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E-Book

Gefährliche Mission

Die Geschichte des erfolgreichsten deutschen Terrorfahnders

AutorOliver Schröm
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl320 Seiten
ISBN9783105617168
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Erstmals gelang es einem Journalisten, ganz nah an den erfolgreichsten Terrorfahnder Deutschlands heranzukommen. Dem preisgekrönten Autor Oliver Schröm offenbart der »Mann für gefährliche Missionen« die Hintergründe und Abläufe bislang streng geheim gehaltener internationaler Anti-Terror-Operationen. Hervorragend recherchiert und exzellent geschrieben. Ein Doku-Thriller der Sonderklasse. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Oliver Schröm, Jahrgang 1964, ist preisgekrönter Journalist und Buchautor. Mit seinen investigativen Reportagen über das Netzwerk Al Qaida, erschienen in der ?Zeit?, im ?Stern? und in der ?Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung?, sorgte er im In- und Ausland für großes Aufsehen.

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Leseprobe

Teil 1 Im Fadenkreuz palästinensischer Terroristen


Nikosia, Zypern, 7. Dezember 1989


Als er das kalte Metall an seiner Schläfe spürt, weiß Richard Böttcher, dass es ein Fehler war, so einfach in das Haus zu gehen. Er hätte damit rechnen müssen, dass hinter der Tür ein Leibwächter postiert ist. Aber jetzt ist es zu spät. Böttcher fühlt, wie sein Puls schneller geht. Er wagt nicht, sich zu bewegen.

Es dauert einige Sekunden, bis sich seine Augen an das Licht in dem dunklen Flur gewöhnen. Als sich sein Blick klärt, erkennt er aus den Augenwinkeln, was ihn bedroht. Adrenalin schießt ihm ins Blut. Aus der Dunkelheit ragt der Gewehrlauf eines Sturmgewehrs sowjetischer Bauart, einer Kalaschnikow. Sein Herz rast.

Böttcher nimmt die Person nicht wahr, die ihm die Mündung des Gewehrs ins Fleisch bohrt. Er schielt nur auf die Hand. Der Zeigefinger liegt am Abzug der Kalaschnikow. Böttcher wagt es immer noch nicht, sich zu rühren. Die Sekunden scheinen sich bis zur Unendlichkeit auszudehnen. Er fühlt nichts außer seinem Herzschlag. Der Finger am Abzug krümmt sich mehr und mehr.

Plötzlich hört er Schritte. Böttcher löst seinen Blick, dreht seinen Kopf leicht zur Seite und schaut seinem Gegenüber ins Gesicht. Wie durch ein Vergrößerungsglas erkennt er jede Pore in dem scharf geschnittenen Antlitz eines jungen Arabers, der ihn mit aufgerissenen Augen anstarrt. Böttcher kämpft gegen die Panik an, der Bursche könnte die Nerven verlieren.

Die Schritte kommen näher. Die Augen seines Gegenübers huschen hin und her. Abwechselnd schaut der junge Araber zu Böttcher, dann wieder in Richtung der Schritte, die nun verstummen. Vorsichtig dreht auch Böttcher seinen Kopf. Nur wenige Meter von ihm entfernt steht ein Mann. Böttcher mustert ihn mit geübtem Blick. Der Mann trägt Anzugshose und Hemd. Er sieht aus, als wollte er gerade das Haus verlassen und sich nur noch schnell ein Jackett überziehen. Der Mann hebt seine rechte Hand. Eine Geste, die dem Araber befiehlt, nicht gleich zu schießen, wie Böttcher erleichtert registriert. Böttcher kennt den Mann, der ihm drei Meter entfernt gegenübersteht. Er ist ein berüchtigter, palästinensischer Terrorist. Sein Name: Abu Walid al Iraki. Seinetwegen ist er hier.

 

Böttcher ist verblüfft. Abu Walid hat sich kaum verändert, seit sie sich das letzte Mal gesehen haben. Noch immer hängt ihm eine Locke tief in die Stirn seines markanten Gesichts, und das Menjou-Bärtchen sieht immer noch aus wie angeklebt. Lediglich die grau melierten Kopf- und Barthaare verraten, dass seit ihrem letzten Zusammentreffen zehn Jahre vergangen sind.

