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E-Book

Wie Ärzte gesund bleiben - Resilienz statt Burnout

AutorJulika Zwack
VerlagGeorg Thieme Verlag KG
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl104 Seiten
ISBN9783131716422
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis39,99 EUR
Wie lassen sich Gesundheit, Sinnerleben, Freude und Wirksamkeitserfahrung im Arztberuf auch unter schwierigen Arbeitsbedingungen erhalten? Wie gelingt es, sich nachhaltig von Burnout, Depression oder Substanzmissbrauch zu regenerieren? - Alltagsnahe Anregungen zum bewussten Ressourcenmanagement - Konkrete Anleitungen zur Selbstbeobachtung und Verhaltensänderung - Kompakte Analyse der wichtigsten ärztlichen Lebensräume mit jeweils spezifischen Strategien der Resilienzförderung Auf Basis der Empirie und den neuesten Erkenntnissen zur Burnout-Prävention vermittelt das Buch konkret und anschaulich Strategien für den erfolgreichen Umgang mit prototypischen Stresssoren des Arztberufs.

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Leseprobe

5 Der Sprung ins Ungewisse – resiliente Verhaltensweisen erlernen


Das Erlernen resilienzfördernder Verhaltensweisen ist mit Einstellungsänderungen und mit Änderungen im konkreten Verhalten bzw. Lebensvollzug verbunden. Wie jedes Umlernen ist dies ein Prozess, der Investition erfordert und Hindernisse sowie Rückschläge beinhaltet. Wie funktioniert Um- bzw. Neulernen? Zu dieser grundlegenden Frage gibt es inzwischen eine ganze Menge nützlicher neurowissenschaftlicher Erkenntnisse.

Eigentlich wollte ich mich heute nicht hetzen lassen. Eigentlich wollte ich heute in Ruhe dieses Buch lesen. Eigentlich wollte ich diese Woche unbedingt mal wieder zum Sport. Eigentlich. Wie kommt es, dass Dinge, die mir wichtig sind, immer wieder hinten runterfallen? Es kommt etwas dazwischen. Dieses „etwas“ sind Stresssituationen und Schemata, d. h. biografisch erworbene Denk-, Fühl- und Handlungsmuster. Nichts entfernt mich so schnell von meinen „Eigentlich-Zielen“ wie Situationen, in denen mir zumindest kurzfristig die Felle, d.h. die gefühlten Ressourcen, davonschwimmen.

Stress ist immer auch gleich bedeutend mit einer Gefährdung der oben beschriebenen Grundbedürfnisse: Es droht ein Kontrollverlust, eine soziale Enttäuschung oder Zurückweisung, körperliches Unbehagen oder eine (Selbst-)Abwertung. Etwas ist anders, als es sein sollte. Sind unsere Grundbedürfnisse gefährdet, werden so genannte motivationale Schemata aktiviert. Schemata sind nichts anderes als neurobiologisch verankertes Erfahrungswissen darüber, wie unsere Grundbedürfnisse am wirksamsten geschützt oder erfüllt werden: Was hat sich in ähnlichen Situationen bewährt? Lösungsversuche, die in der Vergangenheit hilfreich, vielleicht sogar (zumindest emotional) überlebenssichernd waren, sind gut gebahnt und wischen als neuronale Autobahnen den kleinen Trampelpfad zum „Eigentlich-Ziel“ schnell beiseite.

Kurz: Veränderung im Sinne von Verhalten, das meinen guten Vorsätzen gegenüber loyal ist, ist im Stress unwahrscheinlich. Es wird unter fünf Bedingungen wahrscheinlicher:

  • Wenn mir die eigenen Denkgewohnheiten in ihren Auswirkungen bewusst oder zumindest bewusster sind.

  • Wenn die gewünschten Verhaltensweisen durch neurobiologische Bahnungsprozesse unterstützt werden.

  • Wenn ich es – zumindest in einer Übergangsphase – schaffe, Zeit zu gewinnen.

  • Wenn ich mich wiederholt so verhalte, wie ich es mir wünsche.

  • Wenn es um kleine Schritte geht.

5.1 Wer spricht da bitte? – die eigenen Denkmuster kennen


„Ich kann schwer Niederlagen anerkennen. Im Grunde genommen habe ich mein ganzes Leben das Gefühl, nicht genug zu machen. Mein Vater hat immer gesagt, wenn du Hilfe brauchst, dann schaue an das Ende deiner Arme, dort sind deine helfenden Hände, die du brauchst. Mein Vater hat mich anerkannt, respektiert und war stolz auf mich, aber trotzdem ist immer das Gefühl geblieben, ich muss ihm etwas beweisen, so dass er stolz auf mich ist. Das war sicherlich so eine treibende Kraft. Ich kam nicht aus einer Akademikerfamilie und ich wollte es allen zeigen, dass ich es durch Fleiß erreichen kann.“

