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Der Aufstieg einer großen Idee
Zuerst möchte ich Ihnen ein paar Hintergrundinformationen über mich geben: Ich besuchte die Lehranstalt der Ursulinen, eine katholische Mädchenschule in Dallas. In meinem letzten Jahr stattete ich der Duke University einen Besuch ab und war tief beeindruckt von ihrer Fakultät für Informatik. Damit war für mich alles entschieden. Ich schrieb mich an der Duke ein und machte fünf Jahre später meinen Bachelor in Informatik sowie den Master in Betriebswirtschaft. Danach bekam ich ein Jobangebot von IBM, wo ich schon des Öfteren in den Sommerferien gejobbt hatte. Ich lehnte es jedoch ab und ging lieber zu einem noch recht kleinen Softwareunternehmen namens Microsoft. Ich habe dort neun Jahre lang verschiedene Stellungen bekleidet, am Ende war ich Leiterin der Abteilung für Informationsprodukte wie die Encarta, die Microsoft-Enzyklopädie. Heute bin ich im Wohltätigkeitsbereich aktiv und verwende den Großteil meiner Zeit mit der Suche nach Möglichkeiten, wie man Menschen bessere Lebensbedingungen verschaffen kann – wobei meine Hauptmotivation die ist, was mit den Menschen geschieht, wenn mir das nicht gelingt. Außerdem bin ich die Frau von Bill Gates. Wir haben am Neujahrstag 1994 geheiratet. Wir haben drei Kinder.
So viel zu meinem persönlichen Hintergrund. Jetzt möchte ich Ihnen erzählen, wie ich dazu gekommen bin, mich für die Stärkung der Frauenrechte einzusetzen, und wie ich aus dem Bemühen, andere zu stärken, selbst Kraft gezogen habe.
Im Herbst 1995 – Bill und ich waren fast zwei Jahre verheiratet und im Begriff, nach China zu reisen – entdeckte ich, dass ich schwanger war. Die Chinareise war für uns äußerst wichtig. Bill nahm sich bei Microsoft selten frei, außerdem sollten uns noch andere Paare begleiten. Daher wollte ich unsere Reisepläne auf keinen Fall gefährden. Und so überlegte ich, Bill erst danach zu sagen, dass ich schwanger war. Gut eineinhalb Tage lang dachte ich: Ich hebe mir diese Neuigkeit noch ein wenig auf. Dann aber wurde mir klar: »Nein, das geht nicht. Ich muss es ihm sagen. Was, wenn etwas schiefgeht?« Und noch grundlegender: »Ich muss es ihm sagen. Es ist schließlich auch sein Kind.«
Als ich Bill dann eines Morgens vor der Arbeit von dem Baby erzählte, war seine Reaktion eine zweifache. Zum einen freute er sich natürlich riesig über den Nachwuchs. Andererseits fragte er: »Und du hast tatsächlich überlegt, das für dich zu behalten? Du machst wohl Witze?«
Meine erste miese Idee zum Thema »Baby« hatte ich, wie man sieht, recht schnell gehabt.
Wir flogen also nach China und hatten eine tolle Reise. Meine Schwangerschaft beeinträchtigte mich kein bisschen, bis auf das eine Mal, als wir in einem alten Museum im Westen Chinas waren. Dort öffnete der Kurator für uns ein Mumiengrab. Ich sog den Geruch ein und raste vor die Tür – ein klassischer Fall morgendlicher Übelkeit, die sich, wie ich bald erfahren durfte, auch zu jeder anderen Tageszeit einstellen konnte! Eine meiner Freundinnen, die mich spurten sah, dachte bei sich: Melinda muss schwanger sein.
Auf dem Weg nach Hause nahmen Bill und ich uns ein wenig Zeit für uns selbst. Während eines unserer Gespräche versetzte ich Bill einen regelrechten Schock: »Weißt du, ich möchte nicht mehr arbeiten, sobald das Kind da ist. Ich gehe nicht in die Firma zurück.« Er fiel schier aus allen Wolken. »Wie meinst du das: Du gehst nicht zurück?« Ich erklärte ihm meinen Standpunkt: »Wir haben Glück und brauchen mein Einkommen nicht. Es geht also letztlich darum, wie wir eine Familie großziehen wollen. Du wirst sicher bei der Arbeit keine Abstriche machen. Und ich sehe nicht recht, wie ich die Zeit aufbringen sollte, gute Arbeit zu liefern, wenn ich zu Hause eine Familie habe.«
Ich erzähle Ihnen so eingehend von diesem Gespräch mit Bill, weil ich gleich zu Anfang etwas klarlegen möchte: Vor die Herausforderung gestellt, mein Mutterdasein und meinen Beruf unter einen Hut zu bringen, musste ich erst mal erwachsen werden. Mein damaliges Rollenbild – das mir wahrscheinlich nicht mal bewusst war – sah so aus, dass, wenn Paare Kinder haben, der Mann arbeitet und die Frau zu Hause bleibt. Ganz ehrlich, ich finde es toll, wenn Frauen zu Hause bleiben wollen. Aber wenn wir uns dafür entscheiden, dann sollte der Grund der sein, dass wir das so wollen, und nicht, dass wir ohnehin keine andere Wahl haben. Ich jedenfalls bedauere meine Entscheidung nicht und würde es jederzeit wieder so machen. Damals aber blieb ich hauptsächlich aus dem Grund zu Hause, weil ich einfach annahm, das gehört sich so für eine Frau.
Als ich zum ersten Mal gefragt wurde, ob ich Feministin sei, wusste ich nicht, was ich darauf antworten sollte, denn ich verstand mich nicht als Feministin. Ich vermute, ich wusste gar nicht, was eine Feministin ist. Damals war unsere Tochter Jenn ein bisschen älter als ein Jahr.
