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E-Book

Sauerei!

Bauer Willi über billiges Essen und unsere Macht als Verbraucher

AutorWilli Kremer-Schillings
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl336 Seiten
ISBN9783492973366
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Lebensmittelskandale, EU-Subventionen, Massentierhaltung: Die Landwirtschaft ist in Verruf geraten. Bauern werden als engstirnige Hinterwäldler abgestempelt oder geraten als rücksichtslose Naturräuber in Verruf. Doch was steckt wirklich hinter der Legende vom gierigen Bauern? Wer melkt unsere Kühe, erntet unser Getreide und pflückt unsere Äpfel? Wie kann es sein, dass 500 Gramm Katzenfutter mehr kosten als ein ganzes Huhn? Und hat eigentlich jemals einer von uns »mündigen Verbrauchern« mit einem Bauern darüber gesprochen? Lassen wir ihn doch einfach selbst zu Wort kommen: Wutbauer Willi schreibt über faire Preise, gesundes Essen und erklärt, wo der Bauer Urlaub macht, wenn wir Urlaub auf dem Bauernhof machen.

Dr. Willi Kremer-Schillings ist Bauer aus Leidenschaft und Wutbürger aus Vernunft. Als Bauer Willi traf er mit seinem Internetbrief »Lieber Verbraucher« einen Nerv. Seitdem gibt er den Landwirten eine Stimme und klärt Verbraucher darüber auf, welche Macht sie mit ihren Konsumentscheidungen wirklich ausüben könnten. Willi Kremer-Schillings führt einen traditionellen Hof am Niederrhein und bereitet mit der Unterstützung seiner Kinder gerade die Übergabe an die nächste Generation vor.

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Leseprobe

DER BAUER

Von der Idylle zur Realität – Das Leben ist kein Ponyhof

Wenn ich mich mit Menschen unterhalte, die nichts mit Landwirtschaft am Hut haben, wünschen sie sich eine bäuerliche Landwirtschaft (zurück). Wenn man dann weiter nachfragt, was sie sich genauer darunter vorstellen, kommen Aussagen wie diese zustande: »Ich hätte gerne einen Bauernhof, auf dem es noch viel Vieh gibt: Kühe, Schweine, ein paar Hühner, gerne auch ein Pferd. Ziegen und Schafe wären ebenfalls nicht schlecht. Neben dem Hof liegt ein Teich, auf dem die Enten schwimmen. Um den Hof herum sind die Äcker, Wiesen und Weiden, auf denen die Tiere laufen. Und der Hofhund passt auf alles auf, auch auf die jungen Kätzchen, die gerade in der Fachwerkscheune geboren wurden. Und der Bauer steht mit Gummistiefeln und Mistgabel am Tor und hat viel Zeit, sich mit mir zu unterhalten, wenn ich bei ihm die zehn Eier für diese Woche einkaufe.«

So einen Hof hätte ich auch gerne. Nur passt diese Idylle leider überhaupt nicht mehr zur Realität. Oder doch? Wenn wir Urlaub auf dem Bauernhof in den Bergen machen, gibt es das alles schließlich noch. Beziehungsweise wieder. Denn manche meiner Berufskollegen betreiben kluges Marketing und verdienen heute ihr Geld mit Ferienwohnungen und Urlaub auf dem Bauernhof. Sie wissen genau, dass sich die Urlauber so einen »Heile Welt«-Hof wünschen. Den bekommen sie dann auch zur Ferienwohnung mit dazu, »all inclusive«. Die Kinder dürfen auf dem Pony reiten, die Kaninchen streicheln und die kleinen Kätzchen mit frischer Milch aus dem Kuhstall füttern. Ein Marketingmanager würde sagen: »Das Produkt muss emotionalisieren und die tiefer liegenden Wünsche der Verbraucher wecken und ansprechen.« Ferien auf Immenhof und Wir Kinder aus Bullerbü lassen grüßen.

