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Zwischen den Arbeitswelten

Der Übergang in die Postwachstumsgesellschaft

AutorBenjamin Held, Dorothee Rodenhäuser, Hans Diefenbacher, Oliver Foltin, Rike Schweizer, Volker Teiche
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl416 Seiten
ISBN9783104037318
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Hans Diefenbacher, Oliver Foltin, Benjamin Held, Dorothee Rodenhäuser, Rike Schweizer und Volker Teichert, die alle tätig sind im Arbeitsbereich »Frieden und Nachhaltige Entwicklung« der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft in Heidelberg (FEST) behandeln in ihrem Sachbuch ?Zwischen den Arbeitswelten. Der Übergang in die Postwachtumsgesellschaft? die Frage, wie wir in Zukunft arbeiten werden. Eine zukunftsfähige Ökonomie muss sich vor allem an ökologischen und sozialen Zielen orientieren. Die entscheidende Rolle bei diesem Prozess kommt dabei der Gestaltung des Arbeitslebens zu. Und dessen Transformation - von einem industriekapitalistischen hin zu einem gemeinwesenorientierten Leitbild - hat schon längst begonnen. Was bedeutet Arbeit für Menschen in unserer Gesellschaft? Wie und von wem wird sie organisiert und gestaltet? Und von welchen Wertvorstellungen wird sie geprägt? Wie entsteht Arbeitszufriedenheit und Arbeitsleid in der herkömmlichen Arbeitswelt - und wie wird sich dies in einer Postwachstumsökonomie verändern? Dieses Buch sammelt Antworten auf diese Fragen und zeigt nachdrücklich, was sich für die Arbeitswelt der Zukunft ändern muss. Ein Band aus der von Harald Welzer und Klaus Wiegandt herausgegebenen Reihe »Entwürfe für eine Welt mit Zukunft«. »Wir brauchen Zukunftsbilder, um unsere Handlungsspielräume zu kennen. So haben wir die besten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihres Fachs gebeten, konkrete Utopien zu entwerfen, die uns Mut zum guten Leben machen.« Harald Welzer & Klaus Wiegandt

Hans Diefenbacher, Jahrgang 1954, ist ehrenamtlich Beauftragter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland für Umweltfragen und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Heidelberg.

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Leseprobe

Teil I Die Vergangenheit – Konzepte und Erfahrungen


2 Zum Begriff der Arbeit


2.1 Historische Grundlagen


Laut Brockhaus wird mit Arbeit der »bewusste und zweckgerichtete Einsatz der körperlichen, geistigen und seelischen Kräfte des Menschen zur Befriedigung seiner materiellen und ideellen Bedürfnisse« beschrieben (Brockhaus 1987, 36). Schon aus dieser Definition wird deutlich, dass der Begriff nicht allein auf die Erwerbsarbeit reduziert werden kann, sondern sich auf die vielfältigen Formen der Arbeit zu beziehen hat, die im Haushalt, in der Familie, für Nachbarn und Verwandte, ehrenamtlich und freiwillig, erbracht werden. Im Weiteren wird daher zwischen formeller und informeller Arbeit unterschieden, also auf der einen Seite formelle Arbeit gegen Zahlung eines Lohns oder Gehalts und zum anderen nicht entlohnte, informelle Arbeit in und außerhalb des Haushalts. Wir gehen damit in diesem Buch von einem erweiterten Arbeitsbegriff aus.

Historisch gesehen ist (Erwerbs-)Arbeit ein zentraler Begriff der Menschheit, der sich im Laufe der Zeit grundlegend gewandelt hat. Noch im antiken Griechenland war er negativ konnotiert. Homer besang den Müßiggang des altgriechischen Adels als erstrebenswertes Ziel und betrachtete körperliche Arbeit als eine nur den Frauen, Sklaven und Knechten gemäße Tätigkeit. Auch Aristoteles unterschied zwischen geistiger und körperlicher Arbeit, die sich gegenseitig ausschließen würden:

»Es geht nicht an, sich zugleich körperlich und geistig anzustrengen. Es liegt nämlich in der Natur dieser beiden Anstrengungen, dass sie entgegengesetzt wirken: Die körperliche Arbeit beeinträchtigt die geistige Arbeit und diese die körperliche Leistungsfähigkeit.« (Aristoteles, 1337b)

Körperliche Arbeit steht letztlich für Notwendigkeit, Monotonie, Entfremdung und Zwang. Für Aristoteles liegt der eigentliche Sinn des Lebens in der Muße.

