Reich sein ist keine Sünde
Nur die Wenigsten wissen, dass es ein Franziskanermönch war, der die sogenannte »doppelte Buchführung« erfunden hat. Den Namen dieses Systems, das im Rechnungswesen der Neuzeit eine Revolution bewirkte, verstehen manche nicht richtig. Sie denken dabei an eine Art »doppelbödige« Buchführung, bei der es einen wahren und einen erfundenen Anteil gibt. Leider existieren solche Methoden auch, aber mit der doppelten Buchführung ist etwas ganz anderes gemeint. Ihr Prinzip beruht darauf, dass jeder Geschäftsfall doppelt gebucht, also zweifach festgehalten wird. Die Systematik aus Soll und Haben ermöglichte erst Transparenz und damit den wirtschaftlichen Erfolg der Medici oder der Fugger. Bis in unsere Gegenwart ist die doppelte Buchführung, mit einigen Verbesserungen, eine der wichtigsten Grundlagen erfolgreicher Unternehmensführung geblieben.
Wieso aber erfand ausgerechnet der Franziskaner Luca Pacioli im Jahr 1494 dieses moderne kaufmännische System? Wie nicht zuletzt unser Heiliger Vater Franziskus vielen Menschen in Erinnerung ruft, hatten sich doch gerade die Franziskaner immer schon zur vollständigen Armut verpflichtet. War es da überhaupt statthaft, dass ein gebildeter Mönch, der Mathematik und Astronomie studierte und sich in regem Austausch mit Leonardo da Vinci und Piero della Francesca befand, so nebenbei ein Instrument schuf, das seither unzähligen Menschen geholfen hat, reich zu werden? Oder hat er durch diese Beschäftigung mit Fragen des Geldes gar eine Sünde begangen?
Das Wörtchen »nebenbei« hat in dieser Geschichte eine wichtige Bedeutung. Der Franziskaner Pacioli erfand die doppelte Buchführung nicht deshalb, weil er etwa von dem Gedanken besessen war, riesige Reichtümer anzuhäufen. Hingegen dürfen wir davon ausgehen, dass er Freude daran hatte, seinen Geist zu erproben, Probleme zu lösen und Neues zu erdenken, um sein Leben und das seiner Schüler und aller Kaufleute produktiver und freudiger zu gestalten. So schrieb er später unter anderem auch noch ein Buch über das damals immer populärer werdende Schachspiel. Aus mathematischen Überlegungen suchte er auch nach neuen Methoden des kaufmännischen Rechnungswesens. Dieses Problem löste er in brillanter Art und Weise mit dem Prinzip von »Soll und Haben«, was gleichsam nebenbei vielen Menschen großen finanziellen Erfolg ermöglichte.
Wir dürfen die oben gestellte Frage also getrost mit einem Nein beantworten. Luca Pacioli hat sicher keine Sünde begangen, indem er sich auf inspirierte Weise mit kaufmännischen Problemen beschäftigt hat.
Woher kommt dann aber die Vorstellung, dass es sich bei der Sphäre des Geldes um etwas handelt, das sich immer an der Grenze zur Sünde befindet? Ist die Bibel nicht voll von Warnungen vor den sittlichen Gefahren großen Reichtums?
Das ist sie in der Tat, aus gutem Grund. Heutzutage werden wir via Massenmedien pausenlos mit Bildern von Menschen bombardiert, deren Leben anscheinend ausschließlich daraus besteht, mit ihrem Geld und ihren Gütern zu protzen. Jeder kennt heute den Namen Paris Hilton, über die ich nicht den Stab brechen möchte, weil ich sie nicht persönlich kenne. Dennoch lässt sich sagen, dass sie leider zur Gallionsfigur derer geworden ist, die ihren Reichtum als Selbstzweck missverstehen und die das Geld zum Mammon gemacht haben, den sie anbeten.
Wir brauchen aber nicht, wie es manche heute tun, in kulturpessimistischer Weise über solche Beispiele zu verzweifeln. Denn dass schon in der Jahrtausende alten Bibel vor den Gefahren des Reichtums gewarnt wird, heißt ja nichts anderes, als dass es die Reichen nach der Façon von Paris Hilton immer schon gegeben hat und dass sie es wohl auch immer geben wird. Auf diese Reichen ist der Ausspruch Jesu Christi gemünzt, wenn er sagt: »Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.« (Matthäusevangelium 19,24)
Wem es in seinem materiellen Reichtum an Demut mangelt und wer meint, sich alles erlauben zu können, nur weil er viel Geld hat, der begeht tatsächlich eine schwere Sünde.
Angesichts solcher Beispiele liegt die Idee nahe, dass es besser wäre, sich von jedem Reichtum möglichst fernzuhalten, den weltlichen Gütern vielleicht sogar ganz abzuschwören.
Eine ähnliche Losung hatten sich die Katharer, eine Sekte im Europa des 12. bis 14. Jahrhunderts, auf ihre Fahnen geheftet. Sie predigten nicht nur gegen die Schaffung und den Genuss von Gütern, sondern auch gegen die Ehe und andere, das diesseitige Leben betreffende Einrichtungen. Alles Irdische galt ihnen als prinzipiell sündig und böse. Der einzige Auftrag Gottes an die Menschen bestand ihrer Ansicht nach darin, ihre reine Seele aus dem Diesseits in den Himmel zu retten.
