Vorwort
Die drei Säulen des Terrors
Zehn Terroristen, bewaffnet mit Kalaschnikows, Handgranaten und Sprengstoff, fielen am 26. November 2008 gegen 21.30 Uhr in die indische Millionenmetropole Mumbai ein. Sie zogen in Zweiergruppen quer durch die Stadt, griffen fast zeitgleich das Hotel Oberoi-Trident, das Leopold Cafe, das nahe gelegene Hotel Taj Mahal Palace, den Bahnhof Victoria Terminus und ein amerikanisch-jüdisches Zentrum an. Fast drei Tage hielten sie die Stadt gefangen, deponierten Bomben, warfen Handgranaten und erschossen unschuldige Menschen. »Wir wollten schon zahlen, da hörte ich einen riesigen Knall und dann ging es los. Bam, bam, bam. Schüsse fielen – minutenlang«, erinnert sich Desirée Baumann, eine der Überlebenden. Am Ende wurden mehr als 170 Tote und mehr als 230 Verletzte gezählt.
Der Anschlag von Mumbai 2008, nach dem Vorbild von 9/11 auch 26/11 genannt, war für uns, die Autoren dieses Buches, der Einstieg in eine mehr als zehn Jahre dauernde Recherche. Was wir damals nicht ahnten: Unsere Nachforschungen führten uns nicht etwa in die ideologisch-politisch motivierten Kreise von al-Qaida und anderen Terrornetzwerken. Stattdessen zeichnete sich immer deutlicher ab, wie tief Geheimdienste und Regierungen durch den sogenannten »Krieg gegen den Terror« selbst in den Terror verstrickt sind.
Das Thema Terror ist nicht neu. Es ist jedoch noch nie so allgegenwärtig gewesen wie in den letzten Jahren, seit der internationale islamistische Terrorismus mit den Anschlägen von Brüssel und Paris Europa erreicht hat. Terror begegnet uns an den Sicherheitsschleusen von Flughäfen, Museen und praktisch jedem öffentlichen Gebäude, er beherrscht die Medien, von den Nachrichtenkanälen bis zu Spielfilmen und Serien, er durchzieht politische und gesellschaftliche Diskurse. Die Angst vor Terror hat überall in Europa politische Kräfte salonfähig gemacht, die bis dahin als die eigentliche Bedrohung der freiheitlichen Grundordnung und der Demokratie galten. Und natürlich gibt es eine unendliche Zahl von wissenschaftlichen Studien und Büchern zum Thema. Umso überraschter waren wir, als wir neben den erwartbaren politischen, ideologischen und religiösen Beweggründen auf einen Aspekt stießen, der selbst in der Fachliteratur kaum beleuchtet wird: Terror ist ein Geschäftsmodell, bei dem es um Geld, Waffen, politischen Einfluss und Macht geht, und zwar für alle Beteiligten.
Ganz gleich, ob rechts, links, fundamental-religiös oder anders motiviert und auf welcher Ebene, vom General an der Spitze einer Militärmacht bis zum Selbstmordattentäter – es lassen sich immer dieselben drei Säulen des Terrors identifizieren: 1. Ideologie, 2. Politik, 3. Geld und Macht.
Ideologie | Politik | Geld & Macht |
Religion, politische Ideologien (rechts, links) etc. | Politische Verflechtungen, strategische Interessen von Staaten, etc. | Das Geschäftsmodell Terror. |
Während Ideologie und Politik ausführlich und intensiv analysiert und diskutiert werden, bleibt das Geschäftsmodell Terror fast immer unter dem Radar der öffentlichen und politischen Wahrnehmung. Kaum jemand spricht darüber, dass im »Kampf gegen den Terror« Strukturen entstehen, von denen nicht nur Terrororganisationen profitieren, sondern auch Geheimdienste und Regierungen. Unsere Recherchen zeigen, dass durch die Bemühungen von – meist westlichen – Regierungen, Terror zu bekämpfen, ganze Länder von den damit verbundenen Geldflüssen und Hilfsleistungen abhängig werden. Dazu ein Beispiel: In den 1970er-Jahren hofften mehrere europäische Regierungen und sogar Unternehmen (Fluggesellschaften und Ölkonzerne), palästinensische Terrororganisationen durch Millionenzahlungen davon abhalten zu können, Anschläge auf ihrem Hoheitsgebiet durchzuführen bzw. ihre Flugzeuge zu entführen. Das Ergebnis dieser heimlichen Strategie führte keineswegs zum gewünschten Ziel. Im Gegenteil: Immer wieder gab es Anschläge, weil die palästinensischen Organisationen wussten, dass sie genauso lange Geld bekamen, wie es den Terror gab, der mit diesem Geld bekämpft werden sollte.
