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Simulation und Visualisierung der Dynamik räumlicher Prozesse

Wechselwirkungen zwischen baulichen Strukturen und sozialräumlicher Organisation städtischer Gesellschaften

AutorReinhard König
VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl239 Seiten
ISBN9783531922706
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis36,99 EUR
Seit längerem und mit wachsendem Nachdruck wird für die Raumplanung ein Übergang vom Denken in Zuständen zu einem Denken in Prozessen gefordert. Die Eigendynamik der Gesellschaftsprozesse und das Phänomen der allgemeinen Beschleunigung lassen es immer abwegiger erscheinen, dass die räumliche P- nung an der Gewohnheit festhält, ihren Gegenstand durch die einfache Geg- überstellung eines momentanen Ist-Zustandes und eines künftigen Soll- Zustandes zu repräsentieren. Der räumliche und der zeitliche Bezug sind für die Raumplanung von gleich wesentlicher Bedeutung. Es kann nicht dabei bleiben, dass der grundsätzlich prozessuale Charakter des Gebildes 'Stadt' und dessen grundsätzlich dynamische Natur vernachlässigt werden. Allerdings erweist sich der Übergang vom Denken in Zuständen zum D- ken in Prozessen nun eben auch schwieriger als erwartet. Die Einbeziehung der zeitlichen Dimension multipliziert die Zustände, die es zu betrachten gilt, Sie bringt es mit sich, dass die Komplexität der Beschreibung förmlich explodiert. Diese Zunahme der Komplexität ist kontraproduktiv, denn wir können die Wi- lichkeit nur im Rahmen unserer kognitiven Möglichkeiten fassen. Wir können nur planen, wenn wir die überkomplexe Wirklichkeit durch Modelle beschr- ben, die wir intellektuell durchschauen. Deshalb gilt der Grundsatz, dass wir entweder einfache oder gar keine brauchbaren Modelle haben.

Dr. Reinhard König ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Informatik in der Architektur an der Bauhaus-Universität Weimar.

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Leseprobe
6 Wachstumsmodell urbaner Strukturen (S. 175-176)

“Perhaps one day people will interpret the question ‚Can you explain it?’ as asking ‚Can you grow it?’”.
(J. M. Epstein und R. Axtell 1996: 20)

Für die Beschreibung der Entwicklung von Siedlungsflächen existieren bereits gut ausgearbeitete Modelle (vgl. 6.1). Allerdings wurde den Wechselwirkungen zwischen Siedlungsausbreitung und Erschließungssystem sowie der Integration feingliedriger innerstädtischer Strukturen bisher wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Im Folgenden stellen wir eine Methode vor, die auf einem Dielectric Breakdown Modell in Verbindung mit einem Zellulären Automaten beruht und zur Generierung detaillierter städtischer Strukturen herangezogen werden kann. Durch die Verwendung eines Potentialfelds (2.7.1), welches die Besiedlungsdichte in der Nachbarschaft angibt, kann die Standortwahl unter Berücksichtigung individueller Zentralitätspräferenzen simuliert werden (Abbildung 84).

Nach der Darstellung des Stands der Forschung (6.1) und der Stadtentwicklungstheorie (6.2) steht eine Auseinandersetzung mit der wechselseitigen Abhängigkeit vom Wegesystem und Flächenentwicklung (6.4). Die Verwendung des Modells zur Generierung eines Erschließungsgraphen (3.4.1) erlaubt die präzise Steuerung der Vernetzung des Erschließungssystems, dessen Erweiterung von der Siedlungsstruktur abhängt.

Ausgehend von den generierten Siedlungsflächen wird eine weitere Differenzierung vorgenommen, welche mittels der spezifischen Regeln eines Zellulären Automaten die kleinmaßstäbliche Bebauungsstruktur definiert (6.5). Auf Grundlage der theoretischen Modelle finden sich in Abschnitt 6.6 Beispiele für generierte Strukturen, die in Abschnitt 6.7 anhand verschiedener Kennwerte analysiert und miteinander verglichen werden. Abschließend wird reflektiert, welche theoretischen Einsichten zur Dynamik von Stadtentwicklungsprozessen durch das Modell gefördert werden können (6.8).

Die meisten Modelle, welche sich mit urbanen Strukturen befassen, gehen auf Theorien der Wirtschaftsgeographie zurück (M. Fujita und J.-F. Thiesse 2002) und beruhen auf einem Maßstab, der nicht bis zum gebauten architektonischen Raum herabreicht. Die Stadtökonomie, welche die stadtgeographische Theoriebildung in weiten Teilen dominiert, betrachtet die Stadt aus wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive. Aus wirtschaftsgeographischer Sicht werden Siedlungsstrukturen auf der regionalen Ebene als Resultat komplexer Interaktionen individueller, ökonomischer und ökologischer Faktoren erklärt.

