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Ist da oben jemand?

Weil das Leben kein Spaziergang ist

AutorBärbel Schäfer
VerlagGütersloher Verlagshaus
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783641188252
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
»Gott war bisher keine Option ...«
»Ich bin die verwaiste Schwester meines tödlich verunglückten einzigen Bruders und die Freundin eines ebenfalls tödlich verunglückten Lebenspartners. Wie finde ich als Atheistin Trost in einer traumatischen Lebenssituation? Wo finden gläubige Menschen Halt in schwierigen Lebenskrisen?«
Bärbel Schäfer erzählt in ihrem Buch von ihrer Suche nach Sinn. Sie gibt tiefe Einblicke in ihr Seelenleben, in ihre Wut, ihren Schmerz und ihre Verzweiflung. Offen beschreibt sie ihre Skepsis und ihr Hadern im Umgang mit Gott und den Religionen der Welt. Wird der Glaube für sie eine Option sein?
  • Eine Anregung zur eigenen Auseinandersetzung mit dem Glauben
  • Tod, Trauer und Wut - wie kann man in einer traumatisierten Lebenssituation Trost finden?
  • Ein sehr persönliches Buch der beliebten Moderatorin


Bärbel Schäfer wurde in Bremen geboren. Sie ist bekannt als Moderatorin aus TV und Hörfunk, ausgezeichnet mit der Goldenen Kamera, Journalistin und Autorin mehrerer erfolgreicher Sachbücher zu gesellschaftlichen Themen, zuletzt 'Ist da oben jemand? Weil das Leben kein Spaziergang ist', Gütersloh, 3. Auflage 2016. Jeden Sonntag ist sie in hr3 im Gespräch mit einem prominenten Talk-Gast und führt Interviews für die emotion-Serie 'Mann, was fühlst du?'. Bärbel Schäfer ist mit dem Publizisten und Fernsehmoderator Michel Friedman verheiratet und hat zwei Kinder. Die Familie lebt in Frankfurt am Main.

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Leseprobe

2.

Angst im Dunkeln

Der Tod klingelt Sturm.

Es ist der 15. Oktober, mitten in der Nacht. Das Dauerklingeln an der Haustür trifft mich im Tiefschlaf. Das schrille Drängen nimmt kein Ende, zwängt sich in meinen Gehörgang. Ich drücke mir das Kissen aufs Ohr und verfluche den neuen Club in der Seitenstraße gegenüber. Wahrscheinlich ein nächtlicher Klingelstreich. Ich werde schlagartig zum Schlafspießer. Mit müdem Gang schleppe ich mich zur Haustür, um komasaufenden Teenagern durch die Sprechanlage die Leviten zu lesen.

Zwei Polizisten blicken ins Kameraauge. Dienstmarken werden hochgehalten, mit der Bitte um Einlass. Ich bleibe skeptisch und verlange die Telefonnummer ihres Reviers und den Namen ihres Vorgesetzten. Gegencheck positiv. Die Beamten sind echt, unser Türdrücker summt. Polizei in the house, um zwei Uhr früh, bedeutet selten etwas Gutes. Früher haben sie uns um diese Zeit den Ghettoblaster rausgetragen, da haben wir ihr Klingeln provoziert. Aber die harten Beats pennen im Zuge der Jahresringe um die Augenfalten.

Die Beamten steigen die Stufen hoch. Schritt, für Schritt, für Schritt. Sie werden ihre Pflicht tun, aber was hat das mit mir zu tun? Als sie auf Höhe des ersten Stockwerkes sind, trage ich bereits die Jeans und das abgelegte Hemd meines Mannes sowie Panik im Nacken. Ich rieche an seinem parfümierten Hemdkragen, spüre, wie seine Hand in meine gleitet, atme tief ein.

Bei Etage zwei rast mein Fehlverhalten der vergangenen Tage als Roadmovie durch meinen verschlafenen Kopf. Diverse U-Turns über durchgehende Fahrbahnmarkierungen, die dunkelgelbe Ampel am Opernplatz, Parken in der zweiten Reihe samstags beim Gemüsehändler Badan gleich um die Ecke. Bis sie im Treppenhaus um die letzte Kurve biegen, bin ich mir einiger Schuld bewusst. Bereit, alles zu gestehen. Aber deshalb um diese Zeit eine Autofahrerin, mit zwei Punkten in Flensburg, aus dem Bett zu klingeln, wäre etwas zu dienstbeflissen, oder nicht?

Stockwerk um Stockwerk, mit festem Gang, kommt das Unglück näher. Ich fühle mich klein und hilflos.

