BINDESTRICH-POST
Die Menschen haben ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht. Es ist ein kleiner Bindestrich, den der E-Mail-Erfinder Ray Tomlinson gar nicht mag. Ginge es nach seinem Willen, dann würde seine Schöpfung einfach nur Email heißen. Und nicht E-Strich-Mail.
Es sei nun an der Zeit, dem Bindestrich in der Electronic Mail ein Ende zu bereiten, sagt er: „Email has existed for over thirty years; the hyphen is just not needed anymore.“
Aber der Mann kämpft gegen Windmühlen, deren Flügel stark sind. Sehr stark sogar. Die größte Internetsuchmaschine Google zählt „ungefähr 4.070.000.000 Ergebnisse“ für die Bindestrich-Mail, aber nur 2.340.000.000 Einträge für die Tomlinson-Variante. Und dieses Ergebnis ist schon sehr wohlwollend gedeutet. Denn unter den Suchbegriff Email fallen auch zahlreiche Einträge, die gar nichts mit elektronischer Post zu tun haben.
Email ist nämlich auch ein altes gebräuchliches Wort für eine Schutzschicht auf Metalloberflächen – besser bekannt unter der Schreibweise Emaille. Die Berliner sprechen dies auch gern Emallje aus, genauso wie sie von der Schurnallje sprechen, wenn sie Journalisten meinen. Oder von der Kanallje, wenn sie jemanden beschimpfen wollen.
Dieses Vokabular würde E-Mail-Erfinder Tomlinson wohl 49 nicht verwenden, auch wenn ihm die Bindestrich-Variante manchmal im wahrsten Sinne des Wortes gegen den Strich geht. E-Book, E-Business, E-Cash, E-Commerce – ständig entstehen neue Wortkreationen in der E-Lektrowelt.
Selbst die deutsche Internetgemeinde fällt ihm in den Rücken. Ohne Rücksicht auf den Willen des Erfinders haben die obersten Sprachwächter aus der Duden-Redaktion für die deutsche E-Mail die Bindestrich-Schreibweise festgelegt. B-Asta.
Nun könnte man sagen, der Mensch fährt ja auch mit der S-Strich-Bahn oder hört im O-Strich-Ton ein Konzert in D-Strich-Dur. Dies funktioniert im Schriftdeutsch auch reibungslos. Aber in der gesprochenen Sprache kann die Bindestrich-Variante manchmal zu merkwürdigen Eigenheiten führen.
Nehmen wir an, eine Kundin des Internetanbieters T-online führt ein Telefonat. Sie will ihrem Gegenüber mitteilen, wie sie am besten per E-Mail erreichbar ist. Sie sagt also ihren Namen und dann die Adresse mit der Endung @ T minus online Punkt de. Plötzlich wird der Vorteil zum Nachteil. Aus dem geschriebenen Bindestrich wird ein gesprochenes Minus.
Für den Erfinder der Electronic Mail offenbar kein Grund, Pessimismus zu verbreiten: Es sei schon häufig in der englischen Sprache vorgekommen, dass neue Wortkreationen mit einem Bindestrich versehen wurden, weil sie ursprünglich aus zwei Wörtern stammten. Aber dann, sagt Tomlinson, wenn das Wort in den gewöhnlichen Sprachgebrauch eingegangen sei, dann habe der Strich auch schnell wieder seine Bedeutung verloren.
Es ist wohl diese Beharrlichkeit, die einen erfolgreichen Erfinder von einem @-Minus-Normalbürger unterscheidet – Google hin und Duden her.
TOTAL VERNETZT UND EINSAM
Er hat kein gutes Gefühl. Meier kommt morgens ins Büro, fährt den Rechner hoch und klickt auf sein E-Mail-Programm. Noch während er hastig an seiner Kaffeetasse nippt, schielt er mit einem Auge auf den Computer.
Er will bereit sein, wenn die munter einlaufenden Nachrichten den Bildschirm füllen. Anfragen von Kunden, Aufträge von Kollegen und vielleicht ein Gruß von einem alten Bekannten. Etwas Spannendes, Unerwartetes, Schönes, Hektisches, das seinen Puls in Bewegung bringt.
Allein, es tut sich nichts. Der Computer arbeitet, die Internetverbindung ist stabil, aber Meier startet diesen Morgen ohne neue Nachrichten. Es ist die Höchststrafe für den total vernetzten Menschen der Internetgesellschaft: Modernes Mobbing besteht heute darin, den Tag im Büro ohne neue Nachrichten beginnen zu müssen. Menschen wie Meier sind digital ausgesperrt – total vernetzt und einsam.
Wer es seinem Kollegen mal so richtig zeigen will, schreibt ihm bewusst keine E-Mail. Auflaufen lassen, kaltstellen, isolieren. Bedeutungsverlust wird heute in Megabyte gemessen. Derjenige, dessen Postfach als Letztes vollläuft, hat verloren. Weil er unwichtig ist. Weil man ihm nichts zu sagen hat. Weil man ihn gar nicht braucht.
Noch nie in der Geschichte der Menschheit waren Lebewesen so eng vernetzt wie heute. 96,1 Prozent der 14- bis 29-Jährigen nutzen regelmäßig das Internet, sagt die ARD/ZDF-Onlinestudie 2009. Aber gerade unter den supervernetzten, jungen, vitalen Studenten schleicht sich ein merkwürdiges Gefühl ein.
Eine Untersuchung des Hochschulmagazins Unicum kommt zu dem bitteren Schluss, dass die aktuelle Studentengeneration zwar enorm gut verkabelt ist, sich aber eben auch sehr allein fühlt. Die Einsamen fallen durchs digitale Netz.