Haben Sie mal im Zeitschriftenregal nachgeschaut, welche Blätter alle mit »Land« beginnen? Da gibt es Landlust, Landkind, Landidee, Landhaus, Landküche oder auch Country Living. Was wollen diese Blätter vermitteln? Sie kultivieren das Echte, das Bewährte, Natürlichkeit. Haus, Garten und Küche sind dann auch die Themenschwerpunkte, reale Landwirtschaft kommt nur in winzigen Dosen vor. Da wird schon mal über Grünkern (Dinkel) berichtet, aber eine Reportage über Schlachthöfe wird man vergeblich suchen. Es geht vielmehr um Entschleunigung, den Wert der Heimat, um die Rückbesinnung auf die Wurzeln, um das individuelle Glück des Lesers. Vermittelt wird die heile Welt. Klar gibt es noch den ein oder anderen großen Bauerngarten, eventuell sogar mit einem Kräuterbeet für die Hausapotheke (ach ja, die Zeitschrift Landapotheke hatte ich noch vergessen). Aber die sind meist das Hobby der Altenteiler, also der Landwirte, die ihren Hof schon an die nächste Generation übergeben haben. Mit moderner Landwirtschaft hat dieser Trend natürlich nichts gemein.

Auch ich betreibe bäuerliche Landwirtschaft. Die sieht aber ganz anders aus. Zwar lebt unsere Katze Susi auf dem Hof, das war es dann aber auch schon mit dem »Viehbestand«. Susi wird von meiner über neunzig Jahre alten Mutter versorgt, weil da keiner mehr ist, der sich sonst um das Tier kümmern könnte. Da ist nämlich nur noch ein Schlepper zu sehen, ein Pflug, eine Sämaschine, eine Anhängespritze mit 27 Meter Arbeitsbreite, ein Düngerstreuer und noch einige andere Geräte. Vor ein paar Jahren habe ich mir einen fast fünfzig Jahre alten Oldtimer-Trecker gekauft, aber das ist reines Hobby (oder vielleicht mein Ausdruck von Sehnsucht nach einem »Heile Welt«-Hof aus alten Zeiten, die es nie gab). Alles in allem ist mein Hof sehr steril, von Idylle ist da nichts zu spüren. Bis auf den Oldtimer und Susi ist alles auf Zweckmäßigkeit ausgerichtet, denn ich muss mich der Konkurrenz stellen. Doch dazu später mehr.

Kommen wir zurück zu den Vorstellungen der Otto-Normal-Verbraucher: Abgesehen von den romantischen Urlaubsbauernhöfen denken die bei Landwirtschaft heute vor allem an sogenannte Agrarfabriken und daran, dass sie die nicht wollen, weil sie mit diesen alles Negative verbinden, was sie schon mal in Bezug auf Landwirtschaft gehört haben: Massentierhaltung, Pestizide, bis hin zum Verursacher des Klimawandels.

Nun ist der Begriff »Agrarfabrik« nirgendwo genau definiert. Die Allgemeinheit versteht darunter zunächst einmal große Betriebseinheiten, vor allem in der Tierhaltung. Ja, die gibt es, vorzugsweise in Ostdeutschland. Aus den ehemaligen Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) sind große, privat geführte Unternehmen mit angestellten Mitarbeitern hervorgegangen, die oft über mehrere Tausend Hektar Ackerland und entsprechend große Viehherden verfügen. Es gibt aber auch im Rest des Landes Familienbetriebe, die ein paar Tausend Schweine oder 30000 Hühner halten. Wo beginnt die Agrarfabrik, und was ist Massentierhaltung? Ist es die reine Zahl der Tiere, die Haltungsform? Sind viele Kühe in Laufställen gut oder schlecht, sind wenige Kühe in Anbindehaltung schlecht oder gut? Da hat jeder eine andere Vorstellung. Auch dazu später noch mehr.

Bevor wir die aktuelle Situation genauer betrachten, möchte ich erst einmal etwas weiter ausholen und die Entwicklung der Landwirtschaft in ihren wichtigsten Facetten kurz beschreiben. Sicher wissen Sie das eine oder andere schon, aber es ist wichtig, sich das alles vor Augen zu halten, um zu verstehen, warum und wie es zur »industriellen« Landwirtschaft kam, mit der Sie es heute zu tun haben, wenn Ihre Ferien auf dem Bauernhof vorüber sind.

