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E-Book

Mit Rechten reden

Ein Leitfaden

AutorDaniel-Pascal Zorn, Maximilian Steinbeis, Per Leo
VerlagKlett-Cotta
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl183 Seiten
ISBN9783608109962
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Mit Rechten reden heißt nicht nur, mit Rechthabern streiten. Sondern auch mit Gegnern, die Rechte haben. Und mit Linken. Demokratie ist kein Salon. Die Republik lebt vom Streit, von Rede und Gegenrede, nicht nur von Bekenntnissen und moralischer Zensur.   Dieser Leitfaden zeigt, dass es in der Auseinandersetzung mit »Rechtspopulismus« und »Neuen Rechten« um mehr geht als die Macht des besseren Arguments. Es geht vor allem um die Kunst, weniger schlecht zu streiten. Leo, Steinbeis und Zorn sagen nicht, wie man mit Rechten reden muss. Sie führen vor, warum, wie und worüber sie selbst mit Rechten reden. Und sie denken über das Reden mit Rechten nach. Mal analytisch, mal literarisch. Teils logisch, teils mythologisch. Hier polemisch, dort selbstironisch.

Per Leo, geb. 1972, wurde mit einer Arbeit über die Geschichte des Antisemitismus in Deutschland promoviert. Sein Debütroman »Flut und Boden« stand auf der Shortlist des Leipziger Buchpreises. Der von ihm mitverfassten Leitfaden »Mit Rechten reden« wurde zum vieldiskutierten Bestseller. Leo lebt als freier Autor und Schatullenproduzent in Berlin. Maximilian Steinbeis ist ausgebildeter Jurist. Er arbeitet als Journalist und Schriftsteller. Zusätzlich betreibt er als Experte für internationale Verfassungsfragen den weltweit anerkannten »verfassungsblog.de«. Von ihm stammt die Idee zu dem Buch »Mit Rechten reden«. Daniel-Pascal Zorn, geboren 1981, studierte Philosophie, Geschichte und Komparatistik. 2015 promovierte er mit einer Komparatistik philosophischer Ansätze, die den Preis der Universität Eichstätt erhielt. Daniel-Pascal Zorn schrieb die Kolumne »Na logisch!« im Philosophie-Magazin »Hohe Luft«. Dort erläutert er anschaulich und allgemeinverständlich, wie sich Sachverhalte, Argumente und deren Geltung zueinander verhalten. Auf seiner eigenen Facebook-Seite kommentiert er aktuelle politische Äußerungen, indem er sie logisch auseinandernimmt. In den letzten Jahren hat er sich zunehmend der praktischen und theoretischen Auseinandersetzung mit dem Rechtspopulismus und seinen Scheinargumenten gewidmet.

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Leseprobe

A. Der Wille zur Macht


Warum mit Rechten reden?

Stellen Sie sich vor, in Ihrem Leben gäbe es einen Menschen, an dem Sie etwas so heftig stört, dass Ihr Wohlbefinden darunter leidet. Sie gehen nicht mehr gerne zur Arbeit, seit Sie das Büro mit ihm teilen; Sie freuen sich nicht mehr auf das Familientreffen, seit er mit ihnen verschwägert ist; Sie wollen nur noch nach Hause, seit Sie erkannt haben, dass sich eine Woche auf Mallorca mit ihm ganz anders anfühlt als ein Abend in der Bar. Ihre Gedanken kreisen unentwegt um ihn, auch wenn er gerade nicht da ist oder nicht das tut, was Sie so bedrängt. Nehmen wir nun an, der Störenfried sei kein Einzelfall, sondern einer von vielen. Einer dieser extrem unangenehmen Typen, die sich seit einiger Zeit wie von Zauberhand vermehren. Überall haben sie sich breitgemacht, im persönlichen Umfeld, im Fernsehen und, was das Schlimmste ist: im Internet. Facebook ist die Hölle.

Die Welt ist irgendwie nicht mehr so schön, seit diese Leute alles in Frage stellen, was Ihnen kostbar und selbstverständlich erscheint, und dabei erschreckend stark geworden sind. Himmel, sie regieren inzwischen das mächtigste Land der Erde! Und warum ist es so weit gekommen? Weil Typen wie dieser nicht auf Menschen wie Sie hören wollten.

