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Eine ?Reise ins Leben oder wie ich lernte?,? die Angst vor dem Tod zu überwinden

AutorSaskia Jungnikl
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783104037868
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
***Von einer, die auszog, vom Sterben das Leben zu lernen*** Wie viele von uns hat Saskia Jungnikl Angst vor dem Tod. Vor allem seit ihr Vater gestorben ist. Doch anstatt sich weiter zu fürchten, sucht sie den Tod auf: im Leichenschauhaus, bei Bestattern, in einem Hospiz. Sie begibt sich auf Spurensuche, lernt, wie Religionen mit dem Tod und der Frage, was danach kommt, umgehen. Sie findet heraus, was Philosophen über das Sterben denken, und spricht auf ihrem Weg mit den unterschiedlichsten Menschen - vom Rechtsmediziner bis zum evangelischen Bischof -, um mehr über den Tod zu erfahren. Und erfährt doch immer mehr über das Leben.

Die österreichische Autorin und Journalistin Saskia Jungnikl wurde 1981 im Südburgenland geboren. Sie lebt und arbeitet in Hamburg, Wien und im Südburgenland und wurde mit mehreren Journalistenpreisen ausgezeichnet. 2014 erschien ihr vielbeachtetes Buch 'Papa hat sich erschossen'. Sie ist Kolumnistin des Monatsmagazins 'Datum', regelmäßig erscheinen Texte von ihr auf den Österreich-Seiten der 'Zeit'.

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Leseprobe

Reden wir über den Tod


Do not go gentle into that good night.

Rage, rage against the dying of the light.

Dylan Thomas

»Wo ist das Klebeband?«

»Keine Ahnung.«

»Herrje, wo ist dieses verdammte Klebeband?«

»Ganz ruhig, ich weiß es nicht. Wir finden es schon.« Florian taucht hinter einem Berg Kartons auf und grinst mich an.

»Entschuldige. Ich hasse umziehen.«

»Sag bloß.«

Florian ist mein Mann. Mein bester Freund. Wir lernen einander im Büro kennen, vier Jahre nach dem Tod meines Vaters, wir schreiben einander Nachrichten, gehen ein paarmal miteinander aus, werden erst Freunde und später dann mehr. Er war nach dem Suizid meines Vaters der erste Mann, bei dem ich mich wieder völlig sicher gefühlt habe. Als er einen neuen Job in Hamburg angenommen und mich gefragt hat, ob ich mit ihm kommen würde, konnte ich völlig frei und ohne Angst sagen: ja, klar. Im Jahr zuvor hatte ich ein Buch über den Tod meines Vaters geschrieben. Ich wollte zeigen, wie es ist, wenn jemand, den man liebt, sich tötet. Wie schwer es ist, sich in der Stille um dieses Tabu zu behaupten. Ich wollte diese Stille durchbrechen, und das ist mir gelungen. Ich habe einen schweren Teil meines Lebens aufgearbeitet, es war wie eine Befreiung. Es schien nur richtig, danach auch alles andere hinter mir zu lassen.

Florian und ich haben also unsere Sachen gepackt, und im Herbst sind wir umgezogen. Der Umzug war anstrengend, wie Umzüge das eben sind, aber er ging vorbei, und alles an Hamburg war aufregend und neu und spannend, und ich hatte das Gefühl, endlich, endlich kann ich mich um mich selbst kümmern.

Und das ließ sich auch gut an. Ich verbrachte viel Zeit damit, Pflanzen umzutopfen, Serien zu schauen, neue Cocktail-Rezepte auszuprobieren, und Artikel für Zeitschriften zu schreiben. Ich habe Interviews zu meinem ersten Buch über den Tod meines Vaters gegeben, war bei Lesungen und habe Seminare abgehalten. Das Leben lief gut. Einige Wochen lang.

Und dann konnte ich nicht mehr einschlafen.

Im Grunde war das nichts Neues. Die Angst vor dem Tod wurde mir angelernt. Vier Jahre vor meinem Vater starb mein Bruder, plötzlich, im Schlaf, an einem geplatzten Blutgerinnsel im Kopf. Dann starb mein Vater, und nach jedem Todesfall hat Adrenalin meinen Körper wochenlang überschwemmt. War das Adrenalin weg, war die Angst wieder größer.

