Teil 1
Vermögensschutz 2.0
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Die Entwicklung privater Vermögen
Die Zahl und Höhe privater Vermögen hat sich über die vergangenen Jahrzehnte weltweit stark erhöht. Das weltweite Bruttogeldvermögen stieg von 65,4 Billionen Euro im Jahr 2000 auf 135,7 Billionen Euro Anfang 2015. Allein 2014 nahm es um 7,1 Prozent zu. Erstmals gehören mehr als 1 Milliarde Menschen zur Vermögensmittelklasse. Und die Vermögen werden weiter wachsen. Die verantwortungsbewusste Verwaltung dieser teilweise über Jahrhunderte gewachsenen Vermögen erweist sich als zunehmend komplexer und anspruchsvoller.
Abbildung 01: Nettogeldvermögen privater Haushalte in Milliarden Euro, Quelle: IMF, WFE, Allianz SE
Abbildung 02: Anlageklassen in Prozent des Bruttogeldvermögens, Quelle: Allianz SE
Für Zwecke des Vermögenswachstums bedienen sich Vermögensinhaber einer Vielzahl von Dienstleistern, vor allem Finanz-, Rechts-, Steuer- und Investmentexperten. Die Zusammenarbeit vieler Berater bündelt isoliertes Expertenwissen. Denn nur bei ganzheitlicher Betrachtung des Vermögens im Hinblick auf den Vermögenserhalt lässt sich ein effizienter Vermögensschutz gewährleisten. In Zeiten, in denen die Renditen gedrosselt sind und Nullrunden drohen, gewinnt der Schutz des bereits geschaffenen Vermögens zunehmend an Bedeutung. Im Lichte dessen wird die herkömmliche Vermögensverwaltung ihren Kurs ändern. Vermögen kann nicht einfach vor Anker liegen bleiben, sondern muss gewohnte Fahrwasser verlassen. Ein Umdenken und eine gesamtheitliche Betrachtung des betroffenen Vermögens ist unumgänglich.
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Der Mensch als Schlüssel und Garant für einen erfolgreichen Vermögensschutz
Vermögensschutz installiert sich nicht von selbst. Er ist immer das Ergebnis einer rechtlichen Gestaltung, die die Folge eines menschlichen Bedürfnisses ist. Hierbei handelt es sich um das Grundbedürfnis nach Sicherheit. Das Sicherheitsbedürfnis ist im Menschen tief verankert. Sein Ursprung kann aus der Entwicklungsgeschichte des Menschen erklärt werden. In einer Zeit weit vor unserem zivilisierten Leben waren die natürlichen Gefahren so mannigfaltig, dass der Mensch nur überleben konnte, wenn er ständig auf der Hut war. Sicherheit bedeutete (Über-)Leben. Mittlerweile hat sich die menschliche Zivilisation weiterentwickelt. Mit dieser Entwicklung entstanden neue, andere Gefahren. Die täglichen Existenzbedrohungen kommen nicht mehr ausschließlich aus der Natur. Was dem Menschen bleibt, ist sein Sicherheitsinstinkt, der tief in ihm verankert ist.
Besonders die westliche Welt neigt dazu, sich gegen alle mögliche Gefahren absichern zu wollen:
- • Es werden Versicherungen abgeschlossen, um Risiken eines Einzelnen durch finanzielle Beiträge von vielen zu tragen;
- • PKWs erhalten diverse Sicherheitssysteme;
- • Lebensmittel werden mit Haltbarkeitsdaten versehen und vieles mehr.
Während der »Urmensch« seinerzeit die Gefahren relativ stringent der Natur zuordnen konnte, muss der Mensch von heute breiter forschen. Ausgangpunkt dieser Analyse ist dabei der Mensch selbst. Im Rahmen einer kritischen Selbstanalyse müssen Risiken und Erwartungen eines jeden Einzelnen bedacht werden. Hierzu gehört es auch, seine Familie, Freunde, sein komplettes »Lebensumfeld« unter die Lupe zu nehmen. Das kann anstrengend und unangenehm sein, ist aber – wie sich noch zeigen wird – zwingend notwendig.
Der Mensch macht es sich selbst nicht leicht. Die persönliche Wahrnehmung wird gehemmt durch das menschliche Phänomen der Verdrängung. Zwar kann sich der Mensch Verdrängung leisten, weil die meisten Gefahren nicht mehr unmittelbar das (Über-)Leben betreffen. Außerdem handelt es sich bei dem psychologischen Phänomen der Verdrängung um einen Abwehrmechanismus. Dieser kann aber dazu führen, dass Risiken ausgeblendet werden, bis eine unerwünschte Gefahr tatsächlich eintritt. Hier kann ein Berater, der nicht aus dem Vermögen, sondern auf das Vermögen und sein Umfeld schaut, abhelfen.
Was bedeutet das?
Die erste Hürde, die der Mensch nehmen muss, um sein Sicherungsbedürfnis Vermögensschutz befriedigen zu können, ist er selbst. Der Mensch selbst ist Schlüssel und Garant für eine erfolgreiche Vermögensschutzplanung.
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Was bedeutet Vermögensschutz?
