2 Die 5er-Regel
Ich lag auf der Schrägbank. Eine ganz normale Hantelbank: lang, gerade, rot, mit Beinstützen am unterem Ende, sodass man quasi für jede Wiederholung von den Schultern bis zu den Füßen eingespannt war.
Sonst benutzte ich dieses Gerät als Stuhlersatz, aber an diesem Tag verausgabte ich mich völlig. Ich gab wirklich alles. Ich arbeitete so hart, dass ich mir schon Gedanken darüber machte, wie ich wohl auf dem Motorrad nach Hause kommen sollte. Wadenkrämpfe auf einer Honda 200 sind wenig empfehlenswert.
Was war da los? Im Juni 1979 hatte ich mich, mit einer gehörigen Ladung Bier intus, auf eine total bekloppte Wette eingelassen. Ich nahm die Herausforderung an, 61 Squats mit 140 kg zu bewältigen.
Ja, nun los, frag schon, welcher Teufel mich da geritten hat!
Damals, im Sommer 1978, hatten wir einen neuen Club gegründet. Der Club veranstaltete Wettkämpfe, und wir nahmen an allen teil, um dabei zu sein. Jeder Wettkampf wurde zu einem eigenen »Club im Club«. Die Teilnehmerliste setzte sich aus den jeweiligen Rekordhaltern zusammen.
Die Liste des »Incline-Sit-up-Clubs«, auf der mein Name ganz sicher niemals auftauchen würde, umfasste nur zwei Namen. Der Zweitplatzierte präsentierte 1400.
Ich entschied mich für den »Squat-Bodyweight-Club«. Ich wog 99 kg und legte 102 kg auf, was nicht genau dem Körpergewicht entsprach, aber es ist eine Frage der Ehre, mit den großen Gewichten zu arbeiten. Ich schaffte 50 Squats. Jede Wiederholung über 20 ist praktisch absolutes Maximum. Aber bei solchen Herausforderungen ist immer noch eine weitere Wiederholung möglich. Jede Wiederholung zwischen 30 und 40 wird dann begleitet von unsäglichem Stöhnen und wahnsinnigen Anfeuerungsrufen. Dann ist klar: Ich schaffe 40, also warum nicht 50?
Es war schon interessant, auf der Hantelbank zu liegen, mich in Richtung 50 Wiederholungen vorzuarbeiten, und dabei das stetige Anwachsen der Schweißlache auf dem Boden zu beobachten. Ich wusste, ich durfte jetzt nicht aufgeben, und musste mich deshalb stark auf etwas konzentrieren. Ich stellte mir vor, wie aus der Lache nach und nach ein Pool wurde, in dem die Nachbarskinder hätten schwimmen können ... Wunderbares Mentaltraining!
Als wir dann nach ein bis drei Kübeln Bier so beisammen saßen, meinte jemand: »Hey, was könntest du denn mit intensivem Training maximal bewältigen?« Meine absolut idiotische Antwort war wohl so in etwa: »Nun ja, 102 ist ja anscheinend zu wenig, da muss wohl noch einiges drauf!«
Vermutlich hatte ich noch einige hochwissenschaftliche Erklärungen für diese bescheuerte Aussage zur Hand.
Wir tranken weiter, schaukelten die Einsätze argumentativ immer höher, und letztendlich entstand diese absurde Wette. 61 Squats mit 140 kg. Immerhin billigte man mir einige Trainingswochen zu.
Das war ein Fehler. Ich hätte das gleich im betrunkenen Zustand erledigen sollen.
Zurück zum Thema, sprich auf die Hantelbank. Mein Training sah an dem Tag folgendermaßen aus:
1 Satz Squats, 30 Wdh., Gewicht: 143 kg
Ausruhen
1 Satz Squats, 30 Wdh., Gewicht: 125 kg
Ausruhen
1 Satz Squats, 30 Wdh., Gewicht: 102 kg
Auf die Bank zur Schlussentspannung
Ja, und da lag ich dann also. Während ich darüber philosophierte, mit welchem Gerät ich meine Oberarme wohl besser trainieren könnte, dachte ich: »Ich bin jetzt seit zwei Stunden hier und habe drei Sätze absolviert. Was kann ich tun, um das zu toppen?«
Ich konnte es nicht toppen. Sicher, innerhalb weniger Wochen waren meine Oberschenkel unglaublich angewachsen, und es kam mir so vor, als hätte ich ein ganzes Fass Körperfett abgeworfen, aber es war mir völlig unklar, wie ich mit diesem Hammertraining fortfahren sollte.
Das ist ein grundsätzliches Thema und entscheidend, will man Trainingserfolge wiederholen.
Das Problem: Es geht nicht!
Das ist wie mit dem perfekten Moment, dem perfekten Kuss, dem perfekten Date (siehe Bill Murray Und täglich grüßt das Murmeltier). Das perfekte Workout lässt sich nicht wiederholen. Was bedeutet perfekt? Für die meisten von uns Gewichthebern ist der perfekte Tag derjenige, an dem das Gewicht auf der Hantelstange, die Anzahl der Wiederholungen, die Anzahl der Sätze und die Intensität der gewählten Übungen so perfekt zusammenpassen, dass es uns wohlig erschaudern lässt, wenn wir einen Monat später zufällig über die entsprechende Eintragung im Trainingsbuch stolpern.
