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E-Book

Quirkologie

Die wissenschaftliche Erforschung unseres Alltags

AutorRichard Wiseman
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl304 Seiten
ISBN9783104037080
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Quirkologie ist eine neue Disziplin der Verhaltenspsychologie, die Professor Richard Wiseman seit über zwanzig Jahren betreibt. Mit wissenschaftlichen Methoden untersucht er die erstaunlichsten Aspekte menschlichen Verhaltens: wie unser Vorname unsere Persönlichkeit beeinflusst, warum September-Kinder besser in Sport sind, ob Freitag der 13. tatsächlich eine Gefahr für unsere Gesundheit darstellt - und welches der lustigste Witz der Welt ist. »Wiseman hat einen Riecher für populäre Themen und ein bemerkenswertes Geschick, Fragen auf eine Art anzugehen, wie es noch keiner vor ihm getan hat.« Die Zeit

Richard Wiseman, 1966 geboren, studierte Psychologie und war anschließend an verschiedenen Universitäten tätig. Heute leitet er das Forschungszentrum der Psychologischen Fakultät an der Hertfordshire-University. Er hat bereits zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht und erhielt renommierte Preise und Auszeichnungen. Seine Bücher ?Machen, nicht denken!? und ?Wie Sie in 60 Sekunden Ihr Leben verändern? waren international große Bestseller. Zuletzt erschien von ihm im Fischer Taschenbuch Verlag ?Superschlaf. So werden aus schlechten Schläfern gute Schläfer und aus guten Schläfern Superschläfer? (2015).

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Leseprobe

Kapitel 2


Trau’ schau wem:
Die Psychologie von Lüge und Täuschung

Die Sprache der Lüge: Ein Streifzug mit Hollywoodstar Leslie Nielsen; der Zusammenhang zwischen frisch abgeschlagenen Köpfen und dem Lächeln der Menschen; Ronald Reagan und die Geschichte, die sich nie ereignet hat; die Ergebnisse des geheimnisvollen Q-Tests; und die dunkle Seite der menschlichen Leichtgläubigkeit.

Mit acht Jahren habe ich etwas gesehen, das mein Leben verändert hat.

Mein Großvater gab mir einen Filzschreiber und sagte, ich solle meine Initialen auf eine Münze schreiben. Dann legte er die Münze bedächtig auf seine Handfläche und schloss sie zur Faust. Nachdem er sanft auf seine Finger geblasen hatte, öffnete er die Hand wieder – die Münze war auf rätselhafte Weise verschwunden. Als Nächstes griff er in die Tasche und zog eine kleine Blechdose heraus, die mit mehreren Gummibändern verschlossen war. Er drückte mir das seltsame Päckchen in die Hand und bat mich, die Gummibänder abzunehmen und die Schachtel zu öffnen. Darin lag ein kleiner Beutel aus rotem Samt. Ich nahm ihn vorsichtig heraus, blickte hinein und mochte meinen Augen nicht trauen: In dem Beutel steckte die Münze mit den Initialen.

Der Trick meines Großvaters weckte bei mir eine Begeisterung für Zauberkunststücke, die mich mein ganzes Leben begleitete. Als Jungendlicher war ich eines der jüngsten Mitglieder des Magic Circle, einer weltberühmten Vereinigung von Illusionisten. Mit über zwanzig arbeitete ich als Profizauberkünstler und führte in einem der angesagtesten Restaurants im Londoner Westend Kartentricks vor. Hin und wieder ließ ich ebenfalls eine mit Initialen gekennzeichnete Münze verschwinden und in einem kleinen, in einer Schachtel eingeschlossenen Stoffbeutel wieder auftauchen. Als ich so jeden zweiten Abend die Zuschauer hinters Licht führte, wuchs bei mir die Neugier, warum Menschen sich täuschen lassen. Dieses Interesse wurde zum Katalysator für einen Studienabschluss in Psychologie, und auch heute, zwanzig Jahre später, hat die Psychologie der Täuschung für mich nichts von ihrer Faszination verloren.

