Wie ich zum Buddhismus kam
Eigentlich ist dies ein Kapitel, das in einem (mehr oder weniger) Fachbuch nichts zu suchen hat. Warum es drin sein muss, werden Sie in wenigen Seiten verstehen.
Ich hatte ja schon erwähnt, dass ich in Braunschweig Elektrotechnik studiert hatte. Meine damalige Freundin, Sabine, studierte Englisch und Wirtschaftswissenschaften, was damals in Braunschweig nur bis zum Vordiplom möglich war. Wir wechselten fast zeitgleich nach Kiel. So etwa zwei Jahre später sahen wir ein, dass wir uns wohl besser trennen sollten, beschlossen jedoch, weiter guten Kontakt zu halten. Folglich sahen wir uns zwei, drei mal im Jahr.
In den Folgejahren wurde ich immer ingenieurmäßiger und war im Bereich Projektmanagement für Kommunikationsanlagen beschäftigt. Wenn ich morgens zur Arbeit fuhr, dann wusste ich normalerweise nicht, welches Problem auftauchen würde; ich war nur sicher, dass genügend Probleme auftauchen würden. Probleme sind nämlich gute Freunde und bringen immer ein paar Kumpel mit. Sabine wurde im Laufe der Jahre immer flippiger und abgedrehter. Als sie in einer alternativen Land-WG lebte, besuchte ich sie dort. Sie hatte irgendwann einen Kalligraphiekurs mitgemacht und einen rund 10 Zentimeter hohen Stapel Din-A4-Blätter produziert, wobei jedes Blatt mit gut zwanzig erfundenen chinesischen Schriftzeichen bedeckt war. Welche Einschätzung ihrer Psyche ich damals hatte, muss ich wohl nicht näher erläutern.
Eines schönen Tages klingelte das Telefon und Sabine fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, mir mal einen tibetischen Lama anzusehen. Also machten wir einen Treffpunkt aus, der Termin stand ja schon fest. Das war das erste mal, dass ich Ole sah und ich war doch etwas überrascht, statt eines Tibeters einen durchtrainierten aber etwas zu kurz geratenen Wikinger zu sehen. Die ganze Veranstaltung fand übrigens in einer Privatwohnung knapp außerhalb von Kiel statt (mit einer riiiesigen Badewanne im Badezimmer).
Ole war weit über zwei Stunden zu spät angekommen (das machte er zu der Zeit häufiger), was er mit einem Autounfall begründete. Das Auto wäre total Schrott, aber es wäre niemandem etwas passiert. Freunde hätten auch schon einen Ersatz besorgt, einen Audi 100. Dann gab er die technischen Daten und meinte abschließend: „Der hat aber keinen Katalysator oder so´n Quatsch!“ Ich sah bei einigen Leuten die Kinnlade absacken und dachte mir nur, dass er so nicht allzu viele Anhänger finden wird (später habe ich begriffen, dass dies durchaus Absicht war; Stichwort: moralinsauer!). Ansonsten fand ich ihn sehr charismatisch, aber das, was er erzählte, hielt ich für recht wenig durchdacht (das war jetzt extrem höflich ausgedrückt!).
Meine Eltern, zu denen ich eigentlich kein besonders gutes Verhältnis hatte, lebten in Schleswig. Mein Vater war bettlägerig und hatte heftige Diabetes, weshalb er schon mehrfach mit Koma im Krankenhaus war. Ich erwartete eigentlich fast täglich einen Telefonanruf meiner Mutter, dass er nicht mehr sei. Eines Tages kam ich im Büro an meinen Schreibtisch zurück und mein Schreibtischnachbar teilte mir mit, es habe einen Anruf gegeben, meine Mutter sei verstorben.
Ich setzte mich also in meinen VW-Bulli und düste los. In irgendeinem Laden kaufe ich noch schnell eine Flasche Whisky und zwei Flaschen Cola, nur so für alle Fälle. Die Nachbarin meiner Eltern hatte meiner Mutter bei der Pflege meines Vaters geholfen und sie hatte schon alles erledigt, was für sie machbar war. Meine Schwester und ich mussten nur noch ein paar Formalien erledigen.
Dann beratschlagten meine Schwester und ich, was mit unserem Vater zu machen sei. Da wir nicht damit rechneten, dass mein Vater noch sehr lange leben würde, beschlossen wir, dass er in seiner gewohnten Umgebung bleiben sollte. Er hatte sein Bett in einem Zimmer zum Garten hin mit einem schönen Blick ins Grüne. Die Nachbarin war bereit, sich um die eigentliche Pflege zu kümmern und wir würden abwechselnd von Kiel zwischen fahren, damit er abends nicht alleine sein musste.
Die erste Hälfte der Woche würde meine Schwester übernehmen und ich die zweite Hälfte. Die Wochenenden wollten wir abwechselnd machen und ich hatte schon mal die erste Nachtschicht gewonnen.
Mein Vater war ja im Gartenzimmer, von dort kam man in den Flur und von dort ins Wohnzimmer und weiter ins Esszimmer. Dort stand eine Klappcouch, die einzige freie Schlafgelegenheit im Erdgeschoss, auf der meine Mutter in der Nacht zuvor gestorben war. Mit anderen Worten, die Whiskyflasche war am nächsten Morgen leer und ich war wohl eher noch ziemlich voll, als ich zur Arbeit fuhr. So ging es dann Monat um Monat weiter (allerdings mit deutlich weniger Alkohol) und ich war wirklich die ganzen Monate am Rande meiner Belastungsgrenze.
