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Diagnose: unheilbar. Therapie: selbstbestimmt

Vom souveränen Umgang mit der Schulmedizin. Ein Erfahrungsbericht

AutorSven Böttcher
VerlagLudwig
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl336 Seiten
ISBN9783641154912
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Therapie auf eigene Faust
Ende 2007 werden durch einen schweren Krankheitsschub Sven Böttchers Beine, Arme und innere Organe gelähmt - Ärzte raten ihm als letzte Überlebenshoffung zur »Eskalationstherapie«. Die Unmengen von Cortison, die in ihn hineingepumpt werden, können den Fortgang der Multiplen Sklerose weder stoppen noch seinen Zustand wenigstens stabilisieren. Böttcher entscheidet sich endgültig gegen die Angebote der Schulmedizin und beschließt, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen - zu recherchieren, bewusst und gesund zu leben und vor allem: den eigenen Körper nicht als Feind, sondern als Partner zu sehen. Sein Mut zahlt sich aus: Heute ist Sven Böttcher schubfrei, lebt und arbeitet wieder erfolgreich - und genießt jede Stunde. Aus dieser Erfahrung ist ein Überlebenshandbuch nicht nur für MS-Kranke entstanden: eine kritische Auseinandersetzung mit der Pharmaindustrie, ein leidenschaftlicher Appell, auf sich selbst und die Kräfte des eigenen Körpers zu vertrauen.

Sven Böttcher, Jahrgang 1964, schreibt Krimis und fantastische Romane, arbeitet als Comedy- und Drehbuchautor und Media-Konzeptioner ('ran', 'Beckmann').

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Leseprobe

4+   Unheilbar?

Nur die Heilungen, welche die Natur selbst und aus eigenen Mitteln zustande bringt, sind gründlich.

(Arthur Schopenhauer)

»Schwierig« zu sein ist für Patienten wichtig, um an der eigenen Behandlung aktiv mitzuwirken. Gleichzeitig müssen wir als Ärzte nicht nur lernen, dieses »schwierige« Verhalten zu tolerieren, sondern es als das zu respektieren, was es ist: Ausdruck der Fähigkeit des Patienten, zur Heilung selbst beizutragen.

(Prof. George Jelinek)

Beginnen wir sicherheitshalber mit der schlechten Nachricht: Nicht jeder MS-Kranke kann wieder ganz heil werden. Die unter der »Dachmarke« MS versammelten Krankheiten sind nämlich allesamt kein Schnupfen, nicht mal die milderen Spielarten, geschweige denn die unschönen. Einige von uns erwischen also förmlich die übermächtige FC-Barcelona-Variante und bringen selbst nur einen Regionalligaclub als gastgebenden Körper mit – und da wird das Ziel »Gewinnen oder wenigstens unentschieden spielen!« dann auch mit allerhand Bemühen, Probieren und Glauben ein schwieriges Unterfangen. Aber sogar in solchen Fällen gilt: Wer nicht an seine Chance glaubt, hat garantiert keine. Und für den ganzen Rest gilt: Doch, das geht. Denn »unheilbar« ist nicht »unheilbar«. Und auch gar nicht so gemeint.

Es ist allerdings auch ohne permanente Fatigue ungeheuer ermüdend, sich mit Schulmedizinern über »Heilung« unterhalten zu wollen. Ermüdend vor allem, weil die meisten sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse berufen, ohne diese Wissenschaft überhaupt im Detail zu kennen oder wenigstens grundsätzlich zu verstehen. Weder die Grundlagen (weil sie keine Zeit haben, Karl Popper zu lesen) noch den Rahmen, in dem Wissenschaft sich bewegt. Noch weniger Dunst haben Schulmediziner indes von Statistik, denn Statistik kommt im Medizinstudium nicht vor. Daher fehlt Medizinern in der Regel das Rüstzeug, um Studien (insbesondere Medikamentenstudien) überhaupt lesen, geschweige denn beurteilen zu können, ob eine Studie relevant oder gar evident ist. Zur Entschuldigung (blanko) aller Mediziner sei aber eingeräumt, dass es bei jährlich »mehr als einer Million Fachartikel in nahezu 20 000 Fachzeitschriften«39 komplett unmöglich sein dürfte, wenigstens über die Zusammenfassungen fragwürdiger Publikationen auch nur einen annähernden Überblick zu behalten. Da bleibt dann eben nur Zeit für die flüchtige Lektüre von Ärzteinformationen und Werbeprospekten – allerdings sind von Letzteren nur etwa »6 % (…) auch wissenschaftlich korrekt mit entsprechenden Studien belegt (…)«.40