Die Augen von Abu Walid fixieren Böttcher. Er sagt kein Wort. Böttcher hält dem Blick stand. Aber das Schweigen zerrt an seinen Nerven. Er sieht Abu Walid an, dass er sich zu erinnern versucht, woher sie sich kennen. Böttcher kämpft gegen den Gedanken an, dass Abu Walid falsche Schlüsse ziehen könnte. Wenn Abu Walid seine Hand herunternimmt, wäre dies sein Todesurteil.

Böttcher weiß nur zu gut, dass Abu Walid es gewohnt ist, Todesurteile zu fällen. Nach unbestätigten Geheimdienstberichten saß Abu Walid mit am Tisch, als eine Runde palästinensischer Terroristen im Sommer vergangenen Jahres im libyschen Tripolis beschloss, einen tödlichen Irrtum zu rächen. Der US-Kreuzer »Vincennes« hatte kurz zuvor, im Juli 1988, versehentlich einen iranischen Airbus über dem Persischen Golf abgeschossen. Bei einem Vergeltungsanschlag sollten nun möglichst viele US-Amerikaner ums Leben kommen.

Einen Monat nach dem Treffen explodierte über dem schottischen Lockerbie eine Passagiermaschine der amerikanischen Fluggesellschaft PanAm. Die Boeing stürzte mitten in das schottische Städtchen und hinterließ eine tiefe Schneise der Verwüstung. 270 Menschen starben. Wer wirklich hinter diesem Anschlag steckte, ist unklar. Neben dem libyschen Diktator Muammar al-Gaddafi werden auch iranische Mullahs als mögliche Auftraggeber genannt. Angeblich haben sie den Attentätern zehn Millionen Dollar Belohnung versprochen.

Mittlerweile beschäftigt der Terroranschlag auch deutsche Ermittlungsbehörden. Der Koffer mit der Bombe wurde vermutlich am Frankfurter Flughafen aufgegeben. Jedenfalls startete PanAm-Flug 103 immer in Frankfurt und flog dann über London nach New York. Aber Böttcher ist nicht hierher gekommen, um sich mit Abu Walid über den Anschlag von Lockerbie zu unterhalten.

Im Augenblick hat Böttcher den Eindruck, dass sich Abu Walid mit ihm nicht einmal über das Wetter unterhalten würde. Wortlos starrt ihn der Palästinenser an. Böttcher kennt den Blick von früher. Unter den tief hängende Lidern verengen sich seine Augen zu schmalen Schlitzen. Ganz offensichtlich durchforstet er noch immer sein Gedächtnis, in welchem Zusammenhang sie sich schon einmal begegnet sind. Fieberhaft überlegt Böttcher, wie er die Situation entspannen kann. Er muss Abu Walid irgendwie auf die Sprünge helfen.

»Erinnerst du dich?«, sagt er mit gespielter Herzlichkeit, als würde er einen verloren geglaubten Freund wiedersehen.

Keine Reaktion.

Böttcher holt tief Luft. Sein Herz rast weiter. Misstrauisch starrt ihn Abu Walid an. Die Spannung im Raum steigert sich ins Unermessliche. Der Lauf der Kalaschnikow drückt ihm noch immer ins Fleisch. Nun kommt es darauf an. Wenn Abu Walid nicht sofort reagiert, ist es vorbei, denkt Böttcher. In diesem Moment heben sich die Mundwinkel von Abu Walid zu einem kaum merklichen Lächeln.

Böttcher atmet auf.

Abu Walid sagt etwas auf Arabisch. Der Leibwächter lässt die Kalaschnikow sinken, ohne jedoch den Finger vom Abzug zu nehmen.

»Was willst du?«, wendet sich Abu Walid auf Englisch an Böttcher. Sein Gesicht hat nun einen leicht amüsierten Ausdruck.

Böttcher zögert einen Moment, bevor er antwortet. »Reden«, sagt er und sieht ihn direkt an.

Mit einem Kopfnicken gibt ihm Abu Walid zu verstehen, dass er hören will, was Böttcher mitzuteilen hat.

