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E-Book

Viel erlebt und nichts begriffen

Die Männer und die Frauenbewegung

AutorCheryl Benard, Edit Schlaffer
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl266 Seiten
ISBN9783688103386
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Die ?Männerfrage? gibt es nicht - zumindest nicht für Männer. Sie sehen keine Veranlassung, über sich selbst nachzudenken, es sei denn spielerisch, zum Zeitvertreib. Denn andere nehmen ihnen diese Aufgabe ab: die Frauen. Frauen denken pausenlos und unaufhaltsam über Männer nach. 80 Prozent der Denkkapazität von Frauen wird von Männern absorbiert, wird an Männer verschwendet, wie auch immer man es sehen will. In diesem Bad fraulicher Aufmerksamkeit suhlen die Männer sich trotzig, die jungen und die alten, die Karrieremacher und die Latzhosenträger, die Linken und die Rechten, die mit Aktentaschen oder mit Ring im Ohr. Über die Beziehung nachzudenken ist - ebenso wie Plätzchenbacken und Kinderkriegen - Frauensache. Aber die ?neuen? Männer? Sie können stricken, die Diskussion über die Frauenfrage ist ihnen geläufig, sie beherrschen die geburtshilfliche Atmung. Aber sonst? Was spielt sich in den Männergruppen ab? Warum entgleisen sie so leicht in wehmütige Zelebrierungen archaischer Männlichkeit? Was ist denn nun neu an dem neuen Mann? Eines bestimmt: Auch den Feminismus weiß er noch für sich zu nutzen.

Cheryl Benard wurde 1953 in New Orleans/USA geboren. Zusammen mit Edit Schlaffer leitete sie als Sozialwissenschaftlerin die «Ludwig-Boltzmann-Forschungsstelle für Politik und zwischenmenschliche Beziehungen» in Wien und gründete 1981 mit ihr die Menschenrechtsorganisation «Amnesty for Women».

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Leseprobe

Männer denken nach


Der traditionelle Mann der patriarchalischen Ordnung definierte sich als Gegensatz zur Frau. Er war ein Mann, weil er keine Frau war, weil er besser, größer, stärker, klüger, wichtiger war als Frauen, weil er Dinge tun, Räume betreten, Ämter innehaben, Sachen wissen und Entscheidungen treffen konnte, die einer Frau nicht zustanden. «Mann», das war vor allem ein Superlativ.

Auch der kritisch und liberal denkende Mann, der frauenbewegungsbeeinflußte Mann, hat sich von diesem Selbstverständnis nicht entfernt. Die Frauenfrage, das ist bloß ein neuer Tummelplatz für männliche Überlegenheit.

Wenn der Mann in allem besser ist, dann gilt das auch für die Behandlung der Frauenfrage. Und für sein Leiden an der Gesellschaft; so erfahren wir durch die Lektüre der Werke der Theoretiker, daß der Mann noch mehr entmenschlicht, noch mehr unterdrückt, noch vielfältiger ausgebeutet wird durch die Unterdrückung der Frauen als die Frauen selbst! Das Patriarchat knechtet ihn noch mehr als die Frauen.

Den Weg wies bereits Ludwig Marcuse:

«Innerhalb der bestehenden Strukturen sind weder Männer noch Frauen frei – die Entmenschlichung der Männer ist möglicherweise sogar größer als die der Frauen, da sie nicht nur unter Fließband und Montagearbeit leiden, sondern auch unter den Maßstäben und der ‹Ethik› der ‹Geschäftswelt›.»

Ganz klar: in der Chefetage wird noch heftiger gelitten als in der Fabrikhalle.

Die Frauen «profilierten» sich mit ihrer entfremdeten Sexualität? Mann, das war noch gar nichts gegen die Entfremdung der Sexualität der Männer:

«Alle Revolutionen fordern ihre Opfer. Die sexuelle Revolution ist da keine Ausnahme. Überraschenderweise stellt sich heraus, daß die meisten und die tragischsten Opfer dieser Revolution nicht Frauen waren, sondern Männer.» Wieso denn das? Ja, weil die Frauenbewegung Verheerendes angerichtet hat in der männlichen Psyche. Der Mann fühlt sich durch sie angegriffen, eingeschüchtert, verunsichert und in die Defensive gedrängt. Vielen blieb nur die «Flucht in die sexuelle Funktionsfähigkeit oder in die Homosexualität».