Dritter Stock. Ich kann ihre Köpfe erkennen. Trete einen Schritt in den Flur und beuge mich über das Geländer. Kurz vor der letzten Kurve in den vierten Stock sind aus den zweien plötzlich die Schritte von drei Beamten geworden. Der dritte trägt keine Uniform. Eher eine Art beige Anglerweste, Nickelbrille, freundliches Gesicht, spärlich sprießender Bart. Typ Pettersson aus den »Pettersson und Findus«-Kinderbüchern, die bei meinem kleinen Sohn auf dem Nachttisch liegen. Ich spüre eine zittrige Angst und wundere mich, warum die den Fahrstuhl nicht benutzt haben, sondern sich mit den schweren Stiefeln nach oben kämpfen. In Krimis erscheint die Polizei doch nur persönlich an der Haustür, wenn ein Angehöriger tot ist, oder?

Diese Minuten sind meine Hölle im Hirn. Ich atme flacher, schneller. Die Nachricht kann nur schrecklich sein. Wie wird sich in wenigen Sekunden mein Leben verändern?

In der vierten Etage sind alle drei außer Atem.

Mein Herz rast. Ich friere. Ich umklammere fest die glühend heiße Hand meines Mannes, der zum Glück an meiner Seite steht. Niemand sonst gibt mir so viel Halt. Niemand sonst begleitet mich seit Jahren so intensiv durchs Leben. Er ist mein Leben, wir haben wirklich schon einige Krisen gemeinsam gemeistert, werden wir auch diese schaffen? Wird unsere Liebe stark genug sein für das, was wir jetzt erfahren?

»Guten Abend. Entschuldigen Sie die Störung.«

Wir stehen alle auf dem Flur. Ich bin wie schockgefroren. Unfähig zu handeln, bitte ich auch niemanden herein, als wollte ich unsere privaten vier Wände vor dem Unglück schützen.

»Sind Sie Bärbel Friedman, geborene Schäfer am 16.12. in Bremen?«

»Ja.«

»Es ist etwas passiert.« Der ältere, erfahrene Beamte holt tief Luft, atmet die Treppentour schwer aus. Blickt zum jüngeren Kollegen rüber und dann wieder zu mir.

Ich nicke, klar. Es ist etwas passiert, bin ja nicht behindert. Ich nehme meinen Mut zusammen und beginne mich der Wahrheit zu stellen. Check in Nanosekunden, wer lebt, wen habe ich wann, zuletzt und wo gesehen oder gesprochen? Mein Hirn gibt Gas, schaltet einen Gang höher, bevor er weitersprechen kann. In den Kinderzimmern befinden sich jedenfalls die zwei kleinen Menschen, die wir lieben und deren Leben mein Mann und ich intensiv begleiten, im sicheren Tiefschlaf. Ich atme tief ein und habe dabei das Gefühl, mich direkt in den Flur übergeben zu müssen.

»Mein Vater?« Frage ich kurzatmig. Er liegt zu diesem Zeitpunkt mit schlechten Werten in einer Herzklinik. Seit Wochen ringt ein Spezialteam um die Besserung seines Zustandes. Jede Woche versuche ich, hoch in den Norden zu fliegen. Sitze an seinem Krankenbett, baue ihn auf, führe Gespräche mit den Ärzten, lese ihm vor, erzähle Alltagsgeschichten oder halte nur still seine Hand. Das Team der Station hat meine Handynummer und ist angewiesen, mich, seine Lebensgefährtin oder Schwester direkt zu informieren, falls sich sein Zustand in der Nacht verschlechtern sollte. Ist das heute Nacht der Fall? Kämen dann Polizisten direkt an die Haustür?

»Nein, nicht ihr Vater.« Der Polizist schüttelt den Kopf, fährt sich mit dem Handrücken über die schweißglänzende Stirn. Er tut mir leid, es ist mitten in der Nacht. Vielleicht wäre er jetzt auch lieber bei seiner Familie.

»Meine Mutter?« Mein Mann drückt seine Hand fest in meine rechte Schulter. Seine Schwiegermutter ist erst gestern mit dem Wagen aus Norddeutschland zurück nach Frankfurt gefahren. Wir haben immer Sorge, wenn sie mit ihren 75 Jahren die vier Stunden auf der Autobahn unterwegs ist.

»Nein, es handelt sich um keine Frau.«

»Wer dann?«, presse ich heraus. Dieses Personenquiz ist mies. »Warum wecken sie uns, wenn es allen gut geht?« Mein Hirn ist leer vor Angst.