Aus diesem Ausbildungs- und Zeitdefizit folgt aber auch, dass praktizierende Ärzte erst recht keine Zeit haben, die tatsächlich verwirrenden Erkenntnisse der Wissenschaft in Sachen Quantenphysik zu goutieren oder sich wenigstens gedanklich der Idee zu nähern, dass beispielsweise der »Placeboeffekt« offenkundig ungeheuer mächtig und erst recht ungeheuer nützlich ist. Statt das einzuräumen, wissen Schulmediziner aber gern, dass zum Beispiel Homöopathie nicht wirken kann – denn nachweislich entspricht die Wirkstoffmenge in einem obskuren »Globulus« der Wirkstoffmenge eines Tropfens in einem wassergefüllten Pool, der von der Erde bis zur Venus reicht. Weist man den Schulmediziner nun darauf hin, die größte Leistung des Homöopathie-»Erfinders« Samuel Hahnemann habe darin bestanden, Patienten vor Ärzten zu retten, indem er ihnen statt der weiland von Schulmedizinern als »Medizin« bevorzugt verabreichten tödlichen Schwermetalle eigene Medikamente reichte, die den natürlichen Heilungsprozess nicht behinderten, so will der Schulmediziner das einfach mangels Zeit nicht hören. Besteht man streng wissenschaftlich darauf, wenigstens 90 Prozent der maßgeblichen Energien sowie der Masse des Universums seien ohnehin (und nachweislich) mit seinen Methoden gar nicht erfassbar, wahlweise unauffindbar, versteht er kein Wort. Und besteht man gar darauf, man kenne geheilte MS-Kranke, ist der Ofen aus – denn spätestens hier flüchtet der Überforderte in Weiß reflexartig in die Sprechblase: »Dann war das von Anfang an falsch diagnostiziert.«

Der Schaden, der durch diese entschlossene Ignoranz entsteht, ist beträchtlich. Denn gemessen und betrachtet wird nur, was das eigene enge Weltbild bestätigt. Dabei fällt dann aber leider fast alles, was für den Patienten relevant und nützlich wäre, unter den Behandlungstisch.

Zugegeben, natürlich schere ich hier alle Schulmediziner unfair über einen Kamm. Natürlich ist die Kompetenznormalverteilung unter Medizinern oder der Teilgruppe Neurologen nicht anders als in allen anderen Berufsgruppen. Dem höchstwahrscheinlich zutreffenden »Welzer’schen Theorem«41 energisch folgend, gehen wir doch generell davon aus, dass in jeder homogenen Gruppe – ganz gleich, ob es sich dabei nun um Bäcker, Anstreicherinnen oder Ärzte handelt – immer vier der zehn Betrachteten unterdurchschnittlich talentiert sind, vier durchschnittlich und zwei von zehn überdurchschnittlich. Geraten wir nun an einen der acht von zehn durchschnittlichen oder miesen Bäcker, versaut uns das allerdings nur einmalig das Frühstück. Geraten wir indes an einen der acht von zehn allenfalls durchschnittlichen Neurologen, versaut uns das unser ganzes Leben. Deshalb meine außerordentliche Strenge.

Was nun also das vernichtende Verdikt »unheilbar« betrifft, kann ich nach den eben geschilderten Überlegungen und ein paar zerebralen Zusatzübungen nur schlussfolgern, dass alle von mir befragten Neurologen zu lange in der Sonne gewesen sind. Denn offenkundig ignorieren sie ja alles, was sich nicht mit ihrem Urteil vereinbaren lässt, aus Gründen, die sie vermutlich nicht mal selbst kennen (sofern sie nicht von Pharmaherstellern bezahlt werden, was ich selbstredend nicht annehme, jedenfalls nicht bei allen).

