KAPITEL 1
VON ANALPHABETEN ZUM PROFESSORENTITEL
Wenn mein Vater abends von der Arbeit nach Hause kam, duftete er immer nach Kaffee. Er war bei Lindvalls Kaffe in Uppsala in der Rösterei angestellt. Deshalb lernte ich den Duft von Kaffee lieben, lange bevor ich selbst welchen trank. Ich war meist draußen und wartete darauf, dass er die Straße hinunterkam, von seinem Fahrrad absprang und mich umarmte. Dann stellte ich ihm immer dieselbe Frage:
»Hast du heute etwas gefunden?«
Der Kaffee wurde in der Rösterei in Säcken angeliefert, die auf ein Fließband geleert wurden. Zunächst passierten die Kaffeebohnen einen starken Magneten, der alle Metallgegenstände entfernen sollte, die beim Trocknen und Verpacken in den Sack geraten waren. Diese Gegenstände brachte mein Vater mir mit. Was sie für mich so spannend machte, waren die Geschichten, die er über sie erzählte. Manchmal waren auch Münzen dabei.
»Schau, diese hier ist aus Brasilien«, sagte er zum Beispiel, »aus dem Land, das in der Welt den meisten Kaffee produziert.«
Ich saß auf seinem Schoß, und vor uns lag ein Weltatlas, während er für mich die Geschichte jeder einzelnen Münze nachzeichnete.
»Das ist ein großes Land, in dem es sehr warm ist. Der Sack mit dieser Münze ist aus Santos gekommen«, sagte er und zeigte auf die brasilianische Hafenstadt.
Er berichtete mir von den vielen Arbeitern, die Teil jener menschlichen Kette waren, die dafür sorgte, dass wir in Schweden Kaffee trinken konnten. Ich lernte früh, dass innerhalb dieser Kette die Kaffeepflücker diejenigen waren, die am schlechtesten bezahlt wurden.
An einem anderen Abend war die Münze aus Guatemala.
»In diesem Land sind die Kaffeeplantagen im Besitz der Weißen aus Europa. Den Ureinwohnern, die zuerst dort lebten, bleibt die schlecht bezahlte Arbeit, die Bohnen zu pflücken.«
Besonders deutlich erinnere ich mich daran, wie er mit einer Kupfermünze nach Hause kam. Es war eine Fünfcentmünze aus Britisch-Ostafrika (dem heutigen Kenia) mit einem Loch in der Mitte.
»Der Mann, der die Bohnen auf dem Sand zum Trocknen ausgebreitet und sie später wieder in den Sack geschüttet hat, trug diese Münze vermutlich an einem Riemen um den Hals. Wahrscheinlich ist der Riemen gerissen, und als er seine Münzen wieder aufsammelte, hat er wohl diese übersehen, die dann mit in den Sack geriet. Nun gehört sie dir.«
Noch heute bewahre ich die Holzkiste mit den Münzen auf, die mein Vater mir mitgebracht hat. Anhand der ostafrikanischen Münze erklärte er mir den Kolonialismus. Im Alter von acht Jahren hörte ich zum ersten Mal von der Mau-Mau-Bewegung, die in Kenia für die Unabhängigkeit kämpfte.
Aus den Erzählungen meines Vaters gewann ich den Eindruck, dass die Menschen, die in Lateinamerika und Afrika den Kaffee pflückten, trockneten und verpackten, seine Kollegen waren. Zweifellos hat meine große Sehnsucht, die Welt zu verstehen, ihren Ursprung in den aus Kaffeesäcken geretteten Münzen sowie in den Geschichten, die mir vor einem Weltatlas erzählt wurden. Diese Sehnsucht wurde allmählich zu einer lebenslangen Besessenheit und später zu meinem Beruf.
Heute habe ich verstanden, dass mein Vater mir die Erhebungen gegen die Kolonialmächte in aller Welt genauso erklärt hat, wie er mir die Geschichte vom Kampf gegen den Nazismus in Europa nahegebracht hat. Während unserer langen Waldspaziergänge an den Wochenenden erzählte er mir ausführlich die Geschichte des Zweiten Weltkriegs.
Meine Eltern hatten keine extremen politischen Ansichten, sondern im Gegenteil ganz gewöhnliche, fast schon langweilige. Beide lehnten die extreme Linke genauso ab wie die extreme Rechte. Mein Vater bewunderte all jene Menschen, die für Freiheit und Gerechtigkeit kämpften.
Ich wuchs ohne Religion, aber mit klaren Wertvorstellungen auf. »Es spielt keine Rolle, ob jemand an Gott glaubt, das Entscheidende ist, wie er seine Mitmenschen behandelt«, hieß es. Und: »Der eine geht in die Kirche, der andere geht in den Wald und genießt die Natur.«
Unser kleiner Radioapparat aus lackiertem braunen Holz stand auf einem String-Regal über dem Esstisch, und beim Abendessen hörten wir immer die Nachrichten. Nicht die Nachrichten als solche beeinflussten mich in jungen Jahren, sondern die Erläuterungen meiner Eltern. Meine Mutter kommentierte meistens die nationalen Meldungen und mein Vater die internationalen. Er reagierte oft sehr heftig darauf: hörte auf zu essen, setzte sich gerade hin, lauschte aufmerksam und zischelte, wir sollten still sein. Hinterher sprachen wir noch eingehend über das Gehörte.
———
Meine früheste Erinnerung handelt davon, wie ich als Vierjähriger aus einem Abwassergraben vor dem Haus meiner Großmutter gerettet wurde. Ich war aus dem Garten gelaufen und jenseits des Zauns am Straßengraben entlangspaziert. Der Graben war bis oben hin mit einer Mischung aus dem nächtlichen Regen und stinkenden Abwässern aus der Fabrikarbeitersiedlung angefüllt.