Während die Katharer von sich selbst als »veri christiani«, wahre Christen, oder als »boni homines«, als gute Menschen sprachen, brandmarkte sie die katholische Kirche als Häretiker. Das noch heute bekannte Schmähwort »Ketzer« scheint etymologisch betrachtet vom Wort Katharer abzustammen. Auch wenn wir solche Worte heute eher nicht mehr benutzen, kommen wir wohl nicht umhin, die Katharer aus christlicher Perspektive tatsächlich als eine Art von Ketzern zu betrachten. Denn von den Menschen die völlige Abkehr von allem Weltlichen zu verlangen, verfehlt den Geist des Christentums ebenso, wie das Weltliche und Materielle zum einen und einzigen Zweck zu erheben. Auch in der Geringschätzung gegenüber der Welt, die Gott geschaffen und als deren Teil er den Menschen erschaffen hat, ist die Sünde der mangelnden Demut klar erkennbar.
Diese Tatsache steht nur oberflächlich im Kontrast dazu, dass manche Menschen, die ihr Leben dem Dienst an Gott weihen, das Gelübde der Armut ablegen. Ich selbst zähle als Ordensmitglied der Cistercienser zu diesem Kreis von Menschen. Aber zum einen bedeutet mein Armutsgelübde keinesfalls die demutslose, weltabgewandte Armut, die die Katharer verlangten. In der Regel des Heiligen Benedikt, dem Gründer aller benediktinischen Orden, zu denen auch die Cistercienser gehören, heißt es dem Sinn nach: »Niemandem soll es am Notwendigen fehlen«.
Zum anderen gilt für das Gelübde der Armut dasselbe wie für jenes der Ehelosigkeit. Es soll der Weg für jenen kleinen Teil der Menschheit sein, der sein Leben ausschließlich Gott widmet. Für alle anderen Menschen hingegen gilt, dass Ehe ebenso wie Wohlstand erstrebenswerte und mit den christlichen Werten im Einklang befindliche Ziele sind.
Wer arbeitet, fleißig ist und die Welt durch seine Arbeit sinnvoll gestaltet, der darf dabei auf Gottes Segen hoffen. Wem diese Arbeit Wohlstand, vielleicht sogar echten Reichtum einträgt, der muss keineswegs fürchten, sich damit allein schon versündigt zu haben.
Ich möchte diesen Punkt unterstreichen, weil mir daran liegt, einen populären Irrtum im Hinblick auf die christliche Lehre zu korrigieren.
Reich sein allein ist noch keine Sünde. Für Arm und Reich gilt gleichermaßen: Erst im Umgang mit den Gütern dieser Welt erweist sich, ob ein Mensch die christliche Lektion der Demut beherzigt oder nicht.
Allerdings geht mit Reichtum eine besonders große ethische Verantwortung einher. Je größer der Reichtum, desto größer auch die Verantwortung. Zwar gibt es auch die Gefahr, durch Armut korrumpiert zu werden. Größer ist aber die Versuchung, sich durch Macht und Reichtum ablenken und auf den falschen Weg führen zu lassen. Das Wort Vermögen sollte daher eigentlich kleingeschrieben werden. Wer sich nämlich ein solches Vermögen erarbeitet oder es geerbt hat, der vermag damit Menschen und Dinge in Bewegung zu versetzen und die Welt zu gestalten. In diesem Sinn ist Reichtum, mit dem der Mensch demutsvoll umgeht, selbstverständlich ein großes Geschenk. Denn Demut bedeutet in diesem Zusammenhang keinesfalls, seinen Reichtum nicht in rechter Weise zu nutzen, sondern wie der berühmte »Onkel Dagobert« geizig den eigenen Tresor zu bewachen. Stattdessen ist es die Pflicht der Vermögenden, die Welt an ihrem Reichtum partizipieren zu lassen, und zwar so, wie es ihnen nach kluger Prüfung sinnhaft und nützlich erscheint.
Es gibt nicht nur eine schamlose, sondern ebenso eine demutsvolle Art, ein Vermögen, über das ich verfüge, in der Welt wirksam zu machen. Menschen, die diesen Weg wählen, geht es nicht darum, sich selbst zur Schau zu stellen und möglichst oft in den Illustrierten zu erscheinen. Bill Gates, der Gründer der Firma Microsoft, scheint mir ein gutes Beispiel für diesen Typus des Vermögenden zu sein, der sich bemüht, seinen Reichtum gestaltend in die Welt zurückzuführen. Zwar stimme ich ausdrücklich nicht mit allen Zielen überein, die Gates seiner Stiftung, der er große Teil seines Vermögens überantwortet, gesetzt hat. Aber grundsätzlich ist ein solcher gestaltender Umgang mit Vermögen vorbildhaft.
Eines muss ich zum Abschluss dieser Einleitung noch einmal klarstellen: Die christliche Lehre enthält selbstverständlich keine Anleitung für die Erlangung eines Vermögens. Sie widmet sich letztlich ausschließlich dem Weg zu und mit Gott, der dem Menschen das größte und einzig unveräußerliche Vermögen seiner ewigen Liebe verspricht. Die Heilige Schrift verheißt uns auch an keiner Stelle, dass es uns im Diesseits gelingen wird, die Armut ein für allemal zu besiegen. Nach christlicher Theologie wird es kein Himmelreich auf Erden geben, Reich und Arm werden auf die eine oder andere Art immer existieren. Würde aber jemand, der gerade dabei ist, seine eigenen Existenz aufzubauen, an mich herantreten und mich um Rat ersuchen, was zu tun ist, um sich Chancen auf...