1 Der neue Arbeitsmarkt
Jugend ist ein Argument, das mit jedem Tag an Wert verliert.
Willy Brandt (1913–1992), deutscher Politiker und Friedensnobelpreisträger
Über viele Jahre hinweg fürchtete sich der Bundesarbeitsminister insbesondere vor dem Monatsanfang, da die Bundesagentur für Arbeit zu dieser Zeit und jeden Monat aufs Neue die aktuelle Job-Bilanz bekannt gab – und das auch nach wie vor tut. Doch im Gegensatz zu früheren Zeiten gibt es für den heutigen Arbeitsminister schon seit Monaten Grund zur Freude: Die Lage auf dem Arbeitsmarkt bessert sich stetig, sodass mancherorts schon gemutmaßt wird, das Problem der Arbeitslosigkeit sei so gut wie gelöst. Schließlich gibt es mittlerweile deutlich weniger Arbeitssuchende und deutlich mehr Jobs. Wir dagegen glauben nicht, dass das Problem der Arbeitslosigkeit so einfach und ein für alle Mal gelöst ist. Es wird immer Zeiten größerer Arbeitslosigkeit geben – es ist die Aufgabe jedes Einzelnen, sich auf die veränderten Verhältnisse am Arbeitsmarkt rechtzeitig einzustellen.
Vergessen wir nicht, dass hinter den großen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit letztlich Menschen mit einer ganz eigenen Geschichte stehen. Und dabei ist nicht immer sicher, ob sich auch auf ihre Zukunft die allgemein positive Entwicklung auswirken wird. Insbesondere gering ausgebildete Arbeitnehmer, Zuwanderer und Langzeitarbeitslose tun sich nach wie vor schwer, beruflich Fuß zu fassen. Und schließlich bleibt noch die Frage, ob der Boom des Arbeitsmarktes auch erfahrenen Arbeitnehmern zugutekommt und ihnen alsbald einen neuen Job bescheren wird.
Der demografische Wandel
Gute Chancen für Best Agers
Sicher ist, dass der demografische Wandel Unternehmen in aller Welt in naher Zukunft vor große Herausforderungen stellen wird und gleichzeitig große Chancen für erfahrene Arbeitskräfte bietet. Es ist eine Tatsache, dass weltweit die Populationszahlen langfristig zurückgehen und die Geburtenraten nicht nur in den Industrienationen, sondern auch in den Entwicklungsländern sinken. Der Anteil der älteren Menschen an der Gesamtbevölkerung wächst in allen Staaten. Somit treten weltweit mehr alte Menschen in Ruhestand, als junge Menschen in der Berufswelt Fuß fassen. Es ist daher absehbar, dass die Arbeitslosenrate abnehmen und der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften sich als dringlichstes Problem der Weltwirtschaft entpuppen wird. Aus diesem „Problem“ ergeben sich für Best Agers gute Chancen, sich am Arbeitsmarkt zu positionieren. Aus Mangel an jungen Arbeitnehmern werden die Unternehmen wieder auf die Erfahrung und das Wissen der erfahrenen Generation zurückgreifen. Ein Blick auf den demografischen Wandel macht das deutlich:
Deutschland wird dem demografischen Wandel entgegensteuern. Zurzeit leben in unserem Land etwas mehr als 82 Millionen Menschen. Rund 42,6 Millionen davon könnten theoretisch arbeiten gehen. Sie zählen zu den „Erwerbspersonen“ im Alter zwischen 15 und 74 Jahren. Tatsächlich erwerbstätig waren Ende 2006 nur 39 Millionen, erwerbslos waren rund 3,6 Millionen Menschen. Damit lagen die Erwerbstätigenquote insgesamt bei 68,7 Prozent und die Erwerbslosenquote bei etwa 8,5 Prozent (Statistik der International Labour Organization). Rein formal gesehen steht Deutschland im weltweiten Vergleich mit diesen Zahlen gut da – doch hat sich das auch positiv auf die Jobsuche der erfahrenen Arbeitnehmer ausgewirkt?
Ja, denn auch die Zahl der Arbeitnehmer, die einen sozialversicherungspflichtigen Job haben und älter als 50 Jahre sind, stieg zwischen Juni 2005 und Juni 2006 um 200.000 an. Dieser Zuwachs zeichnete sich auch schon in den vorangegangenen Jahren ab; seit dem Jahr 2000 fanden immer mehr erfahrene Arbeitnehmer einen Job. Von den über 50-Jährigen hatten im Jahre 2000 erst 37,5 Prozent eine Stelle, im Jahre 2005 waren es schon 45,4 Prozent. Sieht man sich die Spanne der 55- bis 59-Jährigen an, so sind 16 Prozent mehr Menschen dieser Altersklasse berufstätig, als dies noch vor 10 Jahren der Fall war (Textilwirtschaft, 29.3.2007). Fraglich ist nur, ob dieser Trend weiterhin anhalten wird und in Zukunft noch mehr erfahrene Arbeitnehmer eine neue Anstellung finden werden.
Fachkräftemangel als Chance
Das Sprichwort „Des einen Freud ist des anderen Leid“ bekommt in diesem Zusammenhang jedenfalls eine neue Bedeutung: Einerseits sehen viele Unternehmen aufgrund einer nicht bedarfsdeckenden Personallage und -politik der vergangenen Jahre schwierigen Zeiten entgegen, auf der anderen Seite ergeben sich daraus für erfahrene Arbeitssuchende gute Chancen. Denn insbesondere klein- und mittelständische Unternehmen und Firmen im ländlichen Raum haben schon heute Probleme mit dem Fachkräftemangel: Zahlreiche Umfragen belegen, dass zwei Drittel aller mittelständischen Unternehmen jetzt oder in naher Zukunft Schwierigkeiten bei der Gewinnung von Fach- und Führungskräften haben. Bereits heute können zahlreiche offene Stellen aufgrund von Fachkräftemangel nicht besetzt werden. Bemerkenswert ist dabei, dass dieser Engpass nicht nur in mathematisch-naturwissenschaftlich-technisch orientierten Bereichen besteht, sondern auch bei allgemeinen Führungs- und Managementaufgaben zu erwarten ist.
Vorbehalte gegenüber erfahrenen Arbeitnehmern
Thema Gesundheit und Belastbarkeit
Dennoch haben viele Unternehmen Vorbehalte gegenüber erfahrenen Arbeitnehmern. Zum einen liegt das teilweise am deutschen Tarifsystem, das automatisch höhere Löhne für ältere Mitarbeiter fordert. Zum anderen sind befürchtete Krankmeldungen ein Thema, mit dem sich erfahrene Arbeitnehmer konfrontiert sehen: Klagt eine 20-jährige Sekretärin über Rückenschmerzen, so ist der Grund dafür der schlechte Bürostuhl, zu wenig Bewegung oder die Arbeitsbelastung. Klagt dagegen ihre 50-jährige Kollegin über die gleichen Symptome, wird zuerst das Alter dafür verantwortlich gemacht. So wundert es auch nicht, dass einer der häufig angeführten Gründe gegen eine Einstellung von erfahrenen Arbeitnehmern ist, dass diese öfter krank und weniger belastbar seien als ihre jungen Kollegen. Dass diese Annahme nicht ohne Weiteres richtig ist, haben schon mehrere Statistiken bewiesen:
Jüngere Arbeitnehmer werden sogar öfter krank und lassen sich häufiger aufgrund von geringfügigen Erkrankungen krankschreiben, haben dann allerdings eine kürzere Krankheitsdauer. Ältere Arbeitnehmer lassen sich dagegen viel seltener krankschreiben, fallen dann aber aufgrund von ernsthaften Krankheiten länger aus. Es ist zu berücksichtigen, dass es sich hierbei um Durchschnittswerte handelt. Das Fazit aber bleibt: Ein erfahrener Arbeitnehmer steht dem Unternehmen tendenziell zuverlässiger und mit weniger kurzfristigen Ausfällen zur Verfügung.
Der DAK-Gesundheitsreport 2007 belegt darüber hinaus, dass in den jüngeren Altersgruppen die Arbeitsunfähigkeitsfälle (AU-Fälle) am häufigsten waren. Ein Grund für die extrem hohe Anzahl an Arbeitsunfähigkeitsfällen in den jüngsten Altersgruppen ist das größere Unfall- und Verletzungsrisiko jüngerer Beschäftigter im Zusammenhang mit sportlichen Freizeitaktivitäten. Bei erfahrenen Arbeitnehmern kommen diese Unfälle dagegen äußerst selten vor.
Vom Defizit- zum Kompetenzmodell
In früheren Zeiten wurde das Älterwerden als ein Prozess des „Wenigerwerdens“ eingestuft: Weniger Kraft, Leistungsfähigkeit, Flexibilität, Lernvermögen und Attraktivität. Je älter man wurde, umso mehr Defizite gab es – der alternde Mensch befand sich also permanent auf einem absteigenden Ast. Hervorgebracht hat diese Sichtweise die Baby-Boomer-Zeit, in der es junge Menschen in ausreichender Zahl gab und man daher insbesondere im Berufsleben auf die „Jungen“ setzte.
Immer weniger wichtig: Bärenkräfte und Adleraugen
Nun aber einmal anders gefragt: Sind Bärenkräfte oder Adleraugen heute wirklich noch wichtig, wenn es um den Broterwerb geht? Tendenziell nein – in einer Informations- und Wissensgesellschaft zählen andere Fähigkeiten. Daher spricht man heute davon, dass Ältere nicht vorwiegend Defizite aufweisen, sondern dass sie aufgrund ihres Alters und ihrer damit einhergehenden Erfahrung über Kompetenzen verfügen, die für Unternehmen unverzichtbar sind. So sind sie meist besser in der Lage, komplexe Aufgaben zu lösen, können subjektive...