Doch diesmal war das anders. Mir ging es eigentlich gut. Der Schmerz meiner Vergangenheit war verblasst und ich wollte genießen und weitermachen. Früher kam in ruhigen Momenten in jenen, die man sich schafft, um sich wohl zu fühlen, in denen man sich auf das Leben richtig einlässt, wo es nichts Großes braucht, um sich abzulenken, in diesen Momenten kam immer eine Stimme. Eine Stimme, die mir sagte, fühl dich bloß nicht zu wohl. Sei dir bloß nicht zu sicher. Alles kann wieder weg sein, von einem Moment auf den anderen. Alles wird wieder weg sein.

Der Tod, er hinterlässt vor allem Unsicherheit. Er kommt, wann er will. Er gibt nicht Bescheid, und die Welt, die er zurücklässt, ist eine andere. Wenn die Stimme da war, war ich vom Sofa schon wieder herunter. Angst ist ein unglaublich guter Antreiber. Mein Vater hat sich in den Hinterkopf geschossen, sein Gesicht bleibt unverletzt, und ich werde mich für immer an diesen Moment in der Leichenhalle erinnern, als ich sein Gesicht anstarre, das so friedlich wirkt, und ich mich von ihm verabschiede und ihn dann Minute um Minute anstarre in der Hoffnung, er würde mir noch eine Antwort geben. Eine letzte. Ich kriege sie nie. Ich muss sie mir selbst geben und es selbst in die Hand nehmen, und diese Kontrolle gebe ich anschließend nie wieder ab. Seither habe ich schreckliche Angst vor dem Tod.

Dem größten Kontrollverlust überhaupt.

Aber mit den Jahren wurde diese Angst weniger und die Stimme leiser, und als ich dann einige Zeit mit Florian zusammen war, da war mein Leben wieder ruhiger und die Stimme weg. Ich war bereit für Neues.

Und dann kam die Angst mit Wucht zurück. Angst um mich. Panische Angst vor dem Tod. Davor, dass ich nicht mehr aufwachen werde, wenn ich abends einschlafe. Davor, dass ich auf der Autobahn fahre und mich jemand rammt und ich bin tot. Einfach so. Dass so etwas überhaupt möglich sein soll, dass ich überhaupt sterben muss, scheint mir wie ein schlechter Scherz. Ein Affront.

Ich will nicht tot sein. Niemals. Es gibt mir ein entsetzliches Gefühl, dass ich auf einmal nicht mehr da sein könnte. Mein Da-Sein, mein Bewusstsein zu verlieren und nicht mehr zu existieren.

Ich weiß schon, kaum ein anderes Thema ist so beladen und so aufgeladen wie die Angst vor dem Tod. Die Menschen fürchten ihn aus unterschiedlichen Gründen. Manche haben Angst, dass die Menschen sterben, die sie lieben. Manche haben Angst vor Alter und Krankheit. Manche haben Angst vor dem Sterben, einem möglichen Dahinsiechen. Manche finden die Vorstellung verstörend, in alle Ewigkeit zu verwesen. Das alles ist mir egal.

Nein, mir ist nicht egal, ob jemand stirbt, den ich liebe. Das macht mir auch Angst. Mehr Angst macht mir aber, dass ich diejenige sein könnte, die stirbt. Vermutlich ist das ein Zeichen von Narzissmus. Vielleicht eines von übersteigertem Egoismus. Auch das ist mir egal. Ich nehme mich im Leben nicht übermäßig wichtig, ich glaube nicht, dass ich irgendetwas herausragend gut kann oder dass die Welt mir etwas schuldet. Ich will nur eines, und zwar nicht sterben. Ich will übrig bleiben. Nach meinem Tod ist nichts mehr, mein Tod macht mein Leben sinnlos. Er setzt den Schlusspunkt. Er ist das Einzige, das niemals passieren darf.

All meine Lebensjahre hindurch habe ich gelernt, mir Dinge angeeignet, mich weitergebildet, ich habe mich aufgerappelt, nach jedem Schicksalsschlag und jedem Schmerz, immer wieder, und das soll das Ergebnis sein? Der Tod? Nein, damit finde ich mich nicht ab. Ich kann nicht. Und das ist ein Problem.