Im Laufe der Jahre habe ich die Wahrheit über die Täuschung herausgefunden; ich habe untersucht, durch welche Zeichen sich ein Lügner verrät, wie sich ein falsches Grinsen von echtem Lächeln unterscheidet und wie man Menschen davon überzeugen kann, dass sie etwas erlebt haben, was sich in Wirklichkeit überhaupt nicht zugetragen hat.

Wir beginnen unsere Reise in die zwielichtige Welt des Schwindels mit der Beschreibung eines ungewöhnlichen Forschungsprojekts, das sich mit den entwicklungsgeschichtlichen Ursprüngen der Täuschung beschäftigt. Es ist eine seltsame Geschichte; die Mitwirkenden sind eine Gruppe rüsselschwingender Elefanten, sprechende Affen und Kinder, die verbotene Blicke auf ihr Lieblingsspielzeug werfen.

Jumbos Täuschung, sprechende Affen und lügende Kinder

Als die Zoologin Maxine Morris vor einigen Jahren im Washington Park Zoo eine Gruppe asiatischer Elefanten beobachtete, fielen ihr bei den Dickhäutern einige recht seltsame Verhaltensweisen auf.[49] Wenn die Zeit der Fütterung gekommen war, erhielt jeder Elefant einen großen Ballen Heu. Morris bemerkte, wie einige Elefanten ihr eigenes Heu sehr schnell auffraßen und dann wie zufällig zu ihren langsamer fressenden Artgenossen schlenderten, wo sie scheinbar ohne Absicht ihren Rüssel hin und her schwenkten. Für einen arglosen Beobachter sah es so aus, als würden diese Elefanten sich nur die Zeit vertreiben. Da Morris aber immer wieder das Gleiche beobachtete, vermutete sie, dass hinter diesem scheinbar unschuldigen Verhalten eine hinterhältige Absicht steckte. Wenn ein rüsselschwingender Elefant nahe genug an einen Artgenossen herankam, griff er sich plötzlich etwas von dem noch übrigen Heu und steckte es sich schnell ins Maul. Da Elefanten bekanntermaßen kurzsichtig sind, bekamen die langsam fressenden Tiere den Diebstahl unter Umständen überhaupt nicht mit.

Man ist leicht versucht, in diesen Episoden von Rüsselschwingen und Heudiebstahl einen Beleg für eine gezielt geplante Täuschung zu sehen – eine Art Dickhäuterversion von Ocean’s Eleven. Aber das ist wahrscheinlich kaum mehr als Wunschdenken. Genau wie wir von Computern oder Autos häufig sprechen, als wären sie Menschen, so neigen wir auch dazu, das Verhalten unserer vierbeinigen Freunde unter menschlichen Gesichtspunkten zu betrachten. Die scheinbar so betrügerischen Elefanten kombinierten wahrscheinlich anfangs nur zufällig das Rüsselschwingen mit dem Heustehlen, dann gefiel ihnen das zusätzliche Heu, und nun machten sie es immer wieder genauso, ohne richtig darüber nachzudenken. Genau könnte man das nur wissen, wenn man herausfindet, was im Kopf eines Elefanten tatsächlich vorgeht. Das Schlimme dabei: Elefanten sind nicht in der Lage, ihre innersten Gedanken und Gefühle zu beschreiben. Die gute Nachricht lautet jedoch: Dies ist zwar nicht bei Elefanten gelungen, wohl aber – zumindest nach Ansicht mancher Fachleute – bei unseren nächsten entwicklungsgeschichtlichen Verwandten.

