Gedichte 1992–2001
Peter Prandstetter an Walter Schlorhaufer, 1.3.1995
Wenn Sie ein bildender Künstler geworden wären, hätten Sie knappe, harte, scharfe Holzschnitte gemacht; aber weil diese nicht zugleich so zart sein können wie Aquarelle, haben Sie Gedichte geschrieben.
Zurück zur Geburt
zurück zum Gesetz
des Todes
Augenblicke einzeln
gefädelte Ewigkeit
endlos
Wie wahr
die Lehre gezogen
aus der Moral
der Fibrillen
Logos und Ethos
gestürzt von der
Leiter
da der Topf ein Loch hat
und am End
eine Liebesgeschichte
Wie wahr
hätt er nur ein Loch
der Topf
Zum Tod von Gertrude Stein: 27.7.1946
Es flaut ab
und ist doch Welle
ist doch Wind gewesen
wild und heiß
Nun ist Brutzeit
der Leiden im Singen
der Nacht
nach Schwalbenschwanznoten
daß es weit weg ziehe das Leid
mit der Lieb auf dem Rücken
Die Tränen sind zum Opfer
eines Augenübels geworden
Das Weinen verstummt
Es hört ihm niemand zu
unter der Martinslampe
Von den Steinen (1)
Diesseits bin ich, ein Teilstück des Teilstücks,
eine Gebärde, ein Zufallsschrei.
Gelächter unter mir, ein schrilles, ein schwarzes.
Hören, um etwas anderes zu sehen,
sehen, was man nicht will.
Nennt man das, was endlos sich dehnt
Sehnsucht?
Sucht sicher,
geläng es einem, sein eigener
Grabstein zu werden.
Schreiben Steine?
Nein. Auf ihnen wird geschrieben:
Principio, quod amare velis.
Schon geschehen, mein lieber Ovid.
Die vielen Steine:
Der auf der Straße der Verlassenheit,
ich, der Stein des Anstoßes,
von dem du gesprochen hast,
der Edelstein, der ich gern wäre,
Stolper und Trittstein zugleich,
und der vom Bruch.
In principio waren die Zyklopenblicke
unter einem Lukenfenster.
In der jungen Dachkammer
läuteten die Freitagsglocken,
auch sie noch jung, obzwar schon alt.
Weiß ich, wer einmal sagte,
das Abendrot stimme traurig,
schön wie Abschied, schön wie scheiden.
Will es der Stein so?
Ein schwarzer Himmel bedarf
der Blitze, die ihn erhellen.
Ich warte auf das Licht, auf daß
sich erfüllen möge das Fügen,
anders, aber wieder.
Von den Steinen (2)
Hat jemals uns der Frost gelockt?
Wie hat die Sonne sich
um die Sonne bemüht,
was sagten wir alles,
was taten wir,
wie wurden wir
zusammen schön.
Hört ich nur, was drinnen vorgeht,
da die Dächer der Häuser
schon weiße Flecken tragen,
obwohl es noch nicht
Mittwinter ist.
Blicke heben die
Dächer nicht ab.
Weißt du, daß die Turmuhr
lang schon still steht?
Von Steinen geredet.
Hier liegt einer
und möcht aufgehoben werden.
Such im Mantel vom Vorjahr.
In der Tasche muß ein
grüner liegen,
ruhig, eben wie ein Stein.
Nicht zum Rücken zur Wand,
sondern vornübergebeugt
an die Mauer gestellt
nach Waffen durchsucht
von der großen Frau:
Da war das Elend des Schnürbaums
groß. Zieh zu, zieh zu.
Der Drossel erstickte Kehle
singt weiter.
Denk nachts
wach
Erinnerung
spür
Denk nachts
wach
ans Kreisgehen
als Gefangener
Denk tags
Ichschatten
Spür nicht
denk Liebe
Denk nachts
ans Hinaufsteigen
und Hinuntergehen
als Taggewächs
Erfunden
Immer Oktober
erfunden aus Stroh und Weizenmehl
Mutters Korn im Aug
der Nessel Taubheit gesaugt getrunken
vom Blau der Käsepappel mit Simons Stock
Angriff der Trochäen die der Hebung
Kampflust Laura zufüßen legen und sagen
jetzt und jetzt
und das ist alles
Gebrochene Stimme
ad altare dei unverwahrt
das Erbe der Linse eingetragen
im Paß der Fehlsichtigkeit Doppelbilder
nackter Leiber Stilleben Freitags um drei
das Weinen des Estrichholzes hitzeknarrend
im Sommer beim Besuch der feuchten Blumen
im Sehnsuchtsregen
Pfleger der hängenden Gärten
blutrot für Semiramisblüten
Vogelbauer in Kanariengelb tot
im handtuchverhängten Flattern des Käfigs
Über Wasser gehalten
minutengenau vom Anruf Du und wieder Du
und immer Du Buber mein
laß mich Christ auch Jude sein
geglaubt in Spitalsstadt
Narbensaiten auf dem Papier
der endlosen Liste von Kürzeln
Abnahme schwerer als Erkennungsmarken
unter Beschuß
Valverde hat dich
hier Thomas finis mundi selig gesprochen
im Jahr dreitausend p.ch.n.
