Vorwort
Ahmed Kathrada wurde zTusammen mit Nelson Mandela, der in Südafrika häufig bei seinem traditionellen Clannamen »Madiba« genannt wird, 1964 im Rivonia-Prozess zu lebenslanger Haft verurteilt. Er saß 25 Jahre im Gefängnis. Nach seiner Entlassung war er politischer Berater Nelson Mandelas und Vorsitzender des Museumsrats von Robben Island. 2004 kam er bei der Wahl der hundert bedeutendsten Südafrikaner des Senders SABC3 auf Platz 46.
Mein nachhaltiger Eindruck von Christo Brand ist der eines herzensguten Menschen. Er ist kein Politiker, nur ein sehr mitfühlender Mensch, der für andere Risiken eingegangen ist, die für ihn selbst hätten gefährlich werden können.
Das vorliegende Buch konzentriert sich natürlich auf seine Beziehung zu Madiba zur Zeit von dessen Gefangenschaft, aber auch ich habe während meiner Haft die Menschlichkeit Christos kennengelernt. Auf Robben Island, wo ich am 13. Juni 1964 zusammen mit Madiba meine lebenslange Haftstrafe antrat, bin ich ihm noch kaum begegnet. Erst nach meiner Verlegung in das Pollsmoor-Gefängnis auf dem Festland im Oktober 1982 hatte ich viel mit ihm zu tun.
Wir wussten alle, dass Christo ein anständiger Mensch war, jemand, der uns helfen konnte, aber Madiba ermahnte uns, die jungen Wärter nicht auszunützen und in Schwierigkeiten zu bringen. Wir sollten Christo nicht für politische Zwecke benützen, wie die Überbringung politischer Botschaften und so weiter. In dieser Beziehung half Christo uns also nicht. Dafür tat er vieles andere.
Eine besonders eindrückliche Erinnerung daran, wie Christo sich von den brutalen Wärtern der Anfangszeit unterschied, stammt aus der Zeit, in der mich mein Anwalt Dullah Omar erstmals besuchen durfte. Wir hatten schon seit einiger Zeit auf diese Besuche hingearbeitet. Meine Gelegenheit kam, als ich an der University of South Africa zwei Abschlüsse machte und die Gefängnisbehörden mich nicht zum Masterstudium zulassen wollten. Ich sagte, ich würde dagegen klagen, und beantragte ein Gespräch mit Dullah.
Bei einem seiner ersten Besuche brachte Dullah Teigtaschen mit – zwei Päckchen. Eins davon war für die Wärter bestimmt. Nachdem die Wärter es angenommen hatten, fragte er, ob ich das andere haben könnte. Christo entsprach seinem Wunsch. Dullahs Frau Farida hatte damals einen Stand mit Obst und Gemüse auf dem Salt River Market in Kapstadt, und wir vereinbarten mit Christo, dass er hingehen und für uns Obst holen sollte – Farida gab ihm auch Obst und Gemüse für seine eigene Familie mit. In der Folgezeit kam Dullah zu unseren Besprechungen immer mit einer Aktentasche voller Essen. Juristische Bücher hatte er keine eingepackt. Christo wusste es und ließ es durchgehen.
Noch wertvoller waren die zusätzlichen Besuche, die Christo mir genehmigte. Er organisierte Besuche von Leuten, die ich eigentlich gar nicht sehen durfte, etwa von Professor Fatima Meer, von anderen politischen Aktivisten und von Angehörigen. Ich werde den Tag nie vergessen, an dem meine Nichte in Kapstadt heiratete und Christo dafür sorgte, dass praktisch die gesamte Hochzeitsgesellschaft mich verbotenerweise im Gefängnis besuchte. Er richtete im Oberstock einen eigenen Besuchsraum ein und ich sah sie alle, Kinder und Erwachsene. Die Kinder durfte ich jeweils ein oder zwei Minuten sprechen. Sie kamen nacheinander herein und brachten Lachen und Licht mit, ein für einen Häftling seltenes, wunderbares Erlebnis. Mit den Erwachsenen, die ebenfalls nacheinander hereinkamen, konnte ich etwas mehr Zeit verbringen.
Christo ermöglichte auch Begegnungen mit politischen Aktivisten, die im Pollsmoor-Gefängnis einsaßen, und ging damit in gewisser Weise ein größeres Risiko ein als ich. Es waren die Achtzigerjahre, eine Zeit des Ausnahmezustands, in der landesweit Tausende von Apartheidgegnern verhaftet wurden. Viele Aktivisten vom Westkap und sogar einige vom Ostkap wurden in Pollsmoor gefangen gehalten. Ihre Angehörigen wussten nicht, wo sie waren und wie es ihnen ging, aber mich ließ Christo zu ihnen. Er brachte mich eines Tages zu Trevor Manuel, der eigentlich überhaupt keinen Besuch empfangen durfte. Trevor, der später unter Madiba und anderen Präsidenten Finanzminister wurde, saß damals schon seit zwei Jahren in Einzelhaft.
