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«Manchmal wünschte ich, er wäre nie Polizist geworden.»

Eine Ehefrau schlägt Alarm

AutorSabrina R.
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783644402638
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Die erschütternde Lebenswirklichkeit unserer Polizisten erstmals aus der Sicht der betroffenen Familien erzählt. Sabrina R. beschreibt eindrücklich, mit welchen Belastungen Polizeifamilien konfrontiert werden und welche Auswirkungen die desolate Personal- und Ausstattungspolitik auf sie hat. Sie erzählt von der Angst und dem Warten nach gefährlichen Einsätzen, davon, wie unplanbar der Alltag ist und was das für das Familienleben bedeutet, von den Anfeindungen, denen sie und ihr Mann ausgesetzt sind, von dem Verzicht auf gemeinsame Unternehmungen - und von den emotionalen Zumutungen, die aus alldem für sie und ihren kleinen Sohn, aber natürlich auch für ihren Mann, erwachsen.

Sabrina R. lebt und arbeitet in Berlin. Sie schreibt unter Pseudonym, um sich und ihre Familie zu schützen.

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Leseprobe

Familienleben in anderem Takt


Vereidigung


Endlich finden wir einen Parkplatz, die Zeit ist bereits knapp. Wir diskutieren noch kurz, ob wir uns ein Parkticket kaufen oder die Strafe riskieren. Letztlich kratzen wir alle Münzen zusammen und halten uns an die Regeln. Dennoch entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass wir darüber nachgedacht haben, den Tag der Vereidigung meines Mannes gleich mit einer Ordnungswidrigkeit zu beginnen.

Nun steckt das Ticket hinter der Frontscheibe, und mein Schwager Basti, meine Schwägerin Sina und ich machen uns auf den Weg zur Philharmonie. Vor dem Gebäude ist alles blau. Hunderte junger Menschen in Uniform stehen zusammen, schwatzen, lachen und freuen sich auf die kommenden Stunden. Während wir uns nähern, versuche ich meinen Mann unter all den Uniformierten zu finden. Da löst sich einer von ihnen aus der Menge und kommt auf uns zu: Tim. Was für ein Bild! Natürlich hatte ich ihn bereits in Uniform gesehen, als er zum ersten Mal alles mit nach Hause brachte. Aber jetzt, draußen und mit all den anderen Polizisten, ist es für mich noch einmal etwas Besonderes. Ich werde nie vergessen, wie stolz er war und wie sehr er diesen Moment genoss. Ich bin hin und weg.

Noch heute erinnere ich mich gerne an diesen Augenblick. Da war alles noch ganz neu, aufregend und ausgefüllt mit Stolz und Freude. Inzwischen haben auch andere, negative Gefühle Einzug gehalten. Die Situation lässt sich vielleicht ein wenig mit dem Elternwerden vergleichen: Obwohl der Verstand einem sagt, dass es mit einem Baby auch anstrengende, schwierige Zeiten geben, dass sich alles verändern und der Alltag nicht immer Spaß machen wird, überwiegen doch die Freude und ein leicht romantisch verklärtes Bild über das zukünftige Familienidyll. Ist der Nachwuchs dann erst einmal da, schlägt die Realität mit voller Wucht zu. Die Liebe, der Stolz und die Freude bleiben natürlich, aber mit einem Kind kommen eben neue Aufgaben und neue Gefühle hinzu, die nicht immer nur eitel Sonnenschein sind. Wie es ist, weiß man eben erst, wenn man wirklich drinsteckt.

Wir sind sehr besonnen mit der Berufswahl umgegangen. Polizist zu werden war seit jüngsten Kindheitstagen der Traum meines Mannes. Und trotz einiger Verklärung, es war doch immer klar, dass es ein anspruchsvoller Beruf mit besonderen, nicht alltäglichen Anforderungen und Gefahren ist. Dennoch, wie bei unserem Sohn auch, war vieles vorher nicht absehbar. Die Entscheidung trafen wir gemeinsam, die Konsequenzen sind dagegen recht ungleich verteilt.

