Kapitel 1
Informationszeitalter?
Leben wir in einer Informationsgesellschaft? Gibt es eine unaufhörlich wachsende Zahl von Journalisten und, allgemeiner gesprochen, eine wachsende Zahl von Personen, die Meldungen produzieren – oder sind sie im Aussterben begriffen? Werden wir immer besser informiert – oder hat die journalistische Qualität vielmehr abgenommen zugunsten einer Überfülle, eines nicht abreißenden Stroms von Neuigkeiten, die gar keine sind?
Bevor man Vorschläge zur Überwindung der gegenwärtigen Krise der Medien macht, müssen wir sie genau analysieren und verstehen, wer Informationen produziert, wie sie verbreitet und von wem sie konsumiert werden. Es geht nicht allein um Informationen, wie sie uns heute von den Medien präsentiert werden, sondern allgemeiner, um Kenntnisse im weiteren Sinne, wie sie vom Kulturbetrieb, von Universitäten, Museen, aber auch Theatern und Kinos vermittelt werden. Es geht um Information als öffentliches Gut, um Information als Grundlage der politischen Teilhabe und der Demokratie selbst.
Information ist ein öffentliches Gut – aber eines, das wie eine ganze Reihe anderer kultureller Güter nicht unmittelbar von der öffentlichen Hand, vom Staat selbst, produziert werden kann. Wenn also das Wirtschaftsmodell der Medien neu durchdacht werden muss, dann am Schnittpunkt von Markt und Staat, von öffentlichem und privatem Sektor. Die Lösungen wie die Probleme sind die einer Wissensökonomie im 21. Jahrhundert.
Modelle, die das eine und einzige Gesetz des Marktes und des Gewinns zu überwinden helfen, ohne darum staatlicher Kontrolle anheimzufallen, haben sich in den verschiedensten Zweigen der Erkenntnis- und Kulturproduktion längst bewährt. Die Medien sollten sich daran ein Beispiel nehmen, um den Horizont ihrer Möglichkeiten zu erweitern und ihre Krise zu überwinden.
Informationen jenseits der Medien
Welchen Beitrag der «Wissenssektor» zur Wirtschaft leistet, lässt sich nur schwer exakt beziffern. Dafür muss neben dem Beitrag der Kultur auch die Rolle anderer Bereiche, insbesondere Hochschulwesen und Forschung, berücksichtigt werden.
Die «Kultur» im strengen Sinne trägt einem neueren amtlichen Bericht zufolge 3,2 % zum französischen BIP bei.[1] Das ist siebenmal mehr als die Automobilindustrie und so viel wie Landwirtschaft und Nahrungsmittelindustrie zusammen. Direkt oder indirekt sind in diesem Bereich 670.000 Personen, also 2,5 % aller Beschäftigten tätig. «Kultur» wird hier als Gesamtheit von Presse, Verlagswesen, Funk und Fernsehen, Werbung, darstellender Kunst, Pflege des kulturellen Erbes, visueller Kunst, Architektur, Kino, Bild- und Tongestaltung sowie Wissens- und Kulturvermittlung begriffen. In den Vereinigten Staaten kommt die künstlerische und kulturelle Produktion entsprechend für 3,2 % des BIP auf – also für mehr als zum Beispiel die Reise- und Tourismusindustrie (2,8 % des BIP)[2], und in Großbritannien wird der Anteil der Creative Industries auf 5,2 % des BIP geschätzt.[3]
Es wäre jedoch irreführend, sich darauf zu beschränken. Die höheren Bildungs- und Forschungseinrichtungen spielen eine zentrale Rolle in der Erzeugung und Vermittlung von Wissen, meist in enger Verbindung mit dem Kulturbetrieb und vor allem den Medien. Zudem haben sie ein größeres ökonomisches Gewicht als alle kulturellen Sektoren zusammen. Hochschulwesen und Forschung machen derzeit in Frankreich 3,8 % (von denen 1,8 % auf das Hochschulwesen[4] und etwas weniger als 2,3 % auf die Forschung entfallen), in den Vereinigten Staaten 5,6 % des BIP aus. Die Beschäftigtenzahl beläuft sich in Frankreich auf etwa 650.000 Personen, was wiederum 2,5 % der Gesamtbeschäftigten sind. In der staatlichen und privaten Forschung sind 400.000 (von denen 250.000 Forscher sind), im Hochschulwesen 150.000 Personen beschäftigt (von denen 80.000 in der Lehre oder in Forschung und Lehre arbeiten).
