Bateson, Gregory
LEBENSDATEN: Geboren in Cambridge 1904, gestorben in San Francisco 1980. Biologe, Anthropologe, Psychologe. – Die Mitformulierung der »Double-Bind-Theorie« (Entstehung von Schizophrenie im Kontext von familiärer Kommunikationsstörung) macht ihn zu einem wichtigen Begründer der systemischen und Familientherapie.
HAUPTWERKE: Schizophrenie und Familie (1969), Ökologie des Geistes (1972), Geist und Natur (1979).
WÜRDIGUNG: »Am bekanntesten ist er [Gregory Bateson] für die Formulierung des Interaktionsprinzips des Double-Bind. Sie entstand aus seiner Arbeit mit Schizophrenen und ihren Familien in Kalifornien, und es ist lehrreich, den Ursprung dieser Idee zu verfolgen, um nachzuvollziehen, wie fein seine eigene Wahrnehmung und sein eigener Geist arbeiteten. Schizophrene, so fiel ihm in den Fünfzigerjahren am Hospital für Kriegsveteranen in Menlo Park auf, verhielten sich, als würden sie bestraft, dürften das aber nicht merken; als ob sie verstünden, dass sie für eine Abwehrhaltung bestraft würden. Könnte nicht dieses Wissen um die Bestrafung, das geleugnet werden muss, als ein Verbot des gelernten Lernens beschrieben werden? Als ein Ins-Unrecht-gesetzt-Werden für das, was man weiß? Muss diese Verwirrung nicht zwangsläufig auch zu geistiger und seelischer Verwirrung führen? Wäre nicht ein Kind, das einem solchen Interaktionsfeld mit seinen Eltern nicht entrinnen kann, das weder Liebe spürt noch sagen kann, dass es sich nicht geliebt fühlt, der Logik des Falles folgend, zu Verhaltensstörungen gezwungen?
So lacht der Schizophrene z. B. albern, wenn seine Mutter mit ihm spricht, oder er erscheint gefühlsmäßig gelähmt, oder er sagt etwas Bizarres – aber dennoch Bedeutungsvolles – wie: ›Meine Mutter ist ein U-Boot, das ich nicht sehen kann.‹
Und wenn der Therapeut weiß, worauf zu achten und zu hören ist, dann wird er beim Schizophrenen diese Anzeichen, diese Symbole verneinter Gefühle entdecken und kann mit ihm in Kontakt treten.
Der Therapeut kann dann vermitteln: ›Natürlich fühlst du dich verletzt und ängstlich und erwartest, dass dich jemand verwirrt. Ich verstehe, wie schrecklich das ist. Lass uns zusammen diesen Terror ansehen, als Freunde.‹
Die Double-Bind-Theorie, wie diese Leugnungsstruktur später genannt wurde, fand in der professionellen Psychologie größte Beachtung. […]
Aber wenn es gelingt [aus dem Chaos der Double-Bind-Erfahrung] emporzusteigen, so schreibt Bateson in seinem Essay ›Die logischen Kategorien von Lernen und Kommunikation‹, dann ›geht persönliche Identität in all den Beziehungsprozessen in einer umfassenden Ökologie der kosmischen Interaktion auf. Jedes Detail des Universums wird als Möglichkeit eines Überblicks über das Ganze betrachtet.‹
Hier ist das Selbst ›eine gewisse Irrelevanz‹ – das ist seine sehr englisch klingende Erläuterung von Kafkas taoistischer Maxime ›Unendlich-klein-Sein‹. Batesons eigenes Denken allerdings, das immer interaktiv ausgerichtet ist, sucht nach dem größtmöglichen Eintauchen ins System. Wie er mir einmal sagte: ›Leben durch das, was passiert.‹
Am meisten in seiner Schuld stehen heute die systemorientierten Therapeuten in der Familien-, Gruppen- und Einzeltherapie, in denen die Therapeuten ihre Arbeit als von Grund auf dialogisch neu definiert haben. Er selber allerdings stand den Therapeuten keineswegs freundlich gegenüber, denn er hielt sie für machtgierig und im konditionierten Leben beheimatet. Bateson war der Auffassung, dass die Therapeuten ihre Klienten lediglich eine geschicktere Version der Lebensbegrenzung lehrten.
Er wollte Klarheit über das Ganze, und ebenso wie für Kafka bedeutete Klarheit für ihn das Akzeptieren des Paradoxes, das taoistische Gespür für ein Gleichgewicht, welches das Paradox mit einschließt. Die Notwendigkeit, dieses Gleichgewicht anzuerkennen, ist Bateson das Wichtigste, so wie in der Natur die ökologischen Kräfte einen Ausgleich zwischen Freiheit und gegebener Ordnung herstellen, und wie im menschlichen Leben sowohl die Kunst als auch die Wissenschaft ein Gleichgewicht zwischen Fantasie und Starre erhalten. ›Zuviel Fantasie‹, pflegte Bateson zu sagen, ›und man landet in der Klapsmühle. Zuviel Starre, und man ist tot.‹
Mit seiner Einstellung des mitfühlenden Gewährens konnte er nur eine Therapie gutheißen, die klarmacht, wie komplex dieses Gleichgewicht ist. Für ihn bedeutet diese Klarheit Gnade« (Stephen Schoen, in: Wenn Sonne und Mond Zweifel hätten [1996], Wuppertal 2004, S. 48ff).