Sie sagten: Deine Ansichten sind falsch.

Er antwortete: Nein, deine.

Sie sagten: Geh weg.

Er ist geblieben.

Na gut, sagten Sie, dann muss ich wohl etwas deutlicher werden. Weißt du, an wen du und deinesgleichen mich erinnern? An die Nazis.

Und er? Was erdreistete er sich zu antworten? Die Nazis, sagte er, das seid ihr. Wir sind die Weiße Rose.

Wie bitte? Was? Spinnst du?

Nein, sagte er, du spinnst.

Sie. Können. Es. Nicht. Fassen. Sie sind entsetzt, verletzt, verstört, wütend, sehr, sehr wütend, so wütend, dass Sie am liebsten schreien und diesem Individuum handgreiflich klarmachen würden, dass es so nicht geht. Aber das finden Sie auch wieder schlimm, denn so wollen Sie ja eigentlich nicht sein, so jemand sind Sie doch gar nicht. Allmählich verwandelt sich Ihre Wut in Ratlosigkeit. Sie machen einen Spaziergang und kommen zu der Einsicht, dass kein Weg mehr an einem klärenden Gespräch vorbeiführt. Sie werden dem anderen sagen: Ich habe ein Problem mit dir. Mit dir und deinen Freunden. Damit, dass ihr Rechte seid.

In einer ähnlichen Gefühlslage müssen sich die Veranstalter des evangelischen Kirchentags 2017 befunden haben, als sie sich dazu durchrangen, das Gespräch mit dem Rechtspopulismus zu wagen. Aber wen einladen? Die meisten Menschen mit falschen Gedanken, insbesondere Männer, werden ja immer gleich so aggressiv. Lieber fragen wir eine Frau. Vielleicht eine Christin, bei der sich das schiefe Weltbild mit Zurückhaltung und Einfalt paart? Gute Idee. Die Frau, eine unscheinbare Evangelikale, ist schnell gefunden. Aber den Veranstaltern wird plötzlich klar, was für eine Herkulesaufgabe sie sich da aufgehalst haben.

Wäre der Papst höchstpersönlich zu Besuch gekommen, ihm hätte im Vorfeld des Kirchentages nicht mehr Aufmerksamkeit zuteil werden können als Anette Schultner von der AfD, einer schlichten Dame, von der kaum jemand Notiz genommen hätte, wäre sie nicht erwartet worden wie das geheime Kind von Adolf Hitler und einer unbekannten Schönheit vom Mars. Wochenlang tagen die Planungsstäbe, als gälte es, einen jahrhundertealten Dogmenstreit mit Rom beizulegen; es toben die Wogen des Eifers, als hätte jemand gewagt, Luther im Lutherjahr einen Antisemiten zu nennen. Mahnende Hirtenbriefe werden verfasst, Unbedenklichkeitsgutachten eingeholt, man bittet die heilige Margot um ihren Segen, den sie auch erteilt, nicht ohne allerdings ihr Gewissen durch eine die AfD betreffende Unwählbarkeitserklärung auf das Heftigste zu beruhigen.

Aber schließlich geht alles gut. 22 Millionen Protestanten finden einen Weg, mit Frau Schultner von der AfD zu reden, ohne dass der Berliner Dom einstürzt und auf seinen Trümmern das Vierte Reich ersteht. Sie darf die Kirche betreten, aber nur unter dem lauthals bekundeten Unmut hunderter orangebeschalter Christen. Sie darf sogar etwas sagen, aber nur unter der korrigierenden Aufsicht des Berliner Landesbischofs, einer Moderatorin, die gar keine ist, und einer Expertin für die menschliche Subspezies »Rechtspopulisten«. Und worüber spricht Frau Schultner? Über Schützenswertes an Orten. Den Fötus im Mutterbauch, das Abendland in der Welt, die Familie im Abendland, das Christentum im Morgenland, die AfD in Deutschland, Frau Schultner auf dem Kirchentag. Dem Publikum wird abwechselnd heiß und kalt und bang angesichts so viel gefährlicher Schutzbedürftigkeit, aber es hält stand. Es singt sich in kritischen Momenten Mut an und lässt auch ungute Gefühle zu. »We shall overcome«, schmettern die einen. »Wir haben Angst vor Ihnen!«, bekennen die anderen.

