Einführung
EMDR steht für Eye Movement Desensitization and Reprocessing und ist eine evidenzbasierte psychotherapeutische Methode, die ursprünglich für die Verarbeitung von emotionalem Stress nach psychischer Traumatisierung entwickelt worden ist. Über EMDR können dysfunktional gespeicherte und belastende Erinnerungen neu prozessiert, desensibilisiert sowie im Gehirn neu assoziiert und heilsam integriert werden. Inzwischen ist EMDR international anerkannt als eine der effektivsten Methoden zur Behandlung von Traumafolgestörungen und den damit einhergehenden emotionalen Belastungen.
Die Anwendung von EMDR beschränkt sich bereits seit vielen Jahren nicht mehr nur auf die Traumatherapie, sondern erfasst inzwischen eine Vielzahl unterschiedlichster Störungsbilder, welche mit emotionalen Belastungen einhergehen. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass der Einsatz von EMDR in der Behandlung chronischer Schmerzsyndrome bereits seit den Anfängen von EMDR immer wieder intensiv diskutiert worden ist. Die Gründe hierfür sind vielfältig und wohl auch im Phänomen ›Schmerz‹ selbst begründet. Denn chronischer Schmerz wird von den Betroffenen – ganz ähnlich einem Trauma – häufig als eine Art Diskrepanzerlebnis zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren einerseits und den individuell zur Verfügung stehenden Bewältigungsmöglichkeiten andererseits erlebt. Das dadurch ausgelöste Gefühl von Kontrollverlust, Hilflosigkeit und schutzloser Preisgabe kann unter Umständen – ganz ähnlich einer Traumafolgestörung – zu einer dauerhaften Erschütterung von Selbst- und Weltverständnis führen. Ein chronisches Schmerzsyndrom als ein belastendes Ereignis, welches genuin als Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit empfunden wird und stark mit Gefühlen von Angst und Hilflosigkeit assoziiert ist, erfüllt damit in der Regel die klassischen Kriterien eines psychischen Traumas. Es liegt in dieser Hinsicht nahe, EMDR als eine effektive und etablierte Technik zur Bearbeitung von posttraumatischen Belastungsstörungen auch auf das subjektive »Schmerztrauma« anzuwenden, das ein chronischer und damit »außer Kontrolle« geratener Schmerz hervorrufen kann.
Inzwischen weiß man durch die neueren Erkenntnisse aus der Hirnforschung, dass psychische Traumata und körperliche Schmerzen auch auf neurobiologischer Ebene viele Gemeinsamkeiten besitzen. Durch funktionell-hirnbildgebende Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass das menschliche Gehirn den durch Ausgrenzung und Demütigung hervorgerufenen seelischen Schmerz genauso wahrnimmt wie absichtlich zugefügten körperlichen Schmerz (Eisenberger 2012). Körperliche und seelische Schmerzen werden z. T. in den gleichen Regionen des Gehirns verarbeitet. Körperlicher Schmerz besitzt neben der rein sensorischen Erfahrung des Schmerzes in der Regel auch eine ausgeprägte emotionale Dimension, die bestimmt, wie schlimm oder quälend das Gehirn den Schmerz wahrnimmt. Diese emotionale Ebene ist die gleiche wie die beim sozialen Schmerz. Andererseits konnten manche Untersuchungen zeigen, dass sehr schwerwiegende bedrohliche Erlebnisse auch in solchen Teilen des Gehirns prozessiert werden, welche für die sensorische Komponente des Schmerzes zuständig sind.
Mittlerweile ist ebenfalls belegt, dass traumatische Erlebnisse einen direkten und nachhaltigen Einfluss auf das Schmerzempfinden von Betroffenen haben können, unabhängig davon, ob eine klassische Traumafolgestörung vorliegt oder nicht. So konnte in psychophysiologischen Untersuchungen an chronischen Rückenschmerzpatienten nachgewiesen werden, dass Rückenschmerzpatienten mit traumatischen Erlebnissen in der Vorgeschichte sensibler für Druckschmerzreize sind und eine generalisierte Hyperalgesie1 für tiefe Schmerzqualitäten (z. B. Muskeln, Faszien) aufweisen, während Rückenschmerzpatienten ohne traumatische Erlebnisse nur eine lokalisierte, auf das schmerzhafte Areal des Rückens begrenzte Veränderung zeigen. Die Schwere des Traumas korrelierte dabei mit der Ausprägung der Hyperalgesie. Außerdem konnte bei den Rückenschmerzpatienten mit traumatischen Erlebnissen eine gesteigerte Schmerzausdehnung und eine vermehrte Ängstlichkeit nachgewiesen werden (Tesarz et al. 2015). Interessanterweise gelang es, bei diesen Patienten durch eine therapeutische Bearbeitung der traumatischen Erlebnisse mittels EMDR die nachgewiesenen pathologischen Veränderungen spezifisch zu modulieren. Inzwischen wurde jedoch auch gezeigt, dass EMDR einen direkten Einfluss auf die Schmerzwahrnehmung von Patienten hat, unabhängig davon, ob von einem traumatischen Ereignis berichtet wird oder nicht.
Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass es nur wenige Jahre brauchte von der erstmaligen Beschreibung des entlastenden Effekts durch Augenbewegungen durch Francine Shapiro im Jahre 1987 mit der sich daran anschließenden Entwicklung der heutigen »Eye-Movement-Desensitization-Reprocessing«-Methode (schriftlich festgehalten in Shapiro 1989) bis zur erstmaligen Anwendung von EMDR in der Behandlung von chronischen Schmerzen Anfang der 1990er Jahre. Bereits wenige Jahre, nachdem Francine Shapiro unter Einbeziehung einer strukturierenden kognitiven Komponente die heutige Form von Eye Movement Desensitization and Reprocessing ausgearbeitet und veröffentlicht hatte, berichtete das amerikanische Therapeutenehepaar Ray und Carol Blanford (1991) erstmals öffentlich über den erfolgreichen Einsatz von EMDR in der Behandlung von Patienten mit chronischen Schmerzen. Im Jahr darauf veröffentlichte der amerikanische Psychiater David McCann (1992) eine eindrucksvolle Fallstudie über die erfolgreiche Heilung einer schweren Schmerzsymptomatik bei einem Patienten mit ausgeprägten Verbrennungen schon nach einer einmaligen EMDR-Sitzung. Und Bruce Eimer, einem Schmerztherapeuten mit bereits langjähriger Erfahrung in der Behandlung chronischer Schmerzen, der sich ergänzend in EMDR weitergebildet hatte, ist es schließlich zu verdanken, dass Mitte der 1990er Jahre erstmals ein eigenes Schmerzprotokoll veröffentlicht wurde (Eimer 1993 a). Dieses erste Chronic Pain Protocol, welches u. a. auf Arbeiten zu spezifischen Copingtechniken aus den 1960er Jahren aufbaute (Cheek & LeCron 1968) und sich im Wesentlichen am klassischen EMDR-Protokoll nach F. Shapiro orientierte (1989), integrierte nun zum ersten Mal schmerzrelevante Aspekte in den klassischen EMDR-Ablauf – damals ein Novum in der EMDR-Szene. Während die erste Version zunächst noch 13 Schritte enthielt, wurden in der überarbeiteten Version kurze Zeit später bereits schon mehr als 20 Schritte spezifiziert (Eimer 1993 b). Die besondere Leistung von Bruce Eimer liegt auch darin, dass er erstmals den Schmerz selbst fokussierte. Zudem führte er erstmals die sogenannte »Antidot-Imagination«, auf welche im praktischen Teil noch näher eingegangen werden wird, als eine schmerzspezifische Imaginationstechnik in die EMDR-basierte Schmerztherapie ein. Die Antidot-Imagination ist eine spezielle Imaginationstechnik, welche später insbesondere durch die Arbeiten von Mark Grant, einem klinischen Psychologen und erfahrenen EMDR-Therapeuten aus Australien, einen festen Stellenwert in der EMDR-Therapie bekommen hat.
Im Rahmen dieser ersten Erfahrungen mit EMDR in der Behandlung chronischer Schmerzsyndrome zeigte sich, dass selbst schwerste Schmerzsyndrome, welche bereits seit vielen Jahren persistierten und sich trotz intensiver Behandlungsversuche resistent gegen alle bisherigen Therapieversuche gezeigt hatten, nach nur wenigen EMDR-Sitzungen deutlich gelindert oder sogar vollständig geheilt werden konnten.
Diese ersten Anwendungen von EMDR in der Schmerztherapie konzentrierten sich meist noch auf »posttraumatische« Schmerzsyndrome, d. h. auf chronische Schmerzsyndrome nach traumatischen Unfällen, welche sowohl zu einer körperlichen als auch seelischen Verletzung geführt hatten. So wurde – und wird natürlich auch heute noch – EMDR sehr erfolgreich bei der Behandlung von Patienten mit Phantomschmerzen (PLP: phantom limb pain) eingesetzt, bei Patienten also, die ein chronisches Schmerzsyndrom entwickelten, nachdem sie ein Körperglied als Folge eines traumatischen Ereignisses (z. B. einem schweren Motorradunfall) verloren hatten. Es ist gerade diesen damaligen und z. T. sehr eindrucksvollen Erfolgen zu verdanken, dass die EMDR-Therapeuten zunehmend mutiger wurden und das Einsatzgebiet von EMDR immer mehr ausweiteten. Denn diese überwiegend positiven, z. T. enthusiastischen Berichte führten schließlich dazu, dass sich der Fokus weg vom initial »traumatischen Schmerzauslöser« über schmerzassoziierte belastende Erinnerungen und mögliche Trigger hin zum Schmerz selbst als einem traumatischen Erlebnis bewegte. Vor diesem Hintergrund entstanden nach und nach verschiedene spezifische Schmerzprotokolle, welche zunehmend den Schmerz selbst in den Fokus des Desensibilisierungs- und Reprozessierungsprozesses stellten und die Bedeutung des Traumas zunehmend in den Hintergrund rücken ließen.
Es ist vor allem den Arbeiten des bereits genannten Psychologen...