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Wisch und Weg

Ein Buch über das Putzen

AutorMaria Antas
VerlagInsel Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl173 Seiten
ISBN9783458741657
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Maria Antas' Reise in die Welt des Putzens beginnt in der Kindheit. Als mit Eimer und Schrubber hantiert wurde, die Mutter den Boden noch auf Knien scheuerte, der Teppichklopfer aus Weidenholz zum Einsatz kam. Die Teppichstange Kindern als Turngeräte diente. Nach dem Wochenputz am Freitag am Sonntag noch einmal 'aufgefrischt' wurde (meistens vom Vater), weil es ganz normal war, dass unangemeldet Gäste hereinschneiten.

Zu Hause roch es frisch, alles glänzte, die Bettwäsche knisterte. Alles hatte seine Ordnung. Und Putzen war eine Tugend.

Heute heißt Ordnung Feng Shui und das Putzen delegiert man am liebsten an andere. Nicht so Maria Antas. Es ist eine Freude, zu sehen, wie sie aus dem Putzen wieder eine Tugend macht. Wie sie zu traditionellen Methoden zurückkehrt und trotzdem ein Loblied auf die Mikrofaser singt. Wie sie sich über die neuen bunten Flaschen der Putzmittel freuen kann. Wie sie ihrer Leidenschaft fürs Mangeln frönt. Und sich schließlich doch zerknirscht eingestehen muss, dass sie auf die nächste Folge von 'Downton Abbey' verzichten will, weil ihr nicht gefällt, wie dort das weibliche Putz- und Küchenpersonal vorgeführt wird.

Maria Antas Geschichten rund ums Putzen, von Kat Menschik hinreißend farbig illustriert, präsentieren nicht nur eine beschwingte Anleitung zum Putzen, sondern auch eine heitere, aber ernst zu nehmende Kulturgeschichte des Putzens. Sie zeigt, wie sich unser Alltag, und damit unser Putzverhalten, verändert hat. Ihre Geschichten wecken selbst bei der mordernsten Leserin den Wunsch, sich auf der Stelle eine Mangel anzuschaffen und sich in selbstbestickte Bettwäsche zu legen.

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<p>Maria Antas, geboren 1964, lebt in Berlin und, mit ihrer Familie, in Helsinki. Die Literaturwissenschaftlerin, Schriftstellerin und Journalistin war lange Jahre Projektleiterin bei FILI (Finnish Literature Exchange). 2013 erschien im Insel Verlag <i>Wisch und weg</i>. <i>Ein Buch &uuml;ber das Putzen</i>.</p>

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Leseprobe

Tag II


Ich putze für meine Gäste  Meine Mutter und ich waren nicht die Einzigen, die auf Knien putzten. Mein Vater kniete genauso.

Natürlich waren es die Frauen, die putzten, bei uns zu Hause, bei anderen zu Hause. Doch in meinem Elternhaus wurde die traditionelle Ordnung jeden Sonntag auf den Kopf gestellt. Nachdem der Wochenputz am Freitag abgeschlossen war, folgte ein ruhiger Samstag; am Sonntag jedoch wurde es Zeit für eine Auffrischung. Das war die Aufgabe meines Vaters, ganz gleich, was er selbst davon hielt. Wobei ich ihn nie klagen hörte. Er staubsaugte den Flur und das Wohnzimmer, womöglich auch das Schlafzimmer, das weiß ich nicht mehr genau. Im Grunde war so ein Sonntagsputz nicht der Rede wert, warum sollte nicht auch ein Vater und Ehemann zur Ordnung beitragen. Doch bei einem Detail dieses Sonntagsputzes bleiben meine Gedanken immer wieder hängen. Es geht um das Staubwischen im Wohnzimmer.

Unser Bücherregal enthielt nicht gerade viele Bücher, ein paar Reihen mit Romanen aus einem Buchclub, ein fünfzehnbändiges Nachschlagewerk, mehrere Bücher über den Zweiten Weltkrieg, Margit Söderholms romantische Schmöker und ein paar weitere, ebenso unspektakuläre Romane. Unter dem Bücherregal befanden sich die Vitrinenschränke mit diversen Kaffeeservicen und anderem Porzellan, und in den Regalen war Platz für allerlei Krimskrams. Ich glaube, diese kombinierten Schrankwände sind inzwischen vom Markt verschwunden (im Idealfall gehörte zu solch einem Aufbewahrungsmöbel damals auch ein eingebauter Barschrank mit Glasborden und einem Spiegel). Auch Nippes unterliegt einem kulturellen Wandel. Damals zeigte man gerne seine Kristallvasen und die Standuhr. Bei uns standen außerdem Gipsfigürchen, Souvenirs aus europäischen Großstädten, Kerzenständer und kleine Tiere, aus Kristall oder vergoldet, im Regal. Jeder einzelne Gegenstand hatte seine Geschichte, war ein kleiner Schatz, und unter jedem Gegenstand lag ein gehäkeltes, besticktes oder geklöppeltes Deckchen.