Es ist vollbracht. Man hat mit einer Rechten geredet. Und, hat sich dadurch etwas verändert? Wird Frau Schultner in den Schoß der evangelischen Landeskirche zurückkehren? Hat der Auftritt die AfD auch nur eine einzige Wählerstimme gekostet? Wird sich irgendein Rechter jetzt anders verhalten? Wir werden niemandem zu nahe treten, wenn wir vermuten: eher nicht. Was nun? Setzen wir noch einmal neu an. Kehren wir zurück zu dem bedrängenden Gefühl, dass irgendetwas geschehen muss. Zu dem Problem, das viele von uns mit den Rechten in ihrem Umfeld haben, und der Absicht, es irgendwie zu lösen.

Houston, we have a problem


Wenn ich jemandem mitteile, ich hätte »ein Problem mit ihm«, dann ist das ja zweifellos als Klage gemeint. Ich kritisiere ihn, weil ich mir sicher bin, dass er etwas falsch macht. Aber dazu passt nicht, dass aus dem Wort, das ich für diese Mitteilung verwende, Unsicherheit spricht. Ein »Problem« ist eine verwickelte Situation, in der man feststeckt. Probleme gehören zu jemandem. Ein Problem hat man. Wenn ich mich bei Einbruch der Dunkelheit im Wald verlaufe, ist das mein Problem. Wenn ich jemandem nicht helfen will, kann ich sagen: Das ist dein Problem. Und genau das könnte mir auch derjenige antworten, dem ich mitteile, ich hätte ein Problem mit ihm. Er könnte nämlich zu Recht feststellen, dass dieser Satz mehr über mich sagt als über ihn. Wenn du ein Problem mit mir hast, könnte er entgegnen, dann ist das dein Problem. Ich bin, wie ich bin. Ich verhalte mich so wie immer, und andere kritisieren mich dafür nicht. Er könnte sogar noch schärfer werden. Er könnte behaupten: Ich bin normal; und wenn du damit ein Problem hast, dann bist du es offensichtlich nicht.

Er könnte aber auch anders reagieren. Selbst wenn ihm die Kritik nicht einleuchtet, könnte er begreifen, dass sie von jemandem geäußert wurde, mit dem er verbunden ist. Ob er will oder nicht. Es nervt mich zwar, könnte er also sagen, aber wenn du ein Problem mit mir hast, dann habe ich, weil wir einander so schnell nicht loswerden, offenbar auch ein Problem. Nicht unbedingt mit dir, aber mit dir. Oder kürzer: Wir haben ein Problem. Dieser Satz ist nicht nur passend, er ist so griffig, dass er als technischer Notruf in den Sprachschatz der Menschheit eingegangen ist.

Houston, we have a problem.

Nehmen Sie die havarierte Raumkapsel von Apollo 13 als ein erstes, noch reichlich grobes Bild für das Thema dieses Buches. Es lässt wesentliche Details im Unscharfen, aber es verrät, was unser Buch von anderen, thematisch verwandten Büchern unterscheidet. Es ist nämlich kein Buch über Rechte und auch kein Buch gegen Rechte. Zumindest nicht nur. Was immer wir an ihnen kritisieren mögen, allein dadurch, dass wir die Rechten als Teil eines gemeinsamen Problems auffassen, nehmen wir eine andere Perspektive ein als all jene, die meinen, es sei damit getan, sie zu identifizieren, zu beobachten, zu beschreiben und dann Maßnahmen zu ihrer Unterdrückung zu ergreifen. Worin unser Problem besteht, wer Verantwortung für seine Entstehung trägt und ob es lösbar erscheint, wird uns im Folgenden beschäftigen. Zum Einstieg soll die Feststellung genügen, dass wir die Rechten nicht überwachen, sondern aus einer dialektischen Perspektive betrachten wollen. Einer Perspektive, heißt das, die uns selbst mit einschließt.

Wo Wächter vor einer Gefahr warnen, da tüfteln Dialektiker an einem Problem. Anders als zwischen Sehvermögen und Blindheit besteht...

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