3. Die Stabilität der Staatsfinanzen
Das gilt vor allem für das Kernproblem, der aus dem Ruder gelaufenen Staatsverschuldung in der gesamten Union. Gemeint ist damit die Gesamtverschuldung der öffentlichen Hand in den jeweiligen Staaten. Für Deutschland heißt das die Verschuldung von Bund, Ländern, Gemeinden und öffentlichen Körperschaften insgesamt. Die Stabilität der Staatsfinanzen ist Grundlage und Namensgeber für den Maastricht-Vertrag (Stabilitäts- und Wachstumspakt).
3.1. Die Zielerreichung
Bisher ist keines der genannten Ziele erreicht worden.
3.1.1. Die Gesamtverschuldung
Die Gesamtverschuldung in der Eurozone (Euro-19) ist seit der Einführung des Euro zum Jahreswechsel 2000/2001 bis 2015 um 97% oder 4,7 Billionen (!) auf 9,4 Bio. € angestiegen, und zwar kontinuierlich Jahr für Jahr. Dasselbe galt bis 2014 für alle Mitgliedsländer. Von den Vergleichsländern konnte nur Deutschland in 2015 den Schuldenstand um 1,2% leicht reduzieren. Bei Deutschland und Italien war der Zuwachs unterdurchschnittlich mit +73% bzw. +67%, während er bei Frankreich (+141%) und Spanien (+186%) massiv darüber lag.
Für Griechenland weist Eurostat 2015 ebenfalls eine Reduzierung des Schuldenstands um 8 Mrd. € auf 311 Mrd. € aus. Diese Zahlen müssen aber wegen der undurchsichtigen Lage in Griechenland stark in Zweifel gezogen werden. Selbst Eurostat wies im November 2105 für 2014 noch einen Schuldenstand von 317 Mrd. € aus, der im Juni 2016 auf 320 Mrd. € nach oben korrigiert wurde.
Unberücksichtigt sind dabei noch die überall, auch auf Gemeinschaftsebene, bestehenden öffentlichen Schattenhaushalte. H.-W. Sinn greift das Beispiel des europäischen Investitionsprogramms auf, das über den European Fund for Strategic Investment (EFSI) ein Volumen von 315 Mrd. € hat, immerhin das Doppelte des EU-Haushalts. Die Kommission will ihn bis 2020 bereits auf 500 Mrd. € aufstocken. 2014 waren Projekte in Höhe von 1,3 Bio. € beantragt worden. Diese Volumina werden nicht durch im Haushalt ausgewiesene Mittel dargestellt, sondern durch Garantien und in Verbindung mit dem Wertpapierankaufprogramm der EZB durch Anleihen, die alle im Haftungsverbund der europäischen Steuerzahler verbleiben. Das ist ein Schattenhaushalt entsprechend der den Banken vorgeworfenen Praxis, Risiken in Zweckgesellschaften auszulagern und damit zu verschleiern{6}.
3.1.2. Der Schuldenstand von max. 60% des BIP
Auch das Ziel der Obergrenze für den Schuldenstand von max. 60%/BIP ist nicht annähernd erreicht worden, sondern hat sich seit Einführung des Euro bis 2014 kontinuierlich Jahr für Jahr verschlechtert. Erst in 2015 ergab sich für die Euro-19 und Deutschland eine leichte Reduzierung um 1,3% bzw. 3,5%-Punkte, während für Spanien die Quote gleich geblieben ist.
2015 ergibt sich für die Euro-19 insgesamt eine Verschuldungsquote von 91%/BIP bzw. eine Verschlechterung gegenüber 2000 um 23%-Punkte. Dasselbe trifft zu für Deutschland (71%/BIP bzw. +12%), Frankreich (96%/BIP bzw. +37%), Italien (133%/BIP bzw. +28%) und Spanien (99%/BIP bzw. +41%).