Chefarzt (58 Jahre), Chirurgie

„Man ist nicht auf der Welt, um glücklich zu sein, sondern um zu arbeiten und nützlich zu sein. So wurde mir das eingebläut. Also nie im Jetzt sein zu dürfen und sich zu vergnügen. Nein, das steht mir jetzt nicht zu, das wäre Verschwendung.“

Oberarzt (52 Jahre), Innere Medizin

In unseren Gesprächen mit von Burnout, Depression und Substanzabhängigkeit betroffenen Ärzten erkennen diese in der Rückschau Glaubenssätze, denen sie viele Jahre selbstverständlich gefolgt sind. Erst die Krise ermöglicht es ihnen, infrage zu stellen, ob das, was ihr Handeln wesentlich leitete, auch tatsächlich im praktizierten Ausmaß gelten muss. Bis zu einem gewissen Grad schwimmen wir alle im Meer unserer impliziten Lebenserfahrungen und Überzeugungen. Niemand ist frei von diesen inneren „Einflüsterungen.“ Um sich nicht von ihnen fernsteuern zu lassen, ist es gut, sie zu kennen und von Zeit zu Zeit zu überprüfen, ob das, was sich in einer bestimmten Lebensphase bewährt hat (und das muss es, sonst hätten Sie es nicht beibehalten! ), noch dienlich ist für die aktuellen Lebensziele. Symptome wie Unzufriedenheit, Erschöpfung, Rastlosigkeit sind ein hervorragender Anlass, die Glaubenssätze, die das Verhalten im Alltag leiten, aus der Versenkung zu holen und einer Überprüfung zu unterziehen.

Kennen Sie Situationen, in denen Sie sich immer wieder anders verhalten, als Sie es sich von sich selber wünschen würden? Anders, als Sie es sich beim müden Abendessen, im genüsslichen Urlaub, auf der letzten Fortbildung oder im Gespräch mit Ihrem besten Freund vorgenommen haben? Haben Sie sich schon einmal gefragt, wer oder was Sie da treibt? Meist sind es Denk- und Handlungsgewohnheiten, die den Charakter von Reflexen annehmen: In der konkreten Situation liegt nichts näher, als sich wie immer zu verhalten, also beispielsweise „ja“ zu sagen, obwohl Sie „nein“ meinen. Es lohnt sich zu fragen, für welches Problem das bisherige Verhalten die Lösung sein könnte? Was gewinnen Sie, indem Sie es so wie immer machen? Sicherheit, Anerkennung, Ruhe, Chancen …? Was vermeiden Sie dadurch, dass Sie so wie bisher entscheiden? Enttäuschung oder Ärger des Gegenübers, verpasste Gelegenheiten …? Wo und wann in Ihrem Leben könnte die Idee entstanden sein, dass es so und nur so am besten ist?

Manchmal ist der Gewinn gar nicht mehr unmittelbar erkennbar, dann erscheint das eigene Verhalten einfach nur als schnell anspringende Gewohnheit. In beiden Fällen gilt: Man muss die eigenen Denk-, Fühl- und Handlungsgewohnheiten kennen, um sich für oder gegen sie entscheiden zu können. Zur Freundschaft mit sich selbst ▶ [18] gehört deshalb wesentlich der Aufbau einer Beobachterposition gegenüber sich selbst, d.h. der Fähigkeit, sich selbst freundlich-interessiert über die eigene Schulter zu schauen. Fast immer besteht der erste Schritt nicht darin, ein Verhalten zu verändern, sondern sich selbst in dem, was gegenwärtig der Fall ist, zu besser kennen zu lernen. Wir werden Sie deshalb das ganze Buch hindurch – besonders aber in Kap. ▶ 10 – einladen, sich Ihre impliziten und expliziten Erwartungen an sich selbst und die dahinter liegenden Glaubenssätze bewusst zu machen.

5.2 Priming nutzen


„Man fühlt sich nicht wohl dabei Dinge abzulehnen. Das ist ganz klar. Ich glaube, man muss sich das vorher vornehmen; wenn ich mir das nicht ganz fest vornehme, mache ich es nicht. Weil man sich in dem Moment scheiße fühlt und man ja sagt, wenn man kurzfristig denkt und sich nicht vorbereitet hat, denn die Situation ist akut unangenehm. Am besten kommt man natürlich raus, wenn man sagt:, Ja, Herr Professor’, und dann lächelt er und man selber und die Situation sind erst einmal gerettet und das böse Erwachen kommt dann später. Deshalb muss man sich das vorher explizit vornehmen. Das mache ich auch.“

