Einleitung
Das »Internet der Dinge« ist das rasch wachsende Netzwerk von Alltagsgegenständen, die über Sensoren, eine kleine Stromquelle und eine Internetadresse verfügen. Wir sind an ein Internet von Computern, Handys, Spielkonsolen und Geräten aus dem Bereich der Unterhaltungselektronik gewöhnt. Doch mittlerweile gehen auch zahlreiche andere Produkte in digitalen Netzwerken online, darunter Autos, Kühlschränke und Thermostate. Und viele Branchen sind auf der Suche nach Möglichkeiten, ihre Produkte mit billigen drahtlosen Chips auszustatten, und sei es nur, um ihre Kunden zu beeindrucken.
Diese Entwicklung wird das Internet verändern. Von einem Informationsnetzwerk, das wir mithilfe einiger speziell dafür entwickelter Geräte (die wir als »Medien« bezeichnen) bewusst nutzen, wird es zu einem allgegenwärtigen, aber unsichtbaren Netzwerk vieler unterschiedlicher Geräteklassen. Verkabelte und kabellose Geräte werden allgegenwärtig sein, eingebaut in alle möglichen Alltagsgegenstände und daher weniger sichtbar.
Wir stehen vor einer Ära des globalen politischen Lebens, die ich als Pax Technica bezeichne. Ich habe diesen pseudo-lateinischen Begriff gewählt, um meine Theorie zu beleuchten, dass die rapide Verbreitung von Gerätenetzwerken eine besondere Art der Stabilität der Weltpolitik mit sich bringen, einen Pakt zwischen großen Technologiefirmen und dem Staat enthüllen und eine neue Weltordnung einläuten wird. Ebenso wie im Falle der Pax Romana, der Pax Britannica und der Pax Americana geht es bei der Pax Technica nicht um Frieden. Es geht es um die Stabilität und die Berechenbarkeit politischer Machenschaften, die die Existenz von derart stark vernetzten Geräten mit sich bringt. Die Pax Technica ist ein politisches, wirtschaftliches und kulturelles Arrangement von Institutionen und Netzwerkgeräten, bei dem Staat und Industrie durch gegenseitige Verteidigungsbündnisse, Zusammenarbeit in Designfragen, Festlegen von Standards und Data-Mining eng aufeinander angewiesen sind.
In der Vergangenheit haben technische Innovationen einigen Ländern eine weltpolitische Übermacht beschert. Doch in den letzten zehn Jahren sind technologische Kontrolle und Zugang zu Informationen immer stärker zu den entscheidenden Faktoren für die Prognose von politischen Entwicklungen geworden, und es fällt schwer, ein Land auszumachen, das hier die Oberhand hat. Der Einsatz digitaler Medien durch politische Akteure ist – je nachdem, wie intelligent, dumm oder heimlich er geschieht – der zuverlässigste Indikator dafür, wer bekommt, was er will. Derartige neue Ordnungen des Weltgeschehens haben historisch oft die Bezeichnung Pax erhalten – in dem Sinn, dass es sich um eine Epoche verlässlicher Stabilität auf der Basis allgemein bekannter Regeln und Erwartungen handelt. Das Internet der Dinge ist dabei, eine neue Pax zu etablieren.
Die arabische Welt wurde von Volksaufständen gegen altgediente Diktatoren erschüttert. Anti-Establishment-Bewegungen im Westen – die Tea Party in den USA, die Piratenpartei in der EU, die Occupy-Bewegung weltweit – haben Proteste organisiert und auf unerwartete Art und Weise Wähler auf sich aufmerksam gemacht. Überall auf der Welt haben Regimes zu wanken begonnen, während andere so stabil wie eh und je zu sein scheinen. Das westliche Internet, bestehend aus Milliarden von Handys, Computern und anderen Netzwerkgeräten, bildet die größte Informationsinfrastruktur aller Zeiten. Doch dieses großartige Gerätenetzwerk ist Rivalitäten und Angriffen ausgesetzt. Konflikte mit rivalisierenden Netzwerkstrukturen aus China und konkurrierenden Normen des Internetgebrauchs aus Russland, Saudi-Arabien und anderen autoritären politischen Kulturen werden in den kommenden Jahren das politische Leben dominieren.
Ich vertrete in diesem Buch den Standpunkt, dass man sich Nationalstaaten, Politik und Regierungen als sozio-technische Systeme und nicht als repräsentative Systeme vorstellen muss. Wir denken uns Politik in der Regel als einen Prozess, in dem einige wenige Menschen die Interessen vieler Menschen vertreten, entweder auf dem Weg irgendwelcher demokratischer Prozesse oder per Dekret. Doch das Internet der Dinge verrät immer mehr über unser tatsächliches Verhalten; es generiert politisch wertvolle Daten und bildet unsere Gewohnheiten, Geschmäcker und Überzeugungen ab. Politische Kommunikation wird nicht länger einfach durch Bürger und Politiker begründet. Systeme der politischen Kommunikation werden durch Netzwerkgeräte koordiniert, die von Bürgern und Politikern mehr oder weniger geschickt genutzt werden. Wir bringen gerade ein solches System auf den Weg – das Internet der Dinge. Die Pax Technica ist unser. In dieser neuen Ära könnten unzweideutige Kategorien wie Demokratie und Diktatur an Bedeutung verlieren. Stattdessen könnte es aufschlussreicher sein, eine Regierung auf der Basis ihrer Politik und Praxis im Umgang mit Netzwerkgeräten und Informationsinfrastruktur zu beurteilen.
