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Wir sind viele

Wie kleine Mikroben einen großen Einfluss auf uns haben. TED Books

AutorBrendan Buhler, Rob Knight
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783104035499
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Sie sind zum größten Teil gar nicht Sie selbst! In Ihrem Körper existiert eine ganz eigene Welt aus unzähligen Bakterien, Mikroben und anderen Lebensformen. Der Mikrobiologe Rob Knight und der Wissenschaftsjournalist Brendan Buhler zeigen, welch enormen Einfluss die winzigen Mitbewohner unserer Körper haben und wie wir die Erkenntnisse der Wissenschaft nutzen können, um beispielsweise Gesundheit, Wohlbefinden und sogar unsere Laune zu verbessern. +++ mit farbigen Infografiken +++

Rob Knight ist Professor für Mikrobiologie am BioFrontiers Institute und lehrt außerdem am Department of Chemistry & Biochemistry and Computer Science an der renommierten University of Colorado Boulder. Er ist darüber hinaus Mitglied im Leitungsgremium des »Earth Microbiome Project« und Mitbegründer des »American Gut Project«.

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Leseprobe

Einleitung


Wir alle wissen: Der Mensch, Zweibeiner, edel durch Vernunft, unbegrenzt an Fähigkeiten, Erbe der Schöpfung, hat nie auch nur eine einzige Endbenutzer-Lizenzvereinbarung gelesen. Er begnügt sich damit, auf »Akzeptieren« zu klicken. Doch in uns steckt noch weit mehr als das: Billionen winziger Lebewesen, die in unseren Augen und Ohren und in dem grandiosen Wohnsitz hausen, den wir Darm nennen. Diese mikroskopische Welt in unserem Körper besitzt das Potential, unser Verständnis von Krankheit, Gesundheit und uns selbst auf den Kopf zu stellen.

Dank neuer Technologien, die großenteils erst in den letzten Jahren entwickelt wurden, weiß die Wissenschaft über die mikroskopischen Lebensformen in uns heute mehr als jemals zuvor. Und dabei zeigt sich Erstaunliches. Diese Einzeller – Mikroben – sind nicht nur viel zahlreicher als gedacht und besiedeln in Unmengen fast jeden Winkel des Körpers. Sie sind auch von größerer Bedeutung, als wir je vermutet hätten, und sie beeinflussen nahezu jeden Aspekt unserer Gesundheit, ja selbst unserer Persönlichkeit.

Die Gesamtheit der mikroskopischen Kleinstlebewesen, die sich in und auf uns heimisch fühlen, bezeichnet man als menschliche Mikrobiota und ihre Gene als menschliches Mikrobiom. Und wie bei so vielen wissenschaftlichen Durchbrüchen versetzen die Fakten, die sich allmählich über diesen Mikrokosmos herauskristallisieren, unserem Ego einen herben Dämpfer. Die Astronomie hat uns gelehrt, dass unser Planet nicht der Mittelpunkt des Universums ist, und laut der Evolutionslehre ist der Mensch nur ein Tier unter vielen. Nun verrät uns die Erfassung des menschlichen Mikrobioms, dass wir sogar in unserem eigenen Körper von einem Chor eigenständiger (und in Wechselwirkung stehender) Lebensformen mit eigenen Zielen und Plänen übertönt werden.

Wie viele Mikroben (oder auch »Keime«) leben denn nun in uns? Wir bestehen aus etwa 10 Billionen menschlichen Zellen – doch etwa 100 Billionen mikrobielle Zellen befinden sich in und auf unserem Körper.[1] Und das bedeutet: Wir sind im Grunde nicht wir selbst.

