1 Sterben, überleben oder aufblühen?
Farhana Yamin
Am gegenwärtigen Punkt der Menschheitsgeschichte haben wir die Wahl zwischen drei Möglichkeiten: sterben, überleben oder aufblühen.
Von den Waldbränden in den USA über das Korallensterben in den Tropen bis hin zu den tödlichen Hurrikans, die über kleine Inseln hinwegfegen, sind die Zeichen kristallklar: Die Klimakatastrophe ist bereits da. Die ärmsten Menschen der Welt und die indigenen Gemeinschaften stehen an vorderster Front. Sie tragen die Hauptlast des sechsten massenhaften Artensterbens, das derzeit stattfindet, weil ihre Wälder, Feuchtgebiete und andere naturbelassene Landschaften in Betonstädte, Stauseen und Sojafelder umgewandelt werden.
Ich habe mich Extinction Rebellion angeschlossen, um gegen die Klimakatastrophe und den ökologischen Notstand zu kämpfen, mit dem wir uns derzeit konfrontiert sehen – einem Notstand, der die Grundvoraussetzungen allen Lebens auf der Erde bedroht. Ich bin seit dreißig Jahren Umweltanwältin und arbeite an der Entwicklung neuer Abkommen, EU-Vereinbarungen und nationaler Gesetze, die darauf abzielen, eine Situation wie die, in der wir uns nun befinden, zu verhindern. Leider weiß ich, dass die Katastrophe sich nicht dadurch abwenden lässt, dass Staaten schwache Übereinkünfte und freiwillige Vereinbarungen mit den größten Umweltverschmutzern der Erde treffen. Und ebenso wenig lässt sie sich abwenden, indem man an Kohlenstoffmärkten herumdoktert, denen Lobbyisten der fossilen Brennstoffindustrie jegliche Klimaambitionen genommen haben. Wir müssen unsere politischen Systeme so reformieren, dass der Zugang der Großkonzerne zur Regierung eingeschränkt wird. Wir brauchen Bürgerinnenversammlungen, die es gewöhnlichen Bürgerinnen ermöglichen, auf der Basis unabhängiger wissenschaftlicher Empfehlungen über Umfang und Geschwindigkeit des Wandels zu entscheiden.
Wir brauchen Gesetze, die Ökozid verhindern – also die Vernichtung von Insekten, Pflanzen und Ökosystemen, die die Menschheit für Nahrung, Bestäubung, sauberes Wasser und gesunde Meere braucht. Alle Parlamente auf nationaler, regionaler und kommunaler Ebene müssen einen Klima- und Umweltnotstand ausrufen, wie es 91 Volksvertretungen in Großbritannien getan haben, darunter London und das britische Parlament, und sie müssen anfangen, Ressourcen anders zu verteilen.
Die Wahrheit ist, dass Politikerinnen und mächtige Eliten, die vom business as usual profitieren, ihre destruktiven Praktiken nicht einstellen und ihre Kontrolle über die finanziellen und ökonomischen Hebel nicht lockern werden. Sie werden weiterhin Subventionen für fossile Brennstoffe fordern. Nach offiziellen Schätzungen belief sich die finanzielle Unterstützung für fossile Brennstoffe von 2010 bis 2015 auf 370 bis 620 Milliarden US-Dollar, wobei Großbritannien jährlich 10,5 Milliarden Pfund und damit innerhalb der EU die meisten Subventionen für fossile Brennstoffe aufwendete. Sie fordern, dass wir ihr ungehindertes Recht anerkennen, weiterhin neue Kohlebergwerke und Fracking zu finanzieren und Gas- und Ölreserven selbst in den letzten verbliebenen Flecken unberührter Natur auf der Erde zu erschließen. Wir müssen darauf drängen, dass unsere Regierungen Menschenrechte und Ökosysteme unter gesetzlichen Schutz stellen und sie endlich ins Zentrum unserer rechtlichen, politischen und ökonomischen Systeme rücken.
Die herkömmliche Politik lässt uns im Stich. Sie hat den ganzen Planeten an den Rand einer ökologischen Katastrophe gebracht. Wir können nicht auf die unzulänglichen rechtlichen Mittel der vergangenen dreißig Jahre setzen und denen vertrauen, die diese Krise zugelassen haben. Es ist notwendig, dass alle sich zusammenschließen – Linke, Rechte und jede politische Couleur dazwischen, und besonders junge Leute, von denen viele zu desillusioniert sind, um sich an Wahlen zu beteiligen, oder die ausgeschlossen sind, weil sie erst sechzehn Jahre alt sind. Es ist notwendig, dass alle sich massenhaft an zivilem Ungehorsam beteiligen, um auf der ganzen Welt eine neue politische Realität zu schaffen.
Das erreichen wir jedoch nicht, wenn wir uns in einzelnen Lagern abschotten. Wir brauchen eine movement of movements, eine breite Bewegung, um die Geschlossenheit und Dringlichkeit zu schaffen, die jetzt geboten ist. An der Spitze dieser neuen breiten Bewegung müssen unsere Jugendlichen und all jene stehen, die Widerstand gegen ein »Weiter so« geleistet haben, vor allem People of Colour und solche, die in erster Linie der Unterdrückung ausgesetzt sind. Die neue Bewegung muss auf der Tatsache aufbauen, dass das Vermächtnis des Kolonialismus zusammen mit den gegenwärtigen Formen des auf endlosem extraktiven Wachstum basierenden Kapitalismus uns buchstäblich umbringt. Es ist Realität, dass im globalen Süden allwöchentlich vier Umweltschützerinnen getötet werden. Wir im globalen Norden müssen ihre Arbeit würdigen und uns ihrem Kampf anschließen, indem wir uns ebenfalls körperlich in die Schusslinie begeben.
