt auseinandersetzt (Lazarus, 1966; Lazarus, Averill & Opton, 1970). Dabei entsteht Stress nicht, wie noch von Selye angenommen, durch die Intensität der Situation oder des Reizes an sich, sondern wird vielmehr als eine Konsequenz subjektiver Wahrnehmung und der anschließenden Bewertung beschrieben.
Seit dem Bekanntwerden des Transaktionalen Stressmodells in den 1960er Jahren, haben Lazarus und Kollegen das Modell über die folgenden Jahrzehnte erweitert. In seiner aktuellen Version wird Stress als relational concept (Transaktion) beschrieben und als Resultat einer bestimmten Beziehung zwischen Person und Umwelt gesehen. Diese Beziehung fordert das Individuum in seinen Ressourcen heraus oder überfordert dieses sogar und gefährdet somit sein Wohlbefinden (Lazarus & Folkman, 1984; Lazarus, 1991). Im Transaktionalen Stressmodell wird die kognitive Beurteilung als Evaluationsprozess der Situation beschrieben, aus dem hervorgeht, warum und in welchem Ausmaß die Beziehung zwischen Person und Umwelt stressauslösend ist (Lazarus & Folkman, 1984). Dabei wird zwischen primärer (primary) und sekundärer Bewertung (secondary appraisal) unterschieden. Während der primären Bewertung evaluiert die Person, ob die Situation relevant oder irrelevant ist. Wenn die Situation als wichtig eingestuft wird, wird auch die Motivation, diese Situation zu bewältigen, hoch sein und damit verbundene Emotionen intensiv (Smith & Lazarus, 1993). Im Gegensatz dazu wird die Motivation eher gering ausfallen, wenn die Situation als unwichtig eingestuft wird und demzufolge das Wohlbefinden beibehalten oder verstärkt wird. Somit sieht sich das Individuum nicht angehalten, Anpassungs- oder Bewältigungsbemühungen nachzugehen.
Während der sekundären Bewertung evaluiert die Person die eigenen Ressourcen und mögliche Strategien, um die jeweilige Situation erfolgreich zu bewältigen. Dieser Evaluationsprozess wird von Lazarus und Folkmann (1984) als komplexer Prozess beschrieben. Beide Stufen der Evaluation (primär und sekundär) beeinflussen sich gegenseitig und bestimmen sowohl das Stressausmaß als auch die Qualität von emotionalen Reaktionen. Wenn die Person annimmt, einer Belastungssituation nicht erfolgreich zu begegnen, können Ängste entstehen. Wohingegen die Aussicht auf eine erfolgreiche Bewältigung der Situation die Person mobilisiert zu agieren.
Lazarus und Folkmann (1984) unterscheiden drei Arten von Stress, die aus der unterschiedlichen Bewertung von Stressoren und eigenen Ressourcen hervorgehen: Schaden (harm), Bedrohung (threat) und Herausforderung (challenge). Schaden bezieht sich auf die psychologische Beeinträchtigung oder den Verlust, welche das Individuum bereits erfahren hat. Die Annahme über eine mögliche Beeinträchtigung wird als Bedrohung bezeichnet, während man von einer Herausforderung spricht, wenn die Person sich sicher fühlt, die Anforderungen bewältigen zu können.
Um den komplexen kognitiven Prozess einmal praktisch darzustellen, führen Lazarus und Folkmann (1984) folgendes Beispiel an: Ein Feueralarm löst automatisch und instinktiv eine Erregung aus, die wir Angst nennen. Wenn wir jedoch den Alarm hören, ist es wahrscheinlich, dass wir dem nachgehen, um herauszufinden wie drastisch die Bedrohung tatsächlich ist. Wenn die Zeit es erlaubt, lokalisieren wir die Gefahr, evaluieren das Ausmaß und überlegen, wie wir weiter vorgehen. Die neu gewonnene Erkenntnis über die Situation führt zu einer Re-Evaluation (reappraisal) der ursprünglichen Bedrohung, die infolgedessen bestätigt, gesteigert oder reduziert wird. Das heißt, dass die ursprünglich empfundene Angst eine ganze Reihe von Überlegungen mit sich zieht, die über eine lange Zeit anhalten können und komplexe Gedankenprozesse, Aktionen und Reaktionen initiieren. All dies ermöglicht eine fein abgestimmte und sequenzielle Anpassung an die Situation und wird als Transaktion bzw. Rückkopplungssystem beschrieben (Lazarus, 1966).