Wir sind jedoch nicht nur, wie wir das kennen, einfach unglückselige Wirte böser Bazillen, die uns gelegentlich eine Infektion bescheren. In Wahrheit leben wir in ständigem Einklang mit einer ganzen Gemeinschaft von Keimen. Weit davon entfernt, bloß untätige Passagiere zu sein, üben diese kleinen Organismen einen wesentlichen Einfluss auf die meisten der grundlegenden Prozesse in unserem Körper aus – etwa auf die Verdauung, auf die Immunabwehr und sogar darauf, wie wir uns verhalten.

Die Gemeinschaft der Mikroben in unserem Innern ist eigentlich eher eine Ansammlung verschiedener Gruppen. Unterschiedliche Arten von Spezies besiedeln unterschiedliche Körperteile, wo sie jeweils ganz spezifische Rollen spielen: Die Keime in unserem Mund unterscheiden sich von denen, die auf unserer Haut oder in unserem Darm leben. Wir sind keine Individuen. Wir sind Ökosysteme.

Die Vielfalt unserer Keime erklärt sogar gewisse körperliche Eigenheiten, die wir bisher einer glücklichen oder unglücklichen Fügung zugeschrieben haben. Warum zum Beispiel scheinen Mücken eine Vorliebe für ganz bestimmte Menschen zu haben? Die kleinen Plagegeister stechen mich fast nie, während sie meine Partnerin Amanda regelrecht umschwärmen. Nun – einige Menschen sind für Mücken tatsächlich appetitanregender als andere. Und das liegt in einem nicht unerheblichen Maße an den unterschiedlichen mikrobiellen Siedlern, die unsere Haut bevölkern. (Mehr dazu in Kapitel 1.)

Und das ist noch längst nicht alles: Auch die Keime, die verschiedene Menschen besiedeln, variieren erheblich. Vermutlich haben Sie schon einmal davon gehört, dass wir Menschen uns in unserer DNA kaum unterscheiden – unsere eigene menschliche DNA ist zu 99,9 Prozent identisch mit der DNA der Person, die neben uns sitzt. Auf unsere Darmkeime trifft das allerdings nicht zu. Hier kann die Übereinstimmung mit der Person neben uns lediglich 10 Prozent betragen.

Diese Abweichungen könnten ungeheuer viele Unterschiede zwischen einzelnen Menschen erklären, vom Gewicht bis hin zu Allergien, von der Anfälligkeit für Krankheiten bis zum Grad unserer Ängstlichkeit. Wir beginnen gerade erst, diese riesige mikroskopische Welt zu kartieren und zu verstehen, doch die Tragweite unserer Erkenntnisse ist atemberaubend.

Die unglaubliche Vielfalt der mikrobiellen Welt wird noch überwältigender angesichts der Tatsache, dass wir bis vor rund 40 Jahren noch überhaupt keine Ahnung davon hatten, wie viele einzellige Organismen oder gar wie viele Spezies dieser Organismen existieren. Bis dahin hatte Charles Darwins Werk Über die Entstehung der Arten von 1859 mehr oder weniger die Kategorisierung der Lebewesen unserer Welt bestimmt.[2] Darwin skizzierte einen Evolutionsbaum, der alle Lebewesen nach gemeinsamen physikalischen Merkmalen klassifizierte – kurzschnabelige Finken, langschnabelige Finken, … in etwa auf diese Weise –, und auf dieser Grundlage entwickelten wir unser Klassifikationssystem der Arten.

Dieses herkömmliche Bild des Lebens beruhte auf dem, was Menschen in ihrer Umgebung oder durch Mikroskope sehen konnten. Demnach klassifizierte man größere Lebewesen entweder als Pflanzen, oder als Tiere oder Pilze. Die verbleibenden einzelligen Organismen teilte man samt und sonders zwei Grundkategorien zu: den Protisten und den Bakterien. Was Pflanzen, Tiere und Pilze betraf, hatten wir recht. Doch das Bild, das wir von Einzellern hatten, war völlig falsch.

