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E-Book

Weltgeschichte der Sklaverei

AutorEgon Flaig
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl245 Seiten
ISBN9783406720291
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR

Dass wir ohne Sklaverei leben, ist nicht selbstverständlich. Dieser Zustand ist historisch errungen und kann wieder verloren gehen. Die Anzahl der in Unfreiheit geratenden Menschen steigt täglich; damit drohen die Menschenrechte zu wertlosem Papier zu werden. Dieses Buch zeigt, was hier auf dem Spiele steht. Es schildert, worin Sklaverei bestand, wie Lieferzonen für die stetig steigende Sklavennachfrage entstanden, wie sich die Sklaverei seit der Antike entwickelte und weltweit durchgesetzt wurde.



Egon Flaig hatte bis zu seiner Emeritierung 2014 den Lehrstuhl für Alte Geschichte an der Universität Rostock inne.

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Leseprobe

1. Kapitel:
Politische Anthropologie der Sklaverei


Die Vielfalt der Formen von Unfreiheit


Will man die Sklaverei als äußerste Form von Unfreiheit begrifflich bestimmen, dann kommt man nicht umhin, sie mittels prägnanter Unterschiede abzugrenzen. Verdeutlichen wir das an Beispielen. Zum ersten am stalinistischen Gulag: Er entstand als Agglomeration von Lagern in einer Phase außerordentlicher politischer Repression; die Häftlinge waren meist durch Justizwillkür Verurteilte. Das Gulag-System, welches anfänglich (1930–1940) sechs Millionen, dann (1941–1945) vier, schließlich (1945 bis 1954) fünf Millionen Insassen zählte, beruhte somit auf der ‹gesetzlichen Form› der Strafgefangenschaft, willkürlich verlängert oder verkürzt.[2] Zum zweiten am NS-Konzentrationslager: Ihre Insassen stellten drei verschieden Schnittmengen dar: die Opfer von interner politischer Repression, von kriegerischer Unterwerfung, von einer Politik des Völkermords. Die Inhaftierung war nicht rechtsförmig, daher war die Unfreiheit lebenslang, der frühe Tod der Häftlinge – etwa durch Überarbeitung – nicht bloß in Kauf genommen, sondern großenteils bezweckt.

In beiden Fällen machten die Repressionsorgane totalitärer Staaten, aus freien Menschen Unfreie und hielten diese mit Zwangsmitteln in ihrem Zustand – vorwiegend segregiert in Lagern. Der Gewalteinsatz gegen Widerstand – latenten oder offenen – war enorm; doch die private Verfügung über die Gefangenen blieb minimal. Die Opfer regelrecht zu verkaufen, wie eine Ware, war völlig ausgeschlossen. Diese Systeme endeten, sobald der betreffende Staat seine Politik änderte, bzw. militärisch zerschlagen wurde.

Ein anderes Bild bieten die Formen von weltweit zunehmender persönlicher Unfreiheit unserer Gegenwart. Erstens die Vertrags-Knechtschaft: Unternehmen locken mit Arbeitsverträgen Menschen in entlegene Regionen, wo sie den Arbeitgebern hilflos ausgeliefert sind und in Unfreiheit fallen, die sich eventuell über Jahrzehnte erstreckt. Das passiert vor allem in Brasilien und Südostasien, Teilen Indiens und einigen arabischen Ländern. In vielen dieser Länder ist die Praxis zwar gesetzlich verboten, doch die lokalen Behörden sind nicht fähig oder willens, sie zu unterdrücken.[3] Zweitens die Schuldknechtschaft: Menschen verpfänden sich selber, um mit einem Darlehen aus einer Notlage herauszukommen. Wenn Art und Dauer des Dienstes nicht fixiert sind, bleibt die Schuld bestehen, die Abhängigkeit wird lebenslänglich und kann sich auf die Kinder ausweiten. Das dürfte die weltweit am meisten verbreitete Form von persönlicher Unfreiheit sein; sie ist besonders in Indien – mit 15 bis 20 Mio Betroffenen – anzutreffen. Es handelt sich um ein privates Verhältnis ökonomischer Ausbeutung, welches jedoch über hohe soziale Akzeptanz verfügt. Solange die Behörden darin keine Unfreiheit erkennen wollen, ist polizeiliche Intervention nicht erwartbar.[4] Drittens der Kinderverkauf: Kinderarbeit leisten weltweit rund 200 Millionen; es bleibt im Dunkeln, wieviele davon regelrecht verkauft wurden. Die meisten Opfer stammen aus Südostasien, doch auch in Westafrika ist das Phänomen verbreitet. Diese private Ausbeutung von heranwachsenden verschleppten Menschen mündet in lebenslange Unfreiheit, obwohl die betreffenden Staaten meist internationale Abkommen unterzeichnet haben und polizeilich eingreifen müßten. Viertens die erzwungene Prostitution: in Westeuropa werden ständig zwischen 120.000 und 500.000 Frauen zur Prostitution gezwungen, die Mehrheit von ihnen stammt aus Osteuropa. Die Einschleusung der durch Pseudo-Verträge gelockten oder regelrecht geraubten Frauen übernehmen kriminelle Banden, die praktisch Menschenhandel betreiben. Zwar ist durch polizeiliche Intervention diese Verknechtung sofort beendbar, aber grausame Exempel schrecken die Opfer davon ab, die Behörden zu Hilfe zu rufen. Die Unfreiheit kann darum – inmitten von Gesellschaften, die polizeilich pazifiziert sind – über Jahre gehen.[5]

In diesen vier Fällen wäre erwartbar, daß die Behörden – sofern solche existieren – die Unfreiheit polizeilich beenden. Das Verhältnis ist nicht legal. Somit handelt es sich in diesen Fällen nicht um eine Institution. Aber Sklaverei ist eine soziale und politische Institution.