Während Sina und Basti die ersten Fotos von Tim in Uniform machen, platze ich vor Stolz und sauge den Moment völlig in mich auf. Schick sieht er aus, ziemlich attraktiv. Er steht aufrecht, das Kreuz wirkt breiter, die ganze Haltung fester und überzeugter. Er lächelt. Ich bin berührt, drücke ein Tränchen weg und falle ihm in die Arme. Auf diesen Moment hat er so lange hingearbeitet. Schon einmal hatte er sich beworben, dann wurden plötzlich die Einstellungen in Berlin für einige Jahre ausgesetzt, und wir brauchten einen beruflichen Plan B. Als dann wieder eingestellt wurde, ermunterte ich Tim sehr, trotz eines guten und sicheren Berufs die Gelegenheit zu nutzen und seinem Traum zu folgen. Obwohl er einige Zweifel hatte und auch Ungewissheit herrschte, was kommt, bewarb Tim sich und kniete sich von Anfang an mächtig rein. Mit dem Rauchen hat er aufgehört, sein Sportpensum erhöht, sich intensiv mit den Tests des Auswahlverfahrens beschäftigt, die Allgemein- und die politische Bildung noch einmal aufpoliert. Über Monate zog sich das Auswahlverfahren hin, es ging von einem Test zum nächsten, und über all die Monate schaute er immer und immer wieder auf die Online-Rangliste. Wer unter den ersten 90 war, war drin. Die Tests meisterte er gut, etwas Zittern gab es bei der ärztlichen Untersuchung. Tim hatte Berichte darüber gelesen, dass bei jungen, sportlichen Menschen Erkrankungen diagnostiziert worden sind, die denen bisher gänzlich unbekannt gewesen waren und die das Aus für den Polizeidienst bedeuteten, beispielsweise Skoliose (eine seitliche Verkrümmung der Wirbelsäule) oder kritische Blutwerte.

Sein Wissen kann man erweitern, seine Sportlichkeit verbessern – auf unentdeckte Erkrankungen oder sonstige körperliche Schädigungen hat man dagegen keinen Einfluss.

Nach einer gefühlten Ewigkeit kam endlich die ersehnte Nachricht: Tim war gesund, er war eine Runde weiter. Wir atmeten auf. Alle Tests waren durch, Tim rangierte unter den Besten. Er würde Polizist werden! Für einen kurzen Moment kamen ihm dennoch Zweifel. Sollte er wirklich den sicheren Beruf an den Nagel hängen und noch einmal ganz neu starten? In den nächsten drei Jahren würde er zunächst ein Studium absolvieren müssen, und er hatte etwas Sorge, es nicht zu schaffen. Ich zweifelte nie an ihm, aber ich konnte verstehen, dass er seine Entscheidung zumindest noch einmal überdachte. Immerhin bedeuteten eine Einstellung und damit das Studium bei der Polizei nicht, dass man den Beruf am Ende auch sicher hat. Würde er zweimal durch eine Prüfung fallen, sei es in Rechtslehre oder Schwimmen, er wäre von heute auf morgen arbeitslos. Zusätzlich sollte sich im Verlauf des Studiums zeigen, dass ihn und seine Kollegen auch eine permanente Angst vor Verletzungen quälen würde. Angst, dass ihnen bloß nichts widerfuhr, was ein Ausschlusskriterium darstellen könnte.

Dies alles schießt mir noch mal durch den Kopf, als er jetzt vor mir steht, in Uniform und am Tag seiner Vereidigung.

Später in der Philharmonie sitzen die Familien und Freunde getrennt von den Anwärtern. Sie haben eine eigene Loge. Ein Meer blauer Hemden mit einem kleinen bunten Farbklecks. Später erklärte mir Tim, das seien die Kripos gewesen, Kriminalbeamte, die nicht uniformiert werden. Uniformen tragen die Schutzpolizisten, die Schupos, zu denen nun nach dem Ablegen des Eides auch mein Mann gehört.

