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E-Book

Tanzen ist die beste Medizin

Warum es uns gesünder, klüger und glücklicher macht

AutorDong-Seon Chang, Julia F. Christensen
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783644403499
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Let's dance! Gesundheit und Tanzen sind zwei Seiten derselben Medaille: Zu tanzen lindert nachweislich die Symptome von Parkinson und Depression; es schult den Gleichgewichtssinn, die Koordination, hilft gegen Demenz besser als jedes Gehirnjogging, kurz, es macht uns zu einfühlsameren, geduldigeren, glücklicheren und anziehenderen Menschen. Tanzen kann sogar Beziehungen retten, denn: Liebe geht durch die Beine. Die Autoren verraten, warum wir überhaupt tanzen, dass Tanz Ausdruck von Gefühlen sein kann, warum er als gesellschaftlicher Kitt dient, als Symbol für Schönheit und Verführung gilt und zur Heilung von Körper, Geist und Seele beiträgt.

Dr. Julia F. Christensen studierte Psychologie und Neurowissenschaften in Spanien, Frankreich und England und promovierte an der Universität der Balearischen Inseln. Über ihre Forschung zum Thema Tanz und Gehirn wurde mehrfach berichtet, u.a. in der Washington Post und New York Times. Sie ist Gewinnerin mehrerer Stipendien und Preise. Inzwischen lebt sie in Frankfurt am Main und forscht am Max-Planck-Institut für Empirische Ästhetik. Sie ist begeisterte Tangotänzerin. Mehr über die Autorin unter www.juliafchristensen.de

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Leseprobe

Erfolgsgeschichte Tanz


Im Mai des Jahres 1927 flog der amerikanische Pilot Charles Lindbergh allein und nonstop von New York über den Atlantik und landete sicher in Paris. Während Lindbergh mit seiner einmotorigen Spirit of St. Louis durch die Wolken über dem stürmischen Meer tanzte, wurde in den Clubs von Harlem ebenfalls getanzt, und zwar nicht weniger stürmisch! Tanzstile wie Charleston, Jazz und Breakaway waren die damaligen Favoriten. Gleichzeitig eroberte ein neuer Tanzstil gerade das Parkett. Es war eine Mischung aus allem. Die neue Schrittfolge kam durch Zufall zustande: Mattie Purnell and George Snowden tanzten eigentlich gerade den Breakaway, einen Swing-Tanzstil, der ursprünglich aus der afro-amerikanischen Community stammte. Die beiden ließen sich von der Musik tragen, und der neue Schritt kam wie aus dem Nichts! Und nochmals, und immer wieder. Als hätte der Rhythmus die Kontrolle über ihre Beine übernommen. Die anderen Tänzer auf der Tanzfläche bildeten neugierig einen Kreis um die beiden. Sie konnten ihre Augen nicht von ihnen lassen und jubelten ihnen zu. Als man am frühen Morgen den verschwitzten Snowden schließlich fragen konnte, wie dieser neue Tanz denn heiße, fiel sein Blick auf eine Zeitung, die von Lindberghs Transatlantikflug berichtete. Der Titel lautete «Lindy hops the Atlantic», und Snowden antwortete nonchalant und mit einem breiten Lächeln: «Lindy Hop.» Lindberghs Tanz in den Wolken wurde zum Tanz auf dem Parkett. Ein neuer Held und ein neuer Tanzstil waren geboren: Lindbergh und der Lindy Hop. (Es gibt verschiedene Versionen, wie genau der Lindy Hop entstanden ist. Auf jeden Fall spielten Mattie Purnell, George Snowden, Frankie Manning und Norma Miller eine zentrale Rolle darin.)

Das Tolle an diesem neuen Tanz war, dass man ihn sowohl allein wie auch als Paar tanzen konnte. Allein mit den Elementen und sich selber – das ist ein starkes Erlebnis. Und für viele ist das Überqueren der Tanzfläche eine genauso nervenaufreibende Angelegenheit, wie es wohl für Lindbergh die Überquerung des Atlantiks war. Tanzen ist ein aufregendes Gefühl. Es ist fast immer Neuland, je nach Partner, Tanzsaal und der Musik, die gerade läuft. Tanzen kann ein Ritual sein, Sport, Kunst, Beruf, Leidenschaft oder Therapie, doch vor allem ist Tanzen eines: ein Gefühlsausdruck. Ob Kinder zum Katzentanzlied oder die Oma zu Volksliedern im Seniorenheim, der langhaarige Metaler auf Wacken oder die Ballerina im rosa Tutu: Alle tun es – sie tanzen!

