VORWORT VON HOWARD MARKS
DIE AUSNAHME
W as ist für Warren Buffetts außerordentlichen Anlageerfolg verantwortlich? Das ist eine der Fragen, die mir am häufigsten gestellt werden. Und diese Frage möchte ich auch in diesem Vorwort behandeln.
Als ich Ende der 1960er-Jahre MBA-Student an der University of Chicago war, kam ich mit einer neuen Finanztheorie in Berührung, die vor allem dort in den Jahren davor entwickelt worden war. Einer der wichtigsten Bestandteile der „Chicagoer Schule“ war die Markteffizienzhypothese. Laut dieser Hypothese führen die kombinierten Bemühungen von Millionen intelligenter, motivierter, objektiver und informierter Anleger dazu, dass sich Informationen unverzüglich in den Marktpreisen niederschlagen, sodass die Anlagen eine faire risikobereinigte Rendite bieten, nicht mehr und nicht weniger. Demnach sind die Preise nie so niedrig oder so hoch, dass die Anleger daraus Vorteil ziehen können – und darum ist kein Anleger in der Lage, konsequent nutzbringende Gelegenheiten zu finden. Dank dieser Hypothese kam das berühmteste Diktum der Chicagoer Schule auf: Man kann den Markt nicht schlagen.
Die Markteffizienzhypothese ist die intellektuelle Basis dieser Schlussfolgerung und sehr viele empirische Daten zeigen, dass die meisten Anleger den Markt nicht schlagen. Das spricht recht deutlich dafür, dass niemand zur Outperformance in der Lage ist.
Es ist aber nicht so, dass kein Anleger den Markt schlagen würde. Ab und zu tun es einige und genauso viele weisen eine Underperformance auf. Die Kraft der Markteffizienz ist eben nicht so groß, dass die Renditen einzelner Anleger nicht von der Marktrendite abweichen könnten. Es wird lediglich behauptet, niemand schaffe das in ausreichendem Maße und so konsequent, dass er dadurch die Markteffizienzhypothese widerlegen würde. Wie bei den meisten Prozessen gibt es auch hier Ausreißer, aber ihre überlegenen Renditen werden als zufällig und somit kurzlebig beschrieben. In meiner Jugend kursierte der Ausspruch: „Wenn man genug Schimpansen mit Schreibmaschinen in einen Raum sperrt, tippt irgendwann einer von ihnen die Bibel.“ Soll heißen, wenn Zufälligkeit vorliegt, kann ab und zu eigentlich alles passieren. Meine Mutter sagte hingegen immer: „Ausnahmen bestätigen die Regel.“ Eine allgemeine Regel mag nicht zu 100 Prozent gelten, aber die Tatsache, dass Ausnahmen so selten sind, bezeugt, dass sie grundsätzlich stimmt. Jeden Tag beweisen Millionen von Anlegern – Amateure und Profis gleichermaßen –, dass man den Markt nicht schlagen kann.
Und dann gibt es noch Warren Buffett.
Er und ein paar andere legendäre Anleger – unter anderem Benjamin Graham, Peter Lynch, Stan Druckenmiller, George Soros und Julian Robertson – weisen Performance-Bilanzen auf, die für die Chicagoer Schule ein Schlag ins Gesicht sind. Sie haben über ausreichend lange Zeiträume die Marktperformance mit einem so großen Abstand und mit so großen Geldbeträgen übertroffen, dass die Verfechter der Markteffizienz dadurch in die Defensive gedrängt werden. Ihre Erfolgsbilanzen beweisen, dass Ausnahmeanleger den Markt durch Geschick schlagen können, nicht nur durch Glück.
Vor allem im Falle von Warren Buffett lassen sich die Belege nur schwer bestreiten. An einer Wand seines Büros hängt die von ihm selbst geschriebene Aussage, dass er The Buffett Partnership 1965 mit 105.000 Dollar gegründet hat. Seit damals hat er so viel zusätzliches Kapital angelockt und damit so hohe Renditen erzielt, dass Berkshire Hathaway heute ein Anlagevermögen von 143 Milliarden Dollar und ein Gesamtvermögen von 202 Milliarden Dollar besitzt. Seit vielen Jahren lässt er die Indizes weit hinter sich. Und im Zuge dessen wurde er zum zweitreichsten Mann Amerikas. Wobei diese Errungenschaft nicht wie bei vielen anderen aus der Forbes-Liste auf dynastischem Immobilienvermögen oder auf einer einzigartigen technischen Erfindung basiert, sondern darauf, dass er harte Arbeit und Geschick auf die Anlagemärkte verwendet, die jedermann offen stehen.