Zwei Beispiele illustrieren den Unterschied. Zum einen die ‹Pseudo-Leibeigenschaft›: Die Nachkommen der schwarzen Sklaven in Mauretanien werden bis heute als solche ‹Leibeigene› gehalten. Leibeigene Kinder können wie Sklaven verkauft werden; sie sind bis heute beliebte Geschenke auf maurischen Hochzeiten. Ähnliches geschieht anderswo in Nord- und Westafrika, auch in einigen arabischen Ländern. Zum anderen die private Aneignung von Kriegsgefangenen: im Sudan führte das islamische Regime einen immer wieder unterbrochenen Dauerkrieg gegen die nichtmoslemischen Stämme des Südens; dabei übten die islamischen Stämme ihre vorkoloniale Praxis, blutige Razzien gegen die Dörfer der Dinka und anderer durchzuführen und diese Menschen zu deportieren, zu verteilen, zu verschenken oder zu verkaufen. Über 80.000 Opfer haben die christlichen Hilfsorganisationen bis zur Unabhängigkeit des Südens freigekauft.[6]

Offensichtlich unterscheiden sich die letzten beiden Phänomene grundsätzlich von allen anderen: hier ist die Unfreiheit eine sozial akzeptierte Institution; und eben aus diesem Grunde ist es auch hier allein möglich, völlig legal die Opfer zu verkaufen wie eine Ware. Wir müssen also diese beiden Fälle unter die Kategorie ‹Sklaverei› stellen. Folglich ist es nicht zulässig, erzwungene Prostitution oder Vertragsknechtschaft als Sklaverei zu bezeichnen; denn eine sklavenähnliche Situation ist noch keine Sklaverei. Die obigen Formen der Unfreiheit unterscheiden sich erheblich voneinander; sie stellen jeweils soziale Verhältnisse eigener Art dar. Sie zu untersuchen verlangt nach scharf umrissenen Begriffen, und dabei kommt es nicht darauf an, was die Betroffenen erleiden. Das Ausmaß des Leidens ist von außen nicht zurechenbar, und es ist kein Kriterium für Sklaverei. Zwar lassen sich Grade von Zwang und Entbehrung abschätzen. Im stalinistischen Gulag und in den NS-Konzentrationslagern waren Entbehrung und Disziplinierung schlimmer als in den meisten sklavistischen Systemen. Doch diese Formen der Unfreiheit gleichzusetzen mit Sklaverei hieße einen Begriff metaphorisch verwenden.

Das «Wesen» der Sklaverei – intrusiv/extrusiv


Im Römischen Recht findet sich der Satz des Juristen Ulpian: «Die Sklaverei setzen wir dem Tode gleich».[7] Diese Gleichsetzung hat der Soziologe Orlando Patterson aufgegriffen: «Das Wesen der Sklaverei besteht darin, daß der Sklave – in seinem sozialen Tod – am Rande lebt: zwischen Gemeinschaft und Chaos, Leben und Tod, dem Heiligen und dem Profanen».[8] Ganz ähnlich bezeichnet der Anthropologe Claude Meillassoux die Sklaven als «Nichtgeborene und Tote auf Bewährung». In einem Prozeß der ‹Verfremdung› werden Versklavte ständig zum Fremden gemacht, wobei vier Vorgänge das Verfremden in Gang halten:[9]

1. Entsozialisierung: Sie verlieren ihre Heimat, werden aus den Sozialisationsarealen herausgerissen, welche den Menschen schützen und erziehen. 2. Entpersönlichung: Sklaven werden zu käuflichen und verkaufbaren ‹Dingen›; als solche bezeichnet man sie auch; demgemäß erleiden sie vorwiegend körperliche Strafen, womit man sie einer ‹Vertierung› aussetzt. 3. Entsexualisierung: Vor allem die afrikanischen Sklavereitypen transformieren die versklavten Frauen in geduldige, fügsame und ausdauernde Arbeitskräfte, indem sie sie abtrennen von ihren reproduktiven Fähigkeiten. Ihre Mutterfunktion wird stillgelegt, es sei denn, die Herren wollten absichtlich Sklaven züchten. 4. Entzivilisierung: Der versklavte Mensch ist verwandtschaftslos und ohne anerkannten sozialen Status. Er ist ausschließlich abhängig von seinem Herrn, daher kein Element eines kulturellen ‹Netzes›, sondern sozial atomisiert.[10]

Wie die Betroffenen ihren Zustand erfahren, hängt einerseits davon ab, auf welche Weise sie versklavt wurden, anderseits welche Dispositionen sie mitbringen. Orlando Patterson hat die diversen Versklavungsweisen wie folgt aufgelistet.[11] 1. Gewaltsame Aktionen: a) durch Krieg oder räuberische Überfälle (Razzien), b) durch Tributzahlungen in Form von Menschen, c) durch Entführungen. 2. Rechtsförmige oder gerichtliche Versklavung: a) zur Tilgung von Schulden, b) als Kriminalstrafe. 3. Als familiale Strategie: a) Kinderaussetzung, b) Kinderverkauf, c) freiwilliger Selbstverkauf, um die ökonomische Situation der Familie zu verbessern. 4. Biologische Reproduktion: Sklavische Geburt.

Patterson hat ferner die Unterscheidung zwischen dem ‹intrusiven Typ› und dem ‹extrusiven› eingeführt:

Intrusiv ist eine Sklaverei, wenn die Sklaven überwiegend als Fremde in die sklavistische Gesellschaft importiert werden. Extrusiv ist sie, wenn die Sklaven überwiegend aus der...

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