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Anmerkungen über das Theater (Dramentheoretische Schriften)

Die Shakespeare-Verehrung des Sturm und Drang: Shakespeare-Arbeiten und Shakespeare-Übersetzungen

AutorJakob Michael Reinhold Lenz
Verlage-artnow
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9788026844808
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis1,99 EUR
Dieses eBook: 'Anmerkungen über das Theater (Dramentheoretische Schriften)' ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Anmerkungen übers Theater ist ein Werk von Jakob Michael Reinhold Lenz, das in mehreren Schreibphasen entstand und 1774 zusammen mit einer Übertragung von Shakespeares Komödie Love's Labour's Lost unter dem Titel Amor vincit omnia erstmals gedruckt wurde. Die Anmerkungen übers Theater gehören der Epoche des Sturm und Drang an. Neben Goethes Vortrag Zum Schäkespears Tag (1771) und dem Shakespeare Aufsatz Herders (1773) gehört das Werk zu den wichtigsten Dokumenten der Shakespeare-Verehrung des Sturm und Drang. Lenz trug seine Anmerkungen übers Theater vor der Straßburger Société de Philosophie et de Belles- Lettres vor, in der er während seines Straßburger Aufenthalts Mitglied war. Die Anmerkungen sind stilistisch ebenso gemischt wie gedanklich. Neben längeren Passagen im nüchternem rational argumentieren Stil, sind andere wieder verfasst in eingeworfenen Fragen, abgebrochenen Sätzen oder Ausrufe. Aber das war der neue Stil des Sturm und Drang und sollte die Gesellschaft provozieren. Lenz trägt in diesem Werk seine Thesen assoziativ vor. Jakob Michael Reinhold Lenz (1751-1792) war ein deutscher Schriftsteller des Sturm und Drang. Inhalt: Anmerkungen übers Theater Amor vincit omnia Über die Veränderung des Theaters im Shakespear Das Hochburger Schloß Verteidigung des Herrn W. gegen die Wolken Shakespears Geist

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Leseprobe

Amor vincit omnia64



Ein Stück von Shakespearn

Erster Akt

Erste Szene

König. Biron. Longaville. Dümain.

König. Der Ruhm, dem so viel ihr Leben weihen, soll unser Grab überleben, laßt uns zum Trotz des großen fräßigen Raben Zeit, uns um diesen Ruhm bewerben, welcher dessen scharfen Raubschnabel stumpf und uns zu Erben einer ganzen Ewigkeit machen kann. Daher, brave Ritter! Krieg sei angekündigt den Affekten und dem furchtbaren Heer der Vergnügungen, Navarra das Wunder der Welt, unser Hof eine kleine Akademie, der Betrachtung und den Künsten geheiligt. Biron, Dümain, Longaville, meine Schulkameraden, ihr habt einen Eid getan, diese drei Jahre mit mir die Statuten heilig zu beobachten, die auf diesem Zettel stehen: wohlan, seid ihr jetzo so bearmt, als ihr vorhin bemault wart, so unterschreibt nun eure Namen, damit der, welcher auch nur den kleinsten drin enthaltenen Punkt überschreitet, sich hiemit zum voraus gleichsam unehrlich mache und selber den Stab breche.

Longaville. Ich bin entschlossen. Es ist nur ein dreijähriges Festin, das wir unserm Geiste geben, derweile das Fleisch leidet. Fette Wänste haben magere Köpfe, und Leckerbissen bereichern die Rippen, aber machen den Verstand bankerut.

Dümain. Teurester Souverän! Dümain ist den Vergnügungen der Welt längst abgestorben, Liebe, Pracht, Überfluß sind mir leere Wörter, nur beim Namen der Weltweisheit leb ich auf.