Irgendwann hatte sich Sabine von Kiel verabschiedet, denn sie wollte im buddhistischen Zentrum in Wuppertal wohnen. Wiederum einige Zeit später rief sie mich im Büro an und erzählte mir, dass sie jetzt nach Indien gehen wolle, um dort Buddhismus zu studieren. Das Problem sei ihre restliche Habe und ich würde doch meinen Keller praktisch gar nicht nutzen. O.k., geht in Ordnung. Und du hast doch so einen praktischen VW-Bus!? Also machten wir einen Termin aus, wann ich sie und ihre Habe abholen würde.
Wenige Tage vor dem Termin rief Sabine wieder an. Da käme ein ganz hoher tibetischer Lama nach Deutschland und da müsste sie unbedingt hin, also müsse der Umzug auf einen anderen Termin verlegt werden. Ich erklärte ihr, dass ich für das Wochenende schon in Schleswig vorgearbeitet hätte. Entweder sie würde jemand anderen für den Transport finden oder es müsste an exakt dem Wochenende über die Bühne gehen. Nach einigem Hin und Her machte ich ihr den Vorschlag, sie könne mich doch einfach auch für den zweitägigen Kursus anmelden, dann bekäme sie ihren Umzug gemacht und ich könnte mir mal wieder merkwürdige Buddhisten ansehen.
Neben einem stattlichen Landhaus in der weiteren Umgebung von Köln war ein großes Bierzelt aufgebaut worden mit Holzfußboden drin. Insgesamt werden etwa 150 Leute da gewesen sein. Die Stirnseite des Zeltes war mit einem gestreiften bunten Wandbehang geschmückt und davor stand ein rot lackierter Kastenthron. Kurz bevor es losging meinte Sabine noch, es könne sein, dass man für die Teilnahme am Kursus die buddhistische Zuflucht bräuchte. Dabei würde man eigentlich nur versprechen keine Menschen umzubringen, nicht zu stehlen und keine schlimmen Drogen zu nehmen. Ansonsten sei es eine Übertragung von positiver Energie! Erzählen sie mal einem Elektrotechniker etwas von positiver Energie. Sie werden dann zwei nach oben verdrehte Augen sehen.
Dann gab es Belehrungen und irgendwann hieß es, man könnte jetzt die buddhistische Zuflucht nehmen, wenn man möchte. Hätte man mich ein paar Stunden zuvor gefragt, wäre meine Antwort wahrscheinlich gewesen: „Also wenn andere vor mir flüchten, dann kann ich das ja bisweilen verstehen. Aber ich? Zuflucht nehmen?“ Also stand ich einfach auf und ging nach vorne und ich weiß bis heute nicht genau, warum eigentlich. Hätte ich damals meine nähere Zukunft gekannt, ich hätte es ganz sicher nicht gemacht; ich wäre in meinen Bulli gehechtet und mit Vollgas verschwunden.
Abends passierte dann etwas, das mich aus den Socken haute. Shamarpa (der hohe Lama) sagte, wir würden jetzt gemeinsam eine Friedensmeditation machen. Ich hatte überhaupt keine Ahnung, was das sein sollte. Ich hatte zum Ende meiner Schulzeit ein Weilchen Transzendentale Meditation gemacht, also beschloss ich, mich einfach im Schneidersitz hinzusetzen, meinen Geist zu entspannen und die Augen offen zu halten, damit ich mitbekommen könnte, was denn gemacht werden solle.
Plötzlich füllte sich das Bierzelt, als ob es aus dem Wandteppich kam, mit goldfarbenem Licht. „Was?!“ Das Licht war wieder weg. Also entspannte ich meinen Geist wieder und das goldfarbene Licht kam wieder. Ich fing bewusst an zu denken und das Licht war wieder weg. Das Licht kam wieder und ich bewegte bewusst meine Augen und das Licht war wieder weg. Dieses Spielchen wiederholte ich noch so zwei, dreimal und saß dann nur noch völlig baff da. Direkt vor mir saß eine junge Frau mit langen blonden Haaren und ich sah, wie es überall auf ihren Armen glitzerte und ihre Haare waren ein kleines Meer aus Gold.
Die folgende Nacht war sehr kurz. Schon so gegen vier in der Frühe geisterte ich durch die Felder. Was war da passiert? Die sinnvollste Erklärung war für mich, dass da Hypnose eine Rolle spielen könnte, aber ich ging auch alles andere durch, was ich mir nur irgendwie vorstellen konnte. Ich beschloss, dass ich an diesem Tag nichts, aber auch gar nichts unbeobachtet lassen würde. Ich schaute sogar hinters Zelt, ob da vielleicht irgendetwas 'Besonderes' aufgebaut sei, fand aber nichts.
Als der Kursus dann weiter ging setzte ich mich als erstes im Schneidersitz hin und entspannte den Geist. Egal wie lange ich es probierte, es blieb alles normal. Ich hielt weiter alles unter Beobachtung und das einzig Ungewöhnliche an dem Tag war die Aufforderung von Shamarpa, die Damen in den ersten Reihen möchten doch bitte ihre Beine etwas mehr bedecken, die Mönche würden nervös werden.
Abends wieder eine Meditation und wieder kam das goldfarbene Licht, wieder anscheinend aus dem Wandteppich heraus. Es gab hier also ein Rätsel, das ich ergründen wollte. Auf der Fahrt nach Schleswig, abends musste ich wieder meine Schicht antreten, ging ich noch mal alle Argumente durch und plötzlich war es wie ein echter Schlag in die Magengrube (die Muskelzuckung war wirklich so heftig, dass ich mich tief übers Lenkrad beugte!). Mir war bewusst...