SIEHE AUCH: Systemische Therapie
Bedürfnis
ETHYMOLOGIE: Der Wortstamm zu »dürfen« hat sprachgeschichtlich Bedeutungen von »sich sättigen« über »sich erfreuen« bis zu »entbehren« angenommen und erst spät den Sinn von »erlauben« erhalten. Die negativen Schattierungen sind noch heute in »dürftig« (mangelhaft) und »bedürftig« (arm) lebendig.
In der modernen Psychologie wird das Wort meist geradezu gleichbedeutend für jeden tiefergehenden »Wunsch« verwendet (davon unterschieden werden dann »Grundbedürfnisse«, ohne deren Befriedigung der menschliche Organismus – wahrscheinlich, angeblich – abstirbt; der englische Begriff »needs« betont diesen Aspekt). In der antiken und mittelalterlichen Psychologie steht dafür »Hunger« (»appetitus«), was auch die gestalttherapeutisch interessante Nahrungsanalogie des Lebens unterstreicht.
Die ursprünglichen Begriffe »Begehr[en]« und »Begierde« klingen heute altertümlich und werden nur noch in speziellen Situationen verwendet, z. B. ironisierend oder moralisiernd für übersteigerte (sinnliche) Bedürfnisse.
BEDEUTUNG FÜR DIE GESTALTTHERAPIE: Gestalttherapeutisch gesehen ist jedes Bedürfnis gleichzusetzen mit einem Wunsch nach Veränderung und beinhaltet somit einen aggressiven Akt, den der Organismus gegen die Umwelt ausführt. Das Bedürfnis ist ein Ungleichgewicht zwischen Umwelt und Organismus zu Ungunsten des Organismus’, der nach Ausgleich sucht.
Unter den verschiedenen, zum Teil in Konkurrenz zueinander stehenden Bedürfnissen schafft der Organismus durch spontane Wertungen Prioritäten, also eine Bedürfnishierarchie hinsichtlich ihrer Wichtigkeit. Daraus lässt sich gestalttherapeutisch gesehen wohlgemerkt keine starre, für alle Menschen gleichlautende »Pyramide der Bedürfnisse« erstellen; die Prioritäten sind vielmehr für jeden anders.
Prioritäten können auch »neurotisch« sein, das heißt, dass die eingeschlagenen Handlungsrichtungen nie zur wirklichen Befriedigung führen und der Lernprozess behindert ist. Die neurotische Strategie der Nichtbefriedigung von Bedürfnissen muss zunächst auch funktional gewürdigt werden als kreative Lösung eines Problems; wenn z. B. der öffentliche Ausdruck von tiefer religiöser Frömmigkeit als lächerlich geächtet wird, tut ein religiös bedürftiger Mensch gut daran, sich neurotisch an der Befriedigung seines Bedürfnisses zu hindern.
Ein Bedürfnis selbst kann als Bedürfnis nie angezweifelt werden. Die Frage kann nie lauten, ob jemandem ein Bedürfnis erlaubt sei. Die Unterdrückung eines Bedürfnisses ist selbst dann problematisch, wenn, aus welchen Gründen auch immer, dessen Befriedigung (zunächst) unmöglich erscheint. Erst wenn alle Bedürfnisse ins Gewahrsein gehoben worden sind, kann eine Abwägung zwischen ihren Wichtigkeiten (Priorisierung) erfolgen, und es kann nach der sozialen Verträglichkeit der Umsetzung in Handlung gefragt werden. Vernunft, Bewusstsein und Ethik regeln sinnvollerweise nicht das Haben von Bedürfnissen, sondern erst die aus ihnen resultierenden Handlungen. Bedürfnisse aus Angst vor Frustrationen, die aus der Nichtumsetzbarkeit erfolgen könnten, gar nicht mehr zu spüren, ist zwar eine verständliche, aber auch »krankmachende« Vorgehensweise.
SIEHE AUCH: Aggression; Befriedigung; Bewusstsein; Ethik; Gestaltwelle; Gewahrsein; Neurose; Selbst
Bedürfnishierarchie
Bedürfnispriorität
SIEHE Bedürfnis; Gestaltwelle
Befriedigung
ETYMOLOGIE: Das Verb »befriedigen« wurde im 15. Jh. aus »Frieden« (Schonung, Freundschaft, geschützt) gebildet, dann seit dem 16. Jh. im Sinne von »zufrieden« (zu Frieden setzen, zur Ruhe bringen) verwendet. Substantivisch erst seit der deutschen Klassik gebraucht.
BEDEUTUNG FÜR DIE GESTALTTHERAPIE: Der Abbau der Spannung, nachdem durch einen aggressiven Akt Umweltressourcen einverleibt und verdaut wurden, führt zu einem Schließen der Gestalt, zum Abschluss der »Gestaltwelle«. Im...