Zu tanzen ist tief in uns Menschen verwurzelt: Sobald ein vertrauter Rhythmus erklingt, wollen wir uns bewegen, und sei es nur mit Kopfnicken. Als Neurowissenschaftler wollen wir sogar so weit gehen und behaupten: Unser Gehirn will tanzen. Tanzen ist fest in unserem Gehirn verankert! Der Tanz ist wahrscheinlich so alt wie die Menschheit selbst. Ein kurzer Blick in die Vergangenheit verdeutlicht, wie wichtig das Tanzen in der menschlichen Entwicklung sein muss, denn evolutionär betrachtet scheint diese rhythmische Bewegung auf den ersten Blick ziemlich sinnlos. Die Menschen lebten in einer harten Welt voller Entbehrungen und Bedrohungen. Es kostete viel Zeit und Energie, ausreichend Nahrung herbeizuschaffen und die Feinde, ob Mensch oder Tier, im Griff zu behalten. Langeweile wird in diesen Zeiten jedenfalls nicht aufgekommen sein, und wenn es dunkel wurde, war man wahrscheinlich rechtschaffen müde. Das wirft unweigerlich die Frage auf, warum unsere Vorfahren harterworbene Energiereserven beim Tanzen «verschwendeten». Denn: Auch sie tanzten.

Der Urmensch tanzte in Trauer, vor Freude, für den Regen, um die Götter milde zu stimmen oder den Zorn gegen die Feinde noch anzufachen. Wie wichtig das Tanzen schon für unsere Vorfahren war, kann man an ihren Felsmalereien erkennen – Steinzeitgraffiti, wenn man so will. Es gibt vier Themen, die sich in prähistorischen Felsmalereien wiederholen: Tier- und Jagdszenen, Familie und Besitz, Sex – und Tanz. Das macht den Stellenwert klar: Tanzen muss sehr, sehr wichtig gewesen sein. Und wahrscheinlich ist Tanzen noch viel älter und wurde lange vor den ersten menschlichen Aufzeichnungen praktiziert. Der Musikkognitionsforscher Gunter Kreutz von der Universität Oldenburg bezeichnet Tanzen in einem Spiegel-Interview als ein «Nebenprodukt des aufrechten Gangs», das uns sehr geholfen habe, die kognitiven Fähigkeiten zu verbessern: «Vielleicht hat sich die Menschheit nur durch den Tanz so weit entwickelt.»

Wenn wir unsere Evolutionsgeschichte betrachten, so spricht vieles dafür, dass es nur die Menschen waren, die irgendwann zu musizieren begannen. Unsere Vorfahren lagen natürlich nicht entspannt in der Höhle, um über Kopfhörer dem Requiem von Mozart zu lauschen, sondern für sie war Musik gleichzeitig auch immer aktiv. Sie war Bewegung und die Auseinandersetzung damit, was ihnen durch den Kopf ging und am Herzen lag. Schon seit Urzeiten nutzen also die Menschen die Bewegung zu einem Rhythmus oder zur Musik als körperlichen Ausdruck für die Dinge, die ihr Leben und ihren Alltag bestimmen.

Es sind uns leider keine Choreographien aus den Anfängen der Menschheit übermittelt, denn Tanz fossilisiert ja nicht und bleibt erhalten wie Musikinstrumente und andere Kulturartefakte, die wir heute in kulturhistorischen Museen bewundern können. Tanz vergeht im selben Moment, in dem er getanzt wird – er bleibt nur im Gedächtnis der Tänzer und der Zuschauer. Zum Teil findet man noch heute bei Naturvölkern rituelle Tänze, die uns erahnen lassen, welchen Stellenwert das Tanzen für unsere Vorfahren hatte.

Der Kultur- und Kunsthistoriker Aby Warburg beschrieb die Schlangentänze der Pueblo-Indianer Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Männer des Stammes wollten mit diesen Tänzen dem Regen auf die Sprünge helfen. Sie nahmen giftige Schlangen in den Mund, bissen zu und hielten die lebendigen Reptilen zwischen den Zähnen, während sie tanzten. Die Logik dahinter: Die Erde braucht Wasser. Da die Schlange mit der Erde – und damit mit den Naturkräften – verbunden ist, kann sie besser mit den Wolken kommunizieren als der Mensch. Darum nahmen sie die Schlange in den Mund, damit sie die Botschaft des Menschen an die Wolken übermitteln kann: Wir brauchen Regen.