Wir brauchen einen sozial gerechten Wandel für alle auf der Erde, nicht nur für Arbeitskräfte in den toxischen Industrien, die schrittweise stillgelegt werden müssen, sondern für alle, die am meisten unter Sparpolitik und ökologischer Zerstörung zu leiden haben. Bei der Klimakatastrophe und der ökologischen Zerstörung geht es im Kern um soziale und generationenübergreifende Gerechtigkeit. Wir können uns nicht nur auf die Berechnungen und wissenschaftlichen Aspekte des Klimawandels fixieren und die Menschen und den Gerechtigkeitsaspekt außen vor lassen.
Das sind die Fakten, die den Zusammenschluss und die Intensivierung unserer gemeinsamen Kämpfe rechtfertigen, Kämpfe, die nur Erfolg haben werden, wenn es eine weltweite Rebellion gibt. Leugner des Klimawandels können nicht vertuschen, dass die Kämpfe um Zugang zu natürlichen Ressourcen, besonders zu Trinkwasser und Ackerland intensiver werden und dass große Teile der Erde schon jetzt wegen Nahrungsmittel- und Wasserknappheit unbewohnbar sind.
Menschen haben 51 Prozent der Landfläche des Planeten von Wald und Grasland in Ackerland, Weideflächen und Städte umgewandelt, allerdings auf eine Art und Weise, die landwirtschaftliche Produktivität untergräbt, Artenvielfalt zerstört und auf die Gebiete indigener Völker übergreift.
Mutterboden geht mittlerweile zehn- bis vierzigmal schneller verloren, als die Natur ihn ersetzen kann, und seit der Mitte des 20. Jahrhunderts sind dreißig Prozent des Ackerlandes der Welt durch Bodenerosion unfruchtbar geworden.
Die Insektenpopulation der Welt ist seit den 1970er Jahren um sechzig Prozent zurückgegangen. Weite Teile Europas sehen zwar grün aus, sind in Wirklichkeit aber »Biodiversitätswüsten« – Vögel und Bienen sterben. Die gegenwärtigen Aussterberaten liegen mindestens um das Zehnfache, möglicherweise sogar um das Hundertfache über den Hintergrundraten und zerstören ganze Ökosysteme auf dem Land und im Meer.
Der Klimawandel erwärmt die Atmosphäre, Meere werden übersäuert und die Kryosphäre – die eisbedeckten Teile der Erde – schmilzt buchstäblich weg. In der Arktis, der Antarktis, auf Grönland und bei den Gletschern der Welt, die für Nahrung, Wasserversorgung und Landwirtschaft wichtig sind, sind abrupte, nichtlineare, irreversible Veränderungen im Gang.
Die Folgen dieses Wandels für die Menschen – wirtschaftliche Instabilität, massenhafte unfreiwillige Migration, Konflikte, Hungersnöte und Zusammenbruch der Wirtschafts- und Sozialsysteme – sind offenkundig und täglich in den Nachrichten, aber diese Meldungen werden in der Mainstream-Politik und den Medienberichten nicht mit dem Klimawandel und dem ökologischen Notstand in Verbindung gebracht, in dem wir bereits mittendrin stecken.
Von 2006 bis 2011 litt Syrien unter der längsten Dürre und den schlimmsten Ernteausfällen in der Geschichte des Landes. Zwei bis drei Millionen Menschen verarmten und viele wurden zu Binnenflüchtlingen. Die daraus resultierende gesellschaftliche Instabilität verschärfte die politischen Faktoren, die zum Syrienkrieg führten, durch den mittlerweile die Hälfte der ursprünglich 13 Millionen Einwohnerinnen zu Binnenflüchtlingen wurden oder das Land verlassen haben. Ganz ähnlich sieht es im Jemen aus, wo bis zu zehn Millionen Menschen hungern, obwohl Millionen versuchen, sich in sicherere, ehemals fruchtbare Gegenden zu retten.
Die gängige politische Ansicht, die Bevölkerung reicher Länder könne in Ruhe abwarten und sich von den katastrophalen Umweltfolgen freikaufen oder wisse, dass der Wohlfahrtsstaat sie schon retten werde, wirkt mehr und mehr wie Traumtänzerei, je länger wir fest im Griff der Austeritätspolitik sind. Alle, die wissen, wie das weltweite System der Nahrungsmittelversorgung funktioniert und wie viele der Nahrungsmittel der Welt weniger als ein Dutzend »Flaschenhals«-Häfen passieren, dürften sich darüber im Klaren sein, dass unsere Volkswirtschaften aufs Engste miteinander verflochten sind. Die Auswirkungen werden alle treffen, nicht nur die Millionen auf der ganzen Welt, die schon jetzt darunter leiden. Die Hauptlast der neuen Katastrophen werden wahrscheinlich die armen Bevölkerungsgruppen tragen, besonders People of Colour auf der Nord- wie auf der Südhalbkugel, die der Umweltungerechtigkeit schon immer in vorderster...