Ich kann nämlich nicht mehr schlafen.

Ich kann mich nicht entspannen. Ich kann nicht loslassen. Ich weiß nicht, wann ich sterben werde, wie viel Zeit mir noch bleibt, was ich noch tun kann und sollte, und ob es nicht vielleicht ohnehin egal ist. Also trinke ich Wein und Tee und rauche Joints, und alles hilft mir kurzzeitig, aber dann wache ich eben mitten in der Nacht auf und kann anschließend nicht mehr einschlafen.

Und wenn ich dann wach liege, denke ich darüber nach, was ich alles verpassen werde! Nachdem mein Vater tot war, wurde Barack Obama Präsident der USA, und ich konnte nur noch daran denken, dass mein Vater, dieser interessierte, aufgeklärte Mensch nie erleben konnte, dass ein Schwarzer Präsident der Vereinigten Staaten wurde. Wie konnte er das nicht erleben wollen? Wie kann ich auch nur im Ansatz akzeptieren, dass ich so etwas einmal nicht mehr erleben könnte?

Die Welt verändert sich stetig, und ich will das alles wissen! So oft kann man Ereignisse erst rückblickend einordnen und deuten, und ich will unbedingt dabei sein, wenn das passiert. Ich will eine Welt sehen, wie sie in hundert Jahren ist, wie sie im Jahr 3000 ist, ich will erleben, wie die Technik unser Leben revolutioniert, ich will wissen, wie lange es noch Zeitungen gibt, ich will sehen, wie die Kontinente sich verändern und wann es endlich eine Zugverbindung in meinen Heimatort gibt. Ich will wissen, wann die erste Frau Präsidentin der USA wird, wann überhaupt in jedem Land der Erde endlich einmal eine Frau Präsidentin wird.

 

Diese stete Angst vor dem Tod bringt mich also in ein ziemliches Dilemma. Sosehr ich es liebe zu leben, so sehr verfluche ich es, am Leben zu sein. Einmal hineingeboren, gibt es nur einen Weg wieder hinaus. Ich kann nicht nie sterben. Ich kann die Angst vor dem Tod vermutlich nur verlieren, indem ich sterbe, es also hinter mich bringen, um dann ohne Angst weiterleben zu können. Ja, ich erkenne die Ironie.

Ich kann den Tod nicht ablenken, und ich kann ihn nicht selbst in die Hand nehmen. Würde ich mich selbst töten, wäre ich ja schließlich auch tot. Es ist ausweglos. Und in meinen schlaflosen Nächten quält mich diese Ausweglosigkeit besonders, diese eine, aus der man niemals fliehen kann.

Manchmal überlege ich, ob ich mich einfrieren lassen soll. Ich weiß ziemlich viel über Kryokonservierung, also die Kältekonservierung von Organen oder ganzen Organismen, weil ich in manchen Nächten darüber nachlese.

Der Körper wird dabei statt mit Blut mit einer Kühlflüssigkeit gefüllt, manche glauben, so gefroren gelagert könne man Jahrhunderte schlafen und dann wieder aufgeweckt werden. Zugegeben, die Erfolgschancen sind fragwürdig, es fehlt das geeignete Mittel, das die körpereigenen Flüssigkeiten perfekt zu ersetzen vermag. Interessanterweise wird diese Form der Lebenserhaltung in Deutschland bisher nur für Haustiere angeboten. Als würde ich meine Katzen tieffrieren und mich nicht. Andererseits kommt mir das Prinzip ohnehin nicht entgegen, denn eingefroren und ohne jedes Bewusstsein oder Kontrolle über jedes weitere Vorgehen existiere ich ja auch nicht mehr. So ist es also außer teuer wahrscheinlich nichts.

Ein erstaunliches Detail: Es ist in den USA möglich, nur den Kopf einfrieren zu lassen, das ist dann die kostengünstigere Variante. Jedenfalls, so oder so, ich verwerfe den Gedanken regelmäßig.

Also ist vielleicht das Einzige, was ich tun kann, um die dunkle, dumpfe Furcht, die in mir lauert, zu besiegen: mich so ausführlich wie nur möglich mit dem Tod zu beschäftigen und mich meiner Angst zu stellen.

Reden wir über den Tod!

Ich glaube, dass...

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