Regierungen sind technische Systeme, die ihre Arbeit an Territorien mit festen Grenzen ausrichten und die für bestimmte Arten von Fachwissen, Informationen und militärischer Macht ein Monopol für sich beanspruchen. Ihr Charakter wird sowohl von den Menschen bestimmt, die in ihren Diensten tätig sind, als auch durch die materiellen Ressourcen und Geräte, die gebaut werden, um ihre administrative Tätigkeit praktisch umzusetzen. Insgesamt gesehen sind demokratisch gewählte Regierungen vergleichsweise offene technische Systeme, während autoritäre Regimes eher geschlossene technische Systeme sind.
Die Vorstellung eines Spektrums der Regimes, das von »offen« bis »geschlossen« reicht, bildet die Realität genauer ab und bietet Raum für wichtige Nuancen in der Beschreibung heutiger Regierungen. Sie ist hilfreicher als eine Vorstellung, die lediglich mit verschiedenen Abstufungen von »Demokratie« beziehungsweise »Autoritarismus« arbeitet. Die von Edward Snowden und Chelsea Manning losgetretenen Überwachungsskandale sowie die durch die OpenNet-Initiative aufgedeckten Zensurpraktiken lassen die Selbsteinschätzung vieler Regierungen als »demokratisch« fragwürdig erscheinen.
Das Denken in den Kategorien »demokratisch« und »autoritär« ist wenig sinnvoll in einer Welt, in der autoritäre Regierungen digitale Medien nutzen, um die öffentliche Meinung zu messen und entsprechend darauf zu regieren. Eine wachsende Anzahl von Regimes erlaubt weder öffentliche Kritik noch die Wahl einer Regierung, während sie gleichzeitig neue Wege öffnet, um mit Bürgern in Kontakt zu treten, politische Betätigung unterstützt, digitalen Aktivismus in bestimmten Politikfeldern wie Umweltverschmutzung und Korruption zulässt sowie Wahlen auf lokaler Ebene gestattet. Die Demokratien dagegen wahren unter der Pax Technica ihre Stabilität, indem sie sich sozialer Medien bedienen, um ein erstaunliches Maß an sozialer Kontrolle zu erreichen: Data-Mining durch Politik und Wirtschaft, digitale Zensur und Online-Überwachung sind nur einige der Aktivitäten, von denen wir alle wünschen, dass Demokratien sie unterlassen würden.
Eine Regierung ist geschlossen, wenn die Verhaltensnormen, -regeln und -muster des Regierungspersonals dem öffentlichen Blick entzogen sind und Außenseiter keinen Zugang haben. Das gilt für Demokratien ebenso wie für Diktaturen, die ihre Regierungsbehörden vor in- oder ausländischen Herausforderungen abschirmen. Eine relativ kleine Anzahl von Menschen – die sich in der Regel in den von der Regierung genutzten Netzwerken finden – entscheidet über die Agenda. Eine signifikante Anzahl von Regierungsprozessen hat die Aufgabe, diese Regierungsagenda zu schützen oder voranzutreiben. Eine offene Regierung sollte diese Merkmale nicht aufweisen.
Zivilgesellschaftliche Gruppen, Journalisten und die Öffentlichkeit müssen sich bereithalten. Regierungen werden immer weniger dazu in der Lage sein, das Internet der Dinge zu steuern. Unternehmen oder schlechte Schauspieler können enorme Machtpositionen einnehmen. Im Moment dominieren die Prioritäten von Regierungen und Unternehmen. Zivilgesellschaftlichen Gruppen gelingt es aber zunehmend besser, ihre Besorgnis über die Entwicklung des Internets zu formulieren. Aber sie müssen sich bereit machen für das Internet der Dinge.
Warum ist unsere Vorstellung der zukünftigen Weltpolitik so stark von technologischen Lösungen für soziale Probleme geprägt? Meist lässt sich technologische Entwicklung besser als Evolution denn als Revolution beschreiben, und die gleiche Vorsicht sollte man auch beim Beschreiben der Veränderung internationaler Beziehungen walten lassen.
Die Weltpolitik hat sich im Verlauf der letzten 25 Jahre signifikant weiterentwickelt, vielfach aufgrund von technologischer Diffusion. Zu viele Experten haben diese Veränderungen heruntergespielt, weil sie Beweise für die direkte kausale Verbindung zwischen der schnellen Ausbreitung einer Technologie und sofortigen politischen Ergebnissen sehen wollen. Ich vermute, sie werden noch eine Weile darauf warten müssen. Ich glaube aber, dass sie wichtige Aspekte institutioneller Innovationen übersehen, für die es eine klare Beweisspur gibt. Es ist gefährlich, die Auswirkungen der digitalen Medien auf die Gestaltung globaler Politik zu ignorieren. Abwarten ist keine gute Strategie für gesellschaftliches Engagement – besonders dann, wenn das Internet der Dinge so wie vorhergesagt Gestalt annimmt.
Was also sollen wir tun? International müssen wir uns aktiv in den Prozess einschalten, globale Technologiestandards zu etablieren, so viel Offenheit und Interoperabilität wie...