KAPITEL 1
Deutschland macht lustig
Von Witzwort über Sülz zur Kichererbsenalm
Es geht los. Gleich früh am Morgen. Denn hier geht die Wonne auf. Immer die Seitenstraßen entlang durch das Land des Lächelns. Deutschland macht lustig. So wie sauer. 16 Bundesländer voller Witzfiguren und Spaßnester. Lächerlich schön.
Es gibt Ecken, wo sich Reinecke Fuchs und Hans Wurst – der ältere Bruder von Conchita – gute Nacht wünschen. Es existieren Plätze, wo Münchhausen mit Hape Kerkeling den Schildbürger an der Nase herumführt, Wiesen, wo Karl Valentin mit Heinz Erhardt übers Völkischsein lästert. Irgendwo schaut Hans Sachs um die Ecke, und in Kabaretts stellen sich grundgesetzliche Fragen. Nebenan veranstalten Abdelkarim, Jilet Ayse und Freunde voll krass den Migrantenstadl. Wir sehen Kanäle, wo Oliver Welke mit Olaf Schubert Satire ausschüttet und Stadien, in denen Mario Barth Cindy aus Marzahn vorführt. Und beim nächstbesten Oktoberfest haut der Spießer den Lukas, bis Dieter Nuhr Stunden später der Geduldsfaden reißt. Herzlich willkommen im deutschen Lachland, das sich einig ist: Wir sind ein Witz. Und das ist gut so. Die Deutschen pflegen ihr nationales Humorgut. Aber jeder Witz ist anders. Der Kölner sagt: »Jet jeck sin mer all, ävver jeder Jeck es anders.«
Die Scherzfahrt geht Zickzack von der Pointe am Stammtisch nach Witzwort, Zinnowitz zur Hamburger Philharmonie im Norden über Jux bei Wüstenrot, Heitersheim im Breisgau, Köln bei Sülz, Alberndorf in Mittelfranken, den Flughafen in Berlin, Possendorf in Sachsen, bis nach Lachen in Schwaben und die Kichererbsenalm am Tegernsee. Ein Schelmenstaat mit geografischen Spitzen.
Wie nennt man einen Lüneburger, der aus der Kirche austritt? Lüneburger Heide.
Was ist schlimmer als verlieren? Siegen.
Was macht ein Schwabe mit einer Kerze vor dem Spiegel? Er feiert den zweiten Advent.
Wohin gehören die Pfälzer? In die Pfalz.
Wohin gehören die Saarländer? In die Saar.
Wie heißt die Starthilfe eines Flüchtlings in Deutschland? Mobbing.
Deutschland komisch Vaterland. Das schafft sich nicht ab, das lacht sich schlapp. Hier wächst seit Jahren eine lässige Mittelschicht, ökologisch-konservativ, offen und stolz auf dieses weltmeisterliche Land mit seinen vielen Fehlern, die mal stören und mal nicht, aber vorwärts treiben. Jeder Zweite feixt sich hier schon vor dem zweiten Frühstück ins Fäustchen.
Als Obama zu Besuch in Berlin war, erzählten sich plötzlich alle, er hätte bei seiner Rede einen unvergesslichen ersten Satz zu den Deutschen gesagt: »Ich kenne euch doch alle!« Während seines Besuches kam ein Junge auf ihn zu und fragte Obama: »Mister, mein Vater hat gesagt, Du bist der Mann, der immer in meinem Computer steckt, stimmt das?« Obama reagierte sofort und sagte zu dem Jungen: »Das ist nicht Dein Vater.«
Immer wird ein anderer durchs deutsche Dorf getrieben. Die Russen sind ab und zu mal dran. Diesmal heißt der Gejagte Putin der Jäger. Und da erzählt der eine Deutsche dem anderen:
In Moskau ist ein Stau. Ein Mann steht mittendrin, plötzlich klopft ein Fremder an seine Autoscheibe und sagt: »Ganz Moskau ist zu, überall Stau, denn unser Präsident Putin ist von Terroristen entführt worden. Sie wollen ihn heute Abend mit Benzin übergießen und anzünden, wenn sie nicht zehn Millionen Rubel bekommen. Also geben Sie so viel sie können«, fordert der Fremde den Autofahrer auf. Der antwortet: »In Ordnung. Ich kann Ihnen zehn Kanister geben.«
Allein die Schadenfreude ist in Deutschland einzigartig auf der Welt. Schon der Philosoph Thomas Hobbes glaubte, dass die Essenz des Humors im »plötzlichen Triumph« liege, den Menschen fühlen, wenn andere zum Gespött werden. Engländer benutzen dasselbe Wort, weil sie keinen eigenen Begriff für Schadenfreude haben. Sie schimpfen nur, die Deutschen seien ein Volk von paranoiden Schizophrenikern, die sich nicht entscheiden können, ob sie schmunzeln oder weinen wollen. Das sagen die Briten? Natürlich. Der Deutschlandkorrespondent der Londoner »Times« Roger Boyes beispielsweise pflegt in seinen Texten und Büchern gern das gängige Vorurteil des depressiven Deutschen, der himmelhochjauchzend zu Tode betrübt sei. Der Engländer glaubt, die Deutschen seien ein mieser Scherz. So wie die vier hier:
Wie nennen Hamburger ein China-Restaurant? Denn man Tau.
In Köln fragt der Chef die Sekretärin: »Un, wat steit dies Woch om Kalender?« Sie: »Mondaach, Dingsdaach, Mettwoch ...«
Was trieben Schlangen einst in Sachsen? Es dlabberdn die Dlabborschlang bis ihre Dlabborn schlabbor dlang.
Was ist grün und steht in München am Straßenrand? Die Froschtituierte.