Im Jahr 1977 erstellten die amerikanischen Mikrobiologen Carl Woese und George E. Fox ein Bild vom Baum des Lebens, indem sie Lebensformen auf zellulärer Ebene miteinander verglichen. Dazu zogen sie die ribosomale RNA heran, eine Verwandte der DNA, die sich in jeder Zelle findet und zum Aufbau von Proteinen verwendet wird. Das Ergebnis war verblüffend.[3] Woese und Fox zeigten, dass einzellige Organismen weitaus vielfältiger sind als alle Pflanzen und Tiere zusammen. Tiere, Pflanzen und Pilze, jeder Mensch, jede Qualle und jeder Mistkäfer, jedes Seetangblatt, jedes Moospolster und jeder hoch aufragende Mammutbaum, jede Flechte und jeder Champignon, kurz: alles Leben, das für unsere Augen sichtbar ist, verteilt sich auf drei kurze Zweige am Ende eines einzigen Astes am Baum des Lebens. Die Einzeller – Bakterien, Archaeen (die von Woese und Fox entdeckt wurden), Hefen und andere Winzlinge dominieren.

In den letzten Jahren sind uns erstaunliche Fortschritte bei der Erforschung des mikroskopischen Lebens in unserem Inneren gelungen. Entscheidend waren neue Verfahren, darunter Verbesserungen bei der DNA-Sequenzierung, in Verbindung mit der explosionsartigen Steigerung der Rechenkapazität von Computern. Dank einer Methode, die man als Sequenzierung der nächsten Generation (next generation sequencing) bezeichnet, können wir heute Zellproben von verschiedenen Körperteilen sammeln, die darin enthaltene mikrobielle DNA blitzschnell analysieren und die Informationen aus den über den Körper verteilten Proben kombinieren, um die Tausenden von Mikrobenarten, die uns bewohnen, zu bestimmen. Wir finden Bakterien, Archaeen, Hefen und andere einzellige Organismen (wie Eukaryoten), deren Genome – die genetischen Anleitungen, die sie definieren – in der Summe länger sind als unser eigenes.

Neue Computeralgorithmen wiederum erleichtern die Interpretation all dieser genetischen Informationen erheblich. Insbesondere können wir nun eine Karte unserer Mikroben anlegen, um Besiedlungen in verschiedenen Teilen des Körpers sowie die Besiedlungen unterschiedlicher Personen miteinander zu vergleichen. Viele neue Erkenntnisse verdanken wir dem Human Microbiome Project. Das von den US-amerikanischen National Institutes of Health (NIH) bereitgestellte Forschungsbudget von 170 Millionen US-Dollar unterstützt über 200 Wissenschaftler, die bisher mindestens 4,5 Terabytes – oder 4,5 Billionen Bytes – an DNA-Daten analysiert haben. Und das ist erst der Anfang. Auch andere internationale Projekte, wie MetaHIT (ein europäisches Konsortium), sammeln und analysieren fortlaufend weitere Daten.

Die Kosten dieser Analysen sinken rasch, was noch viel mehr Personen als bisher Gelegenheit bietet, eine Volkszählung des bunten Lebens in ihrem Körper durchzuführen. Wer vor rund zehn Jahren etwas über die Zusammensetzung seines Mikrobioms erfahren wollte, benötigte dafür fast 100 Millionen Dollar. Heute kosten dieselben Informationen rund 100 Dollar. Das ist so preiswert, dass die Erfassung vielleicht schon bald von Ihrem Hausarzt als routinemäßiges medizinisches Verfahren verschrieben wird.

Warum sollte Ihr Mikrobiom Ihren Arzt interessieren? Nun – es weisen immer mehr neue Forschungsergebnisse darauf hin, dass es bislang unbekannte Zusammenhänge zwischen unseren Keimen und zahlreichen Erkrankungen gibt, wie beispielsweise Fettleibigkeit, Arthritis, Autismus und Depressionen. Und mit zunehmenden Erkenntnissen über diese Zusammenhänge ergeben sich Aussichten auf zukünftige...

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