Was blieb bei den Männern haften von all unseren Bemühungen, ihnen unsere Sichtweise verständlich zu machen? Männer haben sich der Themen angenommen, das wohl. Vor allem zwei Sorten von Männern. Zum einen die Männer, die sich in der Homosexuellenbewegung engagieren. Wir glauben nicht, daß diese Männer «auf der Flucht» vor den aggressiven Feministinnen sind, und sehen diese Männer und ihre Literatur unabhängig von unserer jetzigen Fragestellung. Zum anderen tun sich unter diesen Männern die Wissenschaftler besonders hervor, die in teils populären, teils akademischen Publikationen die Geschlechterfrage aufgriffen. So Eric Skej, Psychologe, und sein Kollege Richard Rabkin, Arzt:

«Das Auftreten emanzipierter, selbstbewußter Frauen hat in vielen Männern Geschlechtsrollenstress hervorgerufen. Eine solche Frau weigert sich z.B., ihrem Chef Kaffee zu kochen, oder sie wehrt bewußt die Versuche eines Mannes ab, ihren Diskussionsbeitrag zu unterbrechen … Vielleicht verlangt sie von ihrem Mann auch, daß er Donnerstagabends immer das Abendessen zubereiten soll, weil sie dann immer eine Vorlesung in der Abendschule hat … Leider werden solche inhaltlich vielleicht gerechtfertigten Forderungen oft in einer Art und Weise von Frauen vorgetragen, die auf Mißtrauen, Konflikt und Kampfbereitschaft zurückgehen. Sie (diese Frauen) behandeln den Mann wie einen Gegner und nicht wie einen Freund, auf dessen Hilfe man hofft. Damit vernichten sie das Gefühl der Partnerschaft zwischen den Geschlechtern, ein Gefühl, das die Männer sich leidenschaftlich in ihren Beziehungen zu Frauen wünschen.» Damit erst werden die Männer «herausgedrängt» aus einem «Kampf, den sie zunächst als gemeinsame Befreiung verstanden hatten».

Wie häßlich ist das doch von diesen Frauen. Wo die Männer einen so tiefgehend egalitären Standpunkt hatten, immer schon, und zu einer Modernisierung ihrer möglicherweise etwas veralteten Haltungen gerne bereit gewesen wären.

«Wenn man Dinge verändern will, dann muß man das ganz sanft angehen, sonst kann man sehr viel Schaden verursachen …» warnen die Autoren. Was tat aber die Frauenbewegung statt dessen? Sie ging ganz rüde gegen das empfindsame und sensible Geschlecht der Männer vor.

Wenn man sich dieses und ähnliche Bücher anschaut, hofft man streckenweise, diese Schriften seien satirisch oder wenigstens humorvoll zu verstehen. Können wir wirklich noch im Jahr 1981 ernsthaft mit der These konfrontiert werden, daß es Frauen nichts ausmacht, mit einem Mann ins Bett zu gehen, obwohl sie gerade überhaupt keine Lust dazu haben, nur weil sie es ja einfach «geschehen lassen» können, während hingegen ein Mann, der nicht will, sein Versagen nicht geheimhalten kann, sondern für alle Zeiten schrecklich blamiert ist? Sollen wir Skej und Rabkin tatsächlich ernst nehmen, wenn sie uns Fallgeschichten von jahrelang untreuen Ehemännern anbieten, die bei einer einmaligen Untreue der Ehefrau mit Panik und sogar mit Wahnsinn reagierten, und sollen wir aus diesen Fallgeschichten folgern, daß Frauen eben behutsamer vorgehen müssen bei ihrer Befreiung?

Nicht zuversichtlicher stimmen uns die Ergebnisse, die Jacqueline Simenauer und David Carroll herausfanden, als sie die männliche Reaktion auf die Frauenbewegung untersuchten. Dabei waren wir gerade auf ihre Untersuchung besonders gespannt. Schließlich waren die Ergebnisse ihrer Umfrage so angekündigt worden:

«Zwei Drittel der von uns befragten Männer bewerteten die Frauenbewegung und ihre Folgen positiv.»

