3 Die Regulation von Wachheit und Schlaf
3.1 Die Schlafstadien und deren Abfolge
Im Alltag äußern sich Schlafstörungen als Schlaflosigkeit (Insomnie), als unerholsamer Schlaf oder als Tagesschläfrigkeit (Hypersomnolenz). Ob im Einzelfall eine relevante Schlafstörung vorliegt, muss durch die weitere Diagnostik abgeklärt werden. Dazu ist es wichtig zu wissen, wie der Schlaf des Menschen reguliert wird, welche Faktoren den Schlaf und das Schlafvermögen beeinflussen und was im höheren Lebensalter als normal gilt (Bloom et al. 2009).
Der Schlaf besteht aus zwei fundamentalen physiologischen Komponenten, dem sog. REM-Schlaf (Rapid-Eye-Movement-Schlaf, paradoxer Schlaf) und dem sog. Non-REM-Schlaf. Der Non-REM-Schlaf wird weiter in die Stadien Leichtschlaf (N1 und N2) und Tiefschlaf (N3) unterteilt (Berry et al. 2017).
Die Bestimmung des jeweiligen Schlafstadiums ist aufwendig und erfolgt im Schlaflabor. Im Rahmen einer Polysomnographie werden zahlreiche physiologische Parameter gemessen. Für die Bestimmung der Schlafstadien sind dazu Ableitungen der Gehirnstromkurve (Elektroenzephalogramm, EEG), der Bewegungen der Augen (Elektrookulogramm, EOG) und des Tonus der Halsmuskulatur (Elektromyogramm, EMG) erforderlich.
Der Schlaf beginnt mit dem Schlafstadium N1, geht dann in das Schlafstadium N2 über, erreicht das Tiefschlafniveau (N3) und führt wieder über das Schlafstadium N2 zur ersten REM-Schlafphase. Dieser physiologische Ablauf wird als Schlafzyklus bezeichnet, dauert zwischen 60 und 90 Minuten und endet immer mit einer REM-Schlafphase. Der normalerweise etwa sechs bis acht Stunden andauernde Nachtschlaf besteht aus drei bis fünf solcher Schlafzyklen. Mit Fortschreiten der Nacht nimmt der Anteil an Tiefschlaf (N3) kontinuierlich ab und die Länge der REM-Schlafphasen nimmt zum Morgen hin zu.
3.2 Mechanismen der Regulation von Schlaf und Wachheit
Die Regulation von Wachheit und Schlaf wird durch zwei grundlegende Mechanismen gesteuert. Im Jahr 1982 veröffentlichte Borbély dazu ein Modell, welches den periodischen Wechsel von Schlaf und Wachheit, von Schlafdauer und von Schlafqualität beschreibt (Borbély 1982). Diesem Modell liegen zwei basale Prozesse zugrunde, die durch ihre Interaktion den jeweiligen phänotypischen Wachheitsgrad bestimmen. Der eine Prozess wird homöostatischer Prozess (Prozess S), der andere zirkadianer Prozess (Prozess C) genannt.
Die Abbildung zeigt schematisch den zeitlichen Verlauf beider Prozesse über einen Zeitraum von 24 Stunden ( Abb. 3.1).
Der homöostatische Prozess (Prozess S) wird als Akkumulation von Schlafdruck infolge von Wachheit interpretiert. So, wie der Verzicht auf Trinken Durst erzeugt, so erzeugt Wachheit physiologische Müdigkeit und das Bedürfnis zu Schlafen. Dieser im Tagesverlauf ansteigende Schlafdruck wird durch den einsetzenden Schlaf wieder abgebaut und der Zyklus beginnt von vorne. Als organisches Substrat dieses Konstrukts konnte experimentell unter anderem der periodisch wechselnde Adenosingehalt in einigen schlafregulierenden Zentren des Gehirns identifiziert werden. Mit zunehmender Wachheit steigt der Adenosingehalt in diesen Arealen an und erzeugt über eine Neuromodulation mit einer Inhibierung der neuronalen Aktivität Müdigkeit mit erhöhter Einschlafwahrscheinlichkeit (Reichert et al. 2016).
Der zirkadiane Prozess (Prozess C) ist durch Oszillationen der Wachheit über eine 24-Stunden-Periode gekennzeichnet und fördert bei tagaktiven
Abb. 3.1: Regulation der Wachheit im Modell nach Borbély (modifiziert nach Achermann und Borbély 2003, S. 684)
Lebewesen die Wachheit am Tag und den Schlaf in der Nacht. Die Oszillationen dieses Prozesses werden durch zahlreiche Umweltfaktoren wie der Helligkeit der Umgebung, der körperlichen Aktivität, emotionaler oder endokriner Parameter getriggert.
Der zirkadiane Prozess C wird durch ein dreistufiges und hierarchisch strukturiertes System reguliert, das einerseits Stabilität beim Wechsel zwischen Wachheit und Schlaf und andererseits eine Anpassung an akute und chronische Veränderungen der Umgebung ermöglicht. Morphologisch gehören zu diesem System neben dem Ncl. suprachiasmaticus (SCN) der dorsomediale Hypothalamus (DMH) und die ventrolaterale präoptische Region (VLPO) (Saper 2013).
