1 Eine philosophische Basis: Der Mensch als »homo ludens«
Das Spiel stellt – nicht erst nach Huizinga (vgl. Huizinga 1938) – ein kulturelles Element dar: Spiel erscheint in der Kultur, Spiel wird durch Kultur real, Spiel ist Kultur. Mehr noch: Spiel bekommt eine kulturschaffende Funktion, wird lebendig und gestaltend in Fragen der Dichtung, des Wissens, ja sogar der Philosophie und der Kunst (vgl. Huizinga 1938, 75–278). Im Spiel stellt sich der Mensch somit in die kulturellen Bezüge seiner Welt: Diese werden im Spiel und durch Spielen generell geschaffen, verändert und in einigen Teilen sogar auch zu ernsten Themen und Vollzügen (wie z. B. in liturgischen Handlungen). Im Spiel erfährt das Kind ein Hineinkommen, ein Ankommen in die jeweilige Kultur – so z. B. durch die Rollenspiele. Das Spiel umfasst hierbei sowohl pädagogische als auch kulturprägende und sozialisierende Funktionen – so z. B. in der Entwicklung der Beziehung zwischen den Spielenden, im Kennenlernen von Normen und Werten einer Gesellschaft und vieles andere mehr. Weit über diesen argumentativen Kontext hinaus betrifft das Spiel nicht nur das Kind, sondern hat auch eine »Bedeutung für unsere Lebensführung« (Prange/Strobel-Eisele 2015, 120). Mit Bezug auf Huizinga stellen Prange und Strobel-Eisele fest, dass es »ohne Spiel keine Kultur (gibt)« (ebd.). Eine solchermaßen verstandene Wirksamkeit und Wirkmächtigkeit des Spiels führt dazu, dies sehr weit zu fassen, so dass mit Huizinga dargestellt werden kann, dass hierunter »alle sinndarstellenden Handlungen, in denen wir unser kollektives und individuelles Verständnis des Lebens ausdrücken[, fallen], d. h., wie wir uns und die anderen sehen« (ebd.). So wird auch der erwachsene Mensch zu einem spielenden Menschen: Er erfährt bzw. bringt kreativ im Spiel folgende Merkmale hervor:
Das Spiel ist immer eine freie Handlung. Das Spiel entsteht in Freiheit und erschafft hierbei auch Freiheit. Das Spiel ist nicht wirtschaftlich orientiert, sondern auf sich selbst bezogen – es genügt sich folglich selbst. Zu diesem Spiel gehören immer auch Raum und Zeit, also Spielraum und Spielzeit, in denen es stattzufinden vermag. Zu jedem Spiel gehören Regeln, welche je nach Spielform immer aber auch wieder verändert werden können – wie dieses im Regel-, aber auch im Funktionsspiel der Fall ist. Durch das Spiel erlebt der Mensch sich in der Erfahrung des »Als-ob«: Er tut so, als sei er jemand, jemand anderer, ein Ding, ein Tier, in einer anderen Welt usw. Last but not least: Durch all diese Merkmale erzeugt und erhält das Spiel Formen der Gemeinsamkeit zwischen den Spielenden. Es entstehen Dialog und Nähe (ebd., 121).
Auf diesem argumentativen Hintergrund erscheint »Leben als Spiel« (Schmidt 2005, 23). Leben und Spiel werden zu einer Lebenskunst verbunden, in welcher der Spielende sich mit dem Zufälligen, mit dem Widerständigen, mit unterschiedlichsten Ebenen der (weltlichen, gegenständlichen und menschlichen) Polarität auseinandersetzen muss, um so, mehr oder weniger, zu sich zu finden (ebd., 23–31). Das Spiel verfolgt hier, z. T. ohne es bewusst zu tun, unterschiedliche Ziele: Es ereignet sich an Schnittpunkten von bildenden, philosophischen und auf die Ästhetik bezogenen Handlungsspielräumen (vgl. Reitemeyer 2005, 47). In den Konkretionen des Spiels erfährt sich der Mensch, so zumindest Schiller recht treffend, erst recht als Mensch. Das Spiel stellt sich hierbei als »gestaltete Zeit« (Portmann 1976, 58) dar. Durch das Spiel bekommt die Zeit, welche ansonsten unscheinbar, unmerklich, unstrukturiert – vielleicht durch Arbeit organisiert – verfließt, eine individuelle Kantigkeit. Die Zeit erfährt eine deutliche Bestimmung, eine zutiefst subjekt-, aber auch auf den anderen bezogene Normierung, welche so einzig und allein durch das Spiel entstehen kann. Hierzu noch einmal Schiller: Der Mensch ist dort ganz Mensch, wo er spielt! Der ›homo ludens‹, welcher durch sein Spiel Kultur schafft bzw. wird, wird somit von klein auf in die Möglichkeitsräume des Spieles eingeführt, begeht und erforscht diese, konstruiert sie neu, gestaltet sie aus – und das am besten immer mit anderen, im Dialog mit diesen. Hieran anschließend werden in diesem einführenden Kapitel zwei weitere Aspekte zum menschlichen Spiel näher erläutert:
• das Spiel als grundlegendes Phänomen menschlichen Lebens,
• das Spiel als Identitätsmarkierung, bzw. als Konturierung der Identität.
