IV. Erfordernis der Kausalität der Rechtswidrigkeit
Zur Begründung einer Haftung gemäß § 823 I genügt es grundsätzlich nicht, dass der Täter die Verletzung eines Rechtsguts verursacht (Erfolgsunrecht) und dabei isoliert betrachtet „an sich“ auch rechtswidrig und schuldhaft gehandelt hat (Verhaltensunrecht). Vielmehr ist es erforderlich, dass die rechtswidrige Tat, d.h. die Handlung im Bereich des Unrechts auch zur Ursache einer Rechtsgutsverletzung wurde.
In den Fällen des § 823 II begründet die Schutzgesetzverletzung die Rechtswidrigkeit, sofern kein Rechtfertigungsgrund vorliegt. Das Problem der Kausalität der Rechtswidrigkeit tritt erst in der haftungsausfüllenden Kausalität auf (dazu § 17 V; ferner F&A 35) bei der Frage, ob die rechtswidrige Handlung den Schaden verursacht hat oder der Schaden zwar durch eine Handlung des Täters verursacht wurde aber außerhalb des Schutzbereichs der Norm liegt (dazu § 18 I u. II).
Wie schon in § 6 II 3 zur haftungsbegründenden Kausalität in Grundfall 3 dargelegt, ist derjenige, der entgegen einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h mit 40km/h ein Kind überfährt, das zwischen zwei geparkten Pkws hindurch plötzlich auf die Straße rennt, dafür weder straf- noch zivilrechtlich verantwortlich, wenn er den Unfall auch mit 30 km/h nicht hätte vermeiden können, weil die Verletzung auch bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt eingetreten wäre. Der Rechtsgedanke des Erfordernisses der Kausalität der Pflichtwidrigkeit hat auch an verschiedenen Stellen des Gesetzes Ausdruck gefunden, vgl. z.B. §§ 831, 832, 833, 836 BGB: "... es sei denn, dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden sein würde". Dieses Erfordernis der Kausalität der Pflichtwidrigkeit wird auch als rechtmäßiges Alternativverhalten bezeichnet. Wenn ein rechtmäßiges Verhalten denselben Schaden herbeigeführt hätte, war das rechtswidrige Verhalten nicht kausal.
Es gibt jedoch auch Fälle, in denen der Einwand eines rechtmäßigen Alternativverhaltens keine Berücksichtigung finden soll. Deutsch (HaftR, § 12 IV) weist dazu auf lehrreiche Fälle hin:
(1) BAG NJW 1970, 1469 - Unberechtigte Kündigung: Ein neu eingestellter Arbeitnehmer hatte unberechtigt fristlos gekündigt und seine Stelle überhaupt nicht angetreten. Der Arbeitgeber sah sich gezwungen, mit Anzeigen einen Ersatz zu suchen und verlangte die Kosten für die Inserate. Der Arbeitnehmer erwiderte, diese Kosten wären auch bei erlaubter fristgemäßer Kündigung entstanden. Das BAG verurteilt den Arbeitnehmer zu Recht: "Im Interesse der Vertragstreue muss das Prinzip der zivilrechtlichen Prävention den Vorrang haben". Ansonsten müssten Arbeitnehmer keine Kündigungsfristen mehr einhalten.
(2) BGH JZ 1959, 773 - Operation ohne Einwilligung: Nach einem Unfall verschlechterte sich das Augenlicht eines Mannes. Der hinzugezogene Arzt nahm ohne Einwilligung des Patienten eine Glaskörperabsaugung vor, die zur Erblindung führte. Der beklagte Arzt wendete ein, der Mann wäre auch ohne den ärztlichen Eingriff erblindet (überholende Kausalität, dazu § 17 IV). Der BGH lässt den Einwand zwar zu, weist aber dem Arzt die Beweislast für seine Behauptung zu und gibt der Klage statt. Hätte der Arzt in diesem Falle behauptet, der Patient hätte auch dann in die OP eingewilligt, wenn er ordnungsgemäß aufgeklärt worden wäre, so wäre dieser Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens gewesen. Auch für diesen Einwand weist die Rechtsprechung dem Arzt die Beweislast dafür zu, dass der aufgeklärte Patient eingewilligt hätte, aber nur, wenn der Patient „plausibel“ macht, dass er bei ordnungsgemäßer Aufklärung vor einem „echten Entscheidungskonflikt“ gestanden hätte (BGH NJW 1994, 2414; 2005, 1719; dazu F&A 46 A2); nach § 630 h II 2 soll der Einwand ohne die Voraussetzung eines plausibel vorgetragenen „Entscheidungskonflikts“ des Patienten zulässig sein28.
Die Hypothese des rechtmäßigen Alternativverhaltens soll also grundsätzlich nicht berücksichtigt werden, wenn die Einhaltung der Form des rechtmäßigen Verhaltens (Einhaltung der Kündigungsfristen; Einholung der Einwilligung des Patienten etc.) eine Verfahrensgarantie darstellt, um den Kündigungsschutz von Arbeitnehmern oder das Selbstbestimmungsrecht von Patienten zu erhalten oder die Verletzung sonstiger Rechtsgüter zu vermeiden. Das Erfordernis der Einwilligung nach vorheriger Aufklärung über alle Risiken soll dem Patienten die Chance geben, die Sache nochmals zu überlegen, evtl. einen anderen Arzt zu konsultieren, mit Freunden und Angehörigen die Sache zu besprechen. Diese Chance soll einem Patienten nicht durch die Möglichkeit des Einwands rechtmäßigen Alternativverhaltens genommen werden. Die Rechtsprechung erklärt diese Einwendungen jedoch nicht grundsätzlich für unerheblich, weil sie in manchen Fällen auch ihre Berechtigung haben, weist aber dem Einwendenden die Beweislast zu, was in den meisten Fällen zu demselben materiellen Ergebnis führt.