»Ihr Bruder, Martin Sc...«, beginnt der ältere Beamte.

»NEIN! Mein Bruder? Nicht mein einziger Bruder! NICHT MARTIN?« Ich werde laut. »Das ist ein Missverständnis, der ist in Berlin, wir haben heute früh noch miteinander telefoniert. Also der ist in Berlin.« Ich wiederhole mich.

Stille.

Der Polizist nickt wie in Slow Motion und blickt mir in die Augen. Ich sehe Tränen aufsteigen. Er klimpert mit den Lidern, kämpft seine Tränen runter. Jetzt klammere ich mich an den Türrahmen, während er weiterspricht.

»Ihr Bruder, Martin Schäfer, ist heute Mittag auf einer bayerischen Autobahn mit seinem Wagen tödlich verunglückt. Sein Wohnsitz ist, wie sie wissen, in der Schweiz, dadurch dauerten die Ermittlung und die Koordination der schweizerisch-deutschen Polizeireviere untereinander etwas länger.«

Zeitlupenstille.

Die Informationen rauschen an mir vorbei. Ich verstehe nicht alles. Nur dass mein Bruder seit einem halben Tag tot ist und wir es erst jetzt erfahren, durch die Polizei. Mitten in der Nacht? Weder seine Freundin noch deren Familie hat uns persönlich angerufen, obwohl sie es seit mehr als zwölf Stunden wussten. Das geht doch gar nicht, denke ich wie im Hirnhamsterrad. Das geht doch nicht. Martin ist tot. Error. Martin ist tot. Error. Martin ist tot. Error. Das kann nicht sein. Martin ist tot. Ist das Einzige, was ich wieder und wieder denken kann. Error. Gefangen im Hirnhamsterrad. Ausstieg mit der Frage:

»Sind noch andere Menschen bei diesem Unfall verletzt worden?«

»Nein.«

Mittags, A9, regennasse Fahrbahn, Überschlag des Autos. Überhöhte Geschwindigkeit, nichts mehr zu machen, Details zum Unfall, die Telefonnummer der bayerischen Autobahnpolizei, wo ich ab morgen seine persönlichen Dinge abholen kann. Dem jüngeren Beamten stehen jetzt auch Tränen in den Augen, vielleicht hat er auch einen Bruder. Das Licht im Flur geht immer wieder aus, alle zwei Minuten drücke ich auf den Schalter.

Ich stehe wie gelähmt neben meinem Mann und halte den Zettel mit der Kontaktnummer der bayerischen Landespolizei fest in der Hand. Ich falte ihn langsam zusammen, stecke ihn in die rechte Hosentasche und schaue auf meine Hände. Ich fühle mich nackt, ungeschminkt.

Den Beamten mag ich nicht in die Augen blicken, ich weiß nicht, was sie von mir erwarten. Klack, Licht wieder aus. Unsere fünf Konturen stehen im Mondschein, der durch das milchige Flurfenster ins Treppenhaus fällt. Klack, Licht an. Unsere Zeigefinger treffen sich auf dem Lichtschalter. Zucke zurück und warte auf meine Tränen. Ich reibe meine Hände, ärgere mich über meine dreckigen Fingernägel. Ich muss jetzt irgendetwas sagen, aber ich kann nicht. Meine Kehle ist wie zugeschnürt. Komisch, immer schleicht sich bei mir der Dreck unter die lackierten Nägel. Morgens reinige ich sie gründlich, und am Abend sind sie schon wieder schmutzig. Wo bleiben nur meine Tränen?

Ausgelöscht. Ein Leben. Vorbei.

»Soll ich bei ihnen bleiben, ich kann ihnen heute Nacht gerne helfen?« Der dritte Kollege, der Polizeipsychologe, geschult auf das Überbringen erschütternder Nachrichten, spricht mich jetzt direkt an. Ich hebe den Kopf, er nimmt meine Hände in seine. Bislang stand er etwas im Hintergrund, seine warme Stimme dringt zu mir durch. Ein Krisenprofi, der auffängt, tröstet und sicherlich viele Stunden mit Menschen verbringt, die so einen Schock alleine verarbeiten müssen. Flugzeugabstürze, Schulmassaker, Suizide, Autobahnkarambolagen, wenn die Angehörigen in die für sie bereitgestellten weißen Zelte geführt werden, weg von den Augen der Gaffer, ist er bestimmt da. Bis jetzt hat er auch mich nicht aus den Augen gelassen. Er wirkt nett, richtig nett. Das gehört bestimmt zum Jobprofil. Das andere Gesicht der...

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