Charakteristisch für die christliche Haltung zur Arbeit ist der wohl bekannteste Satz des Paulus: »Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen« (2. Thessaloniker Brief, 3,10). Mit der christlichen Betonung körperlicher Arbeit wird – wie sich am Zitat von Aristoteles zeigen lässt – ein fundamentales Kriterium sozialer Differenzierung und Diffamierung in der griechisch-römischen Welt aufgehoben. Im Zeitalter der Reformation und später im 17. und 18. Jahrhundert wurde entlohnte, formelle Arbeit schließlich als Legitimation von Eigentum und Quelle von Reichtum aufgewertet. In einer Predigt vom 27. Juni 1529 berief sich Martin Luther (1529, 442) ausdrücklich auf den oben zitierten Satz des Paulus. Müßiggang erklärte Luther hier zum Laster: »Müßiggang ist Sünde wider Gottes Gebot, der hier Arbeit befohlen hat. Zum anderen sündigst du gegen deinen Nächsten.«

Karl Marx unterzog den Begriff der Lohn- beziehungsweise Erwerbsarbeit schon in seinen Frühschriften einer deutlichen Kritik, indem er sie als Zwangsarbeit ausweist, der der Einzelne nur entfliehen könne.

»Worin besteht nun die Entäußerung der Arbeit? Erstens, daß die Arbeit dem Arbeiter äußerlich ist, d.h. nicht zu seinem Wesen gehört, daß er sich daher in seiner Arbeit nicht bejaht, sondern verneint, nicht wohl, sondern unglücklich fühlt, keine freie physische und geistige Energie entwickelt, sondern seine Physis abkasteit und seinen Geist ruiniert. Der Arbeiter fühlt sich daher erst außer der Arbeit bei sich und in der Arbeit außer sich. Zu Hause ist er, wenn er nicht arbeitet, und wenn er arbeitet, ist er nicht zu Haus. Seine Arbeit ist daher nicht freiwillig, sondern gezwungen, Zwangsarbeit. Sie ist daher nicht die Befriedigung eines Bedürfnisses, sondern ist nur ein Mittel, um Bedürfnisse außer ihr zu befriedigen. Ihre Fremdheit tritt darin rein hervor, daß, sobald kein physischer oder sonstiger Zwang existiert, die Arbeit als eine Pest geflohen wird.« (Marx 1844, 514)

Trotz aller Kritik ist »nützliche Arbeit« für Marx das Wesen des Menschen schlechthin, denn sie ist »eine von allen Gesellschaftsformen unabhängige Existenzbedingung des Menschen« (Marx 1890, 57). Die informellen Arbeiten außerhalb der Erwerbsarbeit bleiben bei seinen Betrachtungen außen vor.

Diese Sicht auf die Arbeit inspirierte den Schwiegersohn von Karl Marx, den französischen Sozialisten Paul Lafargue, 1883, zur bekannt gewordenen Streitschrift Das Recht auf Faulheit mit den berühmten Eingangssätzen, die sich an der Diktion des Kommunistischen Manifestes orientierten:

»Eine seltsame Sucht beherrscht die Arbeiterklasse aller Länder, in denen die kapitalistische Zivilisation herrscht, eine Sucht, die das in der modernen Gesellschaft herrschende Einzel- und Massenelend zur Folge hat. Es ist die Liebe zur Arbeit, die rasende, bis zur Erschöpfung der Individuen gehende Arbeitssucht.« (Lafargue 1883, 5)

Lafargue plädierte für ein Gesetz, »das jedermann verbietet, mehr als drei Stunden pro Tag zu arbeiten« und verknüpfte den Appell nach radikaler Arbeitszeitverkürzung mit der Devise »Arbeit und Enthaltsamkeit«.