Irgendetwas in dieser Brühe weckte meine Neugier, und ich stieg in den Graben, um es mir genauer anzusehen. Dabei rutschte ich aus und fiel hinein. Ich bekam keine Luft mehr und fand keinen Halt am Grabenrand. Es wurde dunkel um mich. Als ich in Panik versuchte, mich umzudrehen, sank ich nur noch tiefer in den Schlamm ein. Meine neunzehnjährige Tante, die nach mir gesucht hatte, bekam meine strampelnden Füße zu fassen und zog mich heraus.
Ich erinnere mich an das Gefühl der Erleichterung, als meine Großmutter mich in die Küche trug. Sie hatte Wasser zum Geschirrspülen erhitzt, das sie jetzt vom Holzherd nahm und in eine Wanne goss, die sie auf den Küchenfußboden gestellt hatte. Als ich mich ausgezogen hatte, prüfte sie die Wassertemperatur mit ihrem Ellenbogen, bevor sie mich ins Bad steigen ließ. Sie wusch mich von Kopf bis Fuß mit einem weichen Schwamm und Seife. Bald war ich wieder guter Dinge und spielte mit dem Schwamm. Erst viele Jahre später wurde mir bewusst, dass ich damals beinahe ertrunken wäre. 1952 besaß der Stadtteil Eriksberg, wo meine Großeltern wohnten, noch keine Kanalisation.
Ich wohnte als Vierjähriger bei meinen Großeltern, weil meine Mutter mit Tuberkulose im Krankenhaus lag. Mein Vater verbrachte seine freien Samstage mit mir, aber unter der Woche, wenn er arbeiten musste, lebte ich bei meiner Großmutter. So konnte er meine Mutter jeden Abend im Krankenhaus besuchen. Meine Großmutter hatte sieben Kinder großgezogen. Die zwei jüngsten, neunzehn und dreiundzwanzig Jahre alt, wohnten noch zu Hause, als ich als achtes Kind zum Haushalt stieß.
Meine Großeltern väterlicherseits waren auf Bauernhöfen geboren und aufgewachsen, hatten sich aber später der wachsenden städtischen Arbeiterklasse angeschlossen. Großvater arbeitete sein ganzes Erwachsenenleben hindurch in der Ziegelei Ekeby Tegelbruk in Uppsala. Er war ein freundlicher und hart arbeitender Mann, der liebevoll mit seiner Frau umging. Sein ganzer Stolz war das zweistöckige Holzhaus, das er an den Wochenenden und Abenden gemeinsam mit seinen Söhnen erbaut hatte. Das Waldgrundstück hatte er mithilfe eines ziegeleieigenen Finanzierungsplans gekauft, und das Haus wurde Teil der Fabrikarbeitersiedlung am Stadtrand.
Es war überwiegend aus dem Holz der hohen Kiefern errichtet, die auf dem Grundstück wuchsen. Im Laufe eines Sommers hatte Großvater sie mit einer Trummsäge zu Brettern zersägt. An diese mühevolle Arbeit sollte er sich noch sein ganzes Leben lang erinnern. Das Haus konstruierte er so modern, wie er es sich leisten konnte, aber wie bei den meisten Häusern im Arbeiterstadtteil ließen die hygienischen Vorrichtungen zu wünschen übrig. Der einzige Wasserhahn war über dem Ausguss in der Küchenecke angebracht. Darin landete auch der Urin aus den Nachttöpfen, einschließlich meines kleinen Töpfchens. Die Gräben, die entlang der Straßen in der Siedlung verliefen, waren mit schmutzigem und ungesundem Morast angefüllt. Meine Großmutter sorgte dafür, dass Haus und Garten immer sauber und ordentlich waren, aber im Sommer zog ständig der Gestank aus den Gräben herüber. Wenn ich später irgendwo auf der Welt durch Slums ging, erinnerte mich der üble Geruch aus den offenen Abwasserkanälen immer an die Sommer meiner Kindheit bei Großmutter.
Meine Eltern und meine Großeltern väterlicherseits waren zwar Niedriglohnempfänger, aber wir mussten keine Not leiden. In Schweden verbesserten sich sowohl die Einkommen als auch die allgemeine Gesundheit während meiner Jugend kontinuierlich. Meine Mutter wurde mit neuen Medikamenten, die sie vom Gesundheitssystem des sich entwickelnden schwedischen Wohlfahrtsstaats kostenlos erhielt, von der Tuberkulose geheilt. Die Anzahl der Todesfälle durch Infektionskrankheiten sank deutlich. Stattdessen wurden Unfälle zur häufigsten Todesursache bei Kindern. Wasseransammlungen in der Nähe von Wohnhäusern – wie der Graben, in den ich gefallen war – stellten eine häufig anzutreffende Bedrohung für meine Generation schwedischer Kinder dar.
———
Schon als Teenager war ich wie besessen davon, menschliche Lebensumstände zu begreifen, und seither habe ich meine Großeltern eingehend über ihr Leben ausgefragt. Nichts hat mir so sehr dabei geholfen, unsere moderne Welt zu verstehen, wie die Parallelen zur Lebenswirklichkeit meiner Verwandten aus vorangegangenen Generationen.
Meine Großmutter väterlicherseits, Berta, erzählte mir, wie sie und mein Großvater Gustav 1915 als jung Verheiratete in ein gemietetes Holzhaus auf dem Lande bei Uppsala einzogen. Das Haus hatte einen Holzfußboden, aber nur ein...