Unter Einschluss von Kultur, Hochschulwesen und Forschung macht demnach der Wissenssektor 7 % des französischen BIP und fast 5 % der Arbeitsplätze aus. Würde man Grundschul-, Real- und Gymnasialunterricht hinzurechnen, käme man auf deutlich über 10 % des BIP, die sich ungefähr dritteln lassen: ein Drittel für Kultur, eines für Hochschulwesen und Forschung und eines für Schulunterricht. In den Vereinigten Staaten fallen Hochschulwesen und Forschung noch mehr ins Gewicht, ansonsten sind die Größenordnungen vergleichbar.
Innerhalb dieses Sektors mag sich die von den Medien repräsentierte Teilmenge relativ unbedeutend ausnehmen. Mit einem Anteil von weniger als 30 % am kulturellen Gesamtumsatz tragen die Medien (Printmedien, Radio und Fernsehen), rein rechnerisch betrachtet, nur sehr wenig zur Wissensproduktion bei. Frankreich zählt zweimal mehr Lehrer/Forscher als Journalisten, und alles weist darauf hin, dass diese Kluft sich noch vertiefen wird, sofern die aktuellen Trends sich behaupten. Zwischen 1992 und 2013 ist die Zahl der in Forschung und Lehre Beschäftigten um mehr als 67 %, die der Journalisten dagegen nur um 38 % gestiegen (mit großen Unterschieden zwischen den einzelnen Medien).
Dennoch bleiben die Medien ein bedeutender Sektor aufgrund der Größe ihres Publikums. Die Zahl der Studierenden an Frankreichs Hochschulen beläuft sich auf 2,4 Millionen – bloß ein Drittel der Leserschaft allein der regionalen Tagespresse. Das gesamte französische Bildungssystem hat kaum mehr Schüler, Studierende oder Auszubildende (15,2 Millionen), als die Nachrichtensendungen von TF1, France 2, Arte und M6 insgesamt Zuschauer haben (13,6 Millionen). Die 1000 Opernaufführungen, die es pro Saison in Frankreich gibt, erreichen mehr als 1,4 Millionen Zuschauer, damit aber weniger als ein Sechstel der Zahl der unterschiedlichen Besucher, die monatlich die Website von Le Monde aufrufen. Und die 328.000 Zuschauer der Ballettaufführungen an der Pariser Nationaloper sind weniger als die durchschnittliche Leserschaft allein der Printausgabe einer Tageszeitung wie Ouest-France.
Man beklagt häufig – und teilweise zu Recht – den mangelnden Zuspruch, den die Printmedien erfahren. Aber während mehr als zwei Drittel der Franzosen über 15 Jahren regelmäßig eine Tageszeitung lesen, gehen weniger als 60 % mindestens ein Mal im Jahr ins Kino, geht kaum ein Drittel in Museen oder Ausstellungen, und geht gerade noch ein Fünftel ins Theater. In anderen europäischen Ländern und den Vereinigten Staaten sieht es nicht anders aus.
Darin liegt das ganze Paradox der Medien und vor allem der Presse. Eine kleine Zahl von Akteuren, die wirtschaftlich nicht allzu sehr ins Gewicht fallen – und das gilt mehr noch von ihrer Belegschaft –, erreicht ein extrem großes Publikum, das sie in Entscheidungen zu beeinflussen vermag, die für eine funktionierende Demokratie überlebenswichtig sind. Und in einem Kontext, in dem das allgemeine Wahlrecht keine ausreichende Legitimation politischer Macht mehr bietet, wird sich die Demokratie mehr denn je auf die von den Medien repräsentierte Gegenmacht stützen müssen.[5]
Eine Fülle von Rechts- und Finanzierungsformen
Aber diese Gegenmacht ist vielgestaltig. Während Zeitschriften größtenteils Aktiengesellschaften sind, haben in Frankreich mehr als zwei Drittel der Radiosender genossenschaftliche Strukturen. Die diversen Unternehmen, die im Bereich der Wissensökonomie versammelt sind, weisen die unterschiedlichsten Rechtsformen auf. Während es sich bei einigen der größten internationalen Medienkonzerne um börsennotierte Unternehmen handelt (die New York Times Company zum Beispiel), ist das bei nahezu sämtlichen Universitäten nicht der Fall (die es in den Vereinigten Staaten versucht haben, sind grandios gescheitert, und es scheint heute fast undenkbar, dass ein solches Modell Schule machen könnte).
Die größten Universitäten der Welt, deren Stiftungskapital (mehr als 30 Milliarden US-Dollar für Harvard, Yale oder Princeton) das Eigenkapital der größten Banken weltweit übersteigt, haben die Form gemeinnütziger Stiftungen angenommen, und niemand wird wohl auf den Gedanken verfallen, sie in Aktiengesellschaften umzuwandeln. Neben Drittmitteln sowie Einschreibe- und Studiengebühren spielen in allen Ländern,...