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E-Book

Warum wir alle Idioten sind

Typische Denkfehler und wie man sie vermeidet

AutorRuben Mersch
VerlagGoldmann
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl352 Seiten
ISBN9783641145095
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Eine Einladung zum lustvollen Mitdenken, Nachdenken und Selberdenken.
Täglich werden wir mit Lügen und Halbwahrheiten konfrontiert, die wir nur allzu gerne glauben. Denn unser Gehirn ist bequem und geht immer dieselben Wege. Aber wir können die Scheuklappen ablegen und anfangen, klar zu denken. Das bringt uns garantiert weiter - und macht richtig Spaß! Der Biologe und Philosoph Ruben Mersch zeigt, warum wir alle Idioten sind und wie wir es schaffen, uns nicht länger für dumm verkaufen zu lassen.

Ruben Mersch, Jahrgang 1976, hat in Gent Biologie und Philosophie studiert. Nach seinem Abschluss verschlug es ihn in die Pharmaindustrie, wo er es, zu seinem eigenen Erstaunen, fast zehn Jahre aushielt. Als er irgendwann die Nase voll davon hatte, aus Krankheiten Profit zu schlagen und Ausschusssitzungen zu leiten, beschloss er zu kündigen und etwas Sinnvolles mit seinem Leben anzufangen: die Menschen das Denken zu lehren.

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Leseprobe

Einleitung

»Der eigentliche Zweck der wissenschaftlichen Methode ist es, sich zu vergewissern, ob die Natur einen nicht zu der falschen Annahme verleitet hat, man wüsste etwas, was man in Wirklichkeit nicht weiß.«

(1) Robert Pirsig, Zen und die Kunst, ein Motorrad zu warten

Ich habe heute ein kleines Freudentänzchen aufgeführt – auf einem Parkplatz zwischen Bürogebäuden in Nord-Mechelen. Kurz davor hatte ich gerade zum letzten Mal meine Bürotür hinter mir zugezogen. Zehn Jahre Pharmaindustrie waren mehr als genug. Ich war froh, dass es vorbei war.

Anfang 2001 hatte ich bei Tibotec angefangen: einer kleinen Firma, die AIDS-Medikamente entwickelte. Studiert hatte ich Philosophie und Biologie – zu einer Zeit, da großer Informatikermangel herrschte: Jedem, der ohne fremde Hilfe einen Computer einschalten konnte und ungefähr wusste, was eine Database war, wurde damals ein lukrativer Vertrag vorgelegt. Ich machte Karriere, erst als Analyst, dann als Projektleiter und schließlich als eine Art Bindeglied zwischen der Informatikabteilung und den Forschern. In den ersten Jahren machte mir die Arbeit wirklich Spaß. Tibotec war damals noch klein und voller guter Absichten. Wir wollten Leben retten, die Welt verbessern. Wir würden unsere Medikamente, wenn sie erst auf dem Markt wären, kostenlos in der Dritten Welt verteilen. Bis uns das Management wissen ließ, dass gerade noch genügend Geld für unser nächstes Monatsgehalt vorhanden sei. Es kam, wie es kommen musste: Wir wurden von Johnson & Johnson übernommen, einem Produzenten von Babyshampoo, der zugleich ein Big Player in der Pharmabranche war.

Was der Übernahme als Erstes zum Opfer fiel, waren unsere aus heutiger Sicht vielleicht tatsächlich etwas naiven Absichten. Unsere bessere Welt wurde ersetzt durch Double Digit Growth, die Ideale durch Gewinnmargen. Es ging nur noch um »turning disease into profit« – also darum, aus Krankheit Profit zu schlagen. Mit den Amerikanern kamen auch die politischen Spielchen: Man musste nach oben buckeln und nach unten treten, um auf der Karriereleiter nur ein klein wenig voranzukommen. Die schönen Zeiten waren vorbei. Ein paar Jahre später kam irgendein Amerikaner auf die glorreiche Idee, »durch eine geografische Vereinigung die leveraging opportunities zu optimieren«. Mit anderen Worten: Wir mussten umziehen, und zwar auf den Campus der Janssen Pharmaceutica irgendwo in die hinterste Ecke von Belgien, weit weg von meiner Heimatstadt Gent. Ich ging nicht mit. Ich hatte keine Ahnung, was ich tun wollte, aber eines wusste ich: Mit mir und Big Pharma funktionierte es nicht.

Einige Wochen später warteten meine Freundin und ich gespannt auf das Ergebnis eines Schwangerschaftstests. Zwei Linien. Keinen Job, dafür eine schwangere Frau und keinen blassen Schimmer, was ich mit dem Rest meines Lebens anfangen wollte.

Ich hatte mich nie besonders für Babys interessiert. Ich fand sie niedlich, zog aber Personen vor, mit denen man ein gutes Gespräch führen konnte. Das änderte sich, als ich selbst plötzlich in der Situation war, Vater zu werden. Auf einmal war ich ganz Ohr, wenn über Vorwehen gesprochen wurde, darüber, wie lange es dauert, bis die lieben Kleinen durchschlafen, oder über die Frage, ob man besser Stoffwindeln oder Pampers verwenden sollte. Während eines dieser Gespräche entstand die Idee für dieses Buch.

Unsere Freundin Barbara war auf eine Tasse Kaffee vorbeigekommen. Nachdem sie uns ausführlich die Einzelheiten ihrer Geburt geschildert hatte (Notkaiserschnitt nach 28 Stunden Wehen – immer bekommt man die Horrorgeschichten zu hören), kamen wir auf das Thema Impfungen zu sprechen. Sie war zu 100 Prozent dagegen. Impfstoffe seien unnatürlicher, chemischer Mist. Ebenso gut könne man seinem Kind eine Mischung aus Abflussfrei und Ammoniak in die Pobacke injizieren. Außerdem war es ihrer Meinung nach ohnehin besser, wenn Kinder ihre Abwehrkräfte auf natürliche Weise entwickelten. Nun bin ich selbst kein großer Fan der Pharmaindustrie, aber Impfungen haben zweifellos Millionen Menschenleben gerettet – ein Argument, das Barbara jedoch nicht umstimmen konnte. Auch die wissenschaftlichen Studien, die ich anschleppte, überzeugten sie nicht, denn »diese Wissenschaftler werden doch alle von der Pharmaindustrie bezahlt. Wes Brot man isst …«

Ob Impfungen ein Risiko darstellen, ist eine interessante Frage, aber noch viel interessanter fand ich, dass Barbara steif und fest daran glaubte, das Zeug sei lebensgefährlich. Warum glauben Menschen, was sie glauben? Und noch wichtiger: Woher wissen wir, dass das, was wir glauben, auch stimmt? Ist meine Überzeugung besser oder korrekter als die von Barbara? Und falls ja, warum?

Diese Fragen bildeten den Auftakt zu einer faszinierenden Entdeckungsreise – einer Entdeckungsreise, bei der ich abtauchte in die düstersten Winkel des Gehirns, wo ich – tief in unseren Denkmustern vergraben – einen Idioten antraf. Einen Idioten, der glaubt, ohne zu denken. Einen Idioten, der uns Ansichten einflüstert, ohne dass wir uns dessen bewusst sind.

»Welch ein Meisterwerk ist der Mensch! Wie edel durch Vernunft! Wie unbegrenzt an Fähigkeiten!« Diese Worte legte Shakespeare Hamlet in den Mund. Hamlet hat natürlich größtenteils recht. Menschen sind unglaublich talentierte Wesen. Es ist uns gelungen, zum Mond zu fliegen. Wir haben Autos, Computer und den Käsehobel erfunden. Wir können fremde Sprachen lernen und problemlos Tausende Gesichter voneinander unterscheiden. Wir erschaffen Kunst, Literatur, Musik. Doch eines gibt es, was wir nicht allzu gut können. Oder zumindest weniger gut, als wir selbst meinen: das Nachdenken.

Aristoteles definierte den Menschen als ein Tier mit Ratio. Es sei unsere Intelligenz, die uns von all den anderen Wesen, die die Erdkugel bevölkern, unterscheidet. Die meisten Menschen werden Aristoteles zustimmen. Unser Denkvermögen ist unser ganzer Stolz. Auch wenn unsere Nachbarn und Kollegen selbstredend etwas weniger davon besitzen, so sind doch die meisten Menschen, davon sind wir überzeugt, rationale Geschöpfe. Natürlich machen wir, wenn wir mal zu tief ins Glas geschaut haben oder vor Leidenschaft blind sind, auch Dummheiten. Aber das sind Ausnahmen und nicht die Regel.

Doch genau dies ist ein Irrtum. Irgendwann in den Siebzigerjahren fingen die Wissenschaftler an, unsere Denkmechanismen zu untersuchen: die Art, wie wir Hypothesen auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen, wie wir Informationen einholen oder Wahrscheinlichkeiten einschätzen. Heute, vierzig Jahre später, gibt es ganze Bibliotheken zu diesem Thema. Und was dort nachzulesen steht, klingt ernüchternd: Wir sind viel weniger rational, als wir meinen. Dies rührt nicht so sehr daher, dass wir uns von Emotionen fehlleiten ließen. Das Problem liegt tiefer – viel tiefer. Unsere Dummheit ist fest mit der Arbeitsweise unseres Gehirns verankert. In jedem von uns steckt ein Idiot.

Unser Gehirn ist das Resultat von Jahrmillionen der Evolution. Doch die Evolution ist nicht daran interessiert, den Fermat’schen Satz zu beweisen oder die Quantenmechanik zu ergründen. Die Evolution interessiert sich nicht einmal sehr für Wahrscheinlichkeiten. Das Einzige, was die Evolution interessiert, ist das Überleben. Und für das Überleben ist Geschwindigkeit von ausschlaggebender Bedeutung. Stellen Sie sich nur vor, Sie kauten als Urmensch gerade gemächlich auf einem Grashalm herum und bemerkten plötzlich, wie sich etwas im hohen Gras bewegt. Angenommen, Sie hätten nun die Möglichkeit, in Ruhe nachzudenken, und würden tatsächlich die Möglichkeit, es sei der Wind, gegen die Möglichkeit abwägen, es sei ein Säbelzahntiger. Kein guter Plan. Wenn Sie nicht als Mittagsmahl enden wollen, wäre es am besten, sich so schnell wie möglich aus dem Staub zu machen. Millionen Jahre der Evolution haben weniger ein rationales Gehirn hervorgebracht als vielmehr ein effizientes. Ein Gehirn, das auf der Basis von geringsten Gegebenheiten im Nu Entscheidungen fällen kann. Unser Gehirn ist voller Nebenstraßen und Abkürzungen, um möglichst schnell zu einem Urteil zu gelangen. Aber gerade weil es so schnell gehen muss, ist unser Urteil selten das beste. Was wir an Schnelligkeit gewinnen, büßen wir an Qualität ein.

Die Säbelzahntiger sind inzwischen ausgestorben. Unser Gehirn hingegen hat sich nicht wesentlich verändert. Wir glauben gerne, dass wir, bevor wir uns ein Urteil erlauben, erst einmal sämtliche relevanten Fakten in Betracht ziehen, um dann nach sorgfältiger Abwägung aller Hypothesen den bestmöglichen Schluss zu ziehen. Doch so geschieht es eher selten. Wir ziehen immer noch die Schnelligkeit der Genauigkeit vor. Meist glauben wir, ohne weiter darüber nachzudenken, an das Erstbeste, was uns in den Sinn kommt, und glauben folglich dem, was unser innerer Idiot uns einflüstert.

Ein Beispiel. Bitte beantworten Sie möglichst schnell die folgende Frage:

Fünf Maschinen benötigen fünf Minuten, um fünf Laptops zu produzieren. Wie viele Minuten benötigen dann hundert Maschinen für hundert Laptops?

Ihr Idiot hatte die Antwort im Bruchteil einer Sekunde parat, nicht wahr? Schade nur, dass die Antwort nicht stimmt. Und selbst wenn Sie richtig gerechnet haben sollten, ist es durchaus wahrscheinlich, dass Ihnen zunächst die falsche Antwort in den Sinn kam. (Falls Sie es noch nicht herausgefunden haben – die richtige Antwort lautet: fünf Minuten.)

Nun wird Sie – außer Sie planen, eine Laptopfabrik zu bauen – die Zeit, die hundert Maschinen für die Produktion von hundert Laptops brauchen, nicht...

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