Es war für Trevor wunderbar, mit mir sprechen zu können. Wir waren damals ja schon zwanzig Jahre im Gefängnis und aus der Öffentlichkeit verschwunden. Es gab nur alte Fotos von uns, auf denen wir viel jünger aussahen, und selbst deren Besitz war strafbar. Man kann sich vorstellen, wie mein Besuch auf ihn wirkte. Ich richtete ihm auch Grüße von Madiba und Walter Sisulu aus, und das gab ihm wirklich Auftrieb. Christo erlaubte mir auch, ihm ein inspirierendes Gedicht zu übergeben. Ein anderes Mal brachte er mich zu Matthew Goniwe, einem Aktivisten vom Ostkap, der nach seiner Entlassung von der Sicherheitspolizei getötet wurde.
Aufgrund unserer Isolation im Gefängnis wussten wir kaum etwas über Aids. Christo erzählte uns einmal, dass sieben HIV-positive ANC-Guerillas in Angola festgenommen und ins Gefängnis gebracht worden seien. Eines Tages eilten sie draußen auf uns zu und umarmten uns. Hinterher hatten wir Sorge, wir könnten uns durch die Umarmung angesteckt haben. Später, als wir schon für die Nacht in unseren Zellen eingeschlossen waren, sahen wir zufällig Christo im Hof mit ihnen auf und ab gehen. Er hatte den Arm um sie gelegt. Dieses Bild von Christo und den HIV-positiven Häftlingen zusammen mit dem von Prinzessin Diana, die wir im Fernsehen mit einem HIV-positiven Kind sahen, vertrieb unsere Ängste, vor allem als ich sah, wie unbefangen Christo mit diesen Leuten umging.
Weil es schwierig war, mit den anderen Aktivisten im Gefängnis zu kommunizieren, stellten wir uns unter ihre Zellen und unterhielten uns. Sie konnten dann hören, worüber wir sprachen. Auf diese Weise gaben wir Informationen an sie weiter. Christo wusste, was wir taten, und unternahm nichts dagegen, auch das eine kleine menschliche Geste. Als wir wenige Tage vor unserer Entlassung im Oktober 1989 nach Johannesburg verlegt wurden, war ich im Besitz zweier Fernseher. Ich ließ Christo einen für die Häftlinge da und er gab ihn an sie weiter. Den anderen bewahrte er in seiner Garage für mich auf und gab ihn mir zurück, als ich fünf Jahre später als Parlamentarier nach Kapstadt zurückkehrte.
Etwas besonders Wichtiges tat Christo für uns an einem Tag im Jahr 1986, einige Monate nachdem man Madiba von uns getrennt hatte und wir nicht wussten, was mit ihm passiert war. Christo kam zu mir und sagte: »Ich muss Ihnen etwas Wichtiges mitteilen, aber dann sagen Sie es Sisulu und den anderen weiter.«
Ich darauf: »Dann sagen Sie es mir lieber nicht.«
Aber natürlich sagte er es mir trotzdem. »Gestern Abend haben wir Madiba zu Justizminister Kobie Coetsee gebracht.« Das reichte uns schon an Information. Wir wussten jetzt in etwa, was passierte. Offenbar hatte Madiba Gespräche mit dem Gegner begonnen. Kurz darauf durfte er uns in Pollsmoor sprechen und berichtete, dass auf seine Anregung Gespräche begonnen hätten mit dem Ziel, die Regierung dazu zu bewegen, mit dem ANC zu reden. Christo informierte uns auch immer, wenn er Madiba irgendwohin begleitete. Oft war das die einzige Nachricht, die wir von Madiba hatten, entsprechend wichtig war sie für uns.
An Wochenenden, an denen Sergeant James Gregory, ein anderer Wärter, keinen Dienst hatte, ließ Christo mich kommen und zeigte mir Briefe, die Gregory nicht an mich weitergeleitet hatte. Sie waren zum Teil schon Jahre alt. Außerdem hatte er einen ganzen Stapel des Indicator – einer von Ameen Akhalwaya gestarteten, gegen die Apartheid gerichteten Wochenzeitung, die Akhalwaya jede Woche geschickt hatte. Christo gab mir immer gleich mehrere Ausgaben, wenn die Gelegenheit dazu bestand.
Und dann fing seine Frau an, zu Weihnachten Kuchen für mich zu backen. Jedes Jahr backte sie mir einen, den Christo mir dann brachte, eine Tradition, die bis heute fortbesteht.
Jemand wie Christo als Wärter zu haben bedeutete für das Leben eines Häftlings einen gewaltigen Unterschied. Die Wärter, die wir anfangs hatten, waren Tiere, im Grunde selbst Verbrecher, obwohl sie uns natürlich nie anfassten. Mit den jüngeren Wärtern änderte sich das. Sie waren nicht gegen uns indoktriniert worden. Und selbst aus ihnen ragte Christo noch mit seiner Menschlichkeit und Güte heraus.
Wir hielten auch nach meiner Entlassung weiter Kontakt, und als er seinen Dienst kündigte, half ich ihm, Arbeit im Büro der verfassunggebenden Versammlung zu finden. Als er später nach einer anderen Arbeit suchte, beschaffte ich ihm eine im Robben-Island-Museum.
Christo arbeitet unermüdlich und ist stets bereit, zu helfen und Überstunden zu machen, was man von vielen anderen Wärtern nicht sagen kann. Unseren Shop am Nelson Mandela Gateway nach Robben Island hat er mit Gewinn betrieben. Und er erzielte nicht nur Gewinn, er war auch als PR-Mann bestens geeignet, weil er schnell mit Leuten ins Gespräch...