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Selbständigkeit und Hilfebedarf bei älteren Menschen in Privathaushalten

Pflegearrangements, Demenz, Versorgungsangebote

AutorHans-Werner Wahl, Ulrich Schneekloth
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783170266384
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis25,99 EUR
Die Verbesserung der Möglichkeiten einer häuslichen Betreuung Hilfe- und Pflegebedürftiger stellt eine der Herausforderungen im demographischen Wandel dar. Dieses Buch stützt sich auf ein repräsentativ angelegtes Forschungsprojekt und benennt die wichtigsten Trends in der ambulanten Versorgung. Einen Schwerpunkt bildet die Situation von Demenzkranken. Großer Wert wird auf die Bestimmung neuer Potentiale gelegt, mit denen der Vorrang der häuslichen Pflege auch in Zukunft aufrechterhalten werden kann.

Ulrich Schneekloth ist Forschungsdirektor bei TNS Infratest Sozialforschung und dort Leiter des Bereichs ''Familie und Generationen''. Prof. Dr. Hans-Werner Wahl ist Leiter der Abteilung für Psychologische Alternsforschung, Psychologisches Institut der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg.

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Leseprobe

Teil 1: Einführung


1 Hintergrund und Positionierung des Projekts MuG III


Hans-Werner Wahl und Ulrich Schneekloth

1.1 Einleitung und Überblick


Belastbare wissenschaftliche Daten zum Ausmaß und zur Situation von Hilfe- und Pflegebedürftigkeit sind eine der wesentlichen Grundlagen für eine evidenzbasierte Sozialpolitik im Dienste älterer Menschen und ihrer Familien. Zwar gab es diesbezüglich bereits in den 1970er und 1980er Jahren Untersuchungen bei älteren Menschen in Privathaushalten mit dem Anspruch von Repräsentativität, jedoch ist dieser Anspruch entweder in nachfolgenden Diskussionen massiv in Frage gestellt worden (so bei der 1980 publizierten sog. Socialdata-Studie mit ihrer Datenerhebung 1978; kritisch dazu z.B. Lehr, 1985) oder die Datenbasis war auf Grund der relativ geringen Anzahl an Älteren bzw. Hochaltrigen begrenzt (so bei Auswertungen auf der Basis des Sozio-ökonomischen Panel; Thiede, 1988). Erst relativ spät, nämlich im Jahre 1991, sind in Deutschland zum ersten Mal Repräsentativdaten zu Hilfe- und Pflegebedürftigkeit in Privathaushalten für das gesamte Bundesgebiet (also für Ost- und Westdeutschland nach der Wiedervereinigung) erhoben und vertiefende Untersuchungen zu den Bedingungen und Konsequenzen von Hilfe- und Pflegebedürftigkeit unternommen worden (Schneekloth & Potthoff, 1993; Themenheft der Zeitschrift für Gerontopsychologie und -psychiatrie, Dezember 1995; integrierte Darstellung der Befunde in Wahl & Wetzler, 1998). Diese Studien haben – im Sinne einer Abkürzung des Titels »Möglichkeiten und Grenzen selbständiger Lebensführung« – zwischenzeitlich als »MuG«-Studien in die sozialpolitische wie wissenschaftliche Diskussion in Deutschland Eingang gefunden. 1994 sind dann zum ersten Mal in Deutschland auch Repräsentativdaten zum Ausmaß und zur Situation von Hilfe- und Pflegebedürftigen in Heimen erhoben worden (MuG II; Schneekloth & Müller, 1997; integrierte Darstellung der Befunde in Häußler-Sczepan, 1998).

Im Jahre 2002 (Stichtag Ende 2002) sind im Rahmen des Folgeprojekts MuG III eine neue Repräsentativerhebung sowie vertiefende Zusatzstudien zur Situation von Hilfe- und Pflegebedürftigen in Privathaushalten durchgeführt worden. Eine solche neue Serie von Studien ist aus einer ganzen Reihe von Gründen notwendig gewesen: Zum Ersten galt es, die Repräsentativdaten aus dem Jahre 1991 auf der Grundlage einer vergleichbaren Erhebungsmethodologie zu aktualisieren, denn zwischenzeitlich ist die demografische Dynamik unserer Gesellschaft, insbesondere der Anstieg des Anteils der Älteren in der Bevölkerung und der Anstieg der Hochaltrigen, weiter vorangeschritten. Zum Zweiten war auf Grund von entsprechenden Befunden aus Deutschland sowie aus dem internationalen Raum zu fragen, ob es seit 1991 zu spürbaren Verbesserungen im Gesundheitszustand der Altenbevölkerung gekommen ist, die dann auch auf die Alltagsselbständigkeit durchschlagen könnte. Solche Verbesserungen besitzen, ebenso wie die grundlegenden demografischen Veränderungen generell, erhebliche Auswirkungen auf die Abschätzung von zukünftigen Entwicklungen hinsichtlich des Hilfe- und Pflegebedarfes und der damit verbundenen Kosten. Zum Dritten waren zwischenzeitlich neue Versorgungsherausforderungen sichtbar geworden, die zwar auch schon 1991 bestanden, aber erst in den letzten Jahren in ihrer vollen Tragweite erkannt worden sind. Gemeint ist hier insbesondere die Situation von an Demenz erkrankten Menschen und jene von Alleinlebenden (gesprochen wurde auch von der »Singularisierung« des Alters und von Hilfe- und Pflegebedürftigkeit; z.B. Tews, 1993). Zum Vierten wurde immer wieder argumentiert, es gäbe substantielle Anzeichen einer »neuen Kultur des Helfens«, die sich etwa darin ausdrücken könnte, dass sich zunehmend auch nicht-familiäre bzw. ehrenamtlich tätige Personen im Rahmen bestehender Hilfe- und Pflegearrangements engagieren. Eine solche »neue Kultur des Helfens und der mitmenschlichen Zuwendung« ist tatsächlich auch bereits im Pflegeversicherungs-Gesetz (Pflege VG; Soziale Pflegeversicherung; SBG XI, § 8, Absatz 2) aus dem Jahre 1994 angesprochen. Wissen über die Bedingungen und Möglichkeiten von solch »neuen«, das familiäre System entlastenden Hilfe- und Unterstützungsleistungen sind bedeutsam, um diese systematisch weiterzuentwickeln und dauerhaft fördern zu können. Schließlich ist fünftens daran zu erinnern, und dies schließt nahtlos an den zuvor genannten Aspekt an, dass im Jahre 1994 die Pflegeversicherung in Privathaushalten und dann 1996 auch in stationären Einrichtungen in Kraft getreten ist. Es war zu erwarten, dass die flächendeckende Einführung einer versicherungsrechtlichen Leistung im Hinblick auf den Umgang und die Gestaltung des Pflegebedürftigkeitsrisikos sowie die Pflegequalität neuartige Auswirkungen im Vergleich zur Situation im Jahre 1991 aufweisen sollte.