Bisher publizierte generative Modelle suchen also in erster Linie nach Erklärungen für Prozesse auf gesamtstädtischer oder regionaler Ebene und behandeln daher Entwicklungsprozesse auf einem relativ hoch aggregierten Maßstab (M. Batty und Y. Xie 1994, L. Benguigui 1995, F. Schweitzer und J. Steinbrink 2002, R. White und G. Engelen 1993).
Inhaltsverzeichnis
Geleitwort6
Danksagung8
Inhalt9
Abbildungen13
Tabellen16
1 Einleitung17
1.1 Fragestellungen19
1.2 Aufbau der Arbeit20
2 Theorien und Methoden22
2.1 Die Stadt als komplexes System22
2.2 Die Anfänge urbaner Modellierung26
2.3 Lees Kritik umfassender urbaner Modelle27
2.4 Dokumentation und mathematische Modellierung29
2.5 Grundstruktur der Simulationsmodelle30
2.5.1 Multi-Agenten-Systeme (MAS)33
2.5.2 Zelluläre Automaten (ZA)34
2.6 Graphen und Netzwerke37
2.7 Relevante Algorithmen38
2.7.1 Diffusion39
2.7.2 Hill-Climbing39
2.7.3 Roulette-Wheel40
2.7.4 Random-Walk41
2.7.5 Doppelt verkettete Liste41
2.7.6 A-Stern-Algorithmus42
2.7.7 Genetischer Algorithmus43
2.8 Messverfahren45
2.8.1 Konnektivität46
2.8.2 Fraktale Dimension46
2.8.3 Rang-Größen-Regel47
2.8.4 Dissimilaritätsund Segregationsindex48
2.9 Statistische Kennwerte49
3 Wege, Graphen und Verkehr51
3.1 Gravitationsmodell52
3.2 Agentenbasiertes Interaktionsmodell53
3.3 Generatives Erschließungssystem56
3.3.1 Selbstorganisation bei Wegesystemen58
3.3.2 Quellen und Ziele der Bewegungen60
3.3.3 Optimale Wegesysteme62
3.4 Erschließungsgraph und Verkehrsmodell64
3.4.1 Generieren eines Erschließungsgraphen65
3.4.2 Wegenutzung und das Finden kürzester Pfade68
3.4.3 Verkehrsaufkommen69
3.4.4 Erweiterter Erschließungsgraph72
3.5 Zusammenfassung und Ausblick75
4 Bodenmarkt und Standortwahl77
4.1 Grundlegende Modelle79
4.1.1 Zentralität und zentrale Orte79
4.1.2 Die Thünenschen Ringe81
4.1.3 Verhandlungsmodell für die Landnutzung nach v. Thünen82
4.1.4 Alonsos Modell der Standortwahl für Betriebe85
4.1.5 Skalenerträge87
4.2 Selbstorganisation bei der Standortwahl90
4.2.1 Separation durch Standortpräferenzen90
4.2.2 Dynamische Entwicklung verschiedener Flächennutzungen92
4.3 Umwelteinflüsse auf den Bodenmarkt99
4.4 Zusammenfassung, Diskussion und Ausblick100
5 Residentielle Segregation102
5.1 Kulturanthropologischer Hintergrund103
5.2 Grundlegendes Modell105
5.2.1 Segregation durch Standortwahl107
5.2.2 Segregation durch Eigenschaftsanpassung108
5.3 Sensitivitätsanalyse110
5.3.1 Der Toleranzschwellenwert111
5.3.2 Die Nachbarschaftsgröße k112
5.3.3 Die Dichte – Anzahl Agenten NA113
5.4 Phasenübergänge116
5.5 Mietpreisdynamik120
5.6 Konkurrenz um zentrale Orte127
5.7 Interaktionsmodell Standortwahl und Skalenerträge129
5.8 Wirkung von Straßen auf die Segregation130
5.9 Modell Circle City135
5.9.1 Nachbarschaftsdefinition über Erschließung136
5.9.2 Modellbeschreibung137
5.9.3 Kritische Bereiche141
5.10 Effekte verschiedener baulicher Strukturen145
5.10.1 Anzahl der Straßen Ns146
5.10.2 Anzahl Häuser pro Straße Nh150
5.10.3 Anzahl der Wohnungen pro Haus Nf152
5.10.4 Gewichtung der Straßen &s155
5.10.5 Gewichtung der Häuser &h161
5.10.6 Analyse der Verknüpftheit des Wegenetzes166
5.11 Diskussion166
5.12 Zusammenfassung169
6 Wachstumsmodell urbaner Strukturen170
6.1 Stand der Forschung172
6.2 Stadtentwicklungstheorie175
6.3 Bausteine der Simulation177
6.4 Flächenentwicklung177
6.4.1 Cluster-Modell179
6.4.2 Vernetzer-Modell180
6.4.3 Zufallswert 0182
6.4.4 Zentripetale und zentrifugale Kräfte182
6.5 Bebauungsstruktur184
6.6 Beispiele187
6.6.1 Cluster-Typ187
6.6.2 Vernetzer-Typ190
6.6.3 Bebauungsstrukturen192
6.7 Analysen194
6.7.1 Analyse der Flächenentwicklung197
6.7.2 Analyse der Bebauungsstruktur199
6.8 Diskussion202
6.9 Zusammenfassung205
7 Bewertung und Ausblick207
7.1 Zusammenfassung207
7.2 Validierung der Modelle & Grenzen der Methode215
7.3 Datenverfügbarkeit217
7.4 Fachlicher Nutzen & mögliche Anwendungen219
Formale Konventionen222
Literatur224

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