In der Vergangenheit konzentrierte sich die Vermögensplanung und Vermögensstrukturierung auf Renditeerzielung. Seitdem die Zeiten für private und unternehmerische Vermögen stürmischer geworden ist, steigt das Bewusstsein für einen nachhaltigen umfassenderen Vermögensschutz. Der reale Vermögenserhalt durch Vermögensschutz gewinnt zunehmend an Bedeutung. Die tradierten Vermögensschutzkonzepte (»Asset Protection«) fokussieren sich auf den bloßen Schutz »des Vermögens« vor dem Zugriff von Gläubigern – wie etwa Geschäftspartnern, Pflichtteilsberechtigten oder dem Finanzamt. Mit »Vermögen« war bislang vor allem das finanzielle Vermögen gemeint. Die meist beworbene Standardformel einer Vermögensschutzplanung lautet daher: »Ohne Eigentum kein Zugriff.«
Wenn man ehrlich ist, muss diese Aussage um einige weitere Aspekte ergänzt werden, denn die Formel ist grundsätzlich mit dem Verlust der Handlungsmacht über den Vermögensgegenstand verbunden. Das ist nicht in allen Fällen erwünscht. Über die wahre Motivlage vieler Gestaltungen lässt sich an dieser Stelle nur spekulieren. Diese Art der Vermögensverlagerung könnte als Vermögensschutz 1.0 beschrieben werden. Doch auf ein solches Vermögensverständnis und eine darauf basierende Strategie lässt sich Vermögen, insbesondere Familienvermögen, nicht reduzieren. Das Programm »Vermögensschutz 1.0« bedarf einer Aktualisierung.
Der »Vermögensschutz 2.0« ist auf den Plan gerufen. Dabei müssen der Begriff Vermögen, die Gefahren, die Ziele und die Schutzmechanismen neu bedacht werden. Denn das Leben bringt viele Gefahren für das Vermögen mit sich. Es geht um weit mehr als nur die Verlagerung von Haftungssummen zum Zwecke des Schutzes vor Gläubigern.
Vorab nur ein kurzes Beispiel: Bis 2020 übergibt die Generation »Wirtschaftswunder« jedes Jahr Vermögen in Höhe von 200 bis 300 Milliarden Euro in Form von Erbschaften und Schenkungen. Der Generationenwechsel ist hierbei die Achillesferse von Vermögen, insbesondere der Familienvermögen. Dieser Prozess erfordert gewaltige psychologische, steuerliche und rechtliche Anstrengungen. Dabei geht es nicht nur um das Endprodukt, sondern auch um den Weg zum geschützten Vermögen sowie um präventive Methoden der Gefahrvermeidung. Für den Vermögensschutz ist es nicht von Bedeutung, ob das Vermögen selbst geschaffen wurde oder als Familienvermögen in der Nachfolge fortgeführt wird. Im Zentrum steht immer der Vermögensinhaber und dessen nachhaltiger Umgang mit seinem Vermögen als eigener Leistung.
Das Thema Verantwortung sollte im Rahmen der Vermögensschutzplanung nicht vernachlässigt werden. Die deutsche Verfassung schützt in Art. 14 Grundgesetz (GG) die Freiheit des Einzelnen, mit seinem Eigentum nach Belieben verfahren zu können – im Rahmen der Gesetze versteht sich. Der gewährleisteten Freiheit steht jedoch auch eine Pflicht gegenüber. Im zweiten Absatz von Art. 14 des Grundgesetzes heißt es kurz und knapp: »Eigentum verpflichtet.« Mit der Zuschreibung von Pflichten ist die Übernahme von Verantwortung verbunden. Das heißt, mit Vermögen ist Verantwortung zu übernehmen. In dieser Aussage verbirgt sich kein tiefrot-sozialistischer Gedanke. Sie soll auch nicht als Einladung zur Umverteilung des privaten Vermögens zum Gemeinwohl verstanden werden. Die Aussage soll vielmehr die Vermögensinhaber ansprechen. Denn vermögende Personen nehmen innerhalb der Familie und der Gesellschaft häufig Führungsrollen ein. Diese erlauben es ihnen, Unternehmertum und Philanthropie zu fördern. Es geht um den bewussten und verantwortungsvollen Umgang mit Vermögen als eigene Aufgabe.
Bereits hier wird klar, dass es nicht (mehr) möglich ist, sich auf seinem Vermögen »auszuruhen«. Vermögen aufzubauen, ist harte Arbeit. Ist dies gelungen, ermöglicht Vermögen viel. Vermögen zu erhalten, ist ebenfalls harte Arbeit. Insoweit ist Vermögen »Segen und Fluch« zugleich.
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Vermögen – was ist das?
Wenn man Überlegungen zum Schutz von Vermögenswerten anstellt, muss man sich zunächst klarmachen, ob und wenn ja, welches Vermögen schützenswert ist.
Grundsätzlich gilt: Jedes Vermögen hat Schutz verdient! Denn jedes Vermögen ist Teil eines Lebenswerks, das es wert ist, fortgeführt zu werden. Und jeder Mensch besitzt Vermögen, auch wenn es sich oft objektiv unterscheidet. Denn Vermögen ist subjektiv zu definieren:
Vermögen ist das, was einem »lieb und teuer« ist. Das ist mehr als nur Reichtum, Besitz und Wohlstand. Vermögen darf also nicht auf das Finanzvermögen reduziert werden. Genauer betrachtet besteht »Vermögen« aus folgenden drei Vermögensarten:
- • Finanzvermögen
- • Humanvermögen
- • Sozialvermögen.
Zum Finanzvermögen gehören die durch Markpreise bewertbaren Vermögensgegenstände wie beispielsweise Geld, Wertpapiere, Immobilien, Edelmetalle und Kunst –...