3.1 Einflüsse auf Versicherungsvertrieb | Kundenkommunikation
Im Verlauf dieses Kapitels wird Ihnen konkreter skizziert, welche Auswirkungen die in Kapitel 2 dargestellten Trends und Entwicklungen für die deutsche Versicherungswirtschaft haben. Dabei wird Ihnen einer oder mehrere der zuvor dargestellten Trends, im Kontext ausgewählter Bereiche eines Versicherungsunternehmens, näher dargestellt.
In diesem Kapitel werden Ihnen auch die verschiedenen Einflüsse einzelner Trends auf den Vertrieb von Versicherungsprodukten und der damit einhergehenden Kommunikation mit Kunden nähergebracht.
Vertrieb und Kundenkommunikation verlagert sich auf Online-KanäleDie Vertriebslandschaft stellt sich in Deutschland, aber auch in vielen anderen Ländern, über die Abbildung der Vertriebswege Einfirmen- und Mehrfirmenvertreter, Makler, Kreditinstitute sowie Direktvertriebe, wie das Internet, vielfältig dar. Ergänzend dazu existieren weitere spezifische Vertriebswege am Point of Sale anderer Produkte und Dienstleistungen, wie z. B. Reisebüros oder Autohäuser, welche üblicherweise unter ‚Sonstige’ rangieren. Dabei ist zu beobachten, dass insbesondere in den vergangenen Jahren der Anteil der Vertriebswege Direkt und Sonstige vor allem im Neugeschäft deutlich zunimmt, dabei aber der Kompositversicherungsbereich stärker betroffen ist. So ist der Anteil des Direktvertriebs im Jahr 2013 in etwa so groß, wie die Vertriebswege Mehrfachvertreter, Kreditinstitute und Sonstige zusammen betrachtet.[61][62] Der Grund für den höheren Anteil des Direktvertriebs im Kompositversicherungsbereich ist insbesondere mit der erhöhten Beratungsintensität komplexer Produkte, wie der Lebens- und privaten Krankenversicherungen, zu erklären, welche daher kundenseitig eher über einen Einfirmenvertreter abgeschlossen werden.[63] Bereits an dieser Stelle sind die Einflüsse des Trends Digitalisierung erkennbar, da im Wesentlichen die steigende Bedeutung und Verbreitung des Internets die positive Entwicklung des Direktvertriebes nachhaltig begünstigt. Damit verbunden, gewinnt der Direktvertrieb in Form von Abschlüssen über Aggregatoren, sprich Vergleichsportale, weiter an Bedeutung, was damit einhergehend zu einem Bedeutungsverlust von klassischen Strukturvertrieben führt, |34|weil sie kundenseitig immer weniger zur Nachfrage von Versicherungsprodukten verwendet werden.[64]
Der Trend der zunehmenden Digitalisierung hat aus verschiedenen Perspektiven einen sehr starken Einfluss auf den Vertrieb und die Kundenkommunikation, welcher sich am Beispiel der im Folgenden aufgeführten Charakteristika skizzieren lässt.
Allein die Bedeutung für einen Vertriebsweg Internet ist in den vergangenen Jahren signifikant gestiegen. Heute kaufen bereits 70 % der deutschen Bevölkerung ab 14 Jahren online Waren oder Dienstleistungen im Bereich physischer Produkte wie Elektronik und Kleidung ein und erwerben zunehmend auch Dienstleistungen, welche sich durchaus als komplex und beratungsintensiv charakterisieren lassen. Ein markantes Beispiel hierfür ist der anhaltende Trend Pauschal- oder Individualreisen oder einzelner Teile wie z. B. Flüge online zu recherchieren, zu buchen und zu bezahlen und dabei nicht auf individuelle Bedürfnisse wie Preis- und Qualitätsansprüche verzichten zu müssen.[65] Daraus lässt sich ableiten, dass der Kunde eben nicht nur einfache und wenig erklärungsbedürftige Produkte, welche er auch im klassischen stationären Handel erhält, online erwerben möchte, sondern auch für komplexe immaterielle Güter wie Versicherungen es darstellen, aufgeschlossen ist. Eine Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG zeigt ganz konkret für die Versicherungsbranche auf, dass im Jahr 2020 unter den 14- bis 29-Jährigen rund 22 % Versicherungen über das Internet kaufen werden.[66]
Persönliche Beratung wird kundenseitig weiterhin gewünschtAn dieser Stelle muss aber trotz eindrucksvoller Zahlen im Bereich des Onlinevertriebs auch auf einen anderen Umstand hingewiesen werden, welcher von Kunden ebenfalls konsequent eingefordert wird. Diverse Studien belegen, dass das Internet häufig nur als erster Zugangskanal z. B. zu Informations- und Vergleichszwecken genutzt wird, der eigentliche Abschluss des Vertrages jedoch auch heute noch oft persönlich bei einem klassischen Berater o. ä. erfolgt. Dieser Aspekt entkräftet damit auch die nachvollziehbaren Befürchtungen, dass das Internet den klassischen Berater vollständig ersetzt. Zwar gibt es auch hier unterschiedliche Ansichten etwaiger Zukunftsmodelle, doch tendieren die meisten Experten dahin, dass auch in den kommenden Jahren Menschen bei Beratung und Abschluss von Versicherungsprodukten eine wichtige Rolle spielen werden.