Verblüffend, nicht wahr? Quasi aus dem Nichts legst du 15 kg mehr auf dein Maximalgewicht, bewältigst beim Kreuzheben plötzlich einen zusätzlichen Scheibensatz oder meisterst eine völlig absurde Herausforderung, die dich noch Jahre später vor Entzücken weinend aus dem Schlaf reißt.
Was können wir aus meiner idiotischen Wette lernen? Ich habe da in Bezug auf Workouts so eine kleine Formel, die ich die 5er-Regel nenne.
In einem 5er-Block von Workouts ist bei mir meist ein supererfolgreiches dabei. Die Sorte, bei der ich dann denke: »Oh toll, in ein paar Wochen bin ich fit für Olympia!«. Dann folgt relativ unmittelbar ein ganz grauenhaftes Workout, so enorm schlecht, dass ich mir meine Daseinsberechtigung als sogenannte höhere Lebensform abspreche. Die anderen drei Workouts gehören dann zur Sorte Workout mit Zeittotschlag-Effekt: rein in die Muckibude, Workouts absolvieren, wieder raus. Bei den meisten läuft es so.
Von 100 absolvierten Workouts sind dann immerhin 20 ziemlich großartig. Von diesen 20 wiederum sind ein paar herausragend. Unter 1000 Workouts findet sich eines, das einen Artikel wert ist oder mit dem ich angeben kann. Mit Glück kommt das einmal in zehn Jahren vor.
Oft hat man leider das Gefühl, man würde zu wenig trainieren, weil man sich nicht bei jedem neuen Workout selbst übertrifft, weil der Weltrekord dabei nicht fällt und weil das Workout von keinem Blitzlichtgewitter begleitet wird. Diese Überlegung konnte ich allerdings noch nie nachvollziehen.
Das führt uns zu zwei weiteren Aspekten. In welchem Bereich des Lebens gelingt es dir, mit jedem Mal besser zu werden? Mahlzeiten? Schlaf? Arbeit? Selbst beim Sex gibt es Höhen und Tiefen (keine Bilder, bitte!). Also, warum sollte dann beim Training alles anders sein?
Stell dir doch einmal vor: Du absolvierst 40 kg im Bankdrücken und legst jeden Monat 5 kg drauf. Du würdest also nach etwa drei Jahren ca. 200 kg drücken, ein paar Monate später fast 230 kg. Wie viele von uns bewältigen denn bitte nach lausigen drei Jahren Training 230 kg?
Mit anderen Worten: Gib dir die Chance für eine emotionale und körperliche Pause, jedenfalls manchmal. Lass uns aber noch einmal über absolut fürchterliche Workouts reden, diese wunderbar schlechten, die wir uns selten zugestehen und doch alle so genau kennen. Ein Beispiel:
Heutiges Workout
5 Minuten suchen nach einer Sportzeitschrift.
7 Minuten sitzen und ein Teenie-Magazin lesen.
Die Übung ausprobieren, die das hübsche Mädchen in der Zeitschrift präsentiert.
6 Minuten den Rücken reiben, weil er wehtut nach der Übung aus der Zeitschrift.
8 Minuten lang ein heißes Girl auf dem Laufband anstarren.
Einen Klimmzug machen und ein bisschen mit der Kurzhantel spielen.
Heiß Duschen.
Sauna.
Ich habe wirklich schon ganz miserable Workouts veranstaltet!
Manche Leute meinen, wir müssten immer härter und härter trainieren. Meist wird dabei Arthur Jones (US-amerikanischer Erfinder spezieller Kraftmaschinen und -trainingsmethoden) zitiert. Es ist ja vollkommen klar, dass diese knallharten Workouts nicht länger als zwei bis sechs Wochen durchzuhalten sind. Warum? Nun, das ist die Realität, von der man eingeholt wird, und für unsere Gesundheit ist hin und wieder eine Dosis Realität absolut unerlässlich.
Ich kann drei Wochen lang wirklich ganz hart arbeiten. Es empfiehlt sich, die vierte Woche deutlich ruhiger zu gestalten oder sogar ganz trainingsfrei zu halten. Ich plädiere hier nicht für Ruhestand, Faulheit oder ein Silbertablett voller sanfter Workouts, aber mein Fokus liegt auf realen Trainingsbedingungen.
- Wir können alle sehr hart trainieren, müssen dann aber auch wieder ein wenig nachlassen. Es erfordert keine Fähigkeiten in höherer Mathematik, in eine mehrwöchige Trainingsphase eine Erholungswoche zu integrieren. Es hat seinen Grund, dass viele klassische Trainingspläne aus drei wöchentlichen Trainingstagen bestehen, nämlich einem harten, einem mittleren und einem leichten.
- Definiere den Begriff »leicht« für dein Training. Ich selbst nutze leichte Trainingstage z. B. dazu, etwas Neues ins Training zu integrieren. Die Idee, Snatches mit Schlittenziehen zu kombinieren, wurde an einem leichten Trainingstag geboren. Ich habe dieses Workout später allerdings auf harte Tage verschoben.
- Akzeptiere auch die ganz schlechten Tage. Ich habe gelernt,...