da Seine Heiligkeit in Jeans
alles Gold der Altäre
an die Armen der Welt
nur die Glocken nicht
die nicht
Allerster Tag des Anfangs
benagt von Ratten
des ausgeklügelten Labyrinthes
Maultier des Kreuzes des Halbmonds
schwanger bewacht von Schweizer Garden
Vasenglas mit Winterflieder
geboten verbotener Überfluß
des gesegneten Ja
stieg ich so die Stiege hoch
die Stiegenleiter
hast du alles
brauchen noch
alles
Woche des Zorns
für den kelimroten Rücken
einer Nacht
stehende Trauer
wäre besser gewesen
Vasenglas auf dem Brett
des Winters kältestarr
auf Asche die im Niederfallen
schluchzenden Blüten des Winterflieders
nie wieder das Weiß ungewollter Kinder
fliederfarbene Gutnacht
Hinter dem Rücken der Nacht
mit wanderndem Glas
auf die Hinterseite des Spiegels
Spiegelflieder an Mondglasfäden
die die Lippen reizen
am Grund des Himmels blüht
die Nichtigkeitsblume
das Dünkelkraut der Armut
schottergewohnt
was übrigbleibt ist für mich
Flieder Gegenblüh im Wasser
des anderen Ufers
da sind die hohen Lerchen
nur dünn zu hören
Wolkenfeuer über dem Bündel
es war ein Köfferchen ohne Geld
da nimmt die Freud nicht Gestalt
an wie
weh mir
wie mir
laß bleiben
laß gehn
Am See schon in aller Früh
aus dem Jalousienfenster gesprungen
kein Ufer nur Kirche die
der Kapuziner und Nußkipfel
Kindertrost
Weg hier nur weg hier
aus dem anderen Krieg
Vater aller Dinge
hier hat jeder Doktor
ein Haus jeder Liebhaber
ist ein Onkel
Altersheim und Sterbebett
für die andere sie wenigstens sie
Versuch des Fensterklopfens
ohne Aussicht
die Zeugen des Bundes verschollen
durchgereist auch sie
mit dem Koffer an der Straßenecke
feige wie ich
Zieh endlich weg du Dadaist
der Liebe du willst den Affen
in Hellbrunn nicht zusehen und
Anais muß es auch nicht sein
Betrogen vom Trug der Schwelle
der Lüge des Balkens
die Drossel zur Befragung des Todes
Steine schweigen
zweifelsohne sind sie Väter
was sollen sie auch sprechen
mit den Leuchttürmen
im zyklothymen Gewitter
Entrinnen
als bliebe vom Sein nur
der Schein der ersten Stunde
Heimgehen
dorthin wo noch die Kerze
der Begegnung brennt
Oder um Reminiscere im
Haus von Petrarca
die Maus zu hören
Da ich
dort du
dazwischen die Wand
Selig nicht du
froh nicht ich
Die Wand
Ein Liebender stirbt jede Nacht
ein Licht erlischt und nichts vollbracht
Die Liebenden sie sterben so dahin
sie zittern lang und sind dann fort
sie hinterlassen nichts
sind kein Gewinn
sie sind nur Liebe
Ein Liebender stirbt jede Nacht
und stellt sich viele Fragen
und ehe er die Lieb vollbracht
wird er hinaus getragen.
Kein Südbett
fürs Fortgehen
mit räudigen Katzen.
Kein Entkommen
dem Latrinengeruch.
So wandert die
orthodoxe Kerze
von der Ecke des Abends
zum Winkel der Nacht.
Korfu, mein Korfu,
in deinen Gassen wohnt
die Angst in den Eingeweiden.
Nicht zu verstehen der Flugaufruf,
leidverdünnt wie im Ja.
Nie wenn ich allein war.
Da schrillt noch die Glocke
brennt das Feuer
flammt der Schmerz
unter der Glut des Vaters
die Kochhitze der Mutter
daß sie die Gasse auf und ab rennen
Die Haut fällt von ihren Knochen
die Steine glühen
heiß auch das Scheit unter dem Knie
und noch der Seufzer des Papiers brennt
Das Lamm, das Lamm
schmort vor sich hin zu Ostern
und die Schafe blöken
außer Haus
verdammte...