In den 1970er Jahren waren sprechende Gorillas der letzte Schrei. Im Rahmen eines großangelegten Programms zur Erforschung der artübergreifenden Kommunikation bemühte sich die Entwicklungspsychologin Dr. Francine Patterson von der Stanford University, zwei Flachlandgorillas namens Michael und Koko eine vereinfachte Form der amerikanischen Gebärdensprache beizubringen.[50] Nach Pattersons Angaben waren die Menschenaffen in der Lage, eine sinnvolle Unterhaltung zu führen, und sie konnten sogar über tiefgreifende Themen wie Liebe und Tod nachdenken. Offenbar ähnelt das Innenleben der Gorillas in vielerlei Hinsicht erstaunlich stark unserem eigenen. Michael sah sich zum Beispiel gern die Kindersendung Sesamstraße an, Koko dagegen bevorzugte Mister Roger’s Neighborhood. Im Jahr 1998 hatte Koko in ihrer Lieblingssendung einen Gastauftritt und brachte den Kindern bei, dass »mehr in einem Menschen steckt, als man ihm von außen ansieht«. Michael malt gerne und hat zahlreiche Kunstwerke geschaffen, darunter Selbstbildnisse und mehrere Stillleben. Seine Arbeiten erwiesen sich beim Menschen als bemerkenswert beliebt und wurden mehrfach in Ausstellungen gezeigt. Auch Koko ist in der Öffentlichkeit keine Unbekannte. Sie wirkte in mehreren Filmen mit und wurde für Michael Chrichton zur Anregung für den sprechenden Affen Amy in seinem Bestseller Congo. Außerdem trat sie in einem Werbespot auf ihrer Website auf (wobei sie mithilfe ihrer Kommunikationsfähigkeit um Spenden bittet), und 1998 beteiligte sie sich an dem ersten artübergreifenden Internetchat. In den ersten Zeilen der Unterhaltung zwischen dem Interviewer, Koko und Dr. Patterson zeigt sich ein Teil der Schwierigkeiten, mit denen man zu kämpfen hat, wenn man den Smalltalk der Gorillas verstehen will:[51]

INTERVIEWER:

»Ich werde jetzt Fragen aus dem Publikum aufnehmen; die erste lautet: Koko, wirst du irgendwann ein Kind bekommen?«

KOKO:

»Rosa.«

INTERVIEWER:

»Über Farben haben wir heute schon gesprochen.«

KOKO:

»Hört zu, Koko isst gern.«

INTERVIEWER:

»Ich auch!«

PATTERSON:

»Wie war das mit dem Kind? Sie denkt …«

KOKO:

»Unaufmerksamkeit.«

PATTERSON:

»Sie hat sich die Hände vor das Gesicht gehalten … das bedeutet im Grundsatz, dass es nicht passiert oder noch nicht passiert ist.«

Allen Schwierigkeiten zum Trotz glauben die Ausbilder von Michael und Koko, dass ihre beiden behaarten Schützlinge in einigen Fällen sehr sparsam mit der Wahrheit umgegangen sind.[52] Einmal machte Koko beispielsweise eine Spielzeugkatze kaputt, und dann signalisierte sie mit ihren Gebärden, einer ihrer Ausbilder habe die Zerstörung angerichtet. In einem anderen Fall zerriss Michael eine Jacke, die einem Ausbilder gehörte, und als er gefragt wurde, wer für den Vorfall verantwortlich sei, signalisierte er »Koko«. Als der Ausbilder seine Skepsis über diese Antwort zum Ausdruck brachte, überlegte Michael es sich offensichtlich anders und teilte mit, in Wirklichkeit sei Dr. Patterson schuld. Nachdem der Ausbilder weiterhin nachbohrte, blickte Michael schließlich schuldbewusst drein (was für einen Gorilla gar nicht einfach ist) und gestand alles. Während sich die Berichte über angebliche Täuschungsmanöver bei Elefanten ausschließlich auf Beobachtungen stützen, liefern die offenkundigen sprachlichen Fähigkeiten der Menschenaffen viel überzeugendere Belege für eine absichtliche Täuschung.

Der Gedanke, dass Menschenaffen sprechen und lügen können, löste unter den Fachleuten eine hitzige Debatte aus. Die Befürworter einer solchen Vorstellung behaupten, Michael und Koko könnten eindeutig ihre innersten Gedanken und Gefühle zum Ausdruck bringen, und das Verhalten im Zusammenhang mit der Episode »Wer hat die Jacke zerrissen? Das war Koko« sei ein eindeutiger Beleg für absichtliche Täuschung. Darauf erwidern die Kritiker, die Ausbilder seien viel zu eifrig darauf bedacht, aus zufälligen Handlungen der Gorillas einen Sinn herauszulesen, und was das Lügen angehe, so wiederholten die Menschenaffen vielleicht nur Verhaltensweisen, mit denen sie sich früher schon einmal aus Schwierigkeiten befreit hätten. Wie bei den Heu stehlenden Elefanten, so ist es auch hier nahezu unmöglich, eine...

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