Einleitung Hier sind wir glücklich
»Das Bild ist klasse, dein Ton ist scheiße!« Nee, oder? Das meint der jetzt nicht ernst? Schon seit fünf Tagen bin ich unterwegs! Das ganze Filmmaterial für die Tonne? Ich sitze beim sonntäglichen Frühstück meiner deutschen Gastfreunde mitten in Mexiko-Stadt Thomas gegenüber, Freund des Hauses und Kameramann der ARD. Voller Stolz zeige ich ihm mein Filmmaterial. »Du musst näher an die Leute dran. Kauf dir einfach noch ein Stativ und fünf Meter extra Tonkabel für das Mikrophon dazu«, gibt er mir als Rat für meine weitere Reise mit. Einfach noch ein Stativ und ein paar Meter Tonkabel extra? Witzig!
Blond, zierlich und allein – so reise ich zusammen mit meinem großen orangen Koffer insgesamt neun Wochen lang durch die 13 glücklichsten Länder der Welt. Ich habe eine Menge Termine mit den führenden Glücksforschern der einzelnen Länder, deutschen Korrespondenten und Auslandsdeutschen. Und interviewe jeden Menschen, der mir in diesen Glücksländern von morgens früh bis abends spät sonst noch vor die Linse kommt.
Die One-Woman-Show, die ich hier abziehe, droht jedoch langsam aus dem Ruder zu laufen. In Costa Rica habe ich mir bereits einen sogenannten Wuschel dazugekauft, der die Windgeräusche am Mikrophon dämpfen soll. Den presse ich jetzt schon oben in meinen orangen Fotorucksack zu Reservebatterien, Objektiven, Kopflicht und einer Menge Speicherkarten. An der Außenseite hängt das Stativ für die Kamera. Jetzt kommt also noch ein zweites dazu und ein paar Meter Tonkabel obendrein. Nicht nur mein Rucksack wird immer schwerer, auch das Filmen wird immer komplizierter.
»Hi, I’m Maike. Ich komme aus Germany und würde gerne erfahren, warum ihr hier so glücklich seid. Dürfte ich Sie dazu interviewen?« »Yes sure.« »Klar, warum nicht?« Was all die netten Menschen noch nicht wissen, ist, dass ich die kommende Viertelstunde dazu benötigen werde, Kamera und Mikro zu installieren: Steht das Stativ gerade? Ist das Bild scharf? Die Belichtung okay? »Nicht vergessen, Maike: lieber das Bild zu dunkel als zu hell!«, gibt mir Thomas noch winkend mit auf den Weg. Und jetzt auch noch die Sache mit dem Mikro. Ohne Helfer wird das wirklich kniffelig. »This microphone is killing me!«, lächle ich entschuldigend, als ich zum fünften Mal zwischen Kamera und Mikro hin und her hüpfe, um zu versuchen, den Wuschel so nahe wie möglich an den Sprecher zu bekommen, ihn aber nicht im Bild erscheinen zu lassen. Mal ist er zu hoch, mal zu niedrig, mal kippt er um.
Endlich! Alles steht. Es kann losgehen. Da die Bildkomposition oft am schönsten ist, wenn sich die Kamera auf Brust- oder Bauchhöhe befindet, kauere ich unter mitleidigen Blicken gekrümmt daneben. »Alles okay«, winke ich lachend ab, »das ist mein tägliches Sporttraining!« Ohne meinen Humor wäre ich hier aufgeschmissen. Mein Kopf an die Seite der Kamera gedrückt, rufe ich: »Bitte nicht direkt in die Kamera schauen, sondern auf mich. Und wenn ich kurz wegtauche, bitte nicht irritiert sein. Ich checke nur das Bild.« Ich bin Regisseurin, Kamerafrau, Tonassistentin und Journalistin in einem. Nicht perfekt, aber umwerfend authentisch. Die Wartezeit überbrücke ich mit Smalltalk auf Spanisch, Englisch oder Deutsch. Dass die mir wegen des Wartens jetzt bloß nicht wieder abspringen, denke ich besorgt. Aber – jeder ist geblieben. Am Ende meiner Reise haben um die 300 Menschen geduldig auf meine Fragen gewartet. Danke.
Wie um alles in der Welt kam ich nur auf so eine durchgeknallte Idee? Wir spulen zurück auf ungefähr ein Jahr vor Beginn der Reise: Es ist Sommer 2012. Ich finde »Glück« nicht nur ein tierisch spannendes Thema, auch aus professioneller Sicht möchte ich immer auf dem neusten Stand sein. Und daher verschlinge ich jede neue Studie zu diesem Thema. Schließlich will ich die Deutschen durch Vorträge und Seminare ein wenig glücklicher machen. Und auch an diesem Tag sitze ich mit einer Tasse Latte Macchiato am Frühstückstisch und lese in der Zeitung wieder über eine neue Studie: den »How’s Life?«[1]-OECD-Bericht, der unter anderem die Lebenszufriedenheit in 34 Ländern vergleicht. Deutschland ist wieder im hinteren Bereich. Wie kriegen wir das nur immer wieder hin? Bei allen Erhebungen zum Thema Glück landen wir überall, bloß nicht vorne. Sogar weit hinter Mexiko! Und die haben echt nicht viel zu lachen. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Immerhin habe ich selbst zwei Jahre meines Lebens mit Mann und Kleinkind in Mexiko-Stadt verbracht. Dass die Mexikaner trotzdem lachen, ist übrigens ein Teil ihres Glücks.