Ich bekomme Gänsehaut, als alle Anwärter schwören, immer ihren Dienstpflichten nachkommen und für Stadt und Bürger sowie die freiheitlich-demokratische Grundordnung eintreten zu wollen – ein guter Cop sein zu wollen, wie Tim es später einmal zusammenfasst. Der Beruf verlange mehr dem Einzelnen ab als andere, auch privat müsse man für Rechtsstaatlichkeit, die Werte und Überzeugungen einstehen und sei vermutlich nie wieder so unbedarft wie vorher, sagte der Innensenator in seiner Rede anlässlich der Vereidigung.

Ich hätte dennoch nie gedacht, dass Tims Beruf unseren Alltag, unsere Ehe auf eine derart harte Probe stellen würde. Wenig gemeinsame Zeit und die ständig fehlende Planungssicherheit für uns als Familie, aber auch für unseren weiteren Familien- und Freundeskreis, Verletzungen unterschiedlicher Schwere und die psychische Belastung durch Fälle, die an die seelische Substanz gehen, sind für uns Alltag geworden. Auch lässt der Polizeidienst kaum effektive Erholungsphasen für Tim zu. Bei den Worten des Innensenators dachte ich noch, ja klar, man sollte ein grundsätzlich ehrlicher Mensch sein, für Gerechtigkeit und Schutz einstehen können und selbst danach leben. Mindestens genauso logisch erschien es mir, dass der Beruf einen verändern wird. Diese recht allgemeinen Überlegungen von damals klingen für mich aus heutiger Perspektive sehr idealistisch – und auch ein Stück weit naiv.

Ich halte grundsätzlich noch immer sehr viel von Menschen, die sich für den Polizeiberuf entschieden haben, weil ich viele von ihnen kennengelernt habe und weiß, mit wie viel Fleiß, Engagement und Idealismus sie an ihre Arbeit herangehen. Ich höre aber inzwischen auch immer wieder von Polizisten, die nur noch wenig Engagement zeigen, sich auf Kosten der Kollegen durchschummeln, verbittert sind und keinen guten Job mehr machen.

Aber Polizisten sind eben auch nur Menschen und nicht über andere erhaben: Sie haben Schwächen und Launen wie alle anderen, und es gibt schwarze Schafe unter ihnen wie in anderen Berufen auch. Aber die Anforderungen an ihre Moral und ihre Integrität sind schon besonders: Sie müssen Mut und Durchhaltevermögen entwickeln, aber auch viele schwierige Situationen einfach aushalten und diese später ausblenden können; sie müssen dazu in der Lage sein, über eine gewisse Macht zu verfügen, sie aber nicht zu missbrauchen, nicht abzuheben. Genauso oft müssen sie das Gefühl ertragen, machtlos zu sein und Dinge nicht ändern zu können, die aber für mehr Gerechtigkeit dringend geändert werden müssten. Sie müssen vor allem ertragen, dass ihr Berufsstand immer wieder zwischen die Fronten gerät, ob nun buchstäblich bei einer Demonstration, wo Linke auf Rechte treffen, oder sinnbildlich, wo die Politik sie als Spielball benutzt. Sie müssen lernen, mit Ablehnung, Ekel, Gefahr und Tod umzugehen und jeden Tag wieder nach Hause zu kommen und die gleichen, geliebten Menschen zu sein, als die sie gingen.

Heute kann ich wirklich beurteilen, was dieser Beruf für die ihn Ausübenden und ihre Familien bedeuten kann und wie viel es den Polizisten manchmal abverlangt, jeden Tag wieder zum Dienst zu erscheinen. Doch welche Auswirkungen Tims Beruf auf uns als Menschen und Paar haben würde, welche Einschnitte er für meine Freundschaften und meine Karriere, vor allem aber für unseren Sohn bedeuten würde, davon ahnte ich an diesem Tag nichts. Ich habe mir darüber auch überhaupt keine Gedanken gemacht. Dass mein Mann zum Beispiel auch an Wochenenden und Feiertagen und pausenlos im Schichtdienst würde arbeiten müssen, war mir klar und beunruhigte mich nicht. Was das jedoch konkret bedeutete, davon hatte ich keine Vorstellung.

Sicher hätte ich mit dem Wissen von heute...

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