Wir wissen natürlich heute, dass diese Tänze keinen Einfluss auf den Regen hatten. Doch Menschen, die keine naturwissenschaftliche Erklärung für die Phänomene ihres Alltags hatten, wussten nicht, warum es manchmal regnet und manchmal nicht. Warum es Jahreszeiten gibt. Kommt der Sommer wieder? Und wenn nicht? Kommt nach der Nacht immer der Morgen? Und warum gibt es manchmal so schrecklich laute Gewitter? Sind es Botschaften der Götter, die erzürnt sind?

Für die Urvölker lag im Tanz eine Möglichkeit, die Mystik ihres unerklärbaren Alltags zu bezwingen. Sie hatten nur wenig oder gar keine Kenntnisse von den Naturgesetzen und waren diesen oft schutzlos ausgeliefert. Führt man sich diese Unsicherheiten vor Augen, ist es wohl nicht verwunderlich, dass unsere Vorfahren Strategien entwickelten, um wenigstens das Gefühl zu haben, sie könnten aktiv etwas für das Fortbestehen ihrer Sippe tun. Viele Völker entwickelten unabhängig voneinander Tänze, um ihre Götter zu ehren und zu besänftigen, sich auf die Jagd oder den Kampf einzustellen und sich mit dem Wetter und der Ernte auseinanderzusetzen. Tanz war für sie ein wichtiges Ritual.

Dass tanzende Körper damals wie heute eine große Faszination ausüben, belegen prähistorische Felsmalereien, Julias unzählige Treffer bei Google zum Suchbegriff «Tanz» und die hohen Einschaltquoten bei Fernsehformaten wie «Let’s dance». Menschen bewegen sich rhythmisch zur Musik. Von klein auf und bis ins hohe Alter, egal, welcher Herkunft, überall auf der Welt, denn Tanz ist eine Bewegung wie keine andere. Tanzen kann ein einfaches Wippen sein oder eine hochkomplexe Kunstform wie das klassische Ballett.

Tanz ist einzigartig, weil die Tanzbewegungen einen ganz anderen Grund und Effekt haben als jegliche andere Bewegung. Die meisten Bewegungen sind zielgerichtet. Im Alltag bewegen wir uns, um von A nach B zu kommen, um Arbeit zu verrichten oder in der Welt eine Form von Eindruck zu hinterlassen und zu kommunizieren. Wir nicken oder schütteln den Kopf, schließen eine Tür, winken oder zeigen auf etwas, damit der andere uns versteht. Auch Sportbewegungen verfolgen ein bestimmtes Ziel: Wir überwinden eine bestimmte Distanz in einer bestimmten Zeit, oder wir schießen einen Ball in ein Tor. Meist geht es darum, sich mit anderen zu messen und gegen sie zu gewinnen. Tanz unterscheidet sich von allen anderen Bewegungen: Die Tanzbewegung kommt von innen, und es ist ihr egal, was sie in der Welt bewirkt. Ihr primärer Grund ist der Selbstzweck. Sie ist der Ausdruck eines inneren Zustands. Per Definition ist Tanzen die spontane Bewegung des Individuums zu einem Rhythmus. Der Reiz, dem Rhythmus zu folgen, kommt von innen, und jeder Mensch wird dem Rhythmus auf seine Weise folgen. Um einen Ball zu werfen, vollführt man Bewegungen, die überall auf der Welt ähnlich sind, da es eben nur wenige Varianten gibt, um einen Gegenstand möglichst weit zu werfen. Um zu einer bestimmten Musik zu tanzen, gibt es so viele Möglichkeiten sich zu bewegen, wie es Menschen auf der Welt gibt. Einige mögen bei einem starken Beat hüpfen und zucken, andere suchen fließende Bewegungen, wieder andere bewegen mehr die Arme, andere die Beine. Einige schließen die Augen, andere nicht. Diese Freiheit des Ausdrucks ist einzigartig. Das beschreibt zum Beispiel Wolfram Fleischhauer wunderbar in seinem Buch «Drei Minuten mit der Wirklichkeit»: Eine Balletttänzerin sucht in Buenos Aires...

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