Zweiundzwanzig Jahre später jedenfalls bin ich eine leidenschaftliche Feministin, und die Antwort ist für mich mittlerweile ganz einfach. Feministin zu sein heißt, zu glauben, dass jede Frau ihre Stimme hat, ihr Potenzial entfalten kann und dass Frauen und Männer zusammenarbeiten sollten, um all die Hindernisse und die kulturellen Vorurteile zu überwinden, die Frauen immer noch einschränken.
Noch vor zehn Jahren hätte ich das wohl noch nicht so gesagt. Ich habe Jahre gebraucht, um an diesen Punkt zu kommen. Jahre, in denen ich Frauen zugehört habe – häufig Frauen, die ein extrem hartes Leben führten. Durch ihre Geschichten habe ich verstanden, wie es einerseits zu fehlender Gleichberechtigung kommt und wie andererseits der Mensch wachsen und gedeihen kann.
Doch dieses Verständnis kam, wie gesagt, erst viel später. Damals, 1996, sah ich alles durch die Brille der Geschlechterstereotype. Daher wiederholte ich gegenüber Bill: »Ich gehe nicht zurück in die Arbeit.«
Für Bill war das ein echter Schlag. Dass auch ich bei Microsoft war, gehörte zu den Grundfesten unseres gemeinsamen Lebens. Bill hatte das Unternehmen 1975 mitgegründet. Ich stieß 1987 dazu, als einzige Frau in der oberen Managementriege. Wir lernten uns bald darauf bei einer Unternehmensfeier kennen. Ich war für Microsoft in New York, und meine Zimmergenossin (wir buchten damals immer Doppelzimmer, um Geld zu sparen) bat mich, sie doch zu einem Abendessen zu begleiten, über das ich eigentlich nicht informiert war. Ich kam spät, alle Tische waren bereits voll besetzt. Bis auf einen, an dem nebeneinander zwei Plätze frei waren. Ich setzte mich auf den einen Stuhl. Ein paar Minuten später kam Bill und setzte sich auf den anderen.
Wir unterhielten uns an jenem Abend, und ich spürte, dass er interessiert war. Trotzdem hörte ich eine ganze Weile nichts von ihm. Dann begegneten wir uns eines Samstagnachmittags auf dem Firmenparkplatz. Er verwickelte mich in ein Gespräch und fragte mich, ob ich Lust hätte, am Freitag in zwei Wochen mit ihm auszugehen. Ich lachte und meinte: »Das ist mir jetzt nicht spontan genug. Frag mich doch noch mal, wenn es so weit ist.« Und gab ihm meine Telefonnummer. Zwei Stunden später rief er an und fragte, ob ich an diesem Abend Zeit hätte. »Ist das spontan genug für dich?«, wollte er wissen.
Wir stellten schnell fest, dass wir vieles gemeinsam hatten. Wir liebten beide Puzzles. Wir mochten es, mit anderen zu konkurrieren. Also machten wir Puzzle-Wettbewerbe und lösten zusammen mathematische Denksportaufgaben. Ich glaube, so richtig fing er an, sich für mich zu interessieren, als ich ihn bei einem solchen Mathespiel schlug. Auch als wir das erste Mal Cluedo (das Brettspiel, bei dem man einen Mörder finden muss) spielten, gewann ich. Er meinte, ich solle doch mal Der große Gatsby lesen, seinen Lieblingsroman. Hatte ich schon, und zwar zweimal. Vielleicht war dies der Punkt, an dem er merkte, dass er sein Gegenstück gefunden hatte. Sein romantisches Gegenstück, wie er sagte. Ich wusste, dass er der Richtige für mich war, als ich seine Musiksammlung sah – unzählige Aufnahmen von Frank Sinatra und Dionne Warwick. Als wir uns verlobten, fragte jemand Bill: »Wie geht es dir denn mit Melinda?« Er antwortete: »Erstaunlicherweise gibt sie mir das Gefühl, dass ich unbedingt heiraten möchte.«
Bill und ich glaubten beide an die Bedeutung und das Potenzial von Software. Wir wussten, dass Software für den Personal Computer den Menschen eine Rechenleistung zur Verfügung stellen würde, wie sie bis dahin nur Firmen und Organisationen besaßen. Den Computer zu demokratisieren würde die Welt verändern. Aus diesem Grund war es so ungeheuer aufregend, für Microsoft zu arbeiten, jeden einzelnen Tag – wir rasten mit 150 Stundenkilometern auf dieses Ziel zu.
Doch unsere Gespräche rund ums Baby zeigten bald, dass die Tage, da wir beide für Microsoft arbeiteten, ihrem Ende zugingen. Selbst wenn die Kinder einmal älter wären, würde ich wohl kaum in die Firma zurückkehren. Vor meiner Schwangerschaft hatte ich mich viel mit diesem Problem herumgeschlagen und häufig mit Freundinnen und Kollegen darüber geredet. Doch sobald Jenn unterwegs war, war meine Entscheidung gefallen. Und Bill versuchte nicht, sie mir auszureden. Er fragte nur immer wieder: »Echt jetzt?«
Als Jenns Geburt näher rückte, fing Bill an, immer wieder zu fragen: »Aber was wirst du denn dann tun?« Ich liebte meine Arbeit so sehr, dass er sich schlicht nicht vorstellen konnte, dass ich diesen Teil meines Lebens aufgeben wollte. Er rechnete fest damit, dass ich irgendetwas Neues anfangen würde, sobald Jenn erst da war.
Und damit hatte er gar nicht mal unrecht. Ich suchte bald nach einem...