»Arbeitet, arbeitet, Proletarier, vermehrt den gesellschaftlichen Reichtum und damit euer persönliches Elend. Arbeitet, arbeitet, um, immer ärmer geworden, noch mehr Ursache zu haben, zu arbeiten und elend zu sein. Das ist das unerbittliche Gesetz der kapitalistischen Produktion. Dadurch, daß die Arbeiter den trügerischen Reden der Ökonomen Glauben schenken und Leib und Seele dem Laster Arbeit ausliefern, stürzen sie die ganze Gesellschaft in jene industriellen Krisen der Überproduktion, die den gesellschaftlichen Organismus in Zuckungen versetzen. Dann werden wegen Überfluß an Waren und Mangel an Abnehmern die Werke geschlossen, und mit seiner tausendsträhnigen Geißel peitscht der Hunger die arbeitende Bevölkerung. Betört von dem Dogma der Arbeit sehen die Proletarier nicht ein, daß die Mehrarbeit, der sie sich in der Zeit des angeblichen Wohlstands unterzogen haben, die Ursache ihres jetzigen Elends ist.« (Lafargue 1883, 40f.)

In späteren Schriften unterteilte Marx die Arbeit in die konkrete, auf die Herstellung eines bestimmten Produktes gerichtete Arbeit, die es in allen Gesellschaften gibt, und die abstrakte Verausgabung von Arbeitskraft im Kapitalismus, ungeachtet ihres Gebrauchswertes. Die Arbeit im Kapitalismus trägt nach Marx immer einen entfremdeten Charakter, und das nicht nur deswegen, weil die Arbeitenden keinen Einfluss auf Inhalte, Organisationsformen und die Ziele ihrer Arbeit hatten und die Produkte und Mittel der Arbeit ihnen nicht gehörten, sondern eben auch aufgrund der Arbeitsteilung, die dem Einzelnen den Blick auf das Ganze entzieht. Ziel der Arbeiterklasse sollte es daher sein, diesen Doppelcharakter der Arbeit und damit deren Entfremdung zu beseitigen (vgl. Oschmiansky 2010; Liessmann 2000).

»Alle Arbeit ist einerseits Verausgabung menschlicher Arbeitskraft im physiologischen Sinn und in dieser Eigenschaft gleicher menschlicher oder abstrakt menschlicher Arbeit bildet sie den Warenwert. Alle Arbeit ist andrerseits Verausgabung menschlicher Arbeitskraft in besondrer zweckbestimmter Form, und in dieser Eigenschaft konkreter nützlicher Arbeit produziert sie Gebrauchswerte.« (Marx 1867, 61)

Deshalb heißt es im dritten Band des Kapital von Marx auch:

»Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört; es liegt also der Natur der Sache nach jenseits der Sphäre der eigentlichen materiellen Produktion. Wie der Wilde mit der Natur ringen muß, um seine Bedürfnisse zu befriedigen, um sein Leben zu erhalten und zu reproduzieren, so muß es der Zivilisierte, und er muß es in allen Gesellschaftsformen und unter allen möglichen Produktionsweisen. Mit seiner Entwicklung erweitert sich dies Reich der Naturnotwendigkeit, weil die Bedürfnisse [sich erweitern]; aber zugleich erweitern sich die Produktivkräfte, die diese befriedigen. Die Freiheit in diesem Gebiet kann nur darin bestehn, daß der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden; ihn mit dem geringsten Kraftaufwand und unter den ihrer menschlichen Natur würdigsten und adäquatesten Bedingungen vollziehn. Aber es bleibt dies immer ein Reich der Notwendigkeit. Jenseits desselben beginnt die menschliche Kraftentwicklung, die sich als Selbstzweck gilt, das wahre Reich der Freiheit, das aber nur auf jenem Reich der Notwendigkeit als seiner Basis aufblühn kann. Die Verkürzung des Arbeitstags ist die Grundbedingung.« (Marx 1894, 828; Hervorh. d. Verf.).

Nach Marx lässt sich entfremdete Arbeit nicht vollständig aufheben, selbst im »Reich der Freiheit« nicht, denn ein gewisses Maß an entfremdeter Erwerbsarbeit wird es immer geben, deshalb die Forderung nach der Veränderung der Arbeitsbedingungen und der Verkürzung des Arbeitstages.

Das Arbeitsleid zeigt sich auch im Bundeslied, das Georg Herwegh 1863...

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