Als der Homo sapiens die Erde besiedelte, war er zunächst Nomade. In kleinen Gruppen war er unterwegs, meist jagten die Männer, und die Frauen sammelten. Sie waren Jäger und Sammler und bildeten Familienverbände. Irgendwann fanden die Ersten heraus, dass man bestimmte Gräser auch gezielt anbauen konnte, und legten Felder an. Das war ungefähr dort, wo heute das schwer gebeutelte Syrien liegt, im »Fruchtbaren Halbmond«, dem Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris, auch Mesopotamien genannt. Die »ersten Landwirte« lockerten mit dem Grabstock die Erde, säten Körner, die sie aus dem Vorjahr aufbewahrt hatten, wieder ein und ernteten die nachwachsenden Pflanzen. Die schönsten und dicksten Körner wurden wieder verwahrt, für die Aussaat im nächsten Jahr. Die anderen Körner wurden auch eingelagert und, je nach Bedarf, gemahlen und Brot davon gebacken. Das klappte nach und nach immer besser, der Ertrag stieg, und so brauchten sie nicht mehr alles für sich selbst. Bisher hatten sie neben der Felderwirtschaft noch ein paar Schafe und Ziegen, mit denen sie durch die Landschaft zogen. Jetzt konnten sie einen Teil der Körner verfüttern, und auch das Vieh entwickelte sich prächtig, die Viehbestände wuchsen.

Jetzt begannen sie Tauschwirtschaft mit den Nachbarn. Für ihre Getreidekörner und das Vieh, das sie für die eigene Ernährung nicht zwingend benötigten, wollten sie etwas in Gegenleistung haben. Weil die Nachbarsippe auch genug hatte, spezialisierten sich dort einige auf die Weiterverarbeitung von verschiedenen Produkten. Einige bearbeiteten die Felle und machten daraus Leder, andere stellten Grabstöcke her oder erste Hakenpflüge, in die dann Ochsen eingespannt wurden, damit die Arbeit leichter und ohne reine Handarbeit erledigt werden konnte. Dort, wo die Ochsen etwas fallen ließen, wuchsen die Pflanzen besser. Und in den Gattern, in denen die Tiere nachts zum Schutz vor Wölfen eingesperrt wurden, wuchsen sie besonders gut, weil dort besonders viel tierischer Dünger liegen blieb. Da legte man dann im nächsten Jahr das neue Feld an.

Irgendwann entdeckte jemand, dass man aus Erz Metall gewinnen kann. Jetzt spezialisierten sich einige aus der Gruppe auf die Metallverarbeitung. Dafür musste man aber Metallhütten anlegen. Die konnte man schlecht irgendwohin mitnehmen, weshalb man sie dort anlegte, wo auch das Erz gewonnen wurde.

So, oder zumindest so ähnlich, könnte es gewesen sein mit dem Wandel vom Nomadentum bis hin zur Sesshaftigkeit. Aus den Dörfern wurden schließlich Städte, aus dem Tausch wurde ein Handel, es entstanden Verwaltungen und schließlich auch die Schrift. Das alles nennt man heute »arbeitsteilige Wirtschaft«. Weil das gut klappte, konnten immer weniger Ackerbauern und Viehzüchter immer mehr Metallverarbeiter, Handwerker oder auch Verwaltungsangestellte ernähren. Und ein paar Menschen hatten auch Zeit, Dinge herzustellen, die von uns heute als Kunstschätze bewundert werden. Oder auch Pyramiden bauen. Ohne die arbeitsteilige Wirtschaft wäre das nie möglich gewesen.

Wir überspringen jetzt ein paar Tausend Jahre, lassen Griechen, Römer und das gesamte Mittelalter einfach mal links liegen und landen gleich im vorindustriellen Europa. Die Arbeitsteilung ist weit vorangeschritten, aber immer noch gibt es viele Menschen, die vom Handwerk leben, die neben dem Handwerk aber auch noch einen Garten oder ein kleines Feld haben, vielleicht ein paar Hühner, von denen sie sich ernähren. Jetzt kommt wieder ein findiger Homo sapiens auf die Idee, eine Dampfmaschine zu bauen. Ein anderer entwickelt eine Webmaschine, die mit dieser Dampfmaschine betrieben werden kann. Die industrielle Revolution wird losgetreten.

Innerhalb kurzer Zeit sind viele Weber arbeitslos, es kommt zu heftigen Unruhen. Um aber ihre Familien weiter ernähren zu können, gehen viele Weber, die bisher ein Handwerk ausgeübt haben, nun in die Fabriken, um die maschinellen Webmaschinen zu bedienen. Die Zeit, in ihrem Garten zu arbeiten, wird immer weniger, sie bekommen dafür aber ein geregeltes Einkommen,...

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