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E-Book

Zu spät?

So zukunftsfähig sind wir jungen Deutschen - Eine Inspektion

AutorTobias Schlegl
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783644412415
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Als Mitglied im Rat für Nachhaltige Entwicklung hat sich Tobias Schlegl drei Jahre lang mit Themen wie Bildung, Konsum, Umweltschutz oder Arbeitslosigkeit auseinandergesetzt. Nach seinem Ausscheiden aus dem beratenden Gremium der Bundesregierung ist er durch Deutschland gereist, um auf die im Rat diskutierten Fragen praktische Antworten zu finden. Tobias Schlegl hat hinterfragt, demonstriert, gestört und seine eigenen Schlüsse gezogen. Herausgekommen ist ein erfrischender Erfahrungsbericht, der aufrüttelt, informiert und zum Handeln bewegt. Ohne moralischen Zeigefinger und mit einem gehörigen Schuss Humor. Weitere Infos, Filme, Blogs und Geschichten rund um das Buch unter www.myspace.com/zuspaetbuch

Tobias Schlegl hat als Moderator, Sänger und Schauspieler Karriere gemacht. Bereits mit 17 jahren wurde er vom Musiksender Viva entdeckt und moderierte seine eigenen Sendungen. Inzwischen ist er Moderator der renommierten Satiresendung 'Extra 3' im NDR-Fernsehen und hat eine regelmäßige Kolumne in der 'Hamburger Morgenpost'.

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Leseprobe

bitte bitte


Es regnet. Nein, es schüttet. Und ausgerechnet heute muss ich mein Versprechen einlösen. Bode und ich in der Tonne vor McDonald’s, mitten auf der beliebten Berliner Einkaufsmeile Kurfürstendamm. Zwei Stunden vorher steht allerdings ein konspiratives Treffen im Foodwatch-Hauptquartier an. «Ziehen Sie eine schwarze Hose an», war der einzige Hinweis, den ich in der letzten Mail von Bode bekommen hatte. Die Weltrevolution ist demnach nur mit schwarzer Beinbekleidung möglich. Werde ich doch noch im schwarzen Block landen? Zu spät. Ich stecke bereits in meiner Lieblingsjeans und renne durch den Regen zur S-Bahn. Wenigstens heute will ich pünktlich sein. Auf die Millisekunde genau drücke ich die Foodwatch-Klingel. «Warum haben Sie denn keine schwarze Hose an, Herr Schlegl?», begrüßt mich ein kritisch dreinblickender Thilo Bode mit schwarzem Beinkleid. Ich frage verwundert, ob man die Welt nicht auch in einer dunkelblauen Jeans retten könne. «Das sieht einfach besser aus, zusammen mit der viereckigen Tonne», entgegnet Bode. Ich blicke ihn erstaunt an. Nie hätte ich es für möglich gehalten, dass Verbraucherschützer einen derart ausgeprägten Sinn für modischen Schnickschnack haben. Schon drückt mir Bode die topmodische, grell-neon-orangene Foodwatch-Regenjacke in die Hand. Wer internationale Großkonzerne ärgern will, sollte doch keine Angst haben, nass zu werden?! Trotzdem hoffe ich insgeheim darauf, dass Bode jetzt noch schnell die ganze Aktion abbläst. Beim nächsten Mal könnte ich mich dann sogar passend anziehen. Keine Chance. «Die Presse ist bereits informiert. Wir ziehen das durch», lautet die Ansage, und so ziehen Bode, drei Foodwatch-Mitarbeiter und ich in die Schlacht. Fünf orangene Müllmänner-Look-Alikes.