Biron. Das ist viel gesagt. Ich habe geschworen, mein Fürst, hier zu bleiben, drei Jahr zu studieren. Aber was die andern strengen Regeln betrifft, in der ganzen Zeit kein Weibsbild anzusehen, ich hoffe doch, daß das nicht auf dem Zettel stehen wird, und dann, einen Tag in der Woche zu fasten, und jeden Tag nur eine Mahlzeit zu tun, ich hoffe doch, das seltsame Zeug wird nicht schwarz auf weiß dastehen und drei Stunden die Nacht nur zu schlafen, da ich doch gewohnt bin, meine liebe lange Nacht an nichts Arges zu denken und oft den halben Tag mit dazu zu nehmen. Ich hoffe doch, all das närrische Zeug wird nicht mit auf dem Zettel stehen. Das wäre ja Festungsarbeit, der Henker hielte das aus, nicht zu essen, nicht zu schlafen, kein Mädchen zu sehen.

König. Ihr habt geschworen.

Biron. Verzeiht mir, teurester Souverän! ich schwur bloß, mit Eurer Majestät zu studieren und drei Jahre an Eurem Hofe zuzubringen.

Longaville. Ihr schwurt das, Biron! und das übrige auch.

Biron. Der Henker, so schwur ich's im Scherz. Halt – wenn ihr denn so scharf seid, was ist der Endzweck des Studierens, sagt mir einmal?

König. Das zu wissen, was wir noch nicht wissen.

Biron. Das heißt, alles, was dem gewöhnlichen Menschenverstände untersagt ist, nicht so?

König. Freilich! das ist der Vorzug des Fleißes.

Biron. So kommt denn, ich will schwören. Ich will zum Exempel studieren, wie das Essen schmeckt, an dem Tage, da es euch untersagt sein wird zu essen, wie ein hübsches Mädchen aussehe, oder wie ein gar zu harter Eid zu brechen sei. Alsdenn weiß ich mehr als itzt, nicht wahr? und so ist der Endzweck meines Studierens erreicht.

König. Alle diese Dinge waren nur Hindernisse, die unsern Trieb in seinem echten Lauf aufhielten und ihn in die Kanäle eitler Ergötzungen leiteten.

Biron. Alle Ergötzungen sind eitel, es ist wahr, aber die gelehrten am meisten. Da über einem Buch schweben und das Licht der Wahrheit suchen, das uns doch nur die Augen tränen macht. Licht mit einem Licht suchen, betrügt uns oft um das Licht, das wir haben. Studiert lieber, wie ihr dem Auge Vergnügen schaffen wollt, wenn ihr's auf ein ander schönes Auge heftet, wird es da gleich geblendet, so wird sich das andere Auge seiner freundlich annehmen und es wieder mit dem Lichte versorgen, das es ihm entzog. Die Wissenschaften gleichen der strahlenden Sonne des Himmels, die nicht mit zu verwegenen Blicken zu lange will angesehen werden. Wenig genug haben die kontinuierlichen Gucker bis dato gewonnen, höchstens das, was andere vor ihnen gesagt haben. Diese irdischen Gevattern des Himmels, diese Astronomen, die jedem Stern gleich einen Namen an den Hals werfen, haben nicht größern Gewinn von den schönen Nächten als der ehrliche Bauer, der drunter umherspaziert und viel weiß, was sie bedeuten. Nein nein, zu viel wissen, heißt nichts wissen – als höchstens sich einen Namen zu machen, weil man andern Dingen Namen geben kann.

König. Wie gelehrt wider die Gelehrsamkeit!

Dümain. Wie verschlagen gegen die Beschlagenheit!

Longaville. Er will einen Acker besäen und doch läßt er das Unkraut wachsen.

Biron. Die Gesselchen haben keine Federn, doch müssen sie schon gacksen.

Dümain. Wie paßt das hieher?

Longaville. Ich sehe keinen Sinn drin.

Biron. So hör ich einen Reim drin.

Longaville. Biron ist wie ein neidischer, beißender Frost, der die neuaufgekeimten Kinder des Frühlings tötet.

Biron. Warum prahlt ihr dann mit Blüten, eh noch die Vögel angefangen zu singen? Soll ich eurer Fehlgeburten schonen? Ich verlange sowenig um Weihnachten eine Rose aufblühen zu sehen als in Maiblumen schneien. Jedes Ding für seine Jahreszeit, so ihr, jetzt ist's für euch zu spät, das heißt übers Haus steigen um ein Fenster aufzumachen.

König. Gut, so bleibt draußen. Geht heim, Biron! Adieu.

