Im Rahmen der Persönlichkeitspsychologie werden neurowissenschaftliche Erkenntnisse als ein Untersuchungsbereich gesehen. Die Persönlichkeitspsychologie hat im Laufe der Zeit vielfältige Paradigmen hervorgebracht, deren komplette Darstellung den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Der Vollständigkeit halber werden diese nur kurz genannt und das neurowissenschaftliche Paradigma wird anhand der Ausführungen von Roth und Roth/Strüber diskutiert.[41] [42]
Die Persönlichkeitspsychologie ist definiert als „ […] die empirische Wissenschaft von den individuellen Besonderheiten von Menschen in körperlicher Erscheinung, Verhalten und Erleben.“[43]
Persönlichkeit wird demgegenüber definiert als „[…] die nichtpathologische Individualität eines Menschen in körperlicher Erscheinung, Verhalten und Erleben im Vergleich zu einer Referenzpopulation von Menschen gleichen Alters und gleicher Kultur.“[44]
Insofern bilden Persönlichkeitsfaktoren aus Sicht des Autors die Grundlage auch aller Fragen, die es in Bezug auf motivationale Prozesse zu stellen gilt. Bereits Maslow hat in seinem Standardwerk „Motivation and Personality“ den Untersuchungsgegenstand der Motivation in die psychologischen und biologischen Grundlagen des Menschseins eingebettet.[45]
Auch, wenn die wissenschaftlichen Grundlagen der Forschung, damals noch nicht ausreichten, um menschlichen Verhaltens empirisch abgesichert erklären zu können, ist der generelle Untersuchungsansatz Maslows aus Sicht des Autors sicherlich in seiner grundlegenden Problemstellung auch heutzutage noch nachvollziehbar, wenn auch nicht hinreichend, um menschliches Verhalten konsistent abbilden zu können.
Asendorpf/Neyer unterscheiden sechs Paradigmen der Persönlichkeitspsychologie, unter denen auch das neurowissenschaftliche Paradigma genannt wird. Das Spektrum ist dehnt sich hier vom „Eigenschaftsparadigma“[46] über das „Informationsverarbeitungsparadigma“[47], das „dynamisch-interaktionistische Paradigma“[48] ,das „neurowissenschaftliche Paradigma“[49], das „molekulargenetische Paradigma“[50] bis hin zum „evolutionspsychologischen Paradigma“.[51]
Nimmt man die drei letzten, eher naturwissenschaftlich/biologisch orientierten Paradigmen und stellt sie den drei ersten eher geisteswissenschaftlich geprägten gegenüber, so zeigen sich unterschiedliche Entwicklungsstränge in der Persönlichkeitspsychologie, die jedoch offensichtlich im Sinne einer inter- oder sogar transdisziplinären Neuorientierung von Psychologie und Biologie (Neurowissenschaften) immer mehr konvergieren.
Aus Sicht des Autors ist es unumgänglich, um das Thema Motivation aus dem Blickwinkel der Hirnforschung zu bearbeiten, im ersten Schritt einen Überblick darüber zu bekommen, wie der Mensch und das menschliche Gehirn im Laufe der Entwicklung geprägt worden sind. Das setzt voraus, dass wir uns des Themas der Persönlichkeit des Menschen aus neurobiologischer und neuroanatomischer Sicht nähern müssen.
Im Folgenden wird deshalb das neurowissenschaftliche Paradigma zu Grunde gelegt, auch, weil zum hier eine sehr gute empirische Basis vorhanden ist, mit der sich motivationale Prozesse – aus der Persönlichkeit abgeleitet – fundiert erklären und sich damit auch für die Praxis des menschlichen Miteinanders wichtige Erkenntnisse gewinnen lassen. Eine neurobiologische und neurodynamische Theorie der Persönlichkeit, des Verhaltens und damit auch der Motivation, die moderne Erkenntnisse der neurowissenschaftlichen Forschung einbezieht, findet sich im Modell der vier Ebenen der Persönlichkeit.[52]
Dieses Modell wird im Folgenden beschrieben, da sich alle weiteren Ausführungen zur Motivation auf diese vier Ebenen beziehen und damit die Basis für die weitere Argumentation bildet.
Die Darstellung der vier Ebenen der Persönlichkeit in den folgenden Kapiteln lehnt sich an Roth an.[53] Der Autor dieser Arbeit nutzt dieses Modell, um die neurowissenschaftliche Basis für das Thema Motivation sicherzustellen und, wo passend auch anhand des Modells zu erklären.