Damit ist das zentrale Ziel der Währungsunion zur Eindämmung und Beherrschung der aus dem Ruder gelaufenen Staatsverschuldung komplett verfehlt worden. Die Situation hat sich nicht verbessert, sondern insgesamt verschlechtert.
3.1.3. Die Neuverschuldung
Besser sieht es vordergründig bei dem Ziel für die jährliche Neuverschuldung aus. Hier haben 2015 die Euro-19 das Ziel mit einer Quote von 2,1% und Italien mit 2,6% erreicht. Deutschland hat mit +0,7% sogar einen Überschuss erzielt, während Frankreich mit 3,5% und Spanien mit 5,1% das Ziel weiterhin verfehlen, genauso wie die übrigen Problemländer. Besorgniserregend bleibt, dass sich die Quote seit der Eurokrise 2008 nur minimal verbessert hat (Euro-19 und Italien um 0,1%, während sie sich bei Frankreich und Spanien weiter verschlechterte).
Die Quote ist allerdings massiv beeinflusst durch die Niedrigzinspolitik der EZB sowie die Ankaufprogramme für Staatsanleihen. Verbunden mit der expliziten Ankaufgarantie beseitigt die EZB die Bildung der Zinsen durch den Kapitalmarkt für die Staatsanleihen und hält die Zinssätze auf einem künstlich niedrigen und völlig unrealistischen Niveau. Damit wird der Aufwand für die hohe und laufend steigende Staatsverschuldung auf ein absolut unrealistisch niedriges Volumen gedrückt{7}.
In Zahlen (Zinssatz für 10-jährige Staatsanleihen) ausgedrückt heißt das z.B. für Deutschland: 1% Zinserhöhung macht für die 2,2 Bio. € Bundesschulden 22 Mrd. € p.a. oder 0,7% des BIP (ca. 3 Bio. €) an höheren Zinszahlungen aus. Der Bund zahlt heute (11/2016) sogar negative Zinsen. In den 20 Jahren vor der Währungsunion (1973-1992) lag die durchschnittliche Umlaufrendite der Bundesanleihen bei 7,9%. Eine Zinserhöhung um 3,5% würde bereits die 3%-Marke/BIP ausfüllen. Einen so niedrigen Zinssatz hat der Bund in keinem einzigen Jahr seit Bestehen der Bundesrepublik gezahlt.
Für Griechenland sind die Zahlen wie folgt: 1% Zinserhöhung entspricht bei der Staatsschuld von ca. 320 Mrd. € (vor dem aktuellen 3. Hilfspaket) ca. 1,5% des BIP von gut 200 Mrd. €. Die Zinssätze für die 10-jährigen Anleihen Griechenlands lagen vor der Diskussion über den Euro bei ca. 25%, nach dem Euro-Beitritt bis 2007 bei ca. 5%. In der Griechenlandkrise 2012 schnellte der Satz auf 40% hoch, um dann wieder auf ca. 16% zu sinken{8}. Durch die Anleihekäufe der EZB und Zinsverzichte der Euro-Gläubiger-Staaten zahlt Griechenland inzwischen im Schnitt nur noch 2,4% Zinsen auf die gesamte Staatsschuld, d.h. sogar weniger als Deutschland{9}. Allein eine Erhöhung auf 10% würde die Maastricht-Marke für Griechenland auf 15%/BIP hochschnellen lassen.
Diese Marke hat damit ihre Aussagekraft für die Beurteilung der Schuldensituation der Euro-Staaten vollkommen verloren. Es bleibt leider bei der Feststellung, dass das Ziel einer Eindämmung der Staatsverschuldung komplett verfehlt worden ist.
Hier tickt eine Zeitbombe, die spätestens dann hochgehen wird, wenn die Zentralbanken ihre Überflutung der Märkte mit Liquidität wie versprochen einstellen und diese den Märkten wieder entziehen, oder die entstandene gigantische Blase platzt. Beides wird dramatischen Folgen für die Haushalte und Verschuldung der Staaten, auch Deutschlands, haben.