Vor diesem Regal kniete mein Vater also jeden Sonntagvormittag, ein Staubtuch aus Baumwolle oder Flanell in der Hand. Er hob die Gegenstände hoch und wischte sie ab, er lupfte die niedlichen Deckchen und säuberte das Regalbrett darunter. Er tat es mit Geduld und Sorgfalt. Aber ich weiß nicht, wie ihm bei diesem sonntäglichen Auftrag zumute war. Vater auf Knien vor den Kristallvasen.

Letzte Woche bekam ich ein Geschenk von meiner Teenagertochter. Sie hatte im Werkunterricht einen Spüllappen gehäkelt. Einen Spüllappen? Ich wurde in eine andere Zeit zurückversetzt. Heute benutzt doch jeder eine Spülbürste. Aber ich muss zugeben: Mit einem Lappen in der Hand hat man ein besseres Gefühl dafür, wie fest man reiben muss, damit sich die letzten Reste von Porzellan, Glas und Edelstahl lösen.

Der gelbe Häkellappen aus praktischem Bambusgarn war zirka fünfzehn mal fünfzehn Zentimeter groß, an einer Ecke eine Schlaufe, damit man ihn in der Küche oder im Putzschrank an einen Haken hängen kann. Er erinnerte mich an das Staubtuch, das mein Vater in der Hand hatte, wenn er vor dem Nippes kniete.

Und an die Staubtücher, die zu meiner Aussteuer gehörten. Meine Mutter hat sie gehäkelt. Sie liegen in Bündeln von je zwölf Stück in meiner Brautkiste, zusammengehalten von einem Band mit Rosette. Bisher habe ich erst eines der Bündel geöffnet, denn so wie ich die zu Putzlumpen gewordenen Baumwollunterhemden gegen Mopps mit Mikrofaserbezügen ausgetauscht habe, habe ich auch die Staubtücher durch Staubwedel mit antistatischen, synthetischen Borsten ersetzt. Hinzu kommt, dass ich nur ziemlich selten Staub wische; unsere Bücherregale enthalten keinen Nippes, und die Staubschichten auf den Büchern stören uns nicht weiter. Und wie schon gesagt, unsere Kinder sind außerordentlich gesund.

Meine Schwiegermutter, eine Kunsthandwerkerin, putzt nur selten. Genau genommen nie. Aber die Leute fühlen sich bei ihr wohl. Zwischen all den Garnknäulen, unvollendeten Handarbeiten, Teppichflicken, Cremedosen, Scheren und Stoffen, die darauf warten, zu wieder neuen Flicken zerschnitten zu werden, findet sich immer noch Platz für einen Gast. Oder sie schafft ihn ganz einfach, indem sie alles beiseiteschiebt, denn bei ihr hat sowieso nichts eine feste Ordnung.

Ich vermisse die Besuchskultur meiner Kindheit. Im Haus meiner Schwiegermutter ist es heute noch so wie früher bei uns zu Hause, wo Verwandte und Freunde meiner Eltern jederzeit zu Besuch kommen konnten. Die Samstagabende und Sonntagnachmittage waren besonders spannend. Dann klingelte es an der Tür, und wir durften raten, wer dahinterstand. Diese Überraschungsgäste waren auch der Grund für den Sonntagsputz. Der Gäste wegen musste das Heim immer sauber sein. Niemand sollte sagen können, bei uns wäre es schmutzig, denn das hätte uns deklassiert. Und wir hatten es eilig, zur Mittelklasse aufzusteigen, in der wir alle ein wenig reicher und gesünder werden sollten. Meine Familie ist ein Musterbeispiel für diese Entwicklung – das schreibe ich, während ich in einem schönen Café in Helsinki sitze, mit einer höheren Bildung, als sie für meine Eltern je möglich war.

Während meines Studiums in Helsinki lud unsere Literaturdozentin meine Kommilitoninnen und mich gerne zu sich nach Hause ein, oft an einem Sonntagvormittag. Egal, wie früh am Morgen wir sie besuchten, sie hatte immer frisches Brot gebacken. Sie stellte uns viele Fragen, war an unserer Meinung interessiert.