1.1 Das Spiel als grundlegendes Phänomen menschlichen Lebens
Immer wenn wir als Mensch kreativ, gestaltend und dialogisch da sind, sind wir als mitspielende Menschen unterwegs. Spielen stellt sich somit als »Grundvollzug des menschlichen Daseins« (Zaborowski 2013, 131) dar. Hierzu noch einmal Zaborowski ausführlich:
»Das Spiel ist ein Phänomen, das – bei allen Unterschieden im Detail – in allen Kulturkreisen und geschichtlichen Epochen nachgewiesen werden kann: Immer spielen Menschen auch. Der Mensch ist nicht nur ein politisches Wesen, nicht nur ein Wesen, das über Sprache und Vernunft verfügt, nicht nur homo faber oder homo laborans, sondern auch ein homo ludens, der spielende Mensch, und zwar derart, dass er nicht das eine oder das andere wäre oder zu gewissen Zeiten das eine, dann, zu anderen Zeiten, das andere, sondern in einer derartigen Weise, dass sich in der Regel diese Grundzüge menschlicher Existenz lebendig durchdringen und aufeinander ›abfärben‹: Gerade auch in der Arbeit, im Herstellen oder in politischer Tätigkeit ist der Mensch auch und vor allem dies: ein Spieler.« (Zaborowski 2013, 132)
Durch das Spiel erlebt der Mensch aber auch seine Gegenseite: Elementar wird ihm deutlich, dass es eben nicht nur um Arbeit, um Streben, um Bemühen geht, sondern vielmehr um ein menschliches Miteinander, welches auch in Bezug auf die Endlichkeit spielerisch gedeutet werden kann. Der Mensch erlebt sich spielerisch in Auseinandersetzungen mit Tragik, mit Komik, mit Leben schlechthin (vgl. ebd., 135). In dieser Bedeutung des grundlegenden Charakters des Spiels für den Menschen stellen sich die Elemente der Zeit, des individuell Projektierenden und die Auseinandersetzung mit Alltäglichkeiten als weitere zentrale Merkmale dar.
In einem ersten Schritt kann nun im Hinblick auf den Erlebnisraum der Zeit, also auf die Relevanz für die Begegnungserfahrungen und das Erleben, was sich zeitlich orientiert alltäglich wiederholt, eine grundlegende Bedeutung des Spiels skizziert werden. In dieser Alltäglichkeit wird das Spiel zum Urphänomen, also im Sinne Goethes zu einer Dimension, die »die ursprüngliche Einheit in der Mannigfaltigkeit alles Seienden bezeichnet« (Röhrs 1981, 3). Hierdurch wird zudem angedeutet »dass das Spiel zu den konstitutiven Prinzipien des Lebens gehört, dass das Lebendige trägt und sich quer durch alle Lebensbereiche erstreckt [… somit] erweist [… es] sich sowohl unter ontogenetischem als auch unter phylogenetischem Aspekt als ein grundlegendes Prinzip, in dem das Leben über die jeweilige Bewährung zur Selbstvollendung findet« (ebd., 4). Das Spiel begleitet hierbei die Entwicklung eines jeden Menschen – und ist folglich im Rahmen heilpädagogischer Methoden und Konzepte sehr relevant – von seinen Ursprüngen an, in der Gestalt einer »motivierenden Tätigkeitsform« (ebd., 5). Es spricht diesen in seiner Personenhaftigkeit an, da es neben den intellektuell-kognitiven vor allem auch die sensomotorischen und emotionalen Erlebensbereiche in den Blick nimmt und aufeinander abstimmt. Dieses ereignet sich im Spiel immer in der Bezogenheit auf und in der Auseinandersetzung mit einer Umwelt, welche sich in Objektbereichen (also Spielmaterialien, räumlichen Gegebenheiten etc.) und Subjektgestalten (Spielpartner, Geschwister, Eltern, Pädagogen etc.) dem spielenden Kind zur kommunikativen Verständigung darbietet, denn »Verständigung im Spiel ist das Grundelement der Kommunikation« (ebd., 6). Folglich kann das Spiel auch als eine die Ausformung menschlicher Kommunikation erheblich mitbedingende »primäre Wirklichkeit begriffen« werden (Eichler 1979, 129).
Hierbei realisiert sich das Spiel erneut grundlegend auf dem Hintergrund der Zeit: Spiel stellt sich als gestaltete Zeit dar. Der Mensch erfährt Zeit als Ureigenschaft – Zeit bedingt alles und jeden, alles und jedes (Da-)Sein. Der Mensch ist in einem Zeitraum unwiderruflich eingespannt; er ist genötigt, diesen immer wieder sinnvoll (was immer das auch im Einzelfall konkret bedeuten mag) auszufüllen. Leben erscheint hierbei als realisierende Konkretisierung der Zeit »[…] ist Sinngebung...