Was liegt nun Buffetts einmaligen Leistungen zugrunde? Meiner Ansicht nach sind dies die Schlüsselfaktoren:
■ Er ist super-intelligent. Eines der vielen Bonmots, die Warren Buffett zugeschrieben werden: „Wenn du einen IQ von 160 hast, verkaufe 30 Punkte. Du brauchst sie nicht.“ Wie Malcolm Gladwell in seinem Buch „Überflieger“ schrieb, braucht man, um sehr erfolgreich zu sein, kein Genie zu sein, bloß schlau genug. Außerdem steigert zusätzliche Intelligenz die Chancen nicht unbedingt. Es gibt ja Menschen, die so intelligent sind, dass sie sich selbst im Wege stehen oder den Weg zum Erfolg (und zum Glück) im richtigen Leben nicht finden. Ein hoher IQ reicht nicht, um jemanden zum großartigen Anleger zu machen, denn wenn dem so wäre, dann wären College-Professoren wahrscheinlich die reichsten Menschen Amerikas. Man muss auch geschäftstüchtig sein und „Köpfchen“ oder „Bauernschläue“ besitzen.
Ich habe den leisen Verdacht, dass Buffetts IQ weit über 130 liegt ... und dass er sich keineswegs bemüht, die „unwichtigen“ zusätzlichen Punkte loszuwerden. Seine Fähigkeit, den Kern einer Frage zu isolieren, wohlbegründete Schlüsse zu ziehen und daran selbst dann festzuhalten, wenn sich das Geschehen zunächst gegen ihn wendet – das alles sind Schlüsselelemente seiner Person und seiner Leistungen. Kurz gesagt: Er ist extrem analytisch.
Und er ist unglaublich schnell. Er braucht keine Tage oder Wochen, um zu einer Schlussfolgerung zu gelangen. Er braucht auch keinen Analystenkader, der Zahlen verdreht. Er hat nicht das Bedürfnis, alle Einzelinformationen zu kennen und zu berücksichtigen: nur die, auf die es ankommt. Und er hat ein tolles Gespür dafür, welche das sind.
■ Er ist von einer übergeordneten Philosophie geleitet. Viele Anleger meinen, sie seien so klug, dass sie alles im Griff haben – zumindest verhalten sie sich so. Außerdem meinen sie, die Welt verändere sich ständig und deshalb müsse man ständig seine Methode ändern, um sich daran anzupassen. Man müsse sich beeilen, um mit den neuesten Wundern Schritt zu halten. Das Dumme daran ist nur, dass niemand wirklich alles weiß, dass es schwierig ist, sich ständig umzustellen und neue Tricks zu lernen, und dass eine solche Einstellung einen daran hindert, Fachwissen zu erwerben und nützliche Abkürzungen zu erlernen.
Buffett hingegen weiß, was er nicht weiß. Er hält sich an das, was er weiß, und überlässt den Rest anderen. Das ist von wesentlicher Bedeutung und schon Mark Twain hat gesagt: „Nicht das, was man nicht weiß, bringt einen in Schwierigkeiten, sondern das, was man mit Sicherheit weiß, das aber einfach nicht stimmt.“ Buffett investiert nur in Branchen, die er versteht und mit denen er sich wohlfühlt. Er konzentriert sich auf recht prosaische Gebiete und meidet beispielsweise Hightech-Unternehmen. Er ist berühmt dafür, dass er Dinge ignoriert, die außerhalb seiner Philosophie und seines Horizonts liegen. Und vor allen Dingen kann er damit leben, dass die Dinge, die er ignoriert, womöglich anderen Leuten Geld bringen und er ihnen dabei nur zuschauen kann. (Die meisten Menschen können das nicht.)
■ Er ist geistig flexibel. Dass man sich von einer bestimmten Philosophie leiten lassen sollte, bedeutet nicht, dass es nie gut wäre, sich zu ändern. Es kann sinnvoll sein, sich an wesentlich veränderte Umstände anzupassen. Es kann sogar sein, dass man dabei auf eine bessere Philosophie stößt. Entscheidend ist, dass man weiß, wann man sich ändern und wann man standhaft bleiben muss.
Am Anfang seiner Laufbahn übernahm Buffett die Methode seines großen Lehrmeisters Benjamin Graham. Dessen Ansatz waren „verborgene Werte“ – er kaufte Verstoßene, wenn sie praktisch verschenkt wurden, vor allem wenn er die Unternehmen für weniger als ihren Barbestand kaufen konnte. Manchmal hieß es abschätzig, er lese „Zigarrenstummel“ auf. Doch nach einer Weile legte Buffett, unter anderem auf Drängen seines Partners Charlie Munger, mehr Wert darauf, hochwertige Unternehmen mit schützenden „Burggräben“ und Preissetzungsmacht zu suchen, die von herausragenden Menschen geleitet werden und zu vernünftigen Preisen (aber nicht unbedingt geschenkt) zu haben sind.
Lange Zeit gehörte es zu Buffetts Ansatz, dass er vor kapitalintensiven Unternehmen zurückscheute, aber er überwand diese Neigung und kaufte nach dem Finanzkollaps 2008 die Eisenbahngesellschaft Burlington Northern Santa Fe, weil sie auf die konjunkturelle Entwicklung reagierte und die Aussicht bestand, dass der Bahngüterverkehr zunehmen würde.
Eine Philosophie sollte der Orientierung dienen, aber nicht zur Erstarrung führen. Dieses Dilemma ist – wie so vieles andere bei der Geldanlage – schwer in den Griff zu...