Einmal ging es um unangemeldeten Besuch, was wir davon hielten. Ich war verwundert. Natürlich durfte man unangemeldet vor der Tür stehen, bei uns in der Kleinstadt und bei meinen Verwandten auf dem Land war das so. Wir rechneten jederzeit damit, dass jemand vorbeikam, und die Keksdosen waren immer mit drei Sorten Keksen gefüllt, selbstgebacken natürlich. Süße Brötchen gab es auch und Sandkuchen; bis heute habe ich eine Vorliebe für Gebäck. Unser Tisch war stets reich gedeckt. Nur Staub durfte es nicht geben.

Während der Diskussion über ungebetene Gäste schwieg ich. Schon allein die Frage hatte mich erstaunt. Die meisten meiner Kommilitoninnen waren in Helsinki aufgewachsen und sich darin einig, dass man von seinen Freunden und Verwandten erwarten könne, dass sie wenigstens unterwegs von einer Telefonzelle aus anriefen und fragten, ob sie vorbeikommen könnten.

Ich verstehe diesen Wunsch und akzeptiere ihn heute ganz selbstverständlich; ich habe mich angepasst, und die Welt um mich herum hat sich verändert. Denn auch wenn es schön war, so viel Besuch zu bekommen, es musste ständig geputzt und gebacken werden. Das Zuhause sollte stets präsentabel sein. Mitten am Tag im Schlafanzug herumzuschlurfen, kam nicht infrage. Was hätten die Gäste von uns gedacht. Dass wir faul wären?

Andererseits: Solange wir akzeptieren, dass wir uns zu Hause wie auf einer Theaterbühne bewegen, solange wir glauben, dass einem Besuch von Freunden und Verwandten immer ein Großputz vorausgehen muss, wird unser Leben um viele gemütliche Kaffeekränzchen, lockere Abendessen und ausgedehnte Sonntagsfrühstücke ärmer sein.

Als ich während meines Studiums ein paar Jahre in Österreich lebte, wunderte ich mich darüber, dass sich die Menschen immer in Cafés oder Kneipen trafen. Warum besuchten sie sich nicht gegenseitig? Heute, müde und erwachsen, weiß ich es: Wir laden keine Gäste mehr ein, um unseren ohnehin schon enormen Stresspegel nicht noch zusätzlich zu erhöhen, indem wir schnell Socken, Geschirr und alte Zeitungen wegräumen, bevor der Besuch kommt.

In Folge des gewachsenen Sinns für schönes Wohnen scheint die Hemmschwelle, sich gegenseitig einzuladen, noch größer geworden zu sein. Es gibt so viele feste Meinungen darüber, was guter Geschmack ist und was wir dafür tun müssen, um ihn zu erfüllen. Selbst die Sofakissen sind zu Indikatoren unseres Stils geworden: Sind es französische oder sind es englische? Ist man eher skandinavisch gestreift oder ornamental-indisch eingestellt? Ja, die Kristallvasen und -schalen sind heute weichen Kissen gewichen. Mit dem wichtigen Unterschied, dass sie nicht ins Regal gestellt und jeden Sonntagvormittag abgestaubt werden müssen.

Als ich mit meiner einundzwanzigjährigen Patentochter Elin über dieses Thema sprach, sah sie mich nachdenklich an und meinte: Kann das Putzen nicht auch einfach bedeuten, dass man seinen Gästen Wertschätzung entgegenbringt? Und die Antwort muss natürlich Ja lauten. Für Freunde und Familie das Zuhause herzurichten ist eine Art Liebesdienst.

Vor ein paar Jahren sah ich auf dem Filmfestival »Kärlek och anarki« (»Liebe und Anarchie«) in Helsinki den schwedischen Dokumentarfilm Searching for Sugar Man. Am Ende des Films weinte ich; das wahre Leben ist oft viel berührender als das beste Drehbuch. Im Mittelpunkt dieses Dokumentarfilms steht Rodriguez, ein Singer-Songwriter aus Detroit, der Anfang der Siebzigerjahre eine sehr kurze Karriere hatte. In seiner Heimat, den USA, waren seine Platten ein Flop und er blieb in all den folgenden Jahren ein Nobody – nur in Südafrika nicht, wo seine sanften Lieder mit den wütenden Texten weiße Jugendliche dazu bewegten, die Apartheidspolitik ihres Landes infrage zu stellen. Sie glaubten, Rodriguez wäre tot, liebten seine Songs jedoch so sehr, dass diese Kultstatus erlangten. Das Gerücht ging um, er hätte sich auf der Bühne selbst verbrannt. Oder erschossen, niemand konnte genau sagen, was mit ihm passiert war.

Rodriguez lebte jedoch noch...

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