Das ist lustig, aber ohne Erkenntnis. Der Oberbayer, geboren in Dorfen, Michael Mittermeier sagt dazu: »Für Komik gibt es letztlich nur ein Kriterium: Lustig oder nicht lustig. Punkt. Die Frage, ob das politisch korrekt ist oder ob man unter seinem Niveau lacht, wird nicht gestellt, sondern es wird gelacht oder nicht. Wenn Sie Langeweile haben wollen, da können Sie auch ihre Schwiegermutter anrufen.«
Das passiert jetzt nicht. Aber die Scherzreise führt natürlich auch durch Bayern, denn es gehört ja noch zu Deutschland. Da kommt keiner dran vorbei, der gern nach Italien will. Und da herrscht Schmarrn. Der Münchner Autor Herbert Schneider packte den Gemütszustand in folgende Zeilen:
Unta’m Baam liegn
Und in Himmi schaugn
Is des Scheenste.
D ’Vogerl singa
Und d ’Woikn
Fahrn Schifferl.
Und an des bisserl
Rheumatisch
Gwöhnst de.
Die Engländer und Franzosen glauben nach wie vor, des Deutschen Scherz sei Schmerz, sie leiden und würden selbst in den Bergen nur flachen Humor kennen. Deshalb erzählen sie sich seit Jahren den kürzesten Witz über die Deutschen: »Lachen zwei Deutsche.« Dann holen die Engländer einen ganz alten Gag aus der Witzkiste:
Der Engländer schreibt über die Kunst, Elefanten zu jagen; der Franzose über das Liebesleben der Elefanten; der Deutsche über das Seelenleben des Dickhäuters ...
Oder die Franzosen nehmen das alte Ding mit dem Eins-zwei-drei-Schema:
Ein Ungar: ein Held, zwei Ungarn: ein Adelsverband, drei Ungarn: eine Zigeunerkapelle ... Ein Russe: ein Seelchen, zwei Russen: ein Chor, drei Russen: ein Chaos ... Ein Franzose: ein Kavalier, zwei Franzosen: ein Duell, drei Franzosen: eine glückliche Ehe. Ein Deutscher: ein Philosoph, zwei Deutsche: ein Verein, drei Deutsche: ein Krieg.
Und heute erzählen Engländer und Franzosen gern den Witz:
Sitzen ein Portugiese, ein Italiener und ein Grieche im Restaurant. Sie essen, trinken und lassen es sich gut gehen. Wer zahlt am Ende? Der Deutsche.
Klar, darüber brechen die anderen in Gelächter aus und haben Tränen in den Augen. Der Portugiese feixt, der Italiener schmunzelt, der Grieche grinst. Der Deutsche zieht eine Fleppe. So lautet die klassische Mentalitäts-Hierarchie der Zentral-Europäer.
Das beruht auf Geschichte. Denn spätestens seit die Deutschen mit einem Zweiten Weltkrieg den anderen Völkern auf den Geist und ans Leben gingen, wurde es ernst. Die Deutschen litten Jahrzehnte am Grübelvirus »Warum« und die Heilung brauchte ihre Zeit. Deshalb dachten die Engländer beim Besuch einer deutschen Stadt lange, hier wäre gerade ein Attentat verübt worden, denn es sahen alle so traurig aus. Sie sahen nicht traurig aus, sie sahen nur den Engländer.
Deutsche und Engländer verbindet seit Jahren die Tatsache, dass sie drei Kriege gegeneinander ausgefochten haben, die die Engländer alle gewannen: 1914-18, 1939-45 und 1966 in Wembley. Der Brite kann es aber nicht ertragen, dass die Verlierer von ’45 nach 70 Jahren schon wieder grienen und Weltmeister sind. Spaß beiseite, ruft er. Und der Deutsche denkt, das ist Schnee von gestern. Wir sind längst aufgetaut.
Ein Deutscher und ein Engländer spielen Schiffe versenken.
Der Engländer: »D2!« Der Deutsche: »Versenkt!«
Er findet das lustig. Der Engländer aber pflegt sein deutsches Trauerklosbild so, wie kurz nach dem Krieg die Glasaugen-Witze rumgingen:
Der deutsche Arzt sagt zum Franzosen: »Ich will sie kostenlos behandeln, wenn Sie erraten, welches von meinen beiden Augen ein Glasauge ist.« Der französische Patient: »Das linke«. Der deutsche Arzt: »Gut, ich verzichte auf das Honorar. Aber wie haben Sie es herausgefunden?« Der Franzose: »Es schaut so menschlich.«
Im Dritten Reich erzählte man sich in Deutschland den gleichen Witz in scharfer Form: Der Arzt hatte sich in einen SS-Mann verwandelt, der Patient in einen Juden, der – falls er das Glasauge errät – nicht erschossen werden soll. Er errät es mühelos. »Es schaut so menschlich, Herr SS-Offizier.«
So etwas erzählt keiner mehr, darüber ging die Zeit hinweg. Doch dass deutsche Unangepasste am liebsten auf hohem intellektuellem Niveau schänden möchten, blieb als Vorurteil weiter haften. Und mit Ironie könne der Deutsche immer noch nichts anfangen, insbesondere mit Selbstironie. Bei seinem Urteil helfen dem Briten die hängenden Kanzlerinnen-Mundwinkel. Dort verreckt sogar ein englischer Gag. Dabei ist die Dame gelegentlich freiwillig komisch.
Nach dem Flugzeugabsturz von Lech Katschinski in Smolensk sagte sie nach dem Tod des polnischen Ministerpräsidenten:
Lech Katschinski war nicht immer ein einfacher Partner. Aber zum...