Der Soziologe Tino Bargel bezeichnet die aktuelle Generation von Studenten als „Einzelkämpfer“, sehr stark geprägt durch Technologie, Globalisierung und Individualisierung. Sie organisieren sich in Netzen wie Facebook oder StudiVZ, aber für mehr als die Hälfte der 750 Befragten haben Mitstudenten keine besondere Bedeutung mehr.
Für 40 Prozent ist der Laptop sogar der wichtigste Alltagsgegenstand geworden, noch vor Mobiltelefon, Portemonnaie oder Schlüssel. Und nur 8 Prozent sehen in ihren Kommilitonen noch echte Verbündete. 8 Prozent!
Kein Wunder, dass die Einzelkämpfer in der Studie das Lied Allein Allein der Dresdner Band Polarkreis 18 zur inoffiziellen Hymne ihrer Generation wählten. Was aber kann ein junger Mensch tun, wenn er die Hochschule verlässt. Wenn er seinen Bürojob beginnt und dann tatsächlich Allein Allein ist, weil die E-Mail-Umwelt ihn im Stich 53 lässt? Drei Denkvarianten sind dazu möglich.
Variante eins orientiert sich an der Realität und heißt „einfach ignorieren“. Abtauchen ins echte Leben. Freunde treffen, Kino, Kneipe, Sport – jede Form der Abwechslung und des sozialen Austauschs ist willkommen.
Variante zwei geht offensiv mit dem Phänomen des Alleinseins um. Wer die Antwort auf seine Fragen im Netz sucht, der landet vielleicht irgendwann einmal auf der Seite www.alleinr.de. Dort findet der Betrachter einen virtuellen Ruheraum. Er liest zunächst diese Zeilen: „Endlich allein. Entspannen Sie sich. Hier müssen Sie nichts tun. Sie melden sich nicht an, Sie laden nichts hoch, Sie kommentieren nicht, Sie knüpfen keine Kontakte. Niemand beobachtet, was Sie tun. Sie sind allein.“
Und dann fährt der Leser mit der Maus ein Stück nach unten und blickt auf einen komplett schwarzen Bildschirm. Das ideale Programm für all diejenigen, die das Alleinsein durch Onlinekommunikation genau mit Onlinekommunikation therapieren wollen.
Wem das noch nicht reicht, der greift zu Variante drei – einer Brachialmethode, die aber argumentativ durch nichts übertroffen wird. Dieser Weg orientiert sich an einem einfachen Rat der amerikanischen Autorin Julie Morgenstern: „Never Check E-Mail in the Morning.“
Wer morgens erst gar nicht in sein Postfach sieht, kann auch nicht enttäuscht werden – völlig egal, ob er allein ist oder nicht.
DIE FLEDERMÄUSE ZWITSCHERN ES VON DEN BLÄTTERN
Der Mensch ist ein kommunikativer Charakter. Sprache, Buchdruck, Telefon. Immer wieder denkt sich das vermeintlich intelligenteste Geschöpf auf diesem Planeten ein neues Kommunikationsmittel aus, um noch schneller, noch intensiver, noch besser mit anderen Lebewesen in Kontakt treten zu können.
Autokauf im Internet? Eine Erfindung des Menschen. Jobsuche online? Entstanden durch menschliche Intelligenz. Interaktive Wohnungssuche oder gar Austausch in sozialen Netzen? Nein, an dieser Stelle ist der Mensch nur zweiter Sieger.
Das Prinzip, bei der Suche nach Immobilien auf den kommunikativen Rat der Artgenossen zu hören, ist uralt und stammt von den Fledermäusen. Diese Lebewesen sind ähnlich dem Mensch ausgesprochen kommunikativ. Sie benutzen eine Reihe von Lauten, mit denen sie ihr soziales Leben organisieren.
Die Suche nach einem Partner, die Beziehung zwischen Mutter und Kind oder die Warnung vor Gefahr: Immer setzen die Tiere bestimmte Geräusche ein, mit denen sie ihren Fledermaus-Alltag gestalten. Und dazu gehört auch die interaktive Wohnungsvermittlung, wie die amerikanische Biologin Gloriana Cheverri mit ihren Kollegen gezeigt hat.
Fledermäuse übernachten in aufgerollten Blättern. Sie wechseln häufig die Wohnung und sind deshalb auf Tipps und Hinweise wichtiger Multiplikatoren angewiesen. Dazu setzen sie ein spezielles System von Fragen und Antworten ein, mit denen sie ihre Bekannten auf interessante Unterkünfte aufmerksam machen.
Um dies zu zeigen, hatten die Forscher eine Gruppe von Haftscheibenfledermäusen in Costa Rica eingefangen. Die Wissenschaftler setzten jeweils ein Gruppenmitglied in ein zuvor ausgewähltes aufgerolltes Blatt. Danach ließen sie ein weiteres Mitglied aus der Gruppe frei.
Dabei zeichneten die Forscher alle Laute und Geräusche der Tiere auf. Die freigelassene Fledermaus begann sofort, ihre Freunde zu suchen – begleitet von gezielten Frage-Rufen. Praktisch ohne jede Verzögerung antworteten die im Blatt wartenden Fledermäuse. Und sie taten dies derart eindringlich, dass die wohnungssuchenden Tiere in den meisten Fällen in ein Blatt stiegen, aus dem sie zuvor eine Antwort erhalten hatten.
Damit handeln die Fledermäuse nicht anders als Internetnutzer,...