Böttcher hat einen ganz trockenen Mund. Schweißperlen rinnen ihm den Rücken hinunter. Er schluckt, bevor er zu seiner eigenen Überraschung mit fester Stimme sagt: »Da draußen im Auto sitzt ein Freund von mir, der sich gerne mit dir einmal unterhalten will.«

Ein kurzes Schweigen tritt ein. »Worüber?«, entgegnet Abu Walid, ohne den Blick von Böttcher abzuwenden.

Böttcher ist nun etwas ruhiger. Sein Puls verlangsamt sich allmählich. Als er antwortet, spricht Böttcher ruhig und nachdrücklich. »Ich nehme mal an, es geht darum, einen inoffiziellen Kontakt zur PLO-Führung aufzubauen, sozusagen einen direkten Draht zu Arafat. Und da sie wissen, dass wir beide uns kennen, baten sie mich, den Kontakt herzustellen.«

Abu Walid lässt sich einen Moment Zeit, als würde er das Für und Wider abwägen. Böttcher weiß, dass dieses Zögern nur Theater ist. Ein solches Angebot kann Abu Walid nicht eigenmächtig ausschlagen. Zumindest muss er Rücksprache halten. Vielleicht sogar mit PLO-Führer Jassir Arafat persönlich.

»Okay«, sagt Abu Walid. »Wir melden uns.« Böttcher nickt. Vorerst gibt es nichts mehr zu bereden.

Der Leibwächter weicht keinen Millimeter zurück, als Böttcher an ihm vorbei zum Ausgang geht. Beim Hinausgehen spürt Böttcher die feindseligen Blicke des Leibwächters, der den rechten Zeigefinger noch immer nicht vom Abzug gelöst hat. Sein Puls nimmt wieder Fahrt auf.

 

Als Böttcher aus dem dunklen Flur ins Freie tritt, ist er für einen Moment geblendet. Anders als im nasskalten Deutschland scheint auf Zypern auch im Dezember die Sonne. Sie taucht die Insel in ein mattgoldenes Licht. Noch nie hat Böttcher ein vergleichbares Naturschauspiel erlebt. Dabei ist er weiß Gott viel in der Welt herumgekommen. Das bringt sein Job so mit, sich. Seit zehn Jahren arbeitet er als Terroristenfahnder beim Bundeskriminalamt. Er lebt mehr oder weniger aus dem Koffer. Wobei Böttcher sich angewöhnt hat, nur mit Handgepäck zu reisen, unabhängig davon, wohin ihn sein Auftrag führt.

Manchmal wacht er morgens auf und weiß nicht, in welcher Stadt oder in welchem Land er sich gerade befindet. Nur eines weiß Böttcher immer, egal wie viel er am Abend zuvor getrunken hat: wie sein Tarnname lautet und mit welcher Legende er unterwegs ist. Er hat gelernt, innerhalb von Sekunden in eine andere Identität zu schlüpfen.

Aber diese Fähigkeit hätte ihm vor ein paar Minuten auch nichts genützt. Wenn der Leibwächter abgedrückt hätte, wäre von ihm nicht mehr viel übrig geblieben. Böttcher hat keine große Ahnung von Waffen. Außer auf dem Schießstand hat er noch nie von seiner Dienstwaffe Gebrauch gemacht. Aber es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, was ein Schnellfeuergewehr anrichtet, wenn es aus so kurzer Entfernung abgefeuert wird. Von seinem Kopf wäre nicht viel übrig geblieben. Im BKA hätten sie Schwierigkeiten gehabt, seinen Leichnam zu identifizieren. Falls es überhaupt eine Leiche gegeben hätte. Die Palästinenser hätten sie vermutlich verschwinden lassen, im Mittelmeer oder in einem Betonpfeiler auf einer der vielen Baustellen auf der Insel.

Böttcher spürt, wie die Anspannung sein Herz noch immer schnell schlagen lässt. Er kneift die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Im gleißenden Licht zeichnet sich die Silhouette eines Mannes ab, der mit schnellen Schritten auf ihn zukommt. Der Mann hat dichtes graues Haar, ist Anfang fünfzig, bewegt sich aber erstaunlich geschmeidig für sein Alter. Nach einem kurzen Moment kann er sein Gesicht erkennen. Es ist Egon Schmitt, sein Freund und Partner....

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