Assistenzarzt (31 Jahre), Kinder- und Jugendmedizin

Alte Gewohnheiten durchbrechen Selbst wenn ich mir die bewusste Erlaubnis erteile, anders zu handeln als bisher, gilt: Die gut gebahnten Strategien der Vergangenheit brechen unter Druck und Stress schneller durch als alle bewussten Vorsätze. „Es“ ist mal wieder so gelaufen, obwohl ich doch eigentlich etwas ganz anderes wollte. Alte Muster dominieren...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Julika Zwack: Wie Ärzte gesund bleiben – Resilienz statt Burnout1
Innentitel4
Anschriften5
Impressum5
Geleitworte der 1. Auflage6
Vorwort der 1. Auflage8
Danksagung der 1. Auflage9
Inhaltsverzeichnis10
1 Gesund und zufrieden bleiben als Arzt – geht das?14
2 Viele Wege führen zur Resilienz15
3 Kleine Utopie der Veränderung von unten16
4 Ein bisschen praktische Theorie17
4.1 Resilienz – was ist das?17
4.2 Das Zusammenspiel von Anforderungen und Ressourcen17
4.3 Gewinn- und Verlustspiralen18
4.4 Resilienz und die Versorgung von Grundbedürfnissen21
4.5 Erstes Zwischenfazit – vom Vermeidungs- in den Annäherungsmodus25
5 Der Sprung ins Ungewisse – resiliente Verhaltensweisen erlernen27
5.1 Wer spricht da bitte? – die eigenen Denkmuster kennen27
5.2 Priming nutzen28
5.3 Zeit gewinnen29
5.4 Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer – die Notwendigkeit der Wiederholung30
5.5 Wer alles verändern will, verändert nichts – die Kraft kleiner Schritte30
5.6 Zweites Zwischenfazit – sich auf den Weg machen und darauf bleiben31
6 Investieren Sie in die Beziehung zu Ihren Patienten!33
6.1 „Ich will, dass das ankommt“ – Beziehungswirksamkeit als Monotonieprophylaxe und Bereicherung33
6.1.1 Den Menschen dahinter sehen und ihn erreichen33
6.1.2 Meine persönliche Dreingabe34
6.1.3 Kostenlose Selbsterfahrung – Patientenkontakt als Anlass zur Selbstreflexion35
6.2 „Wofür ich stehe – und wofür nicht“ – Grenzziehung im Patientenkontakt36
6.3 Eigene Grenzen kennen und kommunizieren38
6.3.1 Wo geht’s lang? – Meine Entwicklungsrichtung in der Beziehung zu Patienten40
6.4 Guter Umgang mit Komplikationen und Behandlungsfehlern41
6.5 Fachliches Feuer am Brennen halten43
6.6 Einen guten Rahmen schaffen – Pausen, Urlaub und Begrenzung der Arbeitszeit46
6.6.1 Strategische, d.h. bewusst geplante und regelmäßige Urlaube46
6.6.2 Pausen46
6.6.3 Begrenzung der Arbeitszeit47
7 Investieren Sie in Ihre außerberuflichen Lebenswelten!49
7.1 Familie, Partnerschaft und Freundschaften als Kraftquellen, Rückhalt und wohltuende Relativierung49
7.2 Strategien für Erhalt und Pflege von Beziehungsressourcen51
7.2.1 Alltagsrituale schaffen51
7.2.2 Bewusste Präsenz51
7.2.3 Fazit53
7.3 Diversifikation statt Monokultur – zur Bedeutung außerberuflicher Interessen und Aktivitäten54
8 Investieren Sie in Ihre Arbeitsbeziehungen!57
8.1 Kleine Gesten zählen57
8.2 Kollegialer Austausch – lieber einmal zu viel58
8.2.1 Mein Umgang mit fachlicher Unsicherheit59
8.3 Ritualisierte Psychohygiene – institutionalisierter Austausch in Qualitätszirkeln und Balint-Gruppen60
8.4 Freundlichkeit ist (nur) die halbe Miete – Grenzziehung die andere Hälfte61
8.4.1 Jedes Nein ist ein Ja – eigene Grenzen wahrnehmen und schützen62
8.5 Umgang mit Konflikten zwischen Berufsgruppen63
9 Rahmenbedingungen sind Rahmen-Bedingungen – investieren Sie in Ihre Selbstorganisation!67
9.1 Wenn es sein muss – wie kann ich es schöner und angenehmer gestalten?67
9.2 Wenn es sein muss – wie stelle ich mich innerlich darauf ein?68
9.3 Wenn es sein muss – wie kann ich es standardisieren und strukturieren?69
9.3.1 Eisenhower-Prinzip70
9.4 Wenn alles sein muss, muss ich unterscheiden – die Kunst, zu priorisieren und zu delegieren73
9.5 Zwischenfazit: bewusst entscheiden statt entscheiden lassen74
10 Investieren Sie in Ihre Selbstkenntnis!77
10.1 In jeder Mücke steckt ein Elefant [27]77
10.2 Wer sich beobachtet, verändert sich – die Bedeutung achtsamer Selbstwahrnehmung81
10.2.1 Was genau heißt es, achtsam zu sein?82
10.2.2 Wie fange ich an? – alltagsnahe Chancen auf Achtsamkeit83
11 Fazit: Resilienz – die Summe guter Gewohnheiten und bewusster Entscheidungen89
12 Epilog: die andere Seite der Medaille – die Perspektive betroffener Ärzte90
12.1 Ärzte als Betroffene90
12.2 Drei Wege hinein in seelische Erkrankungen – und drei Wege hinaus91
12.3 Fazit96
Literatur98
Sachverzeichnis101

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