Im Kampf gegen den islamistischen Terror, wie wir ihn seit etwa Ende der 1990er-Jahre erleben, kooperieren westliche Geheimdienste mit Partnern – beispielsweise den Geheimdiensten von Ländern wie Pakistan, dem Irak, Iran, Saudi-Arabien oder Libyen –, deren Interessenlage nicht immer klar ist. Sicher aber kann man sagen: Je mehr Parteien involviert sind und je komplexer die Gemengelage ist, desto undurchsichtiger wird das Geschäftsmodell Terror. Und ähnlich wie die palästinensischen Terrororganisationen in den 1970er-Jahren lernen auch heute viele der Partner, mit denen westliche Regierungen Bündnisse schließen, dass Konflikte ihnen Geld, Waffen, politischen Einfluss und Relevanz bringen. Inzwischen ist es ein offenes Geheimnis, dass genau diese angeblichen Bündnispartner allenfalls nach außen hin auf der Seite des Westens stehen, dass sie oft jedoch gleichzeitig unsere Feinde unterstützen. Und das passiert nicht von ungefähr. Den Geheimdiensten und Sicherheitsapparaten in Pakistan, Tunesien, Libyen oder dem Irak ist bewusst, dass die westlichen Regierungen nur so lange an den für sie einträglichen Kooperationen interessiert sind, solange es die Konflikte gibt. Ist die Lage einigermaßen stabil, erhalten sie keine Unterstützung mehr. Warum also sollten sie daran interessiert sein, Konflikte wirklich zu befrieden?
In einem der zahlreichen Interviews, die wir im Zuge unserer Recherchen mit hochrangigen Akteuren geführt haben, bringt Richard Kemp, ehemaliger Offizier der britischen Armee und Geheimdienstkoordinator der britischen Regierung, den verhängnisvollen Zusammenhang überraschend offen auf den Punkt: »Es ist ein sehr dreckiges Geschäft. Riesige Geldsummen werden von den USA, Großbritannien, Deutschland und der EU gezahlt. Und damit werden Terroristen finanziert, die Anschläge gegen uns verüben.«
Die Spur des modernen Terrors führt nach Pakistan
Der Anschlag auf Mumbai war einer von vielen traurigen Höhepunkten in einem Dauerkrieg, der seit mehr als einem halben Jahrhundert zwischen Indien und Pakistan herrscht. Doch die Bedeutung von Mumbai 26/11 reicht über den Konflikt zwischen Indien und Pakistan hinaus. Hier gingen die Terroristen nach einer neuen Strategie vor, der Angriff auf Mumbai wurde zur Blaupause für Anschläge ähnlicher Art, die später in Kopenhagen, Paris und Berlin verübt werden sollten. Pakistan wurde zu einem Ausgangspunkt für den weltweiten islamistischen Dschihad gegen den Westen. Wieder einmal. Denn die Spuren des Terrors führten schon früher nach Pakistan. Die Wurzeln dessen, was in Mumbai geschah und sich später in Paris, Kopenhagen und Berlin wiederholte, reichen fast 40 Jahre zurück. Damals, in den 1980er-Jahren, wurde in Pakistan die Saat des Terrors gesät, die jetzt aufgegangen ist.
Als Reaktion auf die Invasion sowjetischer Truppen in Afghanistan schlossen westliche Geheimdienste – CIA, BND und andere – Ende der 1970er-Jahre zusammen mit der Regierung Pakistans und dem pakistanischen Geheimdienst ISI eine unheilvolle Allianz mit religiös-fundamentalistisch indoktrinierten Terroristen. Doch schon bald sollte sich dieses Bündnis gegen den Westen selbst richten. Lange wollte man es nicht wahrhaben, aber inzwischen ist auch den westlichen Regierungen und Geheimdiensten klar, dass Mitarbeiter des ISI und der pakistanischen Regierung zahlreiche Terrororganisationen decken, offen unterstützen und sogar gegründet haben. Pakistan spielt ein doppeltes Spiel: Offiziell ist das Land Partner der westlichen Allianz im Kampf gegen den Terror, doch hinter den Kulissen ist es zugleich Pate des Terrors.
Angehörige des ISI und des pakistanischen Sicherheitsapparates betätigen sich als Hauptsponsor und Unterstützer zahlreicher Terrororganisationen. Dabei nutzen sie ausgerechnet jene Ressourcen, die ihnen das Bündnis mit den westlichen Partnern einbringt, denn von ihnen werden sie finanziert, ausgebildet und ausgerüstet. So hat sich im Lauf der Jahrzehnte ein perfides Geschäftsmodell entwickelt, das vereinfacht bedeutet: Je mehr Geld, desto mehr Terror. Oder umgekehrt: Je mehr Terror, desto mehr Geld.
Über die fragwürdige Kooperation, die westliche Geheimdienste über Jahrzehnte mit Pakistan eingegangen sind, macht sich heute niemand mehr Illusionen; zu groß ist die Zahl der Beweise dafür, dass Pakistan seine westlichen Partner hintergeht. Daher lässt sich das »Geschäftsmodell Terror« am Beispiel dieses Landes besonders gut beschreiben. Dabei sticht ein Fall besonders hervor: Die Geschichte des amerikanisch-pakistanischen Doppelagenten David Coleman...