[12|13]Kalina Kupczyńska
Kalina Kupczyńska: Sie sind 1982 in Graz geboren, haben dort studiert, Graz ist auch Schauplatz mancher Ihrer Texte, auch wenn es im Hintergrund bleibt. Ihre literarischen Inspirationen sind sehr vielfältig und beschränken sich offensichtlich keineswegs auf die heimische Literatur. Betrachten Sie die Kategorie ›österreichischer Autor‹ als wichtig für Ihr Selbstverständnis als Schriftsteller?
Clemens J. Setz: Ich nehme an, das kommt noch dann im Alter. Im Augenblick denke ich darüber nicht so viel nach. Ich habe, ganz ehrlich, nicht mal ein ›Selbstverständnis als Schriftsteller‹, weil ich sehe, wie schnell das alles vorbeigeht und wie viel Zufall und Glück dieser »Beruf« enthält.
Womit hatten Sie bisher Glück als Autor?
Es war Glück, dass mein erstes Buch erschien. Damals hat mich jemand dem Lektor vom Residenz-Verlag empfohlen, so kam der Kontakt zustande. Auch zum Beispiel, dass ein Buch von mir einmal in die Shortlist des Deutschen Buchpreises gewählt wurde, war reines Glück bzw. glücklicher Zufall, weil im Folgejahr lauter Kritiker in der Jury waren, die mein Buch im Vorjahr verrissen hatten. Wäre es also ein Jahr später veröffentlicht worden, wäre es nicht gewählt worden. Solche Dinge. Das meiste ist Glück und Zufall.
Wenn ich eine Bezeichnung für den Stil Ihrer Prosatexte suche, fällt mir zuerst ›kalkuliert verblüffend‹ ein – und zwar sowohl für die kurzen Nacherzählungen in »Glücklich wie Blei im Getreide« (2015) als auch für den tausend Seiten langen Roman »Die Stunde zwischen Frau und Gitarre« (2015). Die Metaphern »treiben mit dem Bauch nach oben«, wie es in »Glücklich wie Blei im Getreide« heißt – Dinge, die nicht zusammengehören, kommen zusammen (wie Glück und Blei und Getreide), wodurch sich zuweilen eine starke sinnliche Qualität entwickelt. Würden Sie das Schreiben als eine sinnliche Tätigkeit beschreiben?
Manchmal sind falsche oder schiefe Metaphern tatsächlich auf eine sinnliche Weise unterhaltsam, aber meist sind sie auch einfach nur falsch und schief. Ich bin halt kein wirklicher Stilist, mit so einem vollkommen ausgebildeten [13|14]Sound wie zum Beispiel Sebald oder Kehlmann oder Jelinek. Was auch okay ist, finde ich.
Ihr Schreibstil ist gewissermaßen eine Begleiterscheinung ihres poetologischen Programms, wo Kausalität freigesetzt wird und damit die Konstruktion der Geschichte nicht dominiert. Dieses Element lässt sich etwa in »Die Frequenzen« (2009) beobachten, wo der Ich-Erzähler Alexander von der Rube-Goldberg-Maschine fasziniert ist, die bekanntlich die rational nachvollziehbare Ursache-Folge-Kette ironisiert. In »Glücklich wie Blei im Getreide« kommen Sie auf ihr Mathematikstudium und die Vorlesungen zur Spieltheorie zurück, die Sie beim Erfinden von schrägen Fiktionen verarbeiteten. Wie verhält sich für Sie Mathematik zur Literatur?
Wie eine entfernte Verwandte, würde ich sagen. Mathematik hat viel mit Eleganz und Zusammenhalt zu tun. Aber gar so sehr überschneiden sich die beiden Bereiche dann doch nicht, obwohl ich mich schon manchmal dazu habe hinreißen lassen zu behaupten, sie wären irgendwie dasselbe. Das klang einfach sexy und intellektuell, also sagte ich es. Aber es sind doch ziemlich unterschiedliche Disziplinen, so wie Musik und Kindererziehung, Raumfahrt und Action Painting.
Es gibt in vielen Ihren Texten eine mehr oder weniger latente Gewalt. In »Die Stunde …« zum Beispiel ist die Gewalt ein Kitt, der die Figuren des ehemaligen Stalkers und seines Opfers zusammenschweißt. In dem Erzählband »Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes« (2011) wird Sex zuweilen gewalttätig und tarantinomäßig übertrieben, in den Nacherzählungen wird die Gewalt als ein Paradoxon gezeigt. »Schöne Literatur muss grausam sein«, so Alban Nikolai Herbst. Tatsächlich?
Nein, gar nicht. Gewalt ist meist ein Stilmittel von Autoren, die a) viel zu wenig oder b) wirklich sehr viel von der Welt gesehen haben. Ich gehöre in die erste Kategorie. Man nimmt gern zu Gewalt Zuflucht, wenn man eine Geschichte nicht wirklich klar erzählen kann. Schauen Sie zum Beispiel, wie sparsam echte große Erzähler mit direkt beschriebener Gewalt umgehen (also etwa Köhlmeier, Glavinic, Kracht).
Vielleicht ist aber Gewalt auch ein Mittel, den Leser direkt anzugehen, bei ihm etwas zu bewirken. Ich frage mich das immer bei Jelinek. Spielt das für Sie eine Rolle?