Im Taxi gesteht mir Bode: «Wir haben die Polizei doch noch schnell über die Demo informiert, zumal wir jetzt nicht nur zu zweit sind.» Unglücklich bin ich darüber nicht, denn das verringert die Chancen, heute in der U-Haft zu übernachten, wie ich es mir im Vorfeld leicht paranoid ausgemalt habe. Außerdem ist es eh kein Geheimnis mehr, dass wir kommen. Die Presse wurde durch eine Mail vorab informiert, und das beinhaltet natürlich auch die Chance, dass man McDonald’s vorher einen Tipp gegeben hat, der Gegner also gewappnet sein könnte. Nicht ganz uninteressant, denn damit bewegen wir uns auf Augenhöhe. Vor dem Steigenberger-Hotel springen wir aus dem Taxi, und die Foodwatch-Mitarbeiter, alle im Jungakademiker-Alter, bauen in Windeseile die zwei mobilen Protesttonnen zusammen. Einige Hotelgäste in Anzügen werfen uns mitleidige Blicke zu. Minuten später stecken Bode und ich in der «Burger-ohne-Gentechnik»-Protesttonne und laufen die letzten Meter zu der McDonald’s-Filiale. Gar nicht so einfach, sich mit diesem Gestell zu bewegen. Ich blicke Bode an und kann deutlich den Glanz in seinen Augen erkennen. Er hat so etwas länger nicht mehr gemacht. Zuletzt saß er nur noch auf seinem Chefsessel und hielt die Fäden von dort aus zusammen. Jetzt ist er endlich wieder auf der Straße und eilt schnellen Schrittes voraus, sodass selbst seine frei beweglichen Mitarbeiter Probleme haben, ihm zu folgen. Das Wunder: In genau diesem Moment hört der Regen auf, und der Himmel gibt sogar ein paar Sonnenstrahlen frei. Verfolgt von vielen Augenpaaren kämpfen wir uns über den Ku’damm und stehen schließlich vor dem Ziel: einer gut besuchten Filiale der weltweit größten Fastfood-Kette. «Ich dachte schon, ihr kommt gar nicht mehr», empfängt uns ein Agenturfotograf. Ansonsten ist nur noch ein Kamerateam unserer Pressemitteilung gefolgt. Aus dem Augenwinkel sehe ich bereits einen Polizisten, der etwas Abstand hält, aber definitiv auch auf uns gewartet hat. «Keine McDonald’s-Mitarbeiter filmen», brüllt er in Richtung Kamerateam. Die Zeit läuft. 30 Minuten haben Bode und ich ausgemacht. Es geht einerseits um die passenden Bilder, die bei dieser Aktion entstehen sollen und mit denen man dann in Zukunft für Foodwatch werben kann, und andererseits um möglichst viele Unterschriften, die wir für Hamburger ohne Gentechnik sammeln und dann stetig an McDonald’s schicken wollen. Wir sind mit Unterschriftenlisten, Infoflyern über den Gen-Missbrauch und vielen Stiften bewaffnet. Mindestens 100 Unterschriften möchte ich sammeln. Bode staunt: «Das wäre ein sehr gutes Ergebnis.» Der Anfang fällt schwer. «Was habt ihr gegen McDonald’s? Die Hamburger schmecken doch lecker!», bekommen wir von einem Passanten zu hören. Dabei ist das doch gar nicht der Punkt. Wir sagen gar nicht, dass die Hamburger nicht schmecken oder qualitativ schlecht sind. Das Gegenteil ist der Fall. Stiftung Wartentest urteilte sogar mit einem «GUT», und Thilo Bode versichert: «Wenn man ganz sicher kein Gammelfleisch essen will, sollte man zu McDonald’s gehen. Die können alle Lieferanten zurückverfolgen.» Doch der Konzern verschweigt seinen Kunden den Einsatz von Gentechnologie und verzichtet nicht auf gentechnisch veränderte Futterpflanzen. Die Begründung: Dies sei nicht möglich, weil auf dem Markt nicht genügend solcher gentechnikfreien Futtermittel zur Verfügung stünden. Falsch. Im Vorfeld der heutigen Aktion hat Foodwatch McDonald’s das Angebot eines Sojahändlers unterbreitet, der in der Lage wäre, die Versorgung aller 100 000 fleischliefernden Landwirte von McDonald’s mit den gentechnikfreien Futtermitteln sicherzustellen. Um maximal ein bis zwei Cent würden sich dann die Hamburger verteuern. Leicht zu verschmerzen für den Großkonzern, der allerdings nicht auf das Angebot einging. Wir protestieren demnach gegen die Zwangsernährung, da die Bürger, die Burger von McDonald’s essen, keine Wahl haben. Nun könnte man einfach ganz auf Burger verzichten: Da allerdings jeder dritte Viehzüchter in Deutschland McDonald’s beliefert, wird klar, dass das Fleisch dieser Viehzüchter eben nicht nur bei McDonald’s auf dem Bratrost landet.

Wenn der Fastfood-Riese sein Angebot ändern und auf Genfood verzichten würde, hätte das radikale Auswirkungen auf die gesamte Branche. Diese Ausgangslage offenbart auch das Problem bei unserer Protestaktion: Ohne Kommunikation und Aufklärung geht nichts. Keiner unterschreibt ohne Gegenfrage. Eine wirklich mühsame Sache. Während Bode einzelne Passanten abfängt und ihnen immer wieder die Hintergründe erklärt, kommt mir eine effizientere Idee. Ich fange einfach die meist jugendlichen Kunden von McDonald’s, die überwiegend in Grüppchen auftreten, sofort vor bzw. nach ihrem Festmahl direkt vor der Tür ab. Das Unglaubliche: Fast alle hören aufmerksam zu und sind überrascht, dass in Burgern Gentechnik steckt. Von wegen, man könne die Jugend nicht politisieren. Zugegeben, sie braucht in diesem Falle einen verbalen Tritt in den Hintern, aber das Ergebnis stimmt: ca. 95 Prozent unterschreiben. «Mir doch egal. Ich gehe jetzt rein und fresse lecker Gen-Food» bleibt die Ausnahmereaktion. Meine Lieblingsausrede an diesem Tag: «Ich bin Veganer. Das geht mir am Arsch vorbei.»

Während die Jugendlichen die Unterschriftenlisten an die McDonald’s-Scheibe drücken und gemeinsam unterschreiben, bleibt dem Filialleiter nichts anderes übrig, als böse und etwas hilflos zu gucken. «Ich hab da mal gearbeitet. Ich unterschreibe sofort», erzählt mir eine Passantin. Wieder eine Unterschrift mehr. Mittlerweile ist aus der halben Stunde eine ganze geworden. Zeit für unseren Rückzug. Fazit: Bode hat 25 Unterschriften gesammelt, ich 93. Zusammen haben wir also das Ziel erreicht, ohne dass es Tumulte gab und wir unsere Zähne verloren haben. Nur ein paar Stifte wurden uns geklaut. Auf dem Rückweg sehen wir einen Kollegen, der ebenfalls in einer mobilen Litfaßsäule steckt. Nur die Aufschrift ist anders: «Lecker Döner bei SHARKY. Nur ein Euro.»

Doch um zu billige Döner, die mit minderwertigem oder auch gesundheitsgefährdendem Fleisch gefüllt sind, muss ich mich später kümmern. Mein Telefon weist 23 Anrufe in Abwesenheit auf. Alleine acht sind von meiner Schwester. Nicht ohne Grund, wie ich bei meinem Rückruf erfahren soll. Sie will umziehen! Da ist es natürlich Bruderpflicht, dass ich mithelfe. Da sie weiß, auf welcher Mission ich mich befinde, kommt sie mit einem unschlagbaren Argument um die Ecke: «Du kannst doch mal mit zu Ikea kommen und schauen, ob die auch alles richtig machen in Sachen Nachhaltigkeit!» Gute Idee, wie ich finde, doch zunächst will ich mir fachmännischen Rat einholen 

BESSERWISSERBOYKASTEN

Alles so einfach

Das Thema Gentechnik ist ein heikles Thema, denn selbst erfahrene Wissenschaftler streiten sich über die Folgen der Manipulationen. Die vollständigen Auswirkungen des Eingriffs in die Natur sind noch unerforscht. Trotzdem wird Gentechnik immer wieder bei Futtermitteln eingesetzt, ohne dass wir Verbraucher davon erfahren. Es gibt einige Hinweise darauf, dass es zu unerwarteten und überraschenden Effekten beim Anbau von genmanipulierten Pflanzen/​Gemüse/​Obst kommt. So können superresistente Unkräuter entstehen, die mit noch stärkeren Giften bekämpft werden müssen, oder Insekten, die wichtig sind für die Bestäubung der Pflanzen, sterben. Dadurch verschärft Gentechnik das Pestizidproblem, obwohl sie in den achtziger Jahren entwickelt wurde, um es zu bekämpfen. Der intensive Einsatz einiger weniger Pflanzengifte beim Anbau von Gentechnik-Soja führt zu Gewässer- und Bodenbelastung sowie Resistenzbildungen und schädigt wichtige Bodenorganismen. Das gesamte Ökosystem kommt ins Wanken.

Baby ich tu’s

Konfrontieren Sie Mitarbeiter von McDonald’s oder...

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