Eine von drei Bewältigungsstrategie (coping) ist die Re-Evaluation der Situation und demnach das Abwägen der Gefahr nach Einholung von Informationen über diese mögliche Gefahr. In diesem Sinne führt Lazarus den Begriff cognitive coping ein, welches das Stresserleben durch den Prozess des reappraisals beeinflussen kann (Lazarus, 2006). Somit beschreibt die Neubewertung nicht nur die dritte Phase des Transaktionalen Stressmodells, sondern steht für eine von zwei weiteren Bewältigungsstrategien. Neben dem cognitive coping durch Neubewertung gibt es die problemorientierte Bewältigungsstrategie (problem focused coping), bei dem das Individuum direkt in der Situation agiert, um dem jeweiligen Wunsch zu entsprechen. Dabei geht es darum, den fundamentalen Grund für das Stressempfinden zu berücksichtigen, um das Problem direkt, möglichst ohne emotionale Befindlichkeiten anzugehen. Die intensive Vorbereitung auf eine Prüfung ist ein Beispiel für eine problemorientierte Bewältigung, da durch das Lernen Sicherheit für die Prüfung gewonnen wird und Prüfungsängste abgebaut werden können. Des Weiteren spricht Lazarus von einer emotionsorientierten Bewältigungsstrategie (emotion focused coping), welche die psychologische Anpassung an die Situation beinhaltet, d. h., das Individuum modifiziert die eigene Interpretation, eigene Wünsche und Überzeugungen (Smith & Lazarus, 1993). Wenn beispielsweise ein Zahnarztbesuch ansteht, könnte man zwar durch problemorientierte Bewältigungsstrategien wie Zahnpflege die Angst vor dem Zahnarzt abbauen, in der Hoffnung ohne schmerzliche Behandlung bald wieder nach Hause gehen zu können, man kann aber auch durch emotionsbasierte Bewältigungsstrategien wie eine positive Einstellung zum Zahnarzt und die Freude über die Möglichkeit der Zahnkontrolle als Schutz vor schlechten Zähnen Ängste abbauen.
Wenn aber die Anforderungen aus der Umwelt die Ressourcen des Individuums beanspruchen oder übersteigen, wird die Situation als stressig empfunden, was wiederum ein Risikofaktor für die Gesundheit der Person sein kann. Demzufolge ist die Person angehalten, eine Balance zwischen äußeren Anforderungen und eigenen Ressourcen zu finden, um für das Individuum schädigende Konsequenzen abzuwenden (Lazarus & Launier, 1978). Demnach ist es nicht die Schwere des Stressors per se, welche die Person aus dem Gleichgewicht bringt, sondern vielmehr die Fähigkeit bzw. Unfähigkeit, diesem Stressor mit einer Bewältigungsstrategie zu begegnen (Lazarus & Launier, 1981). Bei der Bewältigung spielen auch sogenannte Ressourcen eine wichtige Rolle, die im folgenden Kapitel spezifischer thematisiert werden.
3.2 Ressourcentheorien
Im Vergleich zu den oben skizzierten Stresstheorien, fokussieren Ressourcentheorien nicht primär die Ursache von erlebtem Stress, sondern beschäftigen sich vielmehr mit sozialen und persönlichen Ressourcen, die das Wohlbefinden in stressigen Situationen aufrechterhalten bzw. wiederherstellen. Als Ressourcen gelten beispielsweise soziale Beziehungen (Cohen & Wills, 1985, Kap. 6), Kohärenzgefühl (sense of coherence, Antonovsky, 1979, Kap. 4), Selbstwirksamkeit (Bandura, 1981), Widerstandskraft (Kobasa, 1979) und Optimismus (Scheier & Carver, 1992, Kap. 4).
3.2.1 Theorie der Ressourcenerhaltung
Während das Transaktionale Stressmodell die Bewertung der Situation hinsichtlich seiner Relevanz beschreibt, geht die Theorie der Ressourcenerhaltung (Conservation of Ressources Theory, COR) davon aus, dass Individuen bestrebt sind, sowohl ihre Ressourcen und Identität als auch die der Gemeinschaft zu bewahren. Individuen erleben und verarbeiten stressauslösende Situationen, Umstände und Ereignisse auf unterschiedliche Art und Weise, je nach vorangegangener Erfahrung, spezifischen Umweltaspekten und Persönlichkeitsfaktoren (McGrath & Beehr, 1990). Dabei spielen Kultur und Gesellschaft eine entscheidende Rolle für das Empfinden bzw. die Entwicklung von Stress (Hobfoll, 1988, Kap. 7). Während der drohende Verlust von wertvollen Ressourcen Stress auslöst, ist es nicht die...