Kann der Deutsche nicht glücklich sein – oder will er nicht? Oder will er schon, traut es sich aber nicht? Passt das nicht zur deutschen Lebenseinstellung? Liegt das Geheimnis des Glücklichseins überhaupt in der Mentalität eines Landes begründet? Gibt es einen kulturellen Anteil am persönlichen Glück eines Individuums? Was macht Menschen in anderen Ländern glücklich? Welcher Blick aufs Leben, welche Gedanken, welche Umstände führen zum Glücklichsein? Fragen über Fragen! Ich bin ein neugieriger Mensch, und Kulturunterschiede fand ich schon immer sehr aufregend. »Weißt du was«, sage ich mir deshalb an diesem Morgen, »ich fahre einfach mal hin und frage nach!«
Am Dienstag, den 2. Juli 2013, fast ein Jahr später, geht es los. Um 9.12 Uhr besteige ich den Flieger am Münchner Flughafen mit dem Ziel San José in Costa Rica, dem glücklichsten Land der Welt. Es wird die erste Station auf dem Weg durch die 13 glücklichsten Länder dieser Erde sein. Ein Weg, der mich von Lateinamerika und Europa über Nordamerika bis an die andere Seite der Erde führen wird: Dänemark, Island, Schweiz, Finnland, Mexiko, Norwegen, Kanada, Panama, Schweden, Australien, Kolumbien und Luxemburg, so die Reihenfolge des Rankings, der ich folge. In den Koffer habe ich nebst Kameraausrüstung mein heldenhaftes Ziel gepackt: den Deutschen das Glück dieser Länder ein wenig näherzubringen. Ob in Form eines Buches oder Films, das weiß ich noch nicht. Da ich aber schon einmal da bin, filme ich einfach alles in Fernsehqualität mit. Sicher ist sicher. So einfach, wie ich mir das vorgestellt habe, ist es dann aber leider doch nicht. Der Übergang von Smartphone zu professionellem Film-Equipment gestaltet sich etwas holprig. Als der ARD-Kameraspezialist Thomas meinen leicht verzweifelten Blick sieht, lächelt er mich ermutigend an: »Du machst das schon.«
Was soll ich sagen: Ich mache es tatsächlich! Installiere unter relaxtem Smalltalk meine Kamera am Strand von Sydney. Hüpfe im stürmischen Island an die zehnmal zwischen Kamera und Mikro hin und her, sichere spätabends in einem zweifelhaften Restaurant in Panama-Stadt meine Dateien. Die Schätze, welche die Bewohner der Glücksländer mir auf meine Fragen hin anvertrauen, geben mir die nötige Energie. »Würden Sie sich im Allgemeinen als eine glückliche Person beschreiben?«, »Was macht Sie glücklich?«, »Was ist das Wichtigste in Ihrem Leben?«, »Wie lautet Ihr größter Wunsch?«, »Warum denken Sie, dass Ihr Land so gut abschneidet?«, »Wie würden Sie die Seele der Bewohner Ihres Landes beschreiben?«, »Welchen Rat würden Sie uns Deutschen geben?«, »Wie sehen Sie Ihre Zukunft? Positiv? Negativ? Und warum?«, »Wo würden Sie sich als Person auf einer Glücksskala von 0, für sehr unglücklich, bis 10, superglücklich, einschätzen?«
Die monatelange abendliche Vorbereitung nebst Job und der finanzielle Einsatz, der ein tiefes Loch in mein Lebensbudget gerissen hat, haben sich definitiv gelohnt. Vom ersten Tag an. Ich werde getragen durch das Interesse, die Offenheit und den Enthusiasmus der Menschen, die mir doch tatsächlich ihr Innerstes offenbaren. Mitten auf der Straße. Und mehr als das: Ich lande in Montreal mit einem Latte macchiato in Jean-Sébastians Küche, 100 Meter weiter schmiert mir Jan auf ihrer Terrasse ein Frühstücksbrot, Joe fährt mich in Sydney spontan eine halbe Stunde zum Interviewtermin, Bitte verarztet mir in Stockholm bei sich zu Hause erst einmal meine Blasen an den Füßen, Lotte lässt mich in ihrem Apartment über ihrer Scheune in der Nähe von Oslo schlafen, 30 kleine Costa-Ricaner singen in einem Kindergarten ihre Nationalhymne für mich, der Glücksforscher Eduardo begleitet mich bei den Interviews in Bogotá, Nanna hilft mir drei Tage lang als Kamera-Assistentin in Reykjavík … Dafür möchte ich mich an dieser Stelle schon bei allen Mitwirkenden bedanken! Ohne die Mithilfe jedes einzelnen Interviewpartners wäre meine Reise zum Scheitern verurteilt gewesen. Die Reise war ein Risiko, das ich bewusst einging. Aber, so mein Lebensmotto, wenn du wirklich etwas im Leben willst, dann schaffst du das auch.
Ich ziehe also los und hoffe, mit einer prall gefüllten Tasche an unterschiedlichen Glückstipps aus allen Ländern nach Hause zu kommen. Aber es kommt anders. Die Länder sind sich größtenteils einig in dem, was sie glücklich macht. Und so füllt sich meine Tasche langsam mit nur einigen gleichen Glücksbringern! Egal ob in tropischer Hitze oder karger Kälte. Mit nordischer Zurückhaltung oder lateinamerikanischem Überschwang. Was das Glück bedingt, scheint viel universeller zu sein, als ich erwartet hatte: »Folge deinem Herzen!« (Australien, Island, Norwegen, Schweden, Dänemark, Schweiz, Kanada) »Das Wichtigste in meinem Leben bin ich. Denn wenn es mir gutgeht, geht es auch den Menschen um mich herum gut.«...