Elfriede Jelinek weiß genau, wovon sie spricht. Ihre Wahrnehmung hat nichts Übertriebenes, obwohl ihre Darstellung bisweilen extrem erscheint. Aber es [14|15]ist wie mit den Porträtbildern von Francis Bacon. Die bestehen oft nur aus Gebiss und aus verwischten Augen. Aber so sehen Menschen halt wirklich aus. Man muss nur genau hinschauen. Menschen schauen nicht aus wie ihre Passfotos, sondern bewegen sich und machen ganz entsetzliche Dinge. – Bei mir war das allerdings etwas anders. Gewalt war da mehr ein Mittel, um die Dinge in Bewegung zu setzen, also eigentlich eine Art narrativer Ausrede. Nicht immer ungerechtfertigt und plump, aber doch eine Ausrede.
In »Indigo« (2012), in den kurzen Nacherzählungen und in »Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes« tauchen autofiktionale Elemente auf, und damit ein Erzählmuster, das in der Gegenwartsprosa oft vorkommt – viele Autoren reizt es offensichtlich, sich als fiktionale Romanfiguren zu denken bzw. mit den Koordinaten des eigenen Lebens zu spielen. Worin liegt für Sie der Reiz der Autofiktion?
Für mich lag der Reiz eigentlich darin zu erleben, wie ich selbst in dem von mir erfundenen Universum zurechtkäme.
Und was glauben Sie, worin besteht der Reiz, fremde Autofiktion zu lesen?
Gute Frage. Vielleicht in der Projektionsmöglichkeit, die sie bietet? Aber ich bin mir nicht ganz sicher. Thomas Glavinic verwendet »sich selbst« ja auch manchmal als literarische Figur und macht das ganz großartig. Wäre es weniger kraftvoll, wenn die Figur anders hieße? Ja, ich glaube schon. Man merkt beim Lesen, dass er über sich in gewisser Weise zu Gericht sitzt. Das erlebt man im normalen Leben nicht so oft.
»Chris Ware ist ohne Zweifel der bedeutendste amerikanische Autor zur Zeit«, so der Synästhetiker Alexander im Roman »Die Frequenzen«. Darf man diesen Satz als Ihr Liebesbekenntnis zu Comics lesen? Oder auch als ein Bekenntnis zu Freaks wie Jimmy Corrigan?
Also natürlich ein Liebesgeständnis an Jimmy Corrigan, und auch an andere Werke von Chris Ware wie zum Beispiel »Building Stories«. Jimmy Corrigan ist doch gar kein Freak, finde ich. Eher ein einsamer Mann. Er hat das Gesicht eines Frühchens und eines alten Mannes zugleich.
Ja, ein einsamer und ein ängstlicher Mann, der eine seltsame unterschwellige Faszination für die Superman-Figur verspürt und den man irgendwie lieben muss. Chris Ware hat damit eine der markantesten Comicfiguren geschaffen. Wie ist eigentlich Ihr Verhältnis zu den Romanfiguren, die Sie erfinden – mit manchen haben Sie ja viel Zeit verbracht …?
[15|16]Ich war sehr traurig, als mein letzter Roman aus war. Ich mochte die Hauptfigur sehr gern. Andererseits könnte ich nicht mehr aus ihrer Perspektive schreiben. Also ist es etwas paradox.
»Glücklich wie Blei im Getreide« ist als Text-und-Bild-Buch konzipiert, die Zeichnungen des Comiczeichners Kai Pfeiffer begleiten und pointieren die kurzen Texte. Wie hat sich diese Zusammenarbeit ergeben? Was bedeutet es für Sie, wenn Ihre sprachlichen Bilder ein gezeichnetes Pendant bekommen?
Das fühlt sich immer wie eine große Wohltat an. Im April beginnt eine Ausstellung im Wiener Literaturmuseum, für die die Leipziger Malerin Katharina Weiß 14 Gemälde zu einzelnen Sätzen aus meinen Büchern gemacht hat (meist eine der verunglückten Metaphern, die Sie oben erwähnten). Die Gemälde sind großartig. – Ich zeichne selbst auch gern, zum Beispiel einen Comic über zwei Figuren namens Milf und Molch. Molch spricht immer Klartext. Ich stelle die Comics auf Twitter. Ich kann dummerweise überhaupt nicht zeichnen.
Ist dieses Comiczeichnen so etwas wie ein Ausprobieren der halbfertigen Geschichten?
Ach nein, das ist einfach ein Spiel.
Ihre Prosa wurde bereits u. a. unter dem Gesichtspunkt der Generationenproblematik gelesen. Empfinden Sie sich als jemand, der die Befindlichkeit einer Generation zur Sprache bringt?
Nein. Das machen doch schon so viele. Man sieht ja vor lauter Stimmeneiner-Generation die Epoche schon gar nicht mehr.
Genuin literarische Probleme wie das Problem des Realismus oder der Diskursaffinität der Gegenwartsprosa werden heute kaum noch als Debatten unter AutorInnen verhandelt, diese Zuständigkeit wird fast vollständig LiteraturwissenschaftlerInnen überlassen. Das erstaunt insofern, als die GegenwartsautorInnen einander lesen, übereinander schreiben, sich beieinander bedanken – wie zum Beispiel Sie bei Christian Kracht und Kathrin Passig. Wie betrachten Sie eine solche Kompetenzverteilung? Vermissen Sie literarische Debatten in der Öffentlichkeit?
Ich glaube, das hat damit zu tun, dass es heute so wahnsinnig viele AutorInnen gibt. Alle schreiben, alle haben irgendeinen Roman fertig zu Hause herumliegen. Man ist auswechselbar. Verlage bestätigen das zudem auch [16|17]noch immer wieder, indem sie Autoren auswechseln, wenn sie sich nicht...