3.1.4. Das Zwischenziel von max. 0,5% Neuverschuldung und Schuldenreduzierung um ein Zwanzigstel des Unterschieds zum 60%-Ziel
Diese Ziele wurden im Fiskalpakt zusätzlich formuliert und gelten ab 2013. Das hat nur Deutschland 2015 erreichen können. Bei Griechenland weist Eurostat 2015 eine Reduzierung des Schuldenstands um 8 Mrd. € oder 2,5% auf 311 Mrd. € aus. Diese Zahlen müssen allerdings aus den oben genannten Gründen stark in Zweifel gezogen werden. Auch diese beiden Ziele konnten nicht erreicht werden. Bei der Neuverschuldung hat wenigstens Deutschland für 2014 und 2015 einen jährlichen Haushaltsüberschuss verzeichnen können.
3.1.5. Ein ausgeglichener Haushalt
Dieses Ziel wurde aufgrund der schlechten Erfahrungen bereits 1997, noch vor der Einführung des Euro, im Stabilitäts- und Wachstumspakt als weiteres mittelfristiges Ziel vereinbart. Verbunden wurde das Ziel mit der Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Einleitung von Korrekturmaßnahmen, sobald der Europäische Rat eine entsprechende Empfehlung ausspricht.
Seit Beginn der Finanzkrise 2008 hat bis auf Deutschland keines der Vergleichsländer (die 3 großen und die Problemländer) oder die Euro-19 insgesamt einen ausgeglichenen Haushalt hinbekommen. In 2007 gelang es neben Deutschland noch Irland, Spanien und Zypern. Damit ist auch dieses Ziel nicht erreicht worden.
Allerdings ist in den letzten Jahren zumindest ein positiver Trend zu erkennen. In den Euro-19 insgesamt ist das Haushaltsdefizit seit dem Höchststand von -6,3% in 2009 kontinuierlich zurückgegangen, beträgt aber immer noch das Dreieinhalbfache des Standes vor der Krise (2007). Das gilt mehr oder weniger auch für alle Vergleichsländer mit Ausnahme von Deutschland.
Auch 2016 konnte Deutschland wieder einen Überschuss erzielen und erwartet das auch für 2017. Die Flüchtlingskrise, die militärischen Bedrohungen und die Ankündigung des künftigen amerikanischen Präsidenten, die Kosten der Nato drastisch zu Lasten der europäischen Partner umzuverteilen, werden allerdings zu erheblichen zusätzlichen Ausgaben führen. Deswegen wird ein ausgeglichener Haushalt auch für alle Länder der Union in weite Ferne rücken. Vielmehr ist zu befürchten, dass sich einige hinter diesen Anforderungen verstecken und die Sanierungsbemühungen einstellen werden. Frankreich geht bereits mit schlechtem Beispiel voran.
Auch das Ziel eines mindestens ausgeglichenen Haushalts wird in absehbarer Zeit nicht erreicht werden.
3.2. Ziele und Maßnahmen der EU – Rettungspolitik
Der Ausbruch der Euro-Krise 2010 führte zu einem z.T. explosionsartigen Anstieg der Zinsen für die Staatsanleihen der Problemländer auf eine Höhe, die von den Schuldnerländern nicht mehr zu bewältigen war. Sie drohte, den Euro zu sprengen. Seitdem versucht die Gemeinschaft, den Zusammenhalt der Euro-Zone zu retten, und wird dabei massiv von der EZB durch deren Krisenmanagement unterstützt.
Hauptziel der Rettungspolitik ist, die Schuldendienstfähigkeit der Problemländer wieder herzustellen, d.h. ihrer Fähigkeit, ihre Schulden bedienen zu können, um damit das Vertrauen der Kapitalmärkte wieder zurückzugewinnen. Das ist nicht nur das Ziel der EU, sondern auch satzungsmäßige Voraussetzung für Hilfen...