In diesem ersten Kapitel wird in die für das Projekt MuG III zentrale Thematik Hilfe- und Pflegebedürftigkeit eingeführt. Dabei soll Hilfe- und Pflegebedürftigkeit im Alter ganz bewusst vor dem Hintergrund einer umfassenderen Alternsperspektive betrachtet und verortet werden. Insbesondere geht es uns darum zu zeigen, dass die individuell wie gesellschaftlich wichtige Diskussion zu Potenzialen eines (neuen) Alterns auch bedeutsame Implikationen im Hinblick auf den individuellen wie gesellschaftlichen Umgang mit Hilfe- und Pflegebedürftigkeit besitzt. Dies soll anhand eines Überblicks zu aktuellen Konzeptionen von Hilfe- und Pflegebedürftigkeit sowie des gegenwärtigen Stands der Forschung zu Hilfe- und Pflegebedürftigkeit geschehen. Erst auf diese Weise werden die Ausgangs- und Ansatzpunkte sowie die Bedeutung der Befunde von MuG III deutlich.

Die Befunde des Projektes sind vielfältig. Sie sind es auch deshalb, weil sie auf der Grundlage von unterschiedlichen methodischen Zugängen gewonnen worden sind. Repräsentativdaten wurden kombiniert mit vertiefenden Studien zur Situation von Demenzkranken in Privathaushalten sowie mit qualitativen Analysen von häuslichen Hilfe- und Pflegearrangements. Zusätzlich wurde – auf der Meso- und Makroebene – die Bedeutung regionaler Versorgungsstrukturen anhand ausgewählter Zielgebiete untersucht, und es wurden Fragestellungen zur Wirkung der eingesetzten Hilfe- und Pflegeangebote bearbeitet. In dem vorliegenden Bericht geht es insbesondere darum, diese unterschiedlichen Befundlagen aus MuG III miteinander zu verschränken und sie in einer synergetischen Weise dahingehend zu untersuchen, inwieweit sie in komplementärer Weise auf Grundfragen der Versorgung von Hilfe- und Pflegebedürftigen, die sich heute und wohl auch morgen stellen, Antworten geben können (deshalb ist auch von einem »integrativen Bericht« die Rede).

Wenn im Folgenden der Begriff der Pflegebedürftigkeit benutzt wird, dann ist in der Regel die Konzeption des PflegeVG gemeint. Pflegebedürftigkeit liegt nach § 14 dem PflegeVG (Zweites Kapitel, Leistungsberechtigter Personenkreis) bei Personen vor, »die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße (§ 15) der Hilfe bedürfen«. In § 15 werden sodann bekanntlich drei Pflegestufen eingeführt, welche mit unterschiedlich hohen Geld- und/oder Sachleistungen verbunden sind (je höher desto mehr; darauf wird an dieser Stelle nicht näher eingegangen). Diese seien nachfolgend im Wortlaut zitiert:

  1. Pflegebedürftige der Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen.
  2. Pflegebedürftige der Pflegestufe II (Schwerpflegebedürftige) sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Tageszeiten der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen.
  3. Pflegebedürftige der Pflegestufe III (Schwerstpflegebedürftige) sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität täglich rund um die Uhr, auch nachts, der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen.

In der Studie MuG III, speziell in ihrem Repräsentativteil, erfolgte die Einstufung als pflegebedürftig sowie die Zuordnung zu den drei Pflegestufen auf der Grundlage einer Selbst- und Fremdeinschätzung von insgesamt 24 Aktivitäten (ADL) bzw. instrumentellen Aktivitäten des täglichen Lebens (IADL; vgl. dazu im Detail weiter unten, Kapitel 2). Bei ADL handelt es sich um grundlegende Aktivitäten des täglichen Lebens wie Anziehen und Waschen, während bei IADL komplexere Aktivitäten des täglichen Lebens wie Mahlzeitenzubereitung oder die Erledigung von Bankangelegenheiten angesprochen sind. Erhoben wurde jeweils, ob die betreffende Aktivität alleine unmöglich oder, sofern bei einer Aktivität Schwierigkeiten bei der Ausführung angegeben wurden, hierfür regelmäßig fremde Hilfe in Anspruch genommen wurde. Diese Vorgehensweise erlaubt auch einen Vergleich mit den 1991 im Rahmen von MuG I erhobenen Daten. Wichtig ist, dass in MuG III (wie auch in MuG I) neben der Legaldefinition...

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