Biron. Nein, mein Fürst! ich habe geschworen. Obschon ich für die Barbarei gesprochen, so will ich doch halten was ich schwur. Reicht mir Euren Zettel, ich will ihn durchgehen und dann meinen Namen unterschreiben.

König. Du ersparst dir einen großen Schimpf.

Biron (liest) . »Daß eine ganze Meile im Umkreise keine Weibsperson meinem Hofe nahen soll« – – ist das proklamiert worden?

Longaville. Seit vier Tagen schon.

Biron. Und bei Strafe? – »ihre Zunge zu verlieren?« Wer gab die Strafe an.

Longaville. Ich.

Biron. Warum?

Longaville. Weil es die ärgste ist, die man ihnen drohen kann.

Biron (weiterlesend). »Wenn eine Mannsperson innerhalb dieser drei Jahre mit einem Weibe spricht, soll er eine so strenge öffentliche Beschimpfung, als der Hof ohne Störung der allgemeinen Ruhe –«

Diesen Punkt, mein Fürst! seid Ihr selbst gezwungen zu brechen, denn Ihr wißt, daß die Prinzessin des Königs von Frankreich unterwegens ist, mit Euch wegen der Übergabe von Aquitanien an ihren alten Vater zu akkordieren. Dieser Punkt wäre also null und nichtig, oder die ganze Reise und der Auftrag der schönsten aller Prinzessinnen – –

König. Was sagt ihr dazu, Ritter? Wahrhaftig, ich hatte es ganz und gar vergessen.

Biron. Das sind die edlen Früchte des Studierens, derweil Ihr zu wissen strebet was Ihr wollt, vergeßt Ihr drüber was Ihr sollt.

König. Hier zwingt uns die Not, eine Ausnahme zu machen.

Biron. So wird uns die Not alle zwingen, dreitausend Ausnahmen in drei Jahren zu machen. Jeder Mensch wird mit seinen Trieben geboren, die durch nichts anders als die Gnade bemeistert werden können. Werd ich also meineidig, so hoff ich, dies Wort Ew. Majestät wird mir zugut kommen, ich hab's aus Not getan. So will ich denn auch meinen Namen unterschreiben, aber im weitläuftigern Sinn, die andern Herren tatens im engern. Doch hoff ich, ich werde der letzte sein, der seinen Eid zu befingern anfangen wird, um ihn nach und nach gar zu brechen. Aber haben wir denn nicht die mindesten Erholungen bei unserer Kopffron?

König. Ihr wisset, an unserm Hofe hält sich der scharfsinnige reisende Spanier auf, ein Mann, der mit den Sitten der ganzen Welt gestempelt ist, und ein ganzes Münzkabinett von neuen Worten in seinem Hirnkasten trägt. Dessen Zunge von lauter Harmonien ertönt, ein Mann von oben herab, immer entscheidend, den Recht und Unrecht zum Schiedsrichter aller ihrer Katzbalgereien scheinen ausersehen zu haben. Dieser Sohn der Phantasei, der hohe Armado, soll zur Ausfüllung unserer Nebenstunden uns Rittergeschichte erzählen, wie er euch gefallen wird, weiß ich nicht, genug ich habe meine Freude daran, ihn lügen zu hören.

Biron. O Armado ist ein Mann von Wichtigkeit.

Longaville. Wenn Costard, der Narr, dazukommt, so werden uns die drei Jahr nur gar zu geschwinde vergehen.

 

Zweite Szene

Costard. Dull zu den Vorigen.

Dull. Wo ist des Herzogs eigene Person?

Biron. Hier, Bursche! was verlangst du?

Dull. Ich präsentiere selber des Herzogs Person, denn ich bin Sr. Herrlichkeit Konstabel, aber ich wollte des Herzogs Person in Fleisch und Blut sehen.

König. Hier bin ich.

Dull. Herr Arme schickt mich: es steht nicht recht draußen. Dieser Brief wird Euch mehr sagen.

Costard. Von mir ist die Rede.

König. Ein Brief vom hohen Armado.

Biron. Der Inhalt wird niedrig genug sein.

Costard. Von mir ist die Rede, von mir und Jakobinen. Die...

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