»Unheilbar« ist indes stärkster Tobak und stellt für jeden Patienten das größte Hindernis überhaupt in der MS-Therapie dar. Denn das »Wissen«, unheilbar krank zu sein, ist eine schwere Hypothek, mithin »unheilbar« eine sich selbst erfüllende Prophezeiung – ein »Noncebo«-Effekt, wie er im Buche steht.

Unheilbar?

Ein abgetrenntes Bein ist unheilbar. Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist unheilbar. Vergiftungen durch schwarze Mambas sind unheilbar. Letztere führen zum Tod, und zwar unvermeidlich, binnen Monaten, Jahren oder Minuten. So gesehen ist allerdings auch »Leben« unheilbar, denn auch das führt zum Tod – nur ist die Vorhersage des Zeitpunktes etwas schwieriger. MS »unheilbar« zu nennen ist allerdings bloß link. Oder wenigstens grob irreführend.

Man muss oder müsste sich doch wenigstens an die allgemeinen Sprachregeln halten, aber die hat den Neurologen offenbart keiner erklärt. Zur Verdeutlichung diene daher eine andere fiese Krankheit – nennen wir sie Krebs. Kommt ein Krebskranker im ersten »Schub« zum Arzt, wird jener ihm höchstwahrscheinlich mitteilen, es bestünden Chancen, die Krankheit zu besiegen. Gehen wir vom günstigen Fall aus, in dem dies mittels Chemotherapie, Operationen, Bestrahlungen, guter Gedanken und Aktivierung der Selbstheilungskräfte gelingt – und der Patient sich schließlich frei von Tumoren und Metastasen vom Krankenlager erhebt. Der Patient gilt jetzt als genesen. Und kein Onkologe, der seine Marmeln wenigstens halbwegs beisammen hat, würde dem Genesenen jetzt sagen: »Diesen Krebsschub haben Sie überstanden, aber Krebs ist eine unheilbare Krankheit.«

MS-Kranken sagt man genau das.

Selbst wenn sie wieder aufstehen. Selbst wenn sich alle im akuten Schub entstandenen Behinderungen zurückbilden (oder nur marginale Schäden zurückbleiben, die den MS-Kranken ebenso wenig behindern wie den genesenen Krebskranken der Verlust irgendwelchen Gewebes). Dem MS-Kranken sagt man: Sie sind nicht genesen. Nicht gesund. Sie sind nicht einmal temporär genesen. Sie werden nie wieder gesund.

Der MS-Kranke ist und bleibt chronisch und unheilbar krank.

Was natürlich reiner Blödsinn ist. Man kann an MS erkranken. Man wird wieder gesund. Mit etwas Glück (10 Prozent? 20 Prozent? 30 Prozent?) bleibt man gesund. Mit etwas Pech erkrankt man erneut. Mit viel Pech erkrankt man dauernd wieder. Aber dazwischen sind wir geheilt. Einigen wir uns doch, falls uns jemand fragt (oder wir uns selbst), auf »Ich bin meistens geheilt«.

Und behalten zusätzlich immer im Sinn: Was die Schulmediziner mit »unheilbar« meinen, aber eben nicht sagen, ist dies:

a) »Die Schulmedizin weiß nicht, wie man MS heilt. Deshalb ist MS für einen Schulmediziner unheilbar.« (Das entspricht ungefähr der Aussage: »Ich kann nicht Geige spielen, deshalb ist Geige unspielbar.«)

b) »Wenn ich ›unheilbar‹ sage, verstehe ich ›heil‹ im Sinne von ›exakt so wie vor dem Kaputtgehen‹, womit ›heil‹ wegen der universellen Gültigkeit des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik kategorisch ausgeschlossen ist. Nichts im Universum kehrt nach dem Kaputtgehen in seinen Ausgangszustand zurück, weder eine heruntergefallene Vase noch ein demolierter Nerv. Ergo ist MS unheilbar. Alle anderen Krankheiten übrigens auch.«

c) »Sie können mit Ihrer Diagnose symptomfrei und beschwerdefrei leben und bis ins hohe Alter genauso mobil bleiben wie alle anderen, und Sie können ungeheuer alt werden. Aber ich...

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