Die vier Ebenen der Persönlichkeit haben – neben einer uns allen Menschen gegebenen - stammesgeschichtlichen Prägung als Homo Sapiens immer eine individuelle genetische und epigenetische Komponente. Diese determinieren einen nicht unwesentlichen Teil unserer individuellen Hirnentwicklung und damit auch unseres Temperamentes und unserer Persönlichkeit.
Darüber hinaus spielt die emotionale Entwicklung des Menschen eine ganz besondere Rolle. Hier kommt der Phase der vorgeburtlichen emotionalen Erfahrung bereits im Mutterleib eine besondere Rolle zu. Erfahrungen der Mutter während dieser Zeit gehen über nervliche, hormonelle und neuromodulatorische Beeinflussungsfaktoren relativ ungefiltert auf das ungeborene Kind über.
Ein weiterer prägender Faktor liegt in der Phase der frühen Kindheit bis ca. dem dritten Lebensjahr, hier ist insbesondere die frühkindliche Bindungserfahrung des Kindes zu seiner Mutter hervorzuheben.
„Versucht man sich an die eigene Kindheit zu erinnern, so fällt auf, dass Erinnerungen an die ersten zwei bis drei Jahre nicht möglich sind. Dieses Phänomen wird seit Sigmund Freud als infantile Amnesie bezeichnet.“[54]
Diese Erfahrungen sind uns nicht bewusst zugänglich, sie gehören zum emotionalen Gedächtnis, prägen jedoch unsere Persönlichkeit in ganz entscheidender Weise.
Aufgrund der Erkenntnisse der prägenden Wirkung schon im Mutterleib beginnt die emotionale Konditionierung offensichtlich nicht erst nach der Geburt, sondern bereits pränatal.
Nach dieser pränatalen, frühkindlichen Phase folgt die weitere Sozialisation, die bis ins Erwachsenenalter anhält. Begleitet werden diese späteren Sozialisationsprozesse von der Entwicklung eines Selbstkonzeptes, d.h. von Bewusstsein.
Für den dieser Arbeit zugrunde liegenden Untersuchungsgegenstand der Motivation und der vor allen Dingen damit verbundenen emotionalen Prägung, wird im Folgenden vom Vier-Ebenen-Modell ausgegangen und auch davon, dass gerade die in der frühen Phase erworbenen emotionalen Prägungen (die der infantilen Amnesie unterliegen) bis ins hohe Alter hinein wirksam sind und unser Verhalten und damit auch motivationale Phänomene entscheidend beeinflussen.
Die vier Ebenen der Persönlichkeit
Abbildung 2: Eigene Abbildung des Vier-Ebenen-Modells der Persönlichkeit nach Roth.[55]
Die im Nachfolgenden beschriebenen vier Ebenen der Persönlichkeit sind entscheidende Determinanten menschlichen Verhaltens. Die beiden unteren Ebenen teilen wir mit vielen tierischen Verwandten aus dem Reich der Wirbeltiere. Je näher die phylogenetische Verwandtschaft zwischen Spezies ist, umso ähnlicher sind sich offensichtlich auch die Ausprägungen der beiden unteren limbischen Ebenen.
Durch die dann folgende obere limbische Ebene und die Ebene des kognitiv-kommunikativen Ichs differenziert sich der Mensch dann deutlich vom übrigen Tierreich. Dies geschieht auf der dritten limbischen Ebene insbesondere durch Lernen in sozialen Kontexten, also durch Erziehung. Auf der 4. Ebene, die sich parallel zum limbischen Cortex entwickelt, ist dann der Ort dessen, was dem Homo Sapiens einst den Namen gab. Hier liegt unser Verstand, die Intelligenz sowie die sprachlich-grammatikalische Entwicklung, die über die einfachen kommunikativen Laute der Tierwelt hinausgehen.[56] [57]
Wenn im weiteren Verlauf von motivationalen Phänomenen die Rede sein wird, so sind diese Prozesse aus Sicht des Autors nur durch Rückgriff auf die vier Ebenen der Persönlichkeit annähernd zu verstehen. Ebenso sind Veränderungsprozesse, die auf eine „Motivierung“ der Individuen abzielen, nur mit einer wissenschaftlichen Fundierung, die sich aus dem Vier-Ebenen-Modell ableitet, wirklich wirksam. Dazu wird im späteren Verlauf der vorliegenden Arbeit noch einzugehen sein.
Die unterste limbische Ebene entwickelt sich bereits im Mutterleib und wird von genetischen und epigenetischen Vorgängen wesentlich beeinflusst. „Die von dieser Ebene ausgehenden Antrieb und Affektzustände bilden unser stammesgeschichtliches Erbe.“[58] Die wichtigsten Körperfunktionen und die angeborenen Verhaltensweisen,...