Der Hauptschrittmacher (»Innere Uhr« oder »Master Clock«) für alle biologischen Rhythmen befindet sich im SCN. Dieser Hauptschrittmacher beeinflusst als Master Clock die in jeder Zelle des Organismus vorhandenen lokalen Oszillatoren (Reppert und Weaver 2002). Der Hauptschrittmacher arbeitet durch eine Rückkopplungsschleife mit einer Aktivierung und einer Deaktivierung von Genen. Die Genprodukte CLOCK und BMAL1 in den Zellen des SCN unterhalten diesen Auto-Feedback-Mechanismus. Zahlreiche Gene und Genprodukte beeinflussen die Varianz der individuellen Schlafzeit. Dabei scheint die Summe kleiner Einzeleffekte der jeweiligen Genprodukte den Phänotyp des Schlafs zu bestimmen (Shi et al. 2017).
Der SCN selbst wird direkt von Neuronen der Netzhaut versorgt und erhält so die wichtige Information über die Helligkeit der Umgebung (Johnson et al. 1988). Zudem sendet und empfängt der SCN Signale an und aus dem Organismus und integriert auf diese Weise den Stoffwechsel des Organismus mit den Informationen aus der Umwelt (Hirota und Fukada 2004).
Der endogene Rhythmus des SCN wird durch diese Vernetzung an die Anforderungen aus der Umwelt angepasst, sog. Entrainment. Da eine helle Umgebung, fehlende Dunkelheit in der Nacht, »Lichtverschmutzung« oder Blindheit direkten Einfluss auf die Oszillationen des SCN haben, können durch diese Faktoren auch Störungen des zirkadianen Rhythmus verursacht werden.
Tierversuche zeigen zum Beispiel, dass die Oszillationen der Zellen des SCN auch nach deren Isolierung aus dem Gehirn in vitro persistieren. Die Periodenlänge dieser Oszillationszyklen beträgt etwa 24 Stunden und ist genetisch determiniert. Sie kann zwischen den einzelnen Individuen um Minuten, seltener Stunden variieren. Genetische Veränderungen, Mutationen, Veränderungen im Metabolismus der Genprodukte oder Degenerationen in diesem System beeinflussen unmittelbar dessen Periodenlänge und Stabilität mit direkten Auswirkungen auf das phänotypische Schlafmuster (Saper 2013).
Die Verbindungen des SCN mit den Kerngebieten der Schlaf-Wach-Regulation sind komplex. Die Abbildung 3.2 zeigt eine vereinfachte Darstellung der wichtigsten Verbindungen des SCN ( Abb. 3.2) (Saper 2013).
Vom SCN führen Projektionen in Kerngebiete, die in die Regulation von Schlaf und Wachheit eingebunden sind. Die vom SCN ausgehenden Projektionen sind aber eher moderat und führen überwiegend durch die ventrale und dorsale subparaventrikuläre Zone (vPVZ; dPVZ) zum dorsomedialen Hypothalamus (DMH) (Watts et al. 1987; Watts und Swanson 1987). Läsionen der ventralen Anteile dieser Verbindungsstruktur (vPVZ) stören den zirkadianen Schlaf-Wach-Rhythmus und die motorische Aktivität eines Individuums. Läsionen im dorsalen Teil (dPVZ)
Abb. 3.2: Vereinfachte schematische Darstellung wichtiger zerebraler Zentren, die in die Regulation des Schlafs eingebunden sind (nähere Erläuterungen im Text) (modifiziert nach Saper et al. 2005b, S. 1261)
stören den zirkadianen Verlauf der Körperkerntemperatur, nicht aber die Wachheit (Lu et al. 2001).
Zudem wird der DMH durch viszerale, kognitive, emotionale und physische Afferenzen über praktisch alle inneren und äußeren Einflüsse auf den Organismus informiert, integriert diese und modifiziert so seinen efferenten Output (Saper et al. 2005a).
Diese komplexe Organisationsform von Wachheit und Schlaf erklärt auch, warum emotionale oder kognitive Belastungen den Schlaf rauben, warum nach einer opulenten Mahlzeit Müdigkeit auftritt, warum körperliche Aktivität die Wachheit steigert oder überlange Wachphasen von Helfern bei Katastropheneinsätzen ohne kurzfristigen Schlafbedarf möglich werden. Die Kenntnis dieser Zusammenhänge erlaubt andererseits aber auch, bei Störungen in diesem System spezifische und rational begründbare therapeutische Interventionen zu entwickeln.
Das Hauptziel des DMH ist die ventrolaterale präoptische Region (VLPO), die auch als das »Tor zum Schlaf« bezeichnet wird. Über GABAerge Neurone, die den stärksten Input an die VLPO liefern, hemmt der DMH deren Aktivität und damit deren Schlaf-induzierende Wirkung und erzeugt so indirekt Wachheit. Vom DMH führen auch glutamaterge Projektionen zum lateralen Hypothalamus (LH) und induzieren Wachheit und Appetit (Chou et al. 2003).
Damit besteht das zirkadiane Regulationssystem im Wesentlichen aus den drei Komponenten SCN (Master Clock), VLPO und LH. Von...