Sehr gut. Gespannt lasen wir weiter, um zu sehen, welche Errungenschaften der Frauenbewegung diese Männer besonders erfreut hatten. Hier einige ihrer Aussagen:

«Frauen sind unabhängiger und direkter geworden. Mir ist das nur recht. Für mich ist das eine tolle Entlastung. Sie verführen mich. Sie zahlen die halbe Rechnung, also sparen sie mir Geld. Sie laden mich übers Wochenende in ihr Ferienhaus ein. Außerdem wollen sie unabhängig bleiben, daher muß ich nicht mehr Angst haben, daß sie plötzlich geheiratet werden wollen. Heutzutage kann ein Mann sich einen ganzen Harem von Frauen halten, und diese Frauen kosten ihn keinen Pfennig. Bravo! Ich bin für die Frauenbewegung.»

«Ich geh am liebsten mit einer Feministin weg. Die sind so scharf drauf zu zeigen, daß sie genauso frei sind wie ein Mann, daß sie sofort mit dir ins Bett gehen.»

Den Autoren schien es nicht der Kommentierung würdig zu sein, daß die Bejahung der «Emanzipation» seitens der Männer darauf hinauslief, daß man Frauen mit den Schlagworten der Frauenbewegung zu noch bequemeren Freizeitgefährtinnen machen konnte. Und sie verloren kein Wort über den zynischen Grundtenor dieser Aussagen.

Die Literatur zur Männerfrage läßt sich in einige Grundkategorien gliedern. Die frühesten Bücher waren eher philosophisch, dann ethnologisch und dann psychologisch motiviert. Was ist das Wesen der Geschlechter? Welche sozialen Organisationsformen und Riten und Rituale untermauern die Unterscheidung, und welche Aufgaben erfüllen sie für das Fortleben der Menschheit? Wie hängen Seele und Biologie zusammen, und welche Rolle spielt dabei die Erziehung und die sexuelle Erfahrung? Aber selbst die frühesten Arbeiten entstanden erst, als Sexualität zu einem «Problem» geworden war. Und das ist vielleicht eine interessante Beobachtung: daß Sexualität, trotz ihrer zentralen Bedeutung, erst dann ein Thema für Literatur und Forschung wurde, als die bestehende Geschlechterordnung in Frage gestellt wurde.

Die englischen Suffragetten leisteten in dieser Weise den vielleicht bedeutendsten Beitrag für die angelsächsische Ethnologie: Ihre Unzufriedenheit mit der Stellung der Frau in der Gesellschaft bewegte die Forscher, sich der Frage der «Natürlichkeit» dieser Ordnung zuzuwenden. Das hatte dann auch Werke über die «Männlichkeit» zur Folge, allerdings noch in einer sehr bescheidenen Anzahl. Sie befaßten sich mit den Kulturen primitiver Völker und beschrieben die Männer-Jagdgruppen, die Beschneidungs- und Kriegerrituale.

Heute gibt es eine recht umfangreiche echte Männer-Literatur. Dabei ist festzustellen:

1. Die ethnologischen, sozialpsychologischen und soziologischen Arbeiten bestehen fort. Die Geschlechtsrollenforschung konzentrierte sich zwar zunächst auf die weibliche Geschlechtsrolle, ganz als ob Frauen wirklich nur eine abweichende Minderheit waren, die der Erklärung bedurfte. Aber das hat sich inzwischen gründlich geändert. Allgemeine und spezielle Studien über männliche Erziehung, männliches Verhalten, männliche Gruppenbildung füllen die Regale und die Fachzeitschriften. Alle nehmen ihren Ursprung im Dialog (bzw. in der Auseinandersetzung) mit der Frauenbewegung. Warum sind Männer gewalttätig, und wann und wie werden sie so? Sind kleine Buben wirklich anders als Mädchen, oder werden sie nur von den Eltern und der Umwelt dazu gemacht? Diese Studien haben einen unterschiedlichen Grad an offener Parteilichkeit. Es können Rechtfertigungsbücher, obskure Teiluntersuchungen (gibt ein Mann in Experimenten eher Elektroschocks aus als eine Frau?) und großangelegte Erklärungswerke sein.

2. Als direktere Antwort auf die Frauenbewegung entstand eine Literatur, die sich die Befreiung des Mannes zur Aufgabe machte. Sie versteht sich explizit als Gegenstück zu den Büchern des Feminismus. Dem männlichen Leser wurde nähergebracht, daß auch er ein Opfer der Sexualpolitik ist, durch eine harte Erziehung darauf gedrillt, die mit vielen Nachteilen belastete...

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