[67] Damit schließen sich also Online-Vertrieb und persönliche |35|Beratung und Verkauf nicht per se aus, sondern können eine sinnvolle und wertsteigernde Symbiose im Geschäftsmodell Versicherung bilden, welche insbesondere für komplexere Produkte im Lebens- und Krankenversicherungsbereich weiterhin auch Berater eine Rolle spielen lässt.[68] So ist auf Seiten der Versicherer vielmehr durch konkrete Maßnahmen darauf hinzuwirken, dass eine konsequente Multikanal-Strategie etabliert wird.[69][70] Eine Integration von Vertriebswegen wird kundenseitig eingefordertDas bedeutet nicht mehr oder weniger, dass klassische und moderne Vertriebswege miteinander sinnvoll verknüpft und in die Wertschöpfungskette integriert werden müssen.[71] Ein Beispiel dazu: Ein Kunde informiert sich online über eine private Krankenversicherung. Zu den umfangreichen Informationen wünscht er sich aber eine Beratung durch einen Spezialisten des Versicherers. Diese kann nun wahlweise persönlich oder per Live-Video-Chat stattfinden. Dieses sehr vereinfachte Beispiel zeigt, dass technische Möglichkeiten nicht die klassische Beratung ersetzen, sondern sie für beide Parteien deutlich effizienter gestalten und dabei dem Kunden einen echten Mehrwert bieten können. Die folgende Abbildung stellt den Wandel eines klassischen Vertriebs hin zu einer Multikanal-Strategie näher dar.
Abbildung 14: Traditionelles Modell versus Multikanal-Modell im Versicherungsvertrieb[72]
Die erforderliche Weiterentwicklung der klassischen Vertriebswege hin zu solch einem Modell bestätigt auch eine Trendstudie zum Thema Versicherung 2020, in welcher festgestellt wurde, dass entspre|36|chende Multikanal-Modelle in Zukunft deutlich an Bedeutung zunehmen werden.[73]
Die Auslöser für diese Entwicklungen auf Kundenseite entstehen zwar durch die gewohnten Möglichkeiten zum Kauf von Waren aus anderen Branchen, doch sind eher gesellschaftliche Entwicklungen wie der Mobilitäts-Trend für diese Nachfrage verantwortlich. Durch die Tatsache, dass Menschen deutlich mehr reisen bzw. sie diese Möglichkeit haben und deutlich häufiger, als noch vor einigen Jahrzehnten, ihren Arbeits- und Wohnort wechseln, werden auch entsprechende Angebote kundenseitig eingefordert. So möchte vielleicht ein Kunde, der tatsächlich persönlich betreut wurde, auch nach einem Umzug, trotz mehreren hundert Kilometern Entfernung, weiterhin persönlich betreut werden. Technische Möglichkeiten lösen diese geografische Entfernung auf und der klassische Berater bleibt oder wird zu einem hilfreichen Lebensbegleiter in den unterschiedlichen Lebensphasen eines Kunden. Eine Studie der Unternehmensberatung Bain & Company hat nachgewiesen, dass 60 % der Bundesbür-ger das Internet zukünftig als wichtigsten Kanal für den Kontakt und die Transaktionen mit ihrer Versicherung sehen und 22 % davon ihren Vertragsabschluss online tätigen wollen.[74]
Nachdem Sie nun die Anforderungen an den Vertrieb auf Basis einer erhöhten Kundenagilität näher kennen gelernt haben, ist ein Blick auf den Status quo interessant und lohnenswert. Viele Versicherer im deutschen Markt nutzen bereits einen internetbasierten Vertriebsweg, in welchem die Anbieter jedoch häufig andere und z. T. auch preiswertere Produkte vertreiben, als es über die klassischen Vertriebswege der Fall ist. An dieser Stelle muss darauf geachtet werden, dass es nicht zu einer Kannibalisierung der Vertriebswege innerhalb des Unternehmens kommt, die eben keine logische Integration verschiedener Vertriebskanäle darstellt. Dies stellt bei vielen Unternehmen aktuell noch eine Herausforderung dar, obwohl genau in dieser Verknüpfung und Integration der Vertriebswege viel Potential liegt, wie bereits kurz skizziert wurde.[75]
Schon heute zeigen eindrucksvolle Zahlen auf, wie stark die Einflüsse dieser Trends sind. Im Jahr 2008 hatte der Online-Abschluss im Neugeschäft einen Anteil von rund acht Prozent am gesamten Neugeschäft. Fünf Jahre später, im Jahr 2012, hat sich dieser Anteil mit fast 15 % nahezu verdoppelt. Der größte Anteil liegt mit der Kraftfahrzeugversicherung im Bereich der weniger beratungsintensiven Produkte, welche oft auch die einzigen online abschließbaren |37|Produkte darstellen. Die Prognosen sehen vor, dass sich der Anteil auf mindestens 18 % des Neugeschäftsvolumens erhöhen wird.[76][77]
Seit einigen Jahren kommen jedoch neue Markteilnehmer ins Spiel, welche...