V. Beweislast für die Rechtswidrigkeit, insbes. ärztlichen Handelns
1. Tatbestandsmäßigkeit begründet Vermutung der Rechtswidrigkeit
Die Rechtswidrigkeit gehört auch zu den anspruchsbegründenden Tatsachen die nach den oben genannten Grundsätzen (§ 1 IV 3 a) der Kläger zu beweisen hat. In den Fällen des § 823 I soll jedoch grundsätzlich die Tatbestandsmäßigkeit die Rechtswidrigkeit der Handlung indizieren (seit RGZ 68, 431 st. Rspr.). Der Geschädigte braucht danach also grundsätzlich nicht zu beweisen, dass der Täter rechtswidrig gehandelt hat, vielmehr muss derjenige, der die Verletzung eines Rechtsgut des Geschädigten verursacht hat, beweisen, dass ihm ein Rechtfertigungsgrund, z.B. die Einwilligung gegeben war oder sonstige Einwendungen die Rechtswidrigkeit oder deren Kausalität für den verursachten Schaden ausschließen (z.B. überholende Kausalität, rechtmäßiges Alternativverhalten)29.
2. Zur Kausalität der Rechtswidrigkeit ärztlichen Handelns
Zur Begründung der Schadensersatzanspruch des Geschädigten genügt es nicht, dass die Kausalität irgendeiner Handlung des Täters nachgewiesen wird. Es muss auch nachgewiesen werden, dass ein „Fehler“ des Täters zur Ursache der Rechtsgutverletzung (und des Schadens) geworden ist. Durch den Begriff des „Fehlers“, den die Rechtsprechung aus ausländischen Rechtsordnungen und rechtsvergleichender Literatur zur Produzentenhaftung und zur Arzthaftung übernommen hat und der mit dem Patientenrechtegesetz auch ins BGB Eingang gefunden hat (§ 630 h) wird jedoch verdeckt, ob die fehlerhafte Handlung nach der überkommenen Dogmatik die Rechtswidrigkeit und/oder das Verschulden des Täters begründet. Das aber verwirrt nicht bloß Studenten, sondern viele Juristen, weil sie spüren, dass sie damit in den ewigen Meinungsstreits zwischen kausaler und finaler Handlungslehre einbezogen werden und nicht wissen, wie sie damit klar kommen sollen. Klar ist jedenfalls, dass die Abkehr von RGZ 68, 431 und der Indikationenlehre, sofern und soweit man glaubt, daran nicht mehr festhalten zu können – weil man sie entweder als mittelbare Verletzung (oben I und II 2 b) oder als Verletzung des mit dem APR geschützten Selbstbestimmungsrechts betrachtet – eine positive Begründung der Rechtswidrigkeit erforderlich macht und also die Verletzung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt oder die Abweichung von den (wie es jetzt in § 630 a heißt) „allgemein anerkannten fachlichen Standards“ die Rechtswidrigkeit erst begründet. Bleibt man dagegen bei der kausalen Handlungslehre stehen und setzt mit RGZ 68, 431 weiterhin den Schnitt des Chirurgen dem des Messerstechers gleich, so begründet die Abweichung von den medizinischen Standards erst das Verschulden (dazu unten § 8). Dann aber muss der Geschädigte mit dem „Behandlungsfehler“ zuerst das Verschulden einer Handlung (der ärztlichen Behandlung) beweisen, bevor er bewiesen hat, dass er durch die Handlung des Arztes rechtswidrig verletzt worden ist, was mit dem dogmatischen Deliktsaufbau der kausalen Handlungslehre nur schwer zu vereinbaren ist.
3. Beweislastumkehr bei grobem Behandlungsfehler
Nach § 630 h V begründet ein „grober Behandlungsfehler“ die Vermutung, „dass der Behandlungsfehler für diese Verletzungen ursächlich war“ (so auch schon BGH NJW 1978, 2337; 2004, 2011). Beweist der Patient also einen „groben Behandlungsfehler“ des Arztes, so beweist der eine rechtswidrige Tat und es wird zugleich dem Täter (Behandelnder) die Beweislast dafür aufgebürdet, dass dieser Behandlungsfehler nicht die Ursache der nach der Behandlung aufgetretenen Beschwerden ist. Ein „grober Fehler“ ist nach der Sprache des BGB als „grobe Fahrlässigkeit“ (dazu § 8 III 3) zu verstehen, die im allgemeinen angenommen wird, wenn nicht bloß ein Fehler derart geschehen ist, der jedem, der eine solche Tätigkeit ausübt, einmal passieren kann, sondern ein Fehler unterlaufen ist, der einfach nicht passieren darf30. Ebenso ist Daimler-Benz die Beweislast dafür aufgebürdet worden, dass der Unfall eines Neuwagens aus...