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E-Book

Psychologie sozialer Beziehungen

AutorHeide Schmidtmann, Helmut E. Lück, Horst Heidbrink
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl222 Seiten
ISBN9783170227736
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR
Paarbeziehungen, Freundschaften und soziale Beziehungen in der Arbeitswelt sind nur einige Bereiche, zu denen die neuere psychologische Forschung wichtige Theorien und Ergebnisse anzubieten hat. Dieser Band stellt vor allem empirische Befunde der Sozial- und Entwicklungspsychologie leicht verständlich vor - ergänzt durch aktuelle evolutions- und neuropsychologische Erkenntnisse. Aus psychologischer Perspektive werden vielfältige soziale Beziehungen sowie deren Veränderungen durch gesellschaftlichen und kommunikationstechnischen Wandel betrachtet. Die theoretischen, empirischen und praktischen Erkenntnisse dienen dem Verständnis, der Gestaltung und der weiteren Erforschung von Beziehungen.

Dipl.-Psych. Dr. Horst Heidbrink ist Mitarbeiter des Arbeitsbereiches 'Psychologie des Erwachsenenalters' an der FernUniversität in Hagen. Prof. Dr. Helmut E. Lück ist emeritierter Professor für Psychologie an der FernUniversität in Hagen, Dipl.-Psych. Dr. Heide Schmidtmann wissenschaftliche Koordinatorin an der Ruhr-University Research School der Ruhr-Universität Bochum.

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Leseprobe

2 Beziehungsformen


Der Begriff „Beziehungen“ hat im Deutschen verschiedene Bedeutungen. Hat jemand „Beziehungen“, um über einen Freund Elektrogeräte mit günstigem Rabatt einzukaufen, dann spricht das bestimmt für Lebenstüchtigkeit. Nur ist das nicht die Bedeutung, die wir meinen. Seit ein paar Jahren wird unter „Beziehung“ auch einfach Freund/Freundin/Lebenspartner verstanden: „Wer ist das denn, die kenne ich gar nicht?“ „Das ist doch Melanie, die neue Beziehung von Bernd!“ Auch diese „Beziehung“ trifft nur zum Teil die Bedeutung des Begriffs in diesem zweiten Kapitel.

Uns geht es hier natürlich um verschiedene soziale Beziehungen zwischen Freunden, Liebespaaren, Arbeitskollegen, Nachbarn, Eltern und Kindern, Geschwistern und schließlich um „virtuelle“ Beziehungen. Alle diese Beziehungsformen sind uns aus dem Alltag gut bekannt: Wir haben Eltern, Großeltern, die meisten Menschen haben Geschwister; fast alle haben Freunde. Unser Arbeitsleben bringt mit sich, dass wir dort gute Bekannte oder gar Arbeitsfreunde finden. Mit unseren Nachbarn ist es ähnlich. Und schließlich hat auch die Mehrheit der deutschen Bevölkerung über das Internet Kontakte zu anderen Menschen.

Man kann also davon ausgehen, dass diese sozialen Beziehungen ein ganz wichtiger Teil unseres Lebens sind und dass wir alle differenzierte Erfahrungen zur Schaffung, zur Gestaltung, zum Gelingen und zur Beendigung dieser Beziehungen haben. Anders gesagt: Wir haben alltagspsychologische Theorien zu Gestaltung und für das Gelingen dieser Beziehungen entwickelt. „Gleich und Gleich gesellt sich gern“, „Früh gefreit, nie gereut“. Solche Lebensweisheiten des Volksmundes haben allerdings ihre bekannten Grenzen. Es fällt auf, dass trotz all unserer Lebenserfahrungen sehr viele Menschen mit der Art und Weise ihrer sozialen Beziehungen unzufrieden sind. Dies beginnt schon beim Kennenlernen. Lebenshilfeliteratur wird in Mengen angeboten und seit ein paar Jahren hilft man sich in Internetforen:

Conny7 schreibt in einem dieser Foren am 5.11.2007:

„Ich sortiere gerade mein Leben neu. Hierzu soll auch ein neues Hobby gehören. Da die Freizeit aber bekanntermaßen begrenzt ist, frage ich mich nun, welches Hobby den netten Nebeneffekt hat, auch interessante Männer kennen zu lernen. Jazz-Dance wäre da sicher verkehrt, Standardtanz zieht meiner Meinung nach eher die uninteressanten Männer an – sonstige Mannschaftssportarten liegen mir nicht besonders. Was schlagt ihr also vor, wo lernt ihr eure Männer kennen?“

Antworten hierzu kommen reichlich. Carlamia sorgt sich:

„Schon oft gehört, dass man in den Bergen bzw. auf dem Berg ganz gute Männer kennenlernen kann. Aber so ganz allein ins Gebirge mag ich auch nicht.“

C. reagiert zwei Minuten später:

„In den Bergen. Hmm, hab ich jetzt noch nie gehört. Wo denn da?“

YoungAngel weiß:

„Männer sind doch überall…am schnellsten hat man welche im Job kennengelernt… genügend Kunden und Kollegen hat man ja…Fitnessstudio ist auch sehr beliebt – aber Vorsicht – sehr merkwürdig die Herren!!! :-)“

Wir verlassen diese Gruppendiskussion und lenken die Aufmerksamkeit wieder auf Forschungsergebnisse der Psychologie und ihrer Nachbarwissenschaften.

2.1 Freundschaftsbeziehungen


Freundschaft hat in unserer Kultur eine feste Tradition. Vor allem in der Klassik und der Romantik wurde ein wahrer Freundschaftskult gepflegt, der auch heute noch die Idealvorstellungen von Freundschaft mitprägt. Gleichzeitig wird immer wieder beklagt, Freundschaft habe in unserer Gesellschaft gegenüber früher an Bedeutung verloren (vgl. Brain, 1978). In der Psychologie ist das Interesse am Thema Freundschaft in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Vor allem zahlreiche populärwissenschaftliche Darstellungen haben Frauen- und vereinzelt auch Männerfreundschaften in den Blickpunkt des Interesses gerückt – Valtin und Fatke (1997, S. 9) sprechen sogar von einem „Modethema“. Vor allem die Entwicklungs- und die Sozialpsychologie haben sich vermehrt mit Freundschaftsbeziehungen beschäftigt. Im psychologischen Alltagswissen nimmt die Bedeutung von Freundschaften für das psychische Wohlergehen des Einzelnen einen festen Platz ein. So machen sich Eltern ernsthafte Sorgen um ihre Kinder, wenn diese keine Freunde haben, aber auch dann, wenn es aus ihrer Sicht die falschen Freunde sind. Aber auch für die meisten Kinder stellen Freundschaften die wichtigsten Beziehungen nach der zu den eigenen Eltern dar. Krappmann (1991, S. XI) stellt fest, dass kein Wunsch in den mittleren Kindheitsjahren mehr an Bedeutung gewinnt, als „gute Freunde, gute Freundinnen zu haben, Freunde und Freundinnen, mit denen man spielen kann, auf die man sich verlassen kann, die zu einem stehen“. Insbesondere die Social Support-Forschung hat bislang Belege für die Bedeutsamkeit von Freundschaften geliefert. So ergab eine Studie von Nestmann und Schmerl (1992), dass „Freundin“ und „Freund“ vor „Mutter“ und „Vater“ sowie „beruflichen Helfern“ ganz oben in der Liste der häufigsten alltäglichen Helfern/Helferinnen stehen.

2.1.1 Definitionen und Konzepte von Freundschaft


Was sind eigentlich „Freundschaften“? Wen bezeichnen wir als unseren „Freund“ bzw. unsere „Freundin“? Umgangssprachliche Begriffe weisen meist einen für empirische Forschungen unliebsamen Mangel an exakter Definiertheit auf – der Begriff der Freundschaft kann diesbezüglich als ein Musterbeispiel angesehen werden. Komplizierend kommt hinzu, dass wir den Begriff der Freundschaft im Alltag in unterschiedlichen Bedeutungen verwenden. Zum einen bezeichnet er eine spezifische Art der Sozialbeziehung zwischen Personen, zum anderen können wir mit dem Begriff Freundschaft nicht nur die Art, sondern auch die Qualität einer Beziehung kennzeichnen. In diesem Sinne kann eine Mutter eine „freundschaftliche“ Beziehung zu ihrer Tochter haben oder ein Angestellter die Beziehung zu seinem Chef als „freundschaftlich“ beschreiben. Mit einer solchen Redeweise soll meist deutlich gemacht werden, dass eine bestimmte formelle Rollenbeziehung durch eine informelle Freundschaftsbeziehung „überlagert“ wird. Die Kennzeichnung von Beziehungen als „formell“ oder „informell“ ist allerdings insofern unscharf, als es sich hierbei um keine präzise Abgrenzung, sondern eher um die Extrempole eines Kontinuums handelt (vgl. Gaska & Frey, 1992, S. 281).

Freundschaften haben einen „informellen“ Charakter, wobei eine genauere Präzisierung jedoch schwer fällt. Was der eine schon als „Freundschaft“ ansieht, mag für den anderen „nur“ eine Arbeitsbeziehung sein. Die Abgrenzung fällt jedoch nicht nur in Bezug auf „formellere“, weniger emotionale Beziehungen schwer, sondern auch in die entgegengesetzte Richtung. Was unterscheidet eine Freundschafts- von einer Liebesbeziehung? Die Freundschaftsforschung ist dieser Frage bislang meist ausgewichen, beispielsweise mit Hilfe der expliziten Ausklammerung „offener Sexualität“ aus dem (wissenschaftlichen) Freundschaftsbegriff. Auhagen (1991, S. 17) schlägt nach der kritischen Diskussion anderer Definitionen die folgende Definition von Freundschaft (unter Erwachsenen) vor: „Freundschaft ist eine dyadische, persönliche, informelle Sozialbeziehung. Die beiden daran beteiligten Menschen werden als Freundinnen/Freunde bezeichnet. Die Existenz der Freundschaft beruht auf Gegenseitigkeit; sie besitzt für jede(n) der Freundinnen/Freunde einen Wert, welcher unterschiedlich starkes Gewicht haben und aus verschiedenen inhaltlichen Elementen zusammengesetzt sein kann. Freundschaft wird zudem durch vier weitere Kriterien charakterisiert: 1. Freiwilligkeit (…) 2. Zeitliche Ausdehnung (…) 3. Positiver Charakter (…) 4. Keine offene Sexualität.“

Kolip (1993, S. 82) kritisiert an dieser Definition, dass in ihr explizit formelle Beziehungen ausgeschlossen werden. Tatsächlich bezeichneten in einigen Untersuchungen vor allem Männer relativ häufig eine Frau als „engsten Freund“, wobei sie meist ihre Ehefrauen meinten (vgl. Lowenthal, Thurnher & Chiriboga, 1975, Rubin, 1985). Kolip selbst definiert Freundschaften „als freiwillige Zusammenschlüsse zwischen Menschen beiderlei Geschlechts, die auf wechselseitiger Intimität und emotionaler Verbundenheit begründet sind“ (1993, S. 83). Diese Definition ist deutlich weiter als die von Auhagen, überzeugt jedoch auch nicht recht. Zum Einen lässt sie kaum eine Abgrenzung zu Liebesbeziehungen zu, zum Anderen bleibt unklar, ob die geforderten „freiwilligen Zusammenschlüsse“ nicht auch bestimmte formelle Beziehungen ausschließen (z.B. die Freundschaft zu einem Vorgesetzten).

Der alltägliche Sprachgebrauch kennt diffizile sprachliche Nuancierungen zur Verdeutlichung von Übergängen und Grenzen zwischen Freundschaft und Liebe. Je nach Kontext kann die Bezeichnung Freundin bzw. Freund die Partnerin bzw. den Partner in einer Freundschafts- oder in einer Liebesbeziehung meinen. Eine kontextbezogene Begriffsverwendung erhöht zwangsläufig die Wahrscheinlichkeit von Missverständnissen bzw. von Fehldeutungen durch Dritte. Dies erklärt vermutlich einige der eigentümlichen Sprachregelungen bei gegengeschlechtlichen Freundschaften. Spricht beispielsweise ein verheirateter Mann von seiner „Freundin“, verbleibt in Bezug auf die Art der hiermit gekennzeichneten Beziehung ein großer Interpretationsspielraum. Die semantische Vieldeutigkeit...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Titel1
Inhalt6
Vorwort8
1 Einführung in die Psychologie sozialer Beziehungen10
1.1 Ein Blick zurück: Freiherr von Knigge10
1.2 Psychologie sozialer Beziehungen – ein neues Forschungsgebiet12
1.3 Abgrenzungen14
1.4 Wirkungen sozialer Beziehungen: Die Hawthorne-Studien16
1.5 Wahrnehmung sozialer Beziehungen: Die Heider-Simmel-Studien18
2 Beziehungsformen22
2.1 Freundschaftsbeziehungen23
2.1.1 Definitionen und Konzepte von Freundschaft24
2.1.2 Freunde – beste und enge Freunde26
2.1.3 Freundschaft und Lebensalter27
2.1.4 Freundschaft als Prozess29
2.1.5 Frauen- und Männerfreundschaften33
2.1.6 Freundschaft im Wandel34
2.2 Partnerschaft und Liebe37
2.2.1 Liebe aus psychologischer Sicht39
2.2.2 Die biologischen Grundlagen der Liebe43
2.2.3 Erfolg und Misserfolg von Partnerschaften54
2.2.4 Empfehlungen für gelingende Partnerschaften61
2.3 Soziale Beziehungen in der Familie65
2.3.1 Eltern-Kind-Beziehungen68
2.3.2 Geschwisterbeziehungen74
2.4 Beziehungen am Arbeitsplatz und in der Nachbarschaft85
2.4.1 Beziehungen im Arbeitsumfeld86
2.4.2 Nachbarschaftsbeziehungen101
2.5 Soziale Beziehungen im Internet112
2.5.1 Kennzeichen der Internetnutzung113
2.5.2 Kennzeichen computervermittelter Kommunikation116
2.5.3 Theorien der computervermittelten Kommunikation118
2.5.4 Online- und Offline-Beziehungen120
3 Beziehungstheorien128
3.1 Von der Evolutionstheorie zur Evolutionspsychologie128
3.1.1 Grundgedanken der Evolutionstheorie128
3.1.2 Ethologie130
3.1.3 Soziobiologie131
3.1.4 Evolutionäre Psychologie132
3.2 Ausgewählte psychoanalytische Ansätze139
3.2.1 Sigmund Freud139
3.2.2 Psychosexuelle Entwicklungsphasen140
3.2.3 Psychosoziale Entwicklung141
3.2.4 Frühkindliche Deprivation143
3.2.5 Entwicklungsphasen nach Erik H. Erikson144
3.3 Bindungstheorien148
3.3.1 Allgemeine Zielsetzung und Wertung der Bindungstheorien148
3.3.2 Begriffliche, historische und theoretische Grundlagen148
3.3.3 Bindungsstile: Die Untersuchung von Ainsworth et al.150
3.3.4 Entwicklung des Bindungsverhaltens152
3.3.5 Zur Stabilität des Bindungsstils152
3.3.6 Einige kritische Anmerkungen153
3.3.7 Studien an Jugendlichen und Erwachsenen153
3.3.8 Das zweidimensionale Modell von Bartholomew154
3.4 Austauschtheoretische Ansätze und Gleichgewichtstheorie156
3.4.1 George Caspar Homans und Peter Blau156
3.4.2 John W. Thibaut und Harold H. Kelley160
3.4.3 Kritik an den Austauschtheorien161
3.4.4 Das Investitionsmodell von Caryl E. Rusbult161
3.4.5 Kerngedanken der Gleichgewichtstheorie163
3.4.6 Austausch von Ressourcen: Uriel G. Foa und Edna Foa164
3.5 Systemtheoretische Ansätze166
3.5.1 Der Systembegriff167
3.5.2 Systemtheorien im Bereich sozialer Beziehungen169
3.6 Soziale Netzwerke174
3.6.1 Beschreibung von Mustern sozialer Beziehungen176
3.6.2 Flexibilisierung sozialer Beziehungen178
3.6.3 Funktionen von Netzwerken181
4 Interpersonelle Beziehungen im